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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.07.2007
Aktenzeichen: 3 BS 223/06
Rechtsgebiete: SächsPolG, Lotteriestaatsvertrag, StGB, GG, EGV


Vorschriften:

SächsPolG § 3 Abs. 1
Lotteriestaatsvertrag § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
StGB § 284
GG Art. 12 Abs. 1
EGV Art. 43
EGV Art. 49
1. Das im Freistaat Sachsen geltende staatliche Monopol für Sportwetten verstößt gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit, bleibt aber dennoch bis zum 31.12.2007 anwendbar.

2. Das geltende staatliche Monopol für Sportwetten verstößt gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 43 EGV und Art. 49 EGV). Von der Geltung des Anwendungsvorranges der Normen des EG-Vertrages kann in eng umgrenzten Fällen für eine Übergangszeit abgesehen werden.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 BS 223/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Schließung einer Wettannahmestelle

Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Vulpius

am 12. Juli 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 16. August 2006 - 14 K 2239/05 - geändert. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Verfahren in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Anders als das Verwaltungsgericht vertritt der Senat nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung die Auffassung, dass sich die gegenüber dem Antragsteller getroffene und auf § 3 Abs. 1 SächsPolG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland - Lotteriestaatsvertrag - (SächsGVBl 2004, S. 187) i.V.m. § 284 Abs. 1 StGB beruhende Verfügung vom 10.10.2005, mit der dem Antragsteller die Geschäftstätigkeit der Vermittlung von Sportwetten in der Betriebsstätte G........ Straße N1 in D...... untersagt wurde und mit der er aufgefordert wurde, die Geschäftstätigkeit der Annahme und Weiterleitung von Angeboten aus Sportwetten an die Firma T......... in M.... sowie andere Wettunternehmer ohne gültige Erlaubnis für den Freistaat Sachsen einzustellen, mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweisen wird. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers.

A. I. In dem angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die Anordnung der sofortigen Vollziehung in materieller Hinsicht beanstandet und festgestellt, dass der Bescheid sich bei summarischer Prüfung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig erweise. Der Antragsteller stelle dadurch, dass er in seinen Gewerberäumen das Zustandekommen eines Spielvertrages mit der Firma T......... in M.... ermögliche, Einrichtungen für das Glücksspiel im Sinne von § 284 Abs. 1, 2. Alt. StGB bereit. Eine die Strafbarkeit ausschließende, von sächsischen Behörden erteilte Erlaubnis für die Tätigkeit des Antragstellers liege nicht vor. Nach der im Freistaat aufgrund des Gesetzes zum Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland vom 9.6.2004 bestehenden Rechtslage seien private Sportwetten nicht erlaubnisfähig. Ob eine solchermaßen vorgenommene Anwendung des § 284 StGB im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Bezug mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sei und ob die Außerachtlassung der durch die maltesischen Behörden erteilten Genehmigung für den Freistaat Sachsen zu einer mittelbaren Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit des Anbieters der Wetten aus Art. 43, 49 und 50 EGV i.V.m. Art. 55, 48 EGV führe, sei in Literatur und Rechtsprechung höchst umstritten. Es spreche viel dafür, dass die in Sachsen bestehende rechtliche und tatsächliche Situation eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des Dienstleistungsverkehrs darstelle. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass bereits die nach dem Vortrag des Antragsgegners begonnenen Unternehmungen zur Umsetzung der für die Übergangszeit festgesetzten Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zur Bekämpfung der Wettsucht genügten, um einen Verstoß gegen Art. 43 und Art. 49 EGV entfallen zu lassen. Derartige Maßnahmen reichten bereits für die Beseitigung des durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nicht aus, sondern dienten lediglich der Rechtfertigung der gewährten Übergangszeit. Das Bundesverfassungsgericht habe es dem Gesetzgeber aufgegeben, den Bereich der Sportwetten unter Ausübung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums neu zu regeln. Derartige Regelungen, die auch die Vereinbarkeit mit gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen berühren würden, stünden derzeit noch aus. Der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache sei daher offen. Im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen werde das Aussetzungsinteresse des Antragstellers höher bewertet als das öffentliche Vollzugsinteresse. Für die Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung sei zudem ein Nachweis von konkreten Gefahren für das Gemeinwohl erforderlich, der über die Tatsache eines Verstoßes gegen § 284 StGB hinausreiche. Dem genüge der Hinweis auf den Jugendschutz nicht.

II. Der Antragsgegner macht mit der Beschwerde geltend, dass die Firma T......... in M...., deren Sportwetten der Antragsteller in Deutschland vertreibt, lediglich über eine Erlaubnis zum Vertrieb ihrer Dienstleistungen und Produkte in das Ausland verfüge. Der Vertrieb ihrer Dienstleistungen oder Produkte in M.... sei unzulässig. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen unterscheide sich das Angebot der Firma T......... sehr wohl signifikant von jenem des staatlichen Anbieters ODDSET. Glücksspiele und damit Sportwetten fielen nicht in den Bereich der Dienstleistungsfreiheit. Die in Sachsen eingeleiteten, umfangreichen Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht gefordert habe, führten dazu, dass die heutige Sach- und Rechtslage - auch während der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Übergangszeit bis zum 31.12.2007 - dem Verfassungsrecht und dem Europarecht entspreche. Selbst wenn man von einem Gemeinschaftsrechtsverstoß ausgehen wollte, hindere dies gleichwohl nicht die Anwendbarkeit der in Sachsen geltenden Rechtslage. Denn es bestehe in diesem Fall wegen der ansonsten eintretenden Gefährdungslage kein Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts. Zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung bedürfe es keines Nachweises von konkreten Gefahren für das Gemeinwohl, die über die Tatsache eines Verstoßes gegen § 284 StGB hinausreichten.

B.I. Durchgreifende Bedenken gegen die Untersagungsverfügung ergeben sich weder aus Art. 12 Abs. 1 GG (1.) noch aus Art. 43 und 49 EGV (2.).

1. Der angegriffenen Untersagungsverfügung steht nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG entgegen, obwohl das derzeit geltende staatliche Monopol für Sportwetten gegen die Berufsfreiheit verstößt. Der Senat schließt sich damit der rechtlichen Bewertung des Bundesverfassungsgerichts in der zum bayerischen Staatslotteriegesetz ergangenen Entscheidung (Urt. v. 28.3.2006, NJW 2006, 1281 ff.) an. Im Freistaat Sachsen besteht nämlich eine vergleichbare Rechtslage.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung das bayerische Staatslotteriegesetz für mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Denn es behalte vor dem Hintergrund des § 284 StGB das Veranstalten und die Vermittlung von Sportwetten dem Freistaat Bayern und deren Durchführung der Staatlichen Lotterieverwaltung oder einer juristischen Person des Privatrechts vor, deren alleiniger Gesellschafter der Freistaat Bayern sei, ohne zugleich hinreichende gesetzliche Regelungen zur materiellen und strukturellen Sicherung der Erreichung der damit verfolgten Ziele zu schaffen, insbesondere zur Ausrichtung des Wettangebots an der Begrenzung und Bekämpfung von Wettsucht und problematischem Spielverhalten. Diese in Bayern bestehende rechtliche Situation ist mit derjenigen in Sachsen vergleichbar. Denn auch in Sachsen ist mit dem Gesetz über die staatlichen Lotterien und Wetten vom 21.10.1998 (SächsGVBl. 1998, 598 - Staatslotteriegesetz -) für den Betrieb von Sportwetten ein Staatsmonopol geschaffen worden. Dementsprechend sieht das Gesetz zum Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland vom 9.6.2004 (SächsGVBl. 2004, 186) nur eine Erlaubnis nach § 6 Abs. 1 des Lotteriestaatsvertrages für Kleine Lotterien vor. Im Übrigen sollen gem. § 5 Abs. 1 des Lotteriestaatsvertrages die Länder die ordnungsrechtliche Aufgabe erfüllen, ein ausreichendes Glücksspielangebot sicherzustellen. Eine Erlaubnis an private Veranstalter und Vermittler von Sportwetten kann daher in Sachsen nicht erteilt werden. Gleichzeitig fehlt es an gesetzlichen Regelungen, die die mit dem staatlichen Monopol verfolgten Ziele wie insbesondere die Bekämpfung der Wettsucht absicherten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum bayerischen Staatslotteriegesetz vom 28.3.2006 zwar die Unvereinbarkeit der geltenden Rechtslage mit Art. 12 Abs. 1 GG festgestellt, das bestehende Sportwettenmonopol aber nicht für nichtig erklärt. Vielmehr hat es eine Frist für eine Neuregelung bis zum 31.12.2007 gesetzt und die bisherige Rechtslage mit der Maßgabe für weiter anwendbar erklärt, dass der Freistaat Bayern unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits herzustellen hat. Wegen der vergleichbaren Rechtslage in Bayern und Sachsen ist auch für den Freistaat Sachsen von einer befristeten Weitergeltung des Monopols auszugehen, so dass bis zum 31.12.2007 die bisherige Rechtslage mit der Maßgabe anwendbar ist, dass auch der Freistaat Sachsen unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Wettsuchtbekämpfung und der Ausübung des staatlichen Monopols herstellt (vgl. entsprechend für die Rechtslage in Baden-Württemberg BVerfG, Beschl. v. 4.7.2006 - 1 BvR 138/05 -, zitiert nach juris).

Entgegen der Ansicht des Antragstellers führt die gegenüber Bayern "gänzlich andere Grundsituation" in Sachsen mit mehreren privaten Anbietern neben dem staatlichen Anbieter nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Denn auch in Sachsen besteht - wie aufgezeigt - im Bereich der Sportwetten aus rechtlicher Sicht ein staatliches Monopol. Diese Monopolstellung soll durch die Untersagungsverfügung umgesetzt werden.

Das erforderliche Mindestmaß an Konsistenz zwischen der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht einerseits sowie der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.3.2006 im Freistaat Sachsen schrittweise hergestellt worden. Der Staat hat die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten genutzt, sondern untersagt, dass das Angebot staatlicher Wettveranstaltung erweitert wird und dass die Werbung über sachliche Informationen zu Art und Weise der Wettmöglichkeit hinaus gezielt zum Wetten auffordert. Darüber hinaus hat die Staatliche Lotterieverwaltung umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufgeklärt. Dies ergibt sich aus den vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen, vor allem aus der "Spezifizierung der Vertriebs-, Werbe- und Öffentlichkeitsarbeit der SLG in 2006" (Stand: 31.12.2006), deren Umsetzung vom Antragsteller nicht angezweifelt wird. Hiernach sind eine Reihe der geforderten Maßnahmen bereits realisiert worden. Insbesondere wurden unsachliche Aufforderungen zum Spielen entfernt (1.7.), Suchthinweise angebracht (1.5, 1.6., 1.10., 1.11., 1.12.), die aggressive Werbung in ganz unterschiedlichen Bereichen verboten (2.1.-2.21), das Angebot der ODDSET-Wette über den terrestrischen Vertriebs- sowie den Internetkanal der Sächsischen Lotto-Gesellschaft beschränkt (3.4.) sowie eine Reihe von Vorkehrungen dazu getroffen, dass Minderjährige keine Wetten abschließen können, dass die Verkaufsstellen informiert und die Einhaltung der geforderten Maßnahmen überprüft werden (1.8.-1.10, 1.19, 1.20, 1.21, 1.22, 1.50.1.-1.50.13). Zudem trat am 15.2.2007 eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Kraft, die auch eine Kooperation mit dem Deutschen Lotto- und Totoblock (der Interessenvereinigung der deutschen Lotto- und Totounternehmen aller Bundesländer) zur Prävention von Spielsucht umfasst. Weitere Maßnahmen wie die Einführung eines Kundenidentifizierungssystems (1.17), das sowohl dem Jugendschutz dienen als auch Spielsperren ermöglichen soll, sind in Bearbeitung. Da diese Maßnahmen sich nicht nur auf den Bereich der Sportwetten beschränken, sondern auch andere Bereiche des Glücksspielmarktes einbeziehen, kann offen bleiben, ob sich die vom Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit bis zum 31.12.2007 geforderten Maßnahmen nur auf den Sportwettenmarkt oder auf den gesamten Glücksspielsektor beziehen.

Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorkehrungen nicht ausreichen, um die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien für die Übergangszeit zu erfüllen, sind nicht ersichtlich. Die vorläufigen Maßnahmen sind nicht in vollem Umfang an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für eine vom Gesetzgeber zu schaffende Neuregelung zu messen, die konsequent am Ziel der Bekämpfung der Spielsucht ausgerichtet sein muss. Denn für die derzeitige Übergangssituation ist von Verfassungs wegen nur ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen den vom Antragsgegner angestrebten Zielen erforderlich, wie das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Entscheidung ausdrücklich klargestellt hat (BVerfG, Beschl. v. 19.10.2006 - 2 BvR 2023/06 -).

Auch kann es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht darauf ankommen, welches die (internen) Gründe für die Ziele der Wettbekämpfung und -begrenzung sind und ob diese bereits kurz nach Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfüllt wurden. Jedenfalls zum Ende des Jahres 2006 sind die aufgezeigten Maßnahmen realisiert worden. Sie begründen das notwendige Mindestmaß an Konsistenz.

2. Die angegriffene Untersagungsverfügung erweist sich auch nicht mit Blick auf die durch Art. 43 und 49 EGV gewährleistete Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit als rechtswidrig. Dabei kann zu Gunsten des Antragstellers unterstellt werden, dass es - anders als der Antragsgegner meint - der Firma T......... in M.... von Rechts wegen erlaubt ist, in M.... selbst Sportwetten anzunehmen, und der Antragsteller sich hinsichtlich des von ihm vermittelten Wettangebots an diese Firma auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages berufen könnte.

Der Antragsteller erbringt mit der Vermittlung von Wetten an die in M.... ansässige T.......... grenzüberschreitende Dienstleistungen i.S.d. Art. 43 EGV. Außerdem ist der Schutzbereich des Art. 49 EGV betroffen. Denn Art. 49 EGV umfasst auch die Erbringung von Wettdienstleistungen bei Sportereignissen, die von einem Leistungserbringer organisiert werden, der seinen Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat als dem hat, in dem diese Vermittler ihre Tätigkeit ausüben, und zwar selbst dann, wenn die Vermittler in demselben Mitgliedsstaat ansässig sind wie die Empfänger dieser Dienstleistung (vgl. EuGH, Urt. v. 6.3.2007, NVwZ 2007, 675 ff. [677] - Placanica u.a. -).

a) Die gegenwärtig (noch) bestehende Rechtslage im Freistaat Sachsen verstößt allerdings gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben laufen und in einem dem hiesigen vergleichbaren Fall ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG bejaht wurde (vgl. BVerfG, Urt. v. 28.3.2006, NJW 2006, 1261 ff. [1264 und 1266 f.]). Dabei bezog sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Sportwetten (Urt. v. 6.11.2003, NJW 2004, 139 ff. [140] - Gambelli -). Die für eine Übergangszeit vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Vorgaben können den Eingriff in Rechte des EG-Vertrages nicht beseitigen, weil sie nur auf tatsächlicher Ebene wirken, das bestehende gesetzliche Regelungsdefizit dagegen nicht beheben können, welches das Bundesverfassungsgericht zur Vermeidung des festgestellten Verfassungsverstoßes als notwendig angesehen hat. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht mit dem in der Weitergeltungsanordnung geforderten "Mindestmaß an Konsistenz" weniger fordert, als von Verfassungs wegen zu einer gesetzlichen Neuregelung erforderlich ist. Auch gemeinschaftsrechtlich kann sich die Rechtfertigung der Beschränkung von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nur auf Grund der in Art. 45 und 46 EG ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmeregelungen oder nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls wie dem Verbraucherschutz, der Betrugsvorbeugung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen sowie die Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen ergeben (vgl. EuGH, Urt. v. 6.3.2007, NVwZ 2007, 675 ff. [677] - Placanica u.a. -). Notwendig sind damit auch hier normative Regelungen, die (noch) nicht vorliegen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 9.10.2006 - 4 B 898/06 -, zitiert nach juris; ThürOVG, Beschl. v. 12.12.2006 - 3 EO 663/06 -; a.A. OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 4.5.2006 - 1 M 476/05 -, zitiert nach juris; BayVGH, Beschl. v. 3.8.2006, NVwZ 2006, 1430 ff. [1432]; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.7.2006, NVwZ 2006, 1440 ff. [1441]; OVG Bremen, Beschl. v. 7.9.2006 - 1 B 273/06; OVG NW, Beschl. v. 14.12.2006 - 13 B 2594/06 -; OVG Hamburg, Beschl. v. 9.3.2007, NVwZ 2005, 725 ff. [726]; HessVGH, Beschl. v. 21.12.2006 - 11 TG 2775/06 -; NdsOVG, Beschl. v. 2.5.2007 - 11 ME 106/07 -, zitiert nach juris).

Die vom Bundesverfassungsgericht bis zum 31.12.2007 geforderten Vorgaben eines Mindestmaßes an Konsistenz in der Glücksspielmarktpolitik, um das bundesdeutsche Sportwettenmonopol weiterhin ordnungsrechtlich durchsetzen zu können, beanspruchen Geltung im bundesdeutschen Rechtssystem. Insbesondere führt die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts nicht per se dazu, dass die bundesdeutschen Vorschriften auch in Ansehung der Anforderungen des Gemeinschaftsrechts in der vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Übergangsphase weiter angewendet werden können (a.A. HessVGH, Beschl. v. 21.12.2006 - 11 TG 2775/06 -). Denn sie bezieht sich auf die festgestellten Verstöße des bayerischen Staatslotteriegesetzes gegen Verfassungsrecht. Für die Frage der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm des einfachen Rechts mit den Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts ist das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig (BVerfG, Beschl. v. 28.3.2006, NJW 2006, 1261 ff. [1261]) und damit auch nicht für Regelungen in einer Übergangszeit. Von Seiten des Europäischen Gerichtshofes wurde eine Übergangsfrist nicht eingeräumt.

b) Trotz des Verstoßes der bestehenden Rechtslage gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ist die Untersagungsverfügung aller Voraussicht nach auch nicht aus diesem Grunde zu beanstanden.

Grundsätzlich besitzen die Normen des EG-Vertrages Anwendungsvorrang vor Bestimmungen des nationalen Rechts. Dieser Vorrang hat zur Folge, dass jedes Organ eines Mitgliedsstaates verpflichtet ist, die mit dem EG-Recht unvereinbare nationale Norm nicht anzuwenden, "ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste" (vgl. EuGH, Urt. v. 9.3.1978, NJW 1978, 1741 f. [1742]).

Von der Geltung des Anwendungsvorrangs kann aber in eng umgrenzten Fällen für eine Übergangszeit abgesehen werden. Zwar hat der Europäische Gerichtshof sich zu dieser Frage bislang selbst nicht ausdrücklich geäußert, wie der Antragsteller zu Recht vorträgt. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt aber eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof im Regelfall nicht in Frage, so dass es Sache des erkennenden Gerichts ist, in für notwendig befundenen Situationen (ungeschriebene) Ausnahmen von der Geltung des Anwendungsvorrangs zuzulassen. Eine Ausnahme ist insbesondere dann geboten, wenn durch die Nichtanwendung einer nationalen Rechtsvorschrift wegen Verstoßes gegen EG-Recht eine inakzeptable Gesetzeslücke entstünde (vgl. Jarass/Beljin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtsetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 2004, 1 ff. [5]), so dass überragend wichtige Gemeinwohlinteressen gefährdet würden und die Gefährdung erheblich schwerer wöge als die Beeinträchtigung der durch die verletzte europarechtliche Vorschrift geschützten Rechtsgüter. In solchen Fällen führt der hohe Wert der Rechtssicherheit dazu, dass die betroffenen Vorschriften des nationalen Rechts zeitlich begrenzt weiter angewendet werden (vgl. OVG NW, Beschl. v. 9.10.2006 - 4 B 898/06 -, zitiert nach juris; vgl. außerdem ThürOVG, Beschl. v. 12.12.2006 - 3 EO 663/06 -; HessVGH, Beschl. v. 25.7.2006, NVwZ 2006, 1435 ff. [1439]; a.A.: OVG Saarland, Beschl. v. 4.4.2007, NVwZ 2007, 717 ff.; offen gelassen: OVG NW, Beschl. v. 14.12.2006 - 13 B 2594/06 -, zitiert nach juris; NdsOVG, Beschl. v. 2.5.2007 - 11 ME 106/07 -, zitiert nach juris). Die Kritik des Antragstellers im Schriftsatz vom 12.3.2007, einschließlich seines Versuchs einer Einschätzung, wie der Europäische Gerichtshof die Frage nach möglichen Ausnahmen vom Anwendungsvorrang entscheiden würde, vermag nicht zu überzeugen. Denn letztlich muss es hier bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht verbleiben, über die grundsätzlich die nationalen Gerichte zu befinden haben. So hat auch die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen vom 14.3.2006 in der Rechtssache C-475/03 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Ausspruch, dass eine nationale Vorschrift ungültig sei, nur vom zuständigen nationalen Gericht und gegebenenfalls mit Wirkung ab einem von ihm selbst oder kraft nationalen Rechts bestimmten Zeitpunkt getroffen werden könne (RdNr. 147 f., zitiert nach juris). Dementsprechend ist die so begründete Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.12.2006 - 2 BvR 2428/06 - zum Beschl. des OVG NW v. 23.10.2006 - 4 B 1060/06 -).

Die Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall ergibt, dass es zur Abwendung von Gefahren für das überragend wichtige Gemeinwohlinteresse der Gesundheit der Bevölkerung erforderlich und rechtlich zulässig ist, die vom sächsischen Landesgesetzgeber mit Nachdruck verfolgte Monopolisierung im Sportwettenbereich auch in der zeitlich begrenzten Übergangsphase durchzusetzen, in der die Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht (noch) nicht in Einklang stehen. Denn die im Bereich der Sportwetten möglicherweise eintretende krankhafte Spielsucht kann zu schwerwiegenden Folgen nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihre Familien und für die Gemeinschaft führen (vgl. hierzu und zu weiteren Folgen der Spielsucht bereits BVerfG, Urt. v. 28.3.2006, NJW 2006, 1261 ff.[1263]). Ließe man dagegen in der Übergangszeit private Sportwettenveranstalter und -vermittler zu, wäre zu befürchten, dass das in Vorbereitung befindliche - und europarechtlich im Prinzip erlaubte - staatliche Sportwettenmonopol nur unter großen Schwierigkeiten tatsächlich durchsetzbar wäre.

II. Die vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus, da sein privates Interesse an der Ausübung seiner Vermittlungstätigkeit von Sportwetten hinter den öffentlichen Belangen zurücktreten muss. Ins Gewicht fällt dabei zunächst, dass die Untersagungsverfügung aller Voraussicht nach rechtmäßig ist. Die Tätigkeit des Antragstellers stellt zudem eine konkrete Gefahr für die Allgemeinheit dar, wenn man die Spielsucht und ihre Folgen betrachtet. Auch wenn die Suchtgefahr im Bereich der Sportwetten geringer ist als im Bereich von Automaten oder Casino-Spielen, so ist sie doch stets vorhanden und rechtfertigt somit ein präventives Eingreifen. Die vorläufige Freigabe des Sportwettenmarktes für eine Übergangszeit würde die Durchsetzung des staatlicherseits beschlossenen Sportwettenmonopols, welches sich gerade zum Ziel setzt, die Spielleidenschaft zu begrenzen und die Wettsucht einzudämmen, sehr erschweren. Die aufgezeigten vorhandenen Gefahren für die Gemeinschaft wiegen daher erheblich höher als das Interesse des Antragstellers, seiner - im Wissen um das rechtliche Risiko begonnenen - beruflichen Tätigkeit weiter nachgehen zu können.

Die in Ziffer 3 der Untersagungsverfügung vom 10.10.2005 ausgesprochene Androhung von Zwangsgeld beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 19 und § 20 Abs. 1 Satz 1. SächsVwVG. Sie ist nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 VwGO i.V.m. Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 7/2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.), wobei wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens der hälftige Hauptsachestreitwert anzusetzen war.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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