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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: 3 BS 61/06
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 6
AufenthG § 60a
1. Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen der bevorstehenden Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen kommt nur dann in Betracht, wenn die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Davon ist auszugehen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (std. Senatsrechtsprechung seit Beschl. v. 20.12.1995, SächsVBl. 1996, 119).

2. Liegen alle erforderlichen Unterlagen für eine Entscheidung über einen Antrag auf Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis bei dem zuständigen Oberlandesgericht vor, ist grundsätzlich von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung auszugehen. Steht die Entscheidung des Oberlandesgerichts nur noch aus, weil der Verdacht einer Scheinehe angezeigt wurde, ist die Vermutung einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung dann widerlegt, wenn das Vorliegen einer Scheinehe nach dem Akteninhalt überwiegend wahrscheinlich ist.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 BS 61/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz und Erteilung einer Duldung; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und die Richterin am Verwaltungsgericht Gellner

am 16. Mai 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners zu 2. gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 14. Februar 2006 - 7 K 148/06 - wird zurückgewiesen.

Dem Antragsgegner zu 2. wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden über den Antrag auf Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis eine Duldung zu erteilen.

Der Antragsgegner zu 2. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Über die Beschwerde war zu entscheiden, da die Erledigungserklärung des Antragsgegners zu 2. ins Leere geht, nachdem die Antragstellerin eine solche nicht abgegeben hat.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Im Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts anhand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO darlegt. Dabei können nur Gründe berücksichtigt werden, deren Vortrag den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Nach dieser Vorschrift muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit dieser Entscheidung auseinander setzen. Dies bedeutet, dass die Beschwerdebegründung auf die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts eingehen und aufzeigen muss, weshalb sie der Beschwerdeführer nicht für tragfähig hält. Der Beschwerde darf nicht aus einem Grund stattgegeben werden, den der Beschwerdeführer nicht form- und fristgerecht dargelegt hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. V. 12.4.2002, VBlBW 2002, 398; BayVGH, Beschl. V. 21.5.2003, NVwZ 2004, 251).

Der Antragsgegner zu 2. hat in der Beschwerdebegründung keine Gründe dargelegt, aus denen sich ergibt, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht stattgegeben hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO).

Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen der bevorstehenden Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen und einer daraus resultierenden Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG kommt nur dann in Betracht, wenn die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist in Vorwirkung der Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung anzunehmen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (vgl. zuletzt Beschl. d. Senats v. 8.2.2005 - 3 BS 426/04 - m.w.N.). Sind die Vorbereitungen in dem Verfahren der Eheschließung bereits soweit vorangeschritten, dass die Anmeldung der Eheschließung (§ 4 PStG) vorgenommen wurde, die Verlobten die gemäß § 5 Abs. 1 und 2 PStG von dem Standesbeamten geforderten Urkunden beschafft haben und bei der Prüfung der Ehefähigkeit von ausländischen Verlobten ein Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses gestellt wird, ist eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung grundsätzlich dann zu vermuten, wenn dem Standesbeamten im Hinblick auf den gestellten Befreiungsantrag alle aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen vorliegen (vgl. Nr. 60a.2.3 i.V.m. Nr. 30.0.6 der vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU v. 22.12.2004; so bereits Nr. 55.2.3 i.V.m. Nr. 18.0.1 AuslG-VwV). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Standesbeamte die Antragsunterlagen an den für die Entscheidung über den Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses zuständigen Präsidenten des Oberlandesgerichts weitergeleitet hat, da dem Standesbeamten gemäß § 5 a Satz 1 PStG die Vorbereitung dieser Entscheidung obliegt und er die hierfür notwendigen Nachweise von den Verlobten anzufordern hat. Stellt sich im weiteren Verfahrensgang jedoch heraus, dass eine Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts deshalb nicht ergehen kann, weil der Standesbeamte diese nur unzureichend vorbereitet hat und es noch an Unterlagen fehlt, die von den Verlobten auch beigebracht werden können, ist die Vermutung der unmittelbar bevorstehenden Eheschließung bis zu dem Zeitpunkt, in dem die für die Entscheidung über den Antrag noch fehlenden Unterlagen nachgereicht worden sind, widerlegt.

In Anwendung dieser Grundsätze steht die beabsichtigte Eheschließung unmittelbar bevor, da der Standesbeamte die Unterlagen bereits an das Oberlandesgericht Dresden weitergeleitet und die Antragstellerin nach telefonischer Auskunft der zuständigen Bearbeiterin am Oberlandesgericht Dresden alle erforderlichen Unterlagen im Verfahren auf Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis, die bislang nicht erteilt wurde, beigebracht hat.

Soweit der Antragsgegner zu 2. vorträgt, es bestehe der Verdacht auf eine bevorstehende Scheinehe, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Das Oberlandesgericht Dresden hat zu dieser Frage eine Anhörung der Verlobten durchgeführt und in Würdigung des Ergebnisses der Anhörung bislang keine Entscheidung über die Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis getroffen. Der Ausgang dieses Verfahrens ist daher offen, was hier aber nicht zu einem Erlöschen der Vorwirkung aus Art. 6 Abs. 1 GG führt. Die Antragstellerin selbst hat alles in ihrer Macht stehende getan, um die Ehe schließen zu können, und nach summarischer Prüfung der Aktenlage und des Beschwerdevortrags des Antragsgegners zu 2. hält der Senat das Vorliegen einer Scheinehe zum derzeitigen Zeitpunkt nicht für überwiegend wahrscheinlich. Weder aus dem Umstand, dass die Antragstellerin die beabsichtigte Eheschließung erst nach einem gescheiterten Abschiebungsversuch angezeigt, noch daraus, dass sie im März 2005 einen Antrag auf Umverteilung zu ihrer Schwester nach Leipzig gestellt hat, ergibt sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer Scheinehe. Bei der Vermutung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der gescheiterten Abschiebung der Antragstellerin im November 2005 und der Anzeige der beabsichtigten Eheschließung im Januar 2006 handelt es sich um eine reine Spekulation des Antragsgegners zu 2.. Ebenso möglich ist es, dass die Antragstellerin und ihr Verlobter sich - wie von ihr angegeben - am Weihnachtsfest für eine Eheschließung entschieden haben und dies zügig umsetzen wollen. Selbst wenn der gescheiterte Abschiebungsversuch eine Rolle bei der Entscheidung zur Eheschließung gespielt haben sollte, lässt sich hieraus nicht schließen, dass die Antragstellerin und ihr Verlobter keine Lebensgemeinschaft führen wollen und die Eheschließung nur zum Schein erfolgt. Ebenso bietet der von der Antragstellerin im März 2005 gestellte Umverteilungsantrag hierfür keinen ausreichenden Anhaltspunkt. Zu diesem Zeitpunkt war die Ehe der Antragstellerin mit ihrem vietnamesischen Ehemann noch nicht geschieden, so dass eine erneute Eheschließung nicht in Betracht kam und die Antragstellerin und ihr jetziger Verlobter auch noch nicht entschlossen waren, die Ehe miteinander einzugehen. Insofern erscheint das Bemühen der Antragstellerin plausibel, ihre berufstätige Schwester bei der Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen, auch wenn durch die räumliche Entfernung die bereits damals bestehende Beziehung zu ihrem jetzigen Verlobten erschwert wurde. Dass die Antragstellerin sich über einen längeren Zeitraum immer wieder für wenige Tage nicht im Wohnheim aufhielt und für diese Zeiträume von Amts wegen abgemeldet wurde, steht in keinem Zusammenhang zur Eheschließungsabsicht und gibt daher für die Bewertung, ob es sich um eine Scheinehe handelt, nichts her. Andere Anzeichen für eine bevorstehende Scheinehe ergeben sich aus dem Akteninhalt nicht. Ohne einen persönlichen Eindruck oder vorliegende Gesprächsprotokolle mit den Verlobten ist daher anhand des Akteninhalts das Vorliegen einer Scheinehe nach summarischer Prüfung nicht überwiegend wahrscheinlich.

Um den bestehenden streitgegenständlichen Duldungsanspruch zu sichern, ist es nach Auffassung des Senats im Sinne des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO erforderlich, den Antragsgegner zu 2. über den vom Verwaltungsgericht angeordneten Zeitraum hinaus zu verpflichten, der Antragstellerin bis zur - kurz bevorstehenden - Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden über die Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis eine Duldung zu erteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG, wobei in Verfahren des vorläufigen Rechtsstreits nur der hälftige Hauptsachestreitwert anzusetzen ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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