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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 14.05.2004
Aktenzeichen: 3 BS 265/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art 33 Abs. 2
Die Beanstandung einer Auswahlentscheidung durch ein Verwaltungsgericht stellt regelmäßig einen Grund dar, der den Dienstherrn zum Abbruch des Auswahlverfahrens berechtigt.

Durch einen sachlich gerechtfertigten Abbruch während eines Konkurrentenstreitverfahrens wird der Bewerbungsverfahrensanspruch des zunächst ausgewählten Bewerbers nicht verletzt.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 BS 265/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Besetzung der Stelle des Präsidenten des Sächsischen Landessozialgerichts (Antrag gemäß § 123 VwGO)

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Heitz und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald

am 14. Mai 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 17. Juli 2003 - 6 K 642/03 - wird zurückgewiesen.

Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 22.421,51 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Beigeladenen kann keinen Erfolg haben, weil eine Verletzung von Rechten des Beigeladenen durch den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht mehr in Betracht kommt.

Gegenstand des angefochtenen Beschlusses ist die erste Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten des Beigeladenen in dem Verfahren zur Besetzung der Stelle des Präsidenten des Sächsischen Landessozialgerichts. Diese erste Auswahlentscheidung hat sich dadurch erledigt, dass der Antragsgegner während des Beschwerdeverfahrens das Auswahlverfahren rechtsfehlerfrei abgebrochen hat. Daher kann die Frage, ob der Anspruch des Beigeladenen - ebenso wie die Ansprüche des Antragstellers und anderer Bewerber - auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Berücksichtigung der Bewerbung erfüllt worden ist, nur noch auf der Grundlage einer neuen Auswahlentscheidung beantwortet werden.

1. Nach allgemeiner Ansicht kann der Dienstherr die ihm im Haushaltsplan zugeordneten Stellen allein nach organisations- und verwaltungspolitischen Bedürfnissen bewirtschaften. Diese organisatorische Dispositionsbefugnis umfasst die Entscheidungen über den Beginn, die Gestaltung und die Beendigung von Stellenbesetzungsverfahren. Die auf Art. 33 Abs. 2 GG beruhenden Ansprüche von Bewerbern auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Berücksichtigung bei der Entscheidung über die Stellenvergabe sind von der Durchführung eines konkreten Auswahlverfahrens abhängig; aus ihnen ergeben sich rechtliche Anforderungen an die konkret anstehende Auswahlentscheidung und deren Vorbereitung (sog. Bewerbungsverfahrensansprüche). Im Hinblick auf diese Rechtsstellung der Bewerber bedarf die Entscheidung, ein konkretes Auswahlverfahren abzubrechen, jedenfalls dann eines sachlichen Grundes, wenn der Dienstherr an der Entscheidung, die Stelle zu besetzen, festhält (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 25.4.1996, DVBl. 1996, 1146; Urt. v. 22.7.1999, DVBl. 2000, 485; Urt. v. 16.8.2001, DÖV 2001, 1044; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 6.11.1997, DÖD 1998, 167; OVG Saarland, Beschl. v. 29.5.2002, NVwZ-RR 2003, 48; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.1.2003 - 1 B 2230/02 -).

Entschließt sich der Dienstherr zum Abbruch eines Auswahlverfahrens, nachdem er den Bewerbern bereits eine Auswahlentscheidung mitgeteilt hat, so bringt er durch die Mitteilung über den Abbruch zugleich zum Ausdruck, dass er an der zuvor mitgeteilten Auswahlentscheidung nicht mehr festhält. Der von einem sachlichen Grund getragene Abbruch des Auswahlverfahrens hat zwangsläufig zur Folge, dass die zuvor mitgeteilte Auswahlentscheidung gegenstandslos wird.

Aufgrund der organisatorischen Dispositionsbefugnis des Dienstherrn kann dieser nach pflichtgemäßem Ermessen über den Abbruch eines konkreten Auswahlverfahrens entscheiden. Die Abbruchentscheidung ist nur dann rechtswidrig, weil nicht durch einen sachlichen Grund gedeckt, wenn sie entweder nicht auf der Grundlage eines richtigen und vollständigen Sachverhalts getroffen worden ist, von sachfremden Gesichtspunkten beeinflusst ist oder die herangezogenen Gründe für sich genommen oder in der Gesamtschau nicht nachvollziehbar sind.

Der zunächst ausgewählte Bewerber genießt Schutz vor einem Abbruch, der nicht sachlich gerechtfertigt ist. In diesem Fall kann er die Fortführung des Stellenbesetzungsverfahrens auf der Grundlage der ihn begünstigenden Auswahlentscheidung beanspruchen. Ein darüber hinausgehendes Vertrauen des ausgewählten Bewerbers in den Bestand der ihn begünstigenden Auswahlentscheidung ist jedenfalls dann nicht schutzwürdig, wenn zum Zeitpunkt des Abbruchs noch ein Rechtsschutzverfahren im Gange ist, das ein zunächst unterlegener Bewerber angestrengt hat, um die Besetzung der Stelle mit dem ausgewählten Bewerber zu verhindern. Dies zeigt die Regelung des § 50 VwVfG, in der ein allgemeiner Rechtsgrundsatz für die sog. Drittanfechtung zum Ausdruck kommt. Danach kann die Behörde im Falle der Anfechtung eines Verwaltungsakts mit Drittwirkung durch einen belasteten Dritten - ohne Bindung an die gesetzlichen Beschränkungen zu Gunsten des Begünstigten - wählen, ob sie den Ausgang des Rechtsbehelfsverfahren abwarten oder den Verwaltungsakt aufheben will (vgl. nur Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8.Aufl., § 50 RdNr. 1 bis 4 m.w.N.).

Rechtsbehelfe des zunächst ausgewählten Bewerbers gegen die Abbruchentscheidung können die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO schon deshalb nicht auslösen, weil sie unstatthaft sind. Dies folgt aus § 44a Satz 1 VwGO, wonach Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können. Bei der Abbruchentscheidung handelt es sich um eine sog. unselbstständige Verfahrenshandlung i.S.v. § 44a Satz 1 VwGO, weil sie lediglich der Vorbereitung der Stellenbesetzung dient. Die Voraussetzungen gemäß § 44a Satz 2 VwGO sind vorliegend ersichtlich nicht gegeben. Die Eröffnung einer eigenständigen Rechtsschutzmöglichkeit wird auch nicht von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gefordert. Denn der zunächst ausgewählte Bewerber kann zum einen wie vorliegend die Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs durch die Abbruchentscheidung in einem bereits anhängigen Rechtsstreit geltend machen. Zum anderen kann er diesen Anspruch in Bezug auf die neue Auswahlentscheidung gerichtlich verfolgen, wenn nunmehr ein anderer Bewerber vorgezogen werden soll (vgl. auch SächsOVG, Beschl. v. 19.1.1998, NVwZ-RR 1999, 209; OVG Saarland, Beschl. v. 29.5.2002, aaO).

Liegt ein sachlicher Grund für den Abbruch eines konkreten Auswahlverfahrens vor, so hat der Dienstherr aufgrund seiner Dispositionsbefugnis einen weiten Gestaltungsspielraum für das weitere Vorgehen. Die Entscheidung für eine erneute Ausschreibung der Stelle beeinträchtigt die Bewerbungsverfahrensansprüche der vorhandenen Bewerber nicht, weil diese Ansprüche keinen Schutz vor einer Erweiterung des Bewerberkreises vermitteln (SächsOVG, Beschl. v. 19.1.1998, aaO).

2. Davon ausgehend kann der Beigeladene aus der Auswahlentscheidung zu seinen Gunsten keine Rechte mehr herleiten, weil dem Antragsgegner für seine Abbruchentscheidung vom 6.2.2004, die zugleich ein Abrücken von der Auswahlentscheidung beinhaltet, ein sachlicher Grund zur Seite steht. Demnach liegt in dem Abbruch des Auswahlverfahrens keine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Beigeladenen.

Der Antragsgegner hat vorgetragen, die Gründe des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts hätten ihn überzeugt und deshalb zum Abbruch bewogen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Beanstandung der Auswahlentscheidung durch ein Gericht einen sachlichen Grund für den Abbruch darstellt. Dieser Auffassung ist zuzustimmen, wenn die tragenden Erwägungen der gerichtlichen Entscheidung zumindest bedenkenswert erscheinen. Die Ausführungen des Gerichts müssen dem Dienstherrn berechtigten Anlass geben, seine Entscheidungsfindung zu überdenken. In diesem Fall ist er nicht gehalten, den Rechtsweg auszuschöpfen (vgl. auch Hessischer VGH, Beschl. v. 17.6.1992, NVwZ-RR 1993, 94; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 6.11.1997, aaO; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15.1.2003, aaO).

Zwar hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss eine inhaltliche Nachprüfung der Auswahlentscheidung vorgenommen, die von seinem Rechtsschutzauftrag nicht gedeckt gewesen ist. Denn es hat sich nicht auf die Prüfung beschränkt, ob die Auswahlentscheidung für den Beigeladenen den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers verletzt. Vielmehr hat es seine Entscheidung vorrangig auf einen Vergleich der Qualifikationen des Beigeladenen mit den Qualifikationen eines weiteren Bewerbers gestützt, der keinen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat (vgl. S. 9, 10 des Beschlussabdrucks). Die Beschlussgründe lassen aber mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass das Verwaltungsgericht auch beanstandet hat, der Antragsgegner habe den wissenschaftlichen Leistungen des Beigeladenen ausschlaggebende Bedeutung für dessen Auswahl und damit generell einen zu hohen, von der Beurteilungsermächtigung nicht mehr gedeckten Stellenwert eingeräumt. Insoweit bietet der angefochtene Beschluss dem Antragsgegner berechtigten Anlass, die Gewichtung der Auswahlkriterien in einem neuen Auswahlverfahren zu überdenken. Dabei dürfte er allerdings nicht verpflichtet sein, den Gesichtspunkt "wissenschaftliche Leistung und Reputation" bereits aufgrund des Anforderungsprofils der zu besetzenden Stelle gänzlich unberücksichtigt zu lassen.

Nach alledem kann dahingestellt bleiben, ob auch das vom Antragsgegner weiter angeführte Alter der Anlassbeurteilungen für sich genommen einen sachlichen Grund für den Abbruch darstellen kann. Ein Abbruch allein aus diesem Grund wäre Bedenken begegnet, weil Anhaltspunkte für eine Verwaltungspraxis des Antragsgegners bestehen, an Auswahlentscheidungen ungeachtet des Alters der zugrunde liegenden Beurteilungen festzuhalten (vgl. etwa Beschl. des Senats v. 28.11.2003 - 3 BS 465/02 -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Für die Streitwertfestsetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats das Grundgehalt - vorliegend 6.898,94 € für die Besoldungsgruppe R6 - mit 13 zu vervielfachen und die Summe zweimal zu halbieren (vgl. Beschl. des Senats v. 12.12.2003 - 3 BS 125/03 -). Die entsprechende Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist bereits durch Beschluss vom 16.1.2004 in dem Parallelverfahren - 3 BS 266/03 - erfolgt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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