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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2008
Aktenzeichen: 2 B 340/08
Rechtsgebiete: SächsPÜG, GG, VwGO


Vorschriften:

SächsPÜG § 2
SächsPÜG § 3
GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 12
GG Art. 12
VwGO § 80 Abs. 5
1. Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zum Übergang von Arbeitsverhältnissen nach dem SächsPÜG.

2. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann die Rechtmäßigkeit des gemäß § 3 SächsPÜG vorgeschalteten Auswahl- und Verteilungsverfahrens im konkreten Fall nicht abschließend überprüft werden.

3. Im Rahmen der Folgenabwägung ist das öffentliche Interesse an einem zügigen Personalübergang gegen die individuellen Belange der Bediensteten abzuwägen.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT

Beschluss

Az.: 2 B 340/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Übergang eines Arbeitsverhältnisses nach SächsPÜG, Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Henke am 10. November 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 24. September 2008 - 3 L 414/08 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, lassen nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Übergabeverfügung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie vom 8.7.2008 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht abgelehnt hat.

Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels in der Hauptsache als offen eingeschätzt, da es zum einen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Sächsischen Personal-übergangsgesetzes (SächsPÜG) sah und zum anderen keine sichere Aussage zur fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens treffen konnte. Es hat hiervon ausgehend eine reine Folgenabwägung dahingehend getroffen, dass das Interesse des Antragsgegners an einer sofortigen Vollziehung der Übergabeverfügung Vorrang vor den Interessen der Antragstellerin hat, für die mit dem Sofortvollzug keine gewichtigen Nachteile verbunden seien.

Die hiergegen mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände führen nicht zum Erfolg. Die Antragstellerin trägt vor, das Verwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des SächsPÜG zu Unrecht offen gelassen; richtiger-weise sei von der Verfassungswidrigkeit des SächsPÜG und folglich von der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Übergabeverfügung auszugehen. Dem ist nicht zu folgen. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen der Interessenabwägung die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels in der Hauptsache als offen beurteilt. Dabei kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob die vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des SächsPÜG berechtigt sind (1) oder ob sich diese Wertung allein aus den Zweifeln hinsichtlich der Durchführung des Auswahlverfahrens ergibt (2). Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Folgenabwägung begegnet ebenfalls keinen Bedenken (3).

1) Aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 80 Rn. 158 m. w. N.) teilt der Senat nicht die Zweifel des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des SächsPÜG.

a) Zum einen ist davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber gesetzgebungsbefugt war. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verliehen worden sind. Gem. Art. 72 Abs. 1 GG steht den Ländern im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Befugnis zur Gesetzgebung zu, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung ist nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG das Arbeitsrecht. Von seiner Gesetzgebungskompetenz hat der Bund auf diesem Gebiet, soweit es die gesetzliche Überleitung von Arbeitsverhältnissen betrifft, keinen Gebrauch gemacht, sondern nur den rechtsgeschäftlichen Übergang nach § 613a BGB geregelt (BAG, Urt. v. 28.9.2006 - 8 AZR 441/05 -, zit. nach juris). Es ist auch nicht erkennbar, dass hierdurch nach dem Willen des Bundesgesetzgebers ergänzende landesrechtliche Regelungen ausgeschlossen sein sollten. Von einer erschöpfenden Kodifizierung der Rechtsmaterie, die eine landesrechtliche Regelung ausschließen würde, kann deshalb nicht die Rede sein (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 11.4.2000 - 1 BvL 2/00 -, zit. nach juris). Der Landesgesetzgeber konnte deshalb Bestimmungen zur bundesrechtlich nicht geregelten gesetzlichen Überleitung von Arbeitsverhältnissen treffen.

b) Zum anderen dürften die Regelungen des SächsPÜG auch mit dem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 28 Abs. 1 SächsVerf in Einklang stehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts garantiert Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG neben der freien Wahl des Berufs als weiteres Schutzgut auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes, somit die Entscheidung des Einzelnen, an welcher Stelle und bei welchem Arbeitgeber er dem gewählten Beruf nachgehen möchte (vgl. zusammenfassend BAG, Urt. v. 28.9.2006 a. a. O., mit ausführlichen Nach-weisen). Ohne Zweifel greifen die Regelungen des SächsPÜG in das Grundrecht der Antragstellerin auf freie Wahl des Arbeitsverhältnisses ein, indem der Antragstellerin im Wege der Übergabeverfügung nach § 2 Abs. 3 SächsPÜG ein anderer Arbeitsplatz bei einem anderen Arbeitgeber an einem neuen Dienstort zugewiesen wird; gleichzeitig tritt unmittelbar der Verlust des Arbeitsplatzes bei dem Antragsgegner ein.

Der Eingriff in die Arbeitsplatzfreiheit der Antragstellerin dürfte aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Der gesetzliche Eingriff wirkt sich zur Überzeugung des Senates im Ergebnis nicht wie eine objektive oder subjektive Berufszulassungsschranke aus, sondern stellt sich vielmehr als eine nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf zulässige Berufsausübungsregelung dar. Eine solche ist bereits dann verfassungsgemäß, wenn sie durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig ist; Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (BVerfG, Urt. v. 9.6.2004 - Ladenschluss -, BVerfGE 111, 10). Hinsichtlich des Gesetzesvorbehaltes in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf gilt nach dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, dass der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen hat. Wie weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, richtet sich maßgeblich nach dessen Grundrechtsbezug.

Gemessen an diesen Kriterien hat der Senat keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelungen des SächsPÜG. Das Gesetz steht im direkten Zusammen-hang mit der Gebiets- und Funktionalreform im Freistaat Sachsen, in deren Zuge die bisherigen Landkreise aufgelöst, neue Landkreise gebildet und staatliche Aufgaben auf die Landkreise übertragen wurden. Das SächsPÜG regelt die hierdurch notwendig gewordene Umstrukturierung des Personalbestands beim Antragsgegner und bei den betreffenden Gebietskörperschaften. Es ist damit durch vernünftige Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt, da die zügige und umfassende Ausstattung der Landkreise mit geeignetem Personal der geordneten Ausführung der übertragenen Verwaltungsaufgaben durch die Landkreise dient und damit im öffentlichen Interesse liegt.

Die zwingend angeordnete Überleitung der Arbeitsverhältnisse nach § 2 Abs. 3 SächsPÜG stellt auch keine unverhältnismäßige Regelung dar. Sie ist geeignet, in personeller Hinsicht die Wahrnehmung der zusätzlich übertragenen staatlichen Aufgaben durch die Landkreise zu sichern. Die Regelung ist auch erforderlich. Es ist nicht ersichtlich, wie der Übergang einer Anzahl von landesweit mehreren Tausend Arbeitnehmern an die Gebietskörperschaften unter Berücksichtigung der wahrzunehmenden Aufgaben, der Auswahl geeigneter Bediensteter und der privaten Belange der Arbeitnehmer in anderer, für die Betreffenden schonenderer Weise hätte erfolgen sollen. Die gesetzliche Regelung stellt gegenüber einer privatrechtlichen Vorgehensweise auch keine Benachteiligung der betroffenen Bediensteten dar; so enthält § 2 Abs. 5 SächsPÜG etwa einen gegenüber § 613a BGB erweiterten Kündigungsschutz.

Die Regelung des § 2 Abs. 3 SächsPÜG dürfte auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein, da sie sich bei einer Abwägung zwischen dem Gemeinschaftsgut, dem sie dient, mit der Schwere des Eingriffs als angemessen erweist. Zwar wird der Arbeitnehmer in der Wahl seines Vertragspartners berührt, wenn ihm gegenüber ein neuer Arbeitgeber durch Verwaltungsakt festgesetzt wird. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass es sich bei dem alten wie dem neuen Arbeitgeber um juristische Personen des öffentlichen Rechts handelt, die Antragstellerin somit im öffentlichen Dienst verbleibt. Eine finanzielle Schlechterstellung ist für sie nicht zu befürchten, da zum einen § 2 Abs. 4 SächsPÜG entsprechende Vorkehrungen in tariflicher Hinsicht trifft und zum anderen der Antragstellerin weiterhin ein im Wesentlichen gleich potenter Schuldner gegenübersteht. Die für die Antragstellerin mit dem Arbeitgeberwechsel verbundenen organisatorischen Veränderungen, insbesondere räumlicher Art, lassen demgegenüber den Eingriff nicht als unangemessen erscheinen.

Die Regelungen des SächsPÜG berücksichtigen schließlich in ausreichender Weise die Verpflichtung des Gesetzgebers, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Exekutive zu überlassen. So bestimmt § 3 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 SächsPÜG, welche Bediensteten zwingend an die kommunalen Körperschaften übergehen; in § 3 Abs. 4 bis 6 i. V. m. Abs. 1 SächsPÜG wird festgelegt, nach welchen sachlichen und persönlichen Kriterien die übrigen Bediensteten ausgewählt und verteilt werden. Zwar sieht § 3 Abs. 5 Satz 1 SächsPÜG vor, dass die Staatsministerien die Auswahl und Verteilung der Bediensteten zum Zwecke der Erstellung eines Auswahl- und Verteilungsvorschlages vorbereiten. Bei der Durchführung des Auswahlverfahrens ist die Exekutive jedoch an die in § 3 Abs. 6 SächsPÜG genannten Kriterien gebunden, die die Personalauswahl an strenge, nachprüfbare Voraussetzungen knüpfen und der Verwaltung allenfalls geringen eigenen Spielraum lassen. Der Landesgesetzgeber hat hierdurch die Auswahl und Verteilung im Rahmen des Personalübergangs hinreichend bestimmt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass eine noch stärker detaillierte gesetzliche Regelung der Auswahlkriterien hinsichtlich ihrer praktischen Handhabbarkeit an Grenzen stößt und die Erreichung des angestrebten Ziels einer sachgerechten Auswahl hierdurch nicht notwendig optimiert wird.

2) Der Senat teilt indessen die vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel, ob das Auswahlverfahren im konkreten Fall ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Es ist dem Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich, im Einzelnen zu überprüfen, ob die der Übergabeverfügung zugrundeliegende Auswahlentscheidung, die der Antragsgegner aufgrund § 3 SächsPÜG i. V. m. dem Auswahlkonzept getroffen hat, rechtmäßig ist. Hierzu müssten umfangreiche Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, etwa zur Bildung der Vergleichsgruppe und der Anwendung des Kriterienkatalogs auf diesen Personenkreis, durchgeführt werden; soweit Tatsachen streitig sind, wäre eine Beweisaufnahme durchzuführen. Aufgrund des insoweit noch bestehenden Klärungsbedarfs in tatsächlicher Hinsicht kann die Frage der ordnungsgemäßen Durchführung des Auswahlverfahrens im Eilverfahren nicht beantwortet werden. Die Erfolgsaussichten des gegen die Übergabeverfügung eingelegten Rechtsmittels sind deshalb - wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - als offen zu beurteilen.

3) Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Folgenabwägung ist auch unter Würdigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass keine Umstände auf Seiten der Antragstellerin ersichtlich sind, die der Aufnahme ihres Arbeitsverhältnisses in Borna entgegen-stehen könnten; insbesondere sei die zu bewältigende Wegstrecke von 32 km zumutbar. Demgegenüber würden dem Antragsgegner bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung erhebliche Nachteile entstehen, nicht zuletzt drohten finanzielle Schäden zulasten der Allgemeinheit. Diese Wertung hat die Antragstellerin durch ihr Beschwerdevorbringen nicht er-schüttert, das sich allein auf Ausführungen zur rechtlichen Würdigung der Ausgangsverfügung beschränkt und - über die pauschal aufgelisteten Stichworte in der Antragsschrift hin- aus - keine näheren Angaben enthält, weshalb der Antragstellerin konkret die Arbeitsstelle in Borna nicht zumutbar sein sollte. Soweit die Antragstellerin derzeit arbeitsunfähig erkrankt ist (vgl. Antragserwiderung), stellt dies lediglich ein - möglicherweise vorübergehendes - faktisches Hindernis für die Arbeitsaufnahme dar, das indessen für die Frage der Zumutbarkeit ohne Belang ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren nicht zu erstatten, da dieser keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Auffangstreitwert wegen des Charakters des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu halbieren war.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



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