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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.01.2007
Aktenzeichen: 3 E 208/06
Rechtsgebiete: GG, VwGO, ZPO, AufenthaltG, AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 166
ZPO § 114
AufenthaltG § 25 Abs. 3
AufenthaltG § 25 Abs. 5
AufenthaltG § 60 Abs. 7
AuslG § 53 Abs. 6
AsylVfG § 42 Satz 1
Es widerspricht dem Gebot der rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 iVm Art 19 Abs 4 GG), die bislang ungeklärte Rechtsfrage "durchentscheiden", ob die Ausländerbehörden und Gerichte im aufenthaltserlaubnisverfahren nach § 25 Abs 3 Satz 1 und § 25 Abs 5 AufenthG ausnahmsweise selbstständig zu prüfen haben, ob dem Ausländer im Herkunftsland infolge einer allgemeinen Gefahrenlage eine extreme Gefahr für Leib und Leben droht, die in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs 7 AufenthG zur Bejahung eines Abschiebeverbots nach dieser Vorschrift führen muss.

Gleiches gilt für eine Tatsachenfrage, die von dem für asylrechtliche Streitigkeiten betreffend Irak zuständigen Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts noch nicht entschieden ist.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 3 E 208/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen

hier: Beschwerde gegen die Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe

hat der 3. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Vulpius

am 22. Januar 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 18. August 2006 - 3 K 1360/06 - geändert.

Den Klägern wird für das erstinstanzliche Verfahren Rechtsanwalt M. T. , als Prozessbevollmächtigter beigeordnet und Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerden der Kläger haben Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Kläger auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu Unrecht abgelehnt. Die Bewilligungsvoraussetzungen gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO liegen vor; insbesondere bietet die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) verwirklichen, indem Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden. Da das Bewilligungsverfahren den grundgesetzlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Insbesondere darf das Bewilligungsverfahren nicht dazu benutzt werden, strittige Rechtsfragen abschließend zu klären (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.2.2004, NJW 2004, 1789; BVerfG, Beschl. v. 7.4.2000, NJW 2000, 1936) oder die Klärung streitiger Tatsachen im Hauptsacheverfahren zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2003, NVwZ 2004, 334 m.w.N.).

Gemessen daran sind die Erfolgsaussichten der auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen gerichteten Klagen als offen zu betrachten. Die Kläger sind irakische Staatsangehörige, deren Asylanträge das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) unter gleichzeitiger Feststellung, dass die Voraussetzungen des §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorliegen, mit seit 22.12.2004 bestandskräftigem Bescheid vom 11.2.2003 ablehnte. Sie machen geltend, dass ihnen die Rückkehr in den Irak unzumutbar sei. Dabei berufen sie sich nicht allein auf eine "prekäre" Sicherheitslage, sondern suchen aufgrund einer Vielzahl aktueller Erkenntnismittel zu belegen, dass sie landesweit einer allgemeinen Extremgefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG ausgesetzt seien. Entgegen der Auffassung der Beklagten gehen die Kläger zu Recht davon aus, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27.6.2006 (NVwZ 2006, 1418) ausdrücklich offen gelassen hat, ob die Ausländerbehörden und Gerichte im Aufenthaltserlaubnisverfahren sowohl nach § 25 Abs. 3 Satz 1 als auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG ausnahmsweise, nämlich abweichend von der grundsätzlich aus § 42 Satz 1 AsylVfG folgenden Unzulässigkeit eigener Prüfung, selbstständig darüber zu befinden haben, ob dem Ausländer im Herkunftsland infolge einer allgemeinen Gefahrenlage eine extreme Gefahr für Leib und Leben droht, die in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG zur Bejahung eines Abschiebeverbots nach dieser Vorschrift führen muss. Das Bundesverwaltungsgericht hat das für den Fall in Betracht gezogen, dass das Bundesamt diese Feststellung wegen Bestehens eines vergleichbaren Schutzes durch eine Erlasslage oder eine aus individuellen Gründen erteilte Duldung nicht treffen kann und darf. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Zwar hat das Bundesamt mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 11.2.2003 eine die Ausländerbehörden grundsätzlich noch bindende negative Feststellung zu einer allgemeinen Extremgefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (entspricht § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) getroffen. Die Kläger können aber nicht auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vor dem Bundesamt verwiesen werden, da dieses trotz der von ihnen behaupteten extremen Gefahrenlage - solange sie im Freistaat Sachsen aufgrund der Beschlusslage der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 sowie aktuell der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Rückführung irakischer Staatsangehöriger in den Irak vom 3.1.2007 nach wie vor geduldet werden - aufgrund eines vergleichbaren Schutzes nicht feststellen dürfte, dass den Klägern Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren wäre. In dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Fall bedurfte die in Rede stehende Frage keiner Klärung, weil der Kläger - anders als hier - im gesamten Verfahren nicht vorgebracht hatte, dass ihm im Irak landesweit extreme Gefahren drohen würden, und auch die Feststellungen im Berufungsurteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes dafür nichts hergaben. Damit kommt es vorliegend auf eine höchstrichterlich bislang nicht geklärte Rechtsfrage an (a.A. offenbar BayVGH, Beschl. v. 9.10.2006 - 24 ZB 06.1895 - zitiert nach JURIS, wonach aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts folgen soll, dass bei der gegebenen Erlasslage für den Irak im Asylverfahren in vollem Umfang eine Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse stattfinde), die im Prozesskostenhilfeverfahren nicht "durchentschieden" werden darf. Etwas anderes ergibt sich nicht deshalb, weil das Bundesverwaltungsgericht in dem genannten Urteil vom Nichtvorliegen einer Extremgefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG ausgehen musste. Denn das beruht ausschließlich auf den das Revisionsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen im Berufungsurteil, das in Ermangelung klägerischen Vorbringens keine Anhaltspunkte für eine extreme allgemeine Gefahrenlage im Irak enthielt. In aktuellen Entscheidungen anderer Obergerichte wird eine derartige Gefahr zwar überwiegend verneint (vgl. die ausführliche Prüfung des OVG Saarland, Urt. v. 29.9.2006 - 3 R 6/06; OVG Schl.-H., Beschl. v. 2.8.2006 - 1 LB 122/05; OVG NW, Urt. v. 4.4.2006 - 9 A 3538/05.A; offengelassen im Asylverfahren im Hinblick auf die Erlasslage: VGH BW, Urt. 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 - und NdsOVG, Beschl. v. 16.2.2006 - 9 LB 27.03 - sämtlich zitiert nach JURIS). Der für asylrechtliche Streitigkeiten betreffend Irak zuständige 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hat diese Tatsachenfrage, die nicht ohne Auswertung der aktuellen Erkenntnislage und ohne genaue Feststellungen zu Art, Umfang und Gewicht der sicherheitserheblichen Vorfälle zu beurteilen ist, bislang allerdings nicht entschieden. Auch insoweit würde eine abschließende Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsschutzgleichheit widersprechen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet und Gerichtskosten nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 5502 des Kostenverzeichnisses nicht erhoben werden. Eine Streitwertfestsetzung ist daher ebenfalls entbehrlich.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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