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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: 2 BS 134/06
Rechtsgebiete: SächsBG


Vorschriften:

SächsBG § 116 Abs. 2
SächsBG § 42 Nr. 1
SächsBG § 8
Personalmangel bei der Bestellung eines Untersuchungsführers im Rahmen von § 116 Abs. 2 SächsDO rechtfertigt keine Verzögerung des Untersuchungsverfahrens um etwa 1 1/2 Jahre, sondern führt zu einer fehlerhaften Ermessensentscheidung bei einer Entlassung eines Probebeamten gemäß § 42 Nr. 1 SächsBG, wenn dieser die Voraussetzungen des § 8 SächsBG erfüllt und damit einen Anspruch auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit hat.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 2 BS 134/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Entlassung aus dem Beamtenverhältnis Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Reich, den Richter am Oberverwaltungsgericht Munzinger und die Richterin am Verwaltungsgericht Diehl

am 18. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 9. Mai 2006 - 3 K 249/06 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Antrag der Antragstellerin, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.585,60 € festgesetzt.

Gründe:

1. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist nicht begründet.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich nicht aus den von dem Antragsgegner dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, als unrichtig. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Entlassungsverfügung des Antragsgegners vom 13.2.2006 wieder hergestellt.

Ohne Erfolg macht der Antragsgegner geltend, es liege entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keine ungebührliche Verzögerung des Untersuchungsverfahrens vor, die zu einer Ermessensfehlerhaftigkeit der Entlassungsverfügung geführt habe. Der Antragsgegner trägt vor, durch Bezugnahme auf das Vorbringen im Klageverfahren der Antragstellerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit seien hinreichende sachliche Gründe für die nachvollziehbare Dauer des Untersuchungsverfahrens, insbesondere die eineinhalbjährige Dauer für die Bestellung eines Untersuchungsbeamten, vorgebracht worden. Bereits mit Schreiben des Polizeipräsidiums Leipzig vom 25.5.2004 sei beim Sächsischen Staatsministerium des Innern - SMI - um die Bestellung eines Untersuchungsbeamten nachgesucht worden. Nach drei schriftlichen Sachstandsanfragen habe das SMI mit Schreiben vom 27.4.2005 mitgeteilt, dass in Ermangelung in Betracht kommender Beamter bislang kein Untersuchungsführer bestellt werden konnte. Zum Zeitpunkt der Fortsetzung der gegen die Antragstellerin geführten Untersuchung hätten im Bereich der Polizei lediglich zwei Beamte als hauptamtliche Untersuchungsführer fungiert, die nicht zur Verfügung gestanden hätten. Der ursprüngliche Untersuchungsbeamte habe vor einer Abordnung in das SMI gestanden. Seit dem 2.8.2004 sei er als Referent im Referat u.a. für die Fachaufsicht über Disziplinarverfahren im Bereich der Polizei zuständig und unterliege damit dem gesetzlichen Ausschlussgrund des § 45 Abs. 5 i.V.m. § 40 Satz 1 Nr. 6 SächsDO. Die weitere hauptamtliche Untersuchungsführerin sei als Referatsleiterin zum Polizeipräsidium Leipzig abgeordnet und damit ebenfalls kraft Gesetzes als Untersuchungsbeamtin ausgeschlossen gewesen. Ein weiterer Beamter sei als Vertreter der Einleitungsbehörde in dem Verfahren gegen die Antragstellerin tätig gewesen. Ein - zum damaligen Zeitpunkt erst seit kurzer Zeit - hauptamtlicher Untersuchungsführer sei mit einer hohen Zahl von Verfahren ausgelastet gewesen. Nahezu alle beamteten Volljuristen im Bereich der sächsischen Polizei hätten einer Doppelbelastung in ihrem damaligen Hauptamt und der Tätigkeit in den Aufbaustäben der im Zuge der Polizeireform zum 1.1.2005 neu zu schaffenden Dienststellen unterlegen. Mit Verfügung vom 10.10.2005 sei schließlich der Leitende Oberstaatsanwalt zum Untersuchungsbeamten bestellt worden. Zuvor hätten sämtliche Akten des Strafverfahrens im Hinblick auf die Ausschlussregelung nach § 45 Abs. 5 i.V.m. § 40 Satz 1 Nr. 5 SächsDO eingehend geprüft werden müssen.

Dieses Vorbringen vermag die Beschwerde nicht zu begründen. Nach § 42 Nr. 1 SächsBG kann ein Beamter auf Probe entlassen werden, wenn er eine Handlung begeht, die bei einem Beamten auf Lebenszeit eine Disziplinarmaßnahme zur Folge hätte, die nur im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden kann.

Entlassungsgrund ist ein Dienstvergehen i.S.d. § 96 SächsBG, begangen durch den Beamten auf Probe, das so schwer wiegt, dass gegen einen Beamten auf Lebenszeit eine nur im förmlichen Disziplinarverfahren zulässige Disziplinarmaßnahme zu verhängen wäre. Nach § 4 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 SächsDO können gegen Beamte auf Lebenszeit im Freistaat Sachsen lediglich die Disziplinarmaßnahmen "Versetzung in ein anderes Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt und Entfernung aus dem Dienst" im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden. Daher kommt eine Entlassung nach § 42 Nr. 1 SächsBG nur bei schwerwiegenden Dienstvergehen in Betracht. Da wegen des in der Probezeit begangenen Dienstvergehens kein förmliches Disziplinarverfahren stattfinden kann, ist im Rahmen des beamtenrechtlichen Entlassungsverfahrens eine hypothetische Feststellung zu treffen, welche Disziplinarmaßnahme zu verhängen wäre, wenn sich der Beamte bereits im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit befinden würde (vgl. Beschl. des Senats vom 7.4.2004 - 2 BS 91/04 -).

Der Entlassungstatbestand in § 42 Nr. 1 SächsBG steht in Konkurrenz zum Anspruch auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nach § 8 SächsBG, wenn sowohl die Statusdienstzeit (§ 8 Abs. 2 SächsBG) erfüllt, das Lebensalter von 27 Jahren vollendet ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SächsBG) und keine sonstigen rechtlichen Gründe der Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entgegenstehen. Mit Ausnahme des besonderen Falles, dass das Dienstvergehen so schwerwiegend erscheint, dass die Entfernung auf dem Dienst geboten wäre, kann die Entlassung dann nicht mehr auf § 42 Nr. 1 SächsBG gestützt werden, wenn der Beamte bereits einen Rechtsanspruch auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erworben hat. Die Konkurrenz zwischen dem Anspruch auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit und dem Entlassungstatbestand des § 42 Nr. 1 SächsBG ist im Rahmen der nach dieser Vorschrift zu treffenden Ermessensentscheidung zu beachten. Der Anspruch auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit führt zu einer Einschränkung des Ermessens bei der Entlassung. Der Ablauf der fünfjährigen Statusdienstzeit als Voraussetzung für einen Anspruch auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit wird jedoch gehemmt, solange der Dienstherr ohne ungebührliche Verzögerung in dem dafür vorgesehenen Verfahren prüft, ob die Voraussetzungen für eine Entlassung oder die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erfüllt sind. Die Hemmung der Statusdienstzeit beginnt mit der Eröffnung des Entlassungsverfahrens durch die Einleitung einer Untersuchung nach § 116 SächsDO (vgl. Woydera/Summer/Zängl, SächsBG, § 42 Nr. 5e) m.w.N.). Ausgehend von diesem Maßstab hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt, dass der Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung eine fehlerhafte Ermessensausübung entgegensteht. Die Antragstellerin hat bereits einen Anspruch auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erlangt. Sie wurde am 1.3.1994 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Polizeimeisterin zur Anstellung ernannt und hat daher eine fünfjährige Statusdienstzeit i.S.v. § 8 Abs. 2 SächsBG erfüllt. Zudem hat sie am 10.6.2002 das nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SächsBG erforderliche 27. Lebensjahr vollendet. Schließlich stehen keine sonstigen rechtlichen Gründe der Berufung der Antragstellerin in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entgegen. Es ist auch nicht der Ausnahmetatbestand erfüllt, dass das Dienstvergehen so schwerwiegend erscheint, dass die Entfernung aus dem Dienst geboten wäre. Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass der Antragsgegner selbst nicht (mehr) davon ausgeht, da am 12.5.2004 das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte vom 3.3.2004 aufgehoben wurde. Zudem nahm die Antragstellerin zwischenzeitlich an Fortbildungsmaßnahmen teil, um als szenekundige Beamtin bei der Fußballweltmeisterschaft eingesetzt zu werden.

Der Ablauf der fünfjährigen Statusdienstzeit wurde auch nicht durch die Einleitung einer Untersuchung nach § 116 SächsDO am 8.1.2003, sowie das vorangegangene Entlassungsverfahren, das am 27.11.2000 eingeleitet worden war und mit einer Aufhebung der Entlassungsverfügung am 9.12.2002 geendet hatte, gehemmt.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht in dem Umstand, dass es nach Fortführung des Untersuchungsverfahrens am 12.5.2004 etwa 1 1/2 Jahre gedauert hat, bis vom SMI am 10.10.2005 der Untersuchungsführer bestellt wurde, eine ungebührliche Verzögerung im Rahmen des Untersuchungsverfahrens gesehen. Der Antragsgegner hat das Entlassungsverfahren nicht mit der zum Schutz des Beamten gebotenen Beschleunigung durchgeführt, sondern die Entlassung schuldhaft verzögert. Die vom Antragsgegner vorgetragenen Gründe für die Verzögerung bei der Bestellung eines Untersuchungsführers vermögen keine andere Einschätzung zu begründen. Der Umstand, dass zwei hauptamtliche Untersuchungsführer im Bereich der Polizei nicht zur Verfügung gestanden hätten und weitere Beamte von der Tätigkeit ausgeschlossen bzw. ausgelastet gewesen seien und nahezu alle beamteten Volljuristen aufgrund der organisatorischen Umstrukturierung der sächsischen Polizei zum 1.1.2005 einer Doppelbelastung ausgesetzt gewesen seien, können nicht die festgestellte ungebührliche Verzögerung begründen. Aufgrund der Dringlichkeit der zu treffenden Entscheidung hätte der Antragsgegner gegebenenfalls einen Bediensteten aus einem anderen Bereich als der Polizei als Untersuchungsführer bestellen müssen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

3. Der Antragstellerin war keine Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, da das Rechtsschutzinteresse zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin entfallen war. Bei der Beurteilung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Entscheidung maßgeblich (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 166 RdNr. 55 m.w.N). Zwar dürfte die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sein, die vollständigen Kosten der Prozessführung zu tragen und daher grundsätzlich einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe einer monatlichen Ratenzahlung gehabt haben. Dieser ist jedoch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats entfallen, da der Antragsgegner aus den dargelegten Gründen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat und daher die Antragstellerin keiner Prozesskostenhilfe bedarf. Denn es wäre widersinnig, einem Betroffenen öffentliche Leistungen zuzusprechen, wenn er dieser nicht mehr bedarf (vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 8.6.1996 - 7 C 96/1262 -, NVwZ-RR 1997, 501 [502]). Dies gilt insbesondere, wenn wie im vorliegenden Fall der Kostenschuldner im Prozesskostenhilfe-, wie im Beschwerdeverfahren derselbe ist.

4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 47 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG, wobei der Senat Anlage IX der Zweiten Besoldungsübergangsverordnung seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 2 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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