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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 24.02.2004
Aktenzeichen: 1 B 855/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 67 Abs. 1 S. 3
1. Aufgrund des Behördenprivilegs muss sich eine Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts das Verschulden eines prozessvertretenden Beamten oder Angestellten mit Befähigung zum Richteramt oder eines Diplomjuristen an der Versäumung einer Frist ebenso zurechnen lassen wie eine Privatperson dasjenige des sie vertretenden Rechtsanwalts.

2. Versäumt der mit der Prozessführung beauftragte juristische Mitarbeiter die Notierung der Berufungsbegründungsfrist und schließt dieses Versäumnis aus, dass bei Erkrankung des berufenden Prozessvertreters sein Vertreter fristwahrende Maßnahmen ergreifen kann, liegt darin ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 1 B 855/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen straßenrechtlicher Ersatzvornahme

hat der 1. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Sattler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Munzinger und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. John

am 24. Februar 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 27. März 2003 - 3 K 638/00 - wird verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 65.029,52 € festgesetzt.

Gründe:

Der Senat kann die unzulässige Berufung gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO durch Beschluss verwerfen. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

Die Berufung der Beklagten ist unzulässig. Der Beklagten war der Zulassungsbeschluss des Senats vom 25.11.2003 am 8.12.2003 mit ordnungsgemäßer Belehrung zum Berufungsverfahren mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 1 und 4 ZPO). Die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht endete deshalb am 8.1.2004 (§ 124 Abs. 6 VwGO) und war am 23.1.2004 deutlich überschritten.

Der Beklagten kann auch gemäß § 60 Abs. 1 VwGO keine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt werden. Sie war nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist einzuhalten. Vielmehr beruht die Versäumung der Frist auf einem Verschulden der Prozessvertreterin der Beklagten (§ 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO), das sich die Beklagte gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (BVerwG, Beschl. v. 6.6.1995, NVwZ-RR 1996, 60).

Die für eine Prozessvertretung durch Rechtsanwälte entwickelten Rechtsgrundsätze gelten sinngemäß auch für den Fall der Prozessvertretung durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen für juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden nach § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Diese Vorschrift räumt Behörden eine Ausnahme von dem beim Oberverwaltungsgericht bestehenden Vertretungszwang durch Rechtsanwälte (§ 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ein. Dieses sog. Behördenprivileg führt aber nicht dazu, dass die Anforderungen, die an die Sorgfaltspflicht der mit der Vertretung beauftragten Bediensteten zu stellen sind, geringer sind als bei einem bevollmächtigten Rechtsanwalt. Die genannte Vorschrift bezweckt keine Besserstellung der Behörde gegenüber einer anwaltlich vertretenen Privatperson (SächsOVG, Beschl. v. 9.10.2002 - 1 B 497/02 -, insoweit nicht geändert durch BVerwG, Beschl. v. 15.7.2003, SächsVBl. 2003, 290; vgl. auch VGH Mannheim, Beschl. v. 7.8.2003, VBlBW 2004, 65 unter Verweisung auf BVerwG, Beschlüsse vom 14.2.1992, Buchholz 319 § 60 VwGO Nr. 176, und vom 6.6.1995, aaO).

Auch für Behörden, die von dem Behördenprivileg Gebrauch machen, ist die Wahrung der prozessualen Pflichten eine Aufgabe, der besondere Sorgfalt zu widmen ist. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass die Person, die die Behörde vertritt - in gleicher Weise wie ein Rechtsanwalt - die Wahrung der Frist eigenverantwortlich überwacht. Dazu gehört eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere auch hinsichtlich der Fristen- und der Terminüberwachung sowie der Ausgangskontrolle (BVerwG, Beschl. v. 8.4.1991, NJW 1991, 2096). Der Büroablauf muss so organisiert sein, dass jedenfalls für fristwahrende Schriftsätze, etwa durch Führung eines Fristenkalenders sowie eines Postausgangsbuches eine wirksame Kontrolle, insbesondere bei notwendiger Vertretung, durchgeführt werden kann. So wie in einer Anwaltssozietät Vorkehrungen getroffen werden müssen, dass ein anderes Sozietätsmitglied zumindest die unaufschiebbaren, insbesondere fristgebundenen, Arbeiten eines Sozietätsmitglieds in angemessener Weise und zeitgerecht erledigt (BVerwG, Beschl. v. 3.12.2001, Buchholz § 60 VwGO Nr. 241), hat dies in einem Rechtsamt mit mehreren juristischen Mitarbeitern wie bei der Beklagten zu erfolgen. Dass in diesem Sinne eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle geschaffen war, die es gewährleistet, dass Fristsachen tatsächlich und rechtzeitig bearbeitet und eingereicht werden, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich.

Stattdessen hat die mit der Prozessführung der Beklagten beauftragte juristische Referentin J. im Schriftsatz vom 21.1.2004 selbst eingeräumt, es unterlassen zu haben "nach Zugang des Beschlusses vom 25.11.2003, mit dem die Berufung zugelassen worden ist, ... den Termin zur Berufungsbegründung zu notieren". Auch am 18.12.2003, als sie trotz sehr schlechten Gesundheitszustandes das Büro aufgesucht habe, habe sie die Berufungsbegründungsfrist übersehen. In dieser unterbliebenen Terminnotierung, die es in der Folge ausgeschlossen hat, dass der/die bei Erkrankung der berufenen Prozessvertreterin zuständige juristische Vertreter/in im Rechtsamt der Beklagten fristwahrende Maßnahmen ergreifen konnte, liegt das die begehrte Wiedereinsetzung ausschließende Verschulden. Dabei muss der Umstand außer Betracht bleiben, dass die Prozessvertreterin trotz mehr als zehnjähriger Beschäftigung mit Berufungsverfahren noch keine vergleichbare Frist versäumt haben will. Das könnte allenfalls dann entschuldigen, wenn sie als angewiesene Bürokraft tätig geworden wäre. Das ist aber bei ihr als prozessvertretender Juristin der Behörde, insbesondere im Hinblick auf das angesprochene Behördenprivileg des § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO, nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO. Der Senat folgt der Festsetzung durch das Verwaltungsgericht, gegen welche die Beteiligten nichts vorgetragen haben.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO vorliegt.

Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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