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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.10.2009
Aktenzeichen: 3 B 482/09
Rechtsgebiete: GG, VwGO, BGB


Vorschriften:

GG Art. 6
VwGO § 123
BGB § 1599
BGB § 1600
BGB § 1600b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 B 482/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebung; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Freiherr von Welck, den Richter am Verwaltungsgericht Jenkis und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein

am 2. Oktober 2009

beschlossen:

Tenor:

Nach Zurücknahme des gegen die Antragsgegnerin zu 2 gerichteten Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz wird das Verfahren insoweit eingestellt. Der vorläufigen Rechtsschutz gegen die Antragsgegnerin zu 2 versagende Teil des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 14. September 2009 - 2 L 225/09 - ist - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - unwirksam.

Auf die Beschwerde des Antragsstellers wird der vorläufigen Rechtsschutz gegen den Antragsgegner zu 1 versagende Teil des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 14. September 2009 - 2 L 225/09 - geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens geplante Abschiebung des Antragstellers durchzuführen.

Der Antragsteller und der Antragsgegner zu 1 tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge je zur Hälfte.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Nach Zurücknahme des gegen die Antragsgegnerin zu 2 gerichteten Antrags nach § 123 VwGO ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und insoweit die Wirkungslosigkeit des angefochtenen Beschlusses entsprechend § 173 Satz 1 i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO festzustellen.

Die Beschwerde gegen den vorläufigen Rechtsschutz gegen den Antragsgegner zu 1 versagenden Teil des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 14.9.2009 hat Erfolg. Der Antragsteller hat mit der Beschwerde Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass das Verwaltungsgericht den auf Untersagung der Abschiebung gerichteten Rechtsschutzantrag nach § 123 VwGO zu Unrecht abgelehnt hat.

Neben einem Anordnungsgrund, dessen Vorliegen im Hinblick auf die geplante Abschiebung zwischen den Beteiligten unstreitig ist, steht dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG auch ein Anordnungsanspruch zur Seite. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts begründen vorliegend die aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der für die zum..12.2009 errechneten Geburt des Kindes von Frau .................. ein rechtliches Abschiebungshindernis.

Nach der - vom Verwaltungsgericht zitierten - Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 25.1.2006, NVwZ 2006, 613) kann die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen einen Umstand darstellen, der unter den Gesichtspunkten des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet.

Hinsichtlich des Schutzes der Ehe sind Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG für den Fall des unmittelbaren Bevorstehens der Eheschließung allgemein anerkannt (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 8.2.2005 - 3 BS 426/04 -). Entsprechende Vorwirkungen sind im Falle der bevorstehenden Familiengründung regelmäßig dann anzunehmen, wenn der nichteheliche Vater durch die vorgeburtliche Anerkennung der Vaterschaft und des gemeinsamen Sorgerechts zu erkennen gegeben hat, dass er die elterliche Verantwortung übernehmen wird, und zudem der Entbindungszeitpunkt so nahe bevorsteht, dass bis zur Geburt ein Familiennachzug unter Einhaltung der Einreisevorschriften nach behördlicher Erfahrung oder - in Ermangelung einer solchen - nach dem Ergebnis behördlicher Ermittlung bei der zuständigen Auslandsvertretung und ggf. der zuständigen Ausländerbehörde nicht mehr in Betracht kommt. Dabei knüpft der vorwirkende Schutz durch Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG deshalb an die Geburt als Grenze des für einen geordneten Familiennachzug ausreichenden Zeitraums an, weil der spezifische Betreuungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung durch die Mutter entbehrlich wird, der Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und das Kind beide Eltern braucht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005, FamRZ 2006, 187 u. v. 23.1.2006, NVwZ 2006, 682; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.3.2009 - 12 S 28.09 -, zitiert nach juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2008, NVwZ-RR 2009, 133 m. w. N.).

Diese Schutzverpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG können zunächst dann in Betracht kommen, wenn eine Risikoschwangerschaft und der darauf beruhende Bedarf an Unterstützung der Schwangeren glaubhaft gemacht wird (vgl. Beschl. des Senats v. 25.1.2006 a. a. O.). Sie werden aber auch - bei fehlenden Hinweisen auf eine Risikoschwangerschaft - in Betracht kommen, wenn aus anderen Gründen eine besondere Hilfsbedürftigkeit der schwangeren Mutter gegeben ist. Hiervon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Ausländer gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, die die gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes als sicher erwarten lassen. Zudem muss grundsätzlich auch in einer solchen Konstellation die vorübergehende Ausreise des Kindesvaters unzumutbar sein, wovon regelmäßig nur dann ausgegangen werden kann, wenn mit seiner rechtzeitigen Rückkehr zum Geburtstermin nicht gerechnet werden kann (so auch OVG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2008 a. a. O.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend - jedenfalls zumindest bis zum angenommenen Zeitpunkt der Geburt Anfang Dezember 2009 - von einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG auf Grund der Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auszugehen. Die erforderliche notarielle Vaterschaftsanerkennung mit Zustimmung der Mutter und die Sorgerechtserklärung sind abgegeben worden. Die notariell beglaubigte Abschrift der Urkunde liegt dem Senat vor. Weitere Glaubhaftmachungen diesbezüglich waren damit entbehrlich. Soweit der Antragsgegner unter Berufung auf Ungereimtheiten bei den zeitlichen Angaben des Antragstellers und der Kindesmutter zu ihrem Zusammentreffen die biologische Vaterschaft des Antragstellers in Zweifel zieht, vermag dies an der rechtlichen Wirksamkeit des Anerkennung der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2, § 1595 Abs. 1 und § 1597 Abs. 1 BGB (derzeit) nichts zu ändern. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Anerkennung (§ 1598 BGB) bestehen nicht. Die nach § 1592 Nr. 2 BGB rechtliche Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung kann nur mit der rechtskräftigen Feststellung der fehlenden Vaterschaft i. S. v. § 1599 Abs. 1 BGB beseitigt werden. Der Gesetzgeber hat "zur Bekämpfung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen" (vgl. BT-Drucks. 16/3291 S. 9) mit der Einfügung der Regelungen der § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 und 4, § 1600b Abs. 1 a BGB eine besondere befristete Anfechtungsmöglichkeit geschaffen. Die Anfechtung muss durch die durch Landesrecht bestimmte Behörde erfolgen. Diese Voraussetzungen sind hier jedoch erkennbar nicht erfüllt.

Soweit von der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2008 a. a. O.) als weitere Voraussetzungen für vorgeburtliche Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG verlangt wird, dass die Betroffenen in Verhältnissen leben, die die Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung der Kinder sicher erwarten lassen, muss bei der Konkretisierung dieser Anforderungen den Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden. Diese sind vorliegend dadurch gekennzeichnet, dass sich der Antragsteller seit dem 30.6.2009 in Sicherungshaft befindet und dadurch naturgemäß seit diesem Zeitpunkt nicht mit der Kindesmutter zusammenleben konnte. Was den vorherigen Zeitraum seit der Zeugung des Kindes anbelangt, weisen zwar sowohl der Antragsgegner zu 1 als auch das Verwaltungsgericht auf Ungereimtheiten in dem Sachvortrag des Antragstellers und der Kindesmutter hin, zumal der Antragsteller zunächst angegeben hatte, erst im Juni 2009, also nach dem Zeugungszeitpunkt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, und erst später erklärt hat, seit April 2009 mit der Kindesmutter zusammengelebt zu haben. Zu den bei der Abgabe der Prognose über das zu erwartende Erziehungs- und Betreuungsverhalten zu Grunde zu legenden Umständen ist jedoch zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass der - seinerzeit von seiner Ehefrau getrennt lebende - Kindesvater der anderen drei Kinder verstorben ist und die Kindesmutter wegen persönlicher Überforderung die zwei älteren Kinder der Mutter und das jüngste Kind einer Pflegefamilie zur Erziehung zu überlassen hat. Vor dem Hintergrund dieser besonderen, auch ärztlich bestätigten starken psychischen Belastung der schwangeren Kindesmutter und der für Dezember errechneten Geburt des Kindes erscheint es dem Senat als angemessen, angesichts der vom Antragsteller abgegebenen Vaterschaftsanerkennungs- und Sorgerechtserklärung bei ihm zumindest für einen überschaubaren Zeitraum von zwei bis drei Monaten von dem Vorhandensein des Willens zur Erbringung der erforderlichen Hilfe- und Betreuungsleistungen gegenüber der Kindesmutter auszugehen. Da innerhalb eines solchen kurzen Zeitraums im Fall einer Ausreise des Antragstellers auch nicht mit seiner rechtzeitigen Rückkehr zur Geburt des Kindes gerechnet werden kann, ist der Beschwerde nach alldem stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 155 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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