Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.01.2008
Aktenzeichen: 4 B 332/07
Rechtsgebiete: SächsGemO, SächsBG


Vorschriften:

SächsGemO § 49 Abs. 1
SächsBG § 6 Abs. 2 Nr. 2
1. Bei der zweistufigen Prüfung der Wählbarkeitsvoraussetzung eines Bürgermeisters in verfassungskonformer Auslegung von § 49 Abs. 1 SächsGemO i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 2 SächsBG unterliegt die Prognose zur Verfassungstreue des Wahlbewerbes als wertende Beurteilung der Rechtsaufsichtsbehörde einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (wie SächsOVG, Urt. v. 17.9.1997, SächsVBl. 1998, 157).

2. Im Rahmen der Prognose ist eine zwischenzeitliche Bewährung eines Wahlbewerbers umso mehr zu gewichten, je länger die Verstrickung in die besonderen Machtstrukturen der DDR zurückliegt (im Anschluss an ThürOVG, Urt. v. 14.10.2003 - 2 KO 495/03 -).


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 4 B 332/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Wahlprüfungsbescheid

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein aufgrund der mündlichen Verhandlung

am 22. Januar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 19. September 2006 - 2 K 831/06 - geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 13. April 2006 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Wahlprüfungsbescheids, mit dem seine Wahl zum Bürgermeister für ungültig erklärt wurde.

Der geborene Kläger war von November 1983 bis Dezember 1985 Sekretär des Rates der Gemeinde B......... und dort für die Bereiche Inneres, Ordnung und Sicherheit zuständig. Vom 1.1.1986 bis 31.12.1987 war er stellvertretender Bürgermeister, vom 1.1.1988 bis zu den Kommunalwahlen nach dem Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17.5.1990 Bürgermeister von B.......... Seit 1990 betreibt der Kläger eine eigene Fahrschule.

Im Ergebnis der Kommunalwahl von 1990 wurde der Kläger als unabhängiger Einzelbewerber in den Gemeinderat gewählt. Nachdem er im Jahr 1992 mehrfach, u. a. vom sogenannten Bewertungsausschuss der Gemeinde, aufgefordert worden war, wegen seiner zwischenzeitlich bekannt gewordenen Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das frühere Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) das Mandat als Gemeindevertreter niederzulegen, erklärte er im Herbst 1992 mündlich seinen "Rücktritt". Zu weiteren Gemeinderatssitzungen erschien der Kläger nicht; nach eigenen Angaben wurde er zu den Sitzungen nicht mehr geladen. Im Januar 1993 beschloss der Gemeinderat, den Kläger bis zu einer form- und rechtsgültigen Mandatsniederlegung weiterhin als Mitglied des Gemeinderats zu führen.

Im Jahr 2006 kandidierte der Kläger als unabhängiger Bewerber für das Amt des hauptamtlichen Bürgermeisters der Gemeinde B........., die nunmehr etwa 10.000 Einwohner hat. In der an den Gemeindewahlausschuss gerichteten Erklärung (§ 41 Abs. 4 Kommunalwahlgesetz - KomWG) vom 5.2.2006 führte der Kläger aus, er gehöre zu dem in § 6 Abs. 2 des Sächsischen Beamtengesetz (SächsBG) genannten Personenkreis, bei dem vermutet werde, dass er die für die Berufung in das Beamtenverhältnis erforderliche Eignung nicht besitze; die Vermutung der fehlenden Eignung treffe auf ihn jedoch nicht zu. Wörtlich heißt es:

"Es existiert eine Akte zu meiner Person als IM des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Ich habe im April 2004 unter dem Aktenzeichen ... Akteneinsicht beantragt (Anlage). Ich bin der Überzeugung, keinem Menschen bewusst geschadet zu haben. Diese Kontakte habe ich nur im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit in der Gemeindeverwaltung B......... gesehen. Die Einwohner wurden bei der Bekanntgabe meiner Kandidatur darüber informiert. Ich bin seit meinem Ausscheiden als Bürgermeister der Gemeinde B......... ständig dem Gemeindeleben verbunden geblieben, als Beispiel möchte ich nur die Hilfe und Unterstützung für die Bürger, der Kommune, der Feuerwehr, dem Sport und zahlreicher Vereine, egal in welcher Form, nennen."

Einem im Vorfeld der Bürgermeisterwahl von der S. (..) zur Vorstellung der Kandidaten veröffentlichten Interview ist zu entnehmen, dass der Kläger öffentlich um Entschuldigung für seine IM-Tätigkeit bat und diese als den "größten Fehler" seines Lebens bezeichnete.

Bei der am 5.2.2006 durchgeführten Wahl erhielt keiner der drei Bewerber die erforderliche Mehrheit, sodass am 26.2.2006 eine Neuwahl stattfand (§ 48 Abs. 2 Satz 2 Sächsische Gemeindeordnung - SächsGemO). In dieser erreichte der Kläger die höchste Stimmenzahl. Der Vorsitzende des Gemeindewahlausschusses legte dem Landratsamt des Beklagten die Wahlunterlagen am 28.2.2006 zur Prüfung vor (§ 55 Abs. 1 Kommunalwahlordnung). Die öffentliche Bekanntmachung des vom Gemeindewahlausschuss festgestellten Wahlergebnisses erfolgte im B.......... Amtsblatt vom 3.3.2006. Eine zweite, korrigierte Bekanntmachung erfolgte im Amtsblatt vom 17.3.2006. Einsprüche gegen die Wahl wurden nicht erhoben.

Mit Schreiben vom 3.4.2006 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass eine Mitteilung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: Bundesbeauftragten) vom 21.3.2006 vorliege. Danach sei der Kläger über mehrere Jahre in erheblichem Umfang als IM für das MfS tätig gewesen. Über die Wählbarkeit des Klägers als Bürgermeister sei gemäß der Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs (Beschl. v. 20.2.1997, JbSächsOVG 5, 80) nach einer Einzelfallprüfung unter Abwägung aller Umstände zu entscheiden. Insbesondere komme es auf Anlass und Inhalt der Tätigkeit für das MfS, die Umstände der Aufgabe dieser Tätigkeit, die Aussicht auf eine Bewährung des Klägers unter rechtsstaatlichen demokratischen Verhältnisses sowie die Entwicklung des Klägers seit dem 3.10.1990 an.

Die Mitteilung des Bundesbeauftragten vom 21.3.2006 enthält zur Tätigkeit des Klägers für das MfS folgende Angaben:

- in der Kontaktphase acht Berichte, davon fünf Berichte des MfS-Mitarbeiters und drei handschriftliche Berichte des Klägers,

- 23 Treffberichte des MfS-Führungsoffiziers,

- 24 handschriftliche, mit Decknamen unterzeichnete Berichte des Klägers,

- 14 Berichte des MfS-Führungsoffiziers mit mündlichen Informationen des Klägers.

Der Mitteilung des Bundesbeauftragten ist zu entnehmen, dass der Kläger nach einer etwa zweimonatigen Kontaktphase vom 18.8.1985 bis zur Auflösung des Staatssicherheitsdienstes als IM tätig war. Ziel der Werbung war es aus Sicht des MfS, vom Kläger, der wegen seiner beruflichen Tätigkeit Kenntnisse auf dem Gebiet der inneren Angelegenheiten hatte, insbesondere Informationen zu Ausreisewilligen zu erhalten. Nach seiner Werbung durch das MfS lieferte der Kläger Informationen zu Übersiedlungsersuchende, zu einer eigenen Reise in die Bundesrepublik Deutschland, Einschätzungen zu einzelnen Personen und zum allgemeinen Stimmungsbild zu Texten eines Karnevalsklubs sowie zum Verlauf öffentlicher Veranstaltungen. 1986 und 1987 beanstandete das MfS mehrfach die unzureichende Treffdisziplin des Klägers. Insgesamt erhielt der Kläger nach den Feststellungen des Bundesbeauftragten Zuwendungen vom MfS im Wert von 350,00 M/DDR.

Auf Ersuchen des Beklagten vom 3.4.2006 teilte der Bundesbeauftragte mit Schreiben vom 7.4.2006 mit, dass nach erneuter Recherche in der IM-Akte des Klägers vier operative Personenkontrollen (OPK) vorhanden seien, zu denen der Kläger dem MfS Informationen übermittelt habe. Der Begriff OPK erscheine in der IM-Akte mehrmals. Aus IM-Akten lasse sich nicht immer genau erkennen, in wieviele operative Vorgänge Informationen eines IM eingeflossen seien. Das MfS habe nicht immer zielgerichtet IM zur Informationsgewinnung für OPK eingesetzt. Es seien auch Informationen genutzt worden, die zufällig bei der Arbeit der Führungsoffiziere mit ihren IM zu OPK-Personen bekannt geworden seien.

Mit Schreiben vom 7.4.2006 teilte einer der Geschäftsführer der.. R. mbH dem Landratsamt mit, der Kläger habe ihn am 31.3.2006 angerufen und angekündigt, er werde sein Zeitungsabonnement kündigen, wenn die.. - wie von einem Journalisten angekündigt - in der Ausgabe vom 1.4.2006 unter Verwendung des Inhalts der Stasi-Akte über die Vergangenheit des Klägers im Zusammenhang mit dem Faschingsverein berichte. Für diesen Fall werde er auch Bekannte und Verwandte bitten, ihre Abonnements zu kündigen; wenn er Bürgermeister werde, werde er das Abonnement der Gemeinde kündigen. Dem Schreiben ist weiter zu entnehmen, der Kläger habe die Einstellung seiner jährlichen Spenden an den örtlichen Karnevalsverein (etwa 500 €) angedroht und wolle den Verein auffordern, sich das entgangene Geld künftig von der Zeitung zu holen.

Am 10.4. und 12.4.2006 hörte der Beklagte den Kläger an.

Mit Wahlprüfungsbescheid vom 13.4.2006 erklärte der Beklagte die Bürgermeisterwahl vom 5.2.2006 sowie die Neuwahl vom 26.2.2006 für ungültig (Nrn. 1 und 2). Zugleich stellte der Beklagte fest, dass der Kläger nicht nach § 49 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO wählbar gewesen sei, weil er nicht die allgemeinen persönlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis erfülle. Für das Amt des Bürgermeisters sei er untragbar (Nr. 3). Der Kläger sei als IM für das frühere MfS tätig gewesen. Sein Verhalten im ersten frei gewählten Gemeinderat und im Vorfeld der Wahl von 2006 erlaube nicht die Prognose, dass er sich im Lichte der Anforderungen demokratischer Rechtsstaatlichkeit im Amt eines Bürgermeisters bewähren werde. Seine - im Bescheid im Einzelnen dargelegte - Tätigkeit für das MfS sei nach Dauer, Vielzahl und Regelmäßigkeit so erheblich, dass er für das angestrebte Amt untragbar sei.

Mit seiner am 18.4.2006 erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Wahlprüfungsbescheids begehrt. Der Beklagte habe die Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung von § 49 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 2 SächsBG verkannt. Je größer der zeitliche Abstand zur DDR geworden sei, umso weniger Gewicht komme einer Tätigkeit für das MfS zu. Bei der Abwägung sei auch § 21 Abs. 3 des Stasi-Unterlagen Gesetzes (a. F.) Rechnung zu tragen, wonach Stasi-Unterlagen ab dem 29.12.2006 nicht mehr verwendet werden dürften. Der Kläger habe sich seinerzeit nach Möglichkeiten bemüht, keine negativen Berichte über Dritte abzugeben. Die im Schreiben des Bundesbeauftragten vom 7.4.2006 erwähnten operativen Kontrollen seien dem Kläger nicht bekannt. Nur ein Teil der vom Bundesbeauftragten vorgelegten Berichte seien vom Kläger verfasst worden; nicht alle Berichte enthielten negative Einschätzungen über die erwähnten Personen. Der Beklagte habe das gemeinnützige Engagement des Klägers seit 1990 nicht hinreichend gewürdigt. Nach dem Ausscheiden aus dem Gemeinderat habe der Kläger intensiv mit örtlichen Vereinen zusammengearbeitet und diese unterstützt, u. a. durch ehrenamtliche Tätigkeiten und Spendenaktionen. Äußerungen des Klägers gegenüber Mitarbeitern der.. seien nicht so gravierend gewesen, dass sie zu einer Unwählbarkeit führen könnten.

In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts erklärte der Kläger ausweislich des Protokolls, er habe seine Zusammenarbeit mit dem MfS bereits 1990 in der Öffentlichkeit eingeräumt und bereue diese Tätigkeit.

Der Beklagte trat der Klage entgegen und bekräftigte die Begründung des angefochtenen Bescheids. Der Kläger sei bei der gebotenen Gesamtabwägung für den öffentlichen Dienst untragbar. Er habe über einen Zeitraum von fünf Jahren aus tiefer Überzeugung intensiv mit dem MfS zusammengearbeitet (18.6.1985 bis zur Auflösung des MfS am 19.10.1990). Aus Sicht des MfS sei die Zusammenarbeit mit dem Kläger erfolgreich verlaufen. Dies werde durch die Einschätzung seiner Führungsoffiziere sowie die Zuwendungen bestätigt, die der Kläger erhalten habe. Den Schreiben des Bundesbeauftragten sei zu entnehmen, dass die vom Kläger gelieferten Informationen zu vier OPK geführt hätten. Schon die Durchführung solcher Kontrollen sei für die Betroffenen mit erheblichen Beeinträchtigungen und je nach Lage des Falles mit konkreten Einschränkungen und Schädigungen im persönlichen Lebensumfeld verbunden gewesen. Auch die neutral oder positiv gehaltenen Berichte des Klägers seien zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Die Berichte des Klägers hätten dem MfS eine umfassende Bewertung des Persönlichkeitsbildes ermöglicht und die Grundlage geschaffen, je nach operativ-taktischer Beurteilung des Einzelfalls weitere Maßnahmen einzuleiten. Anders als der Bürgermeister in dem vom Sächsischen Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt eine kritisch-würdigende, distanzierende Haltung zu seiner früheren MfS-Tätigkeit eingenommen. In die Gesamtwürdigung sei einzubeziehen, dass der Kläger bei zahlreichen Gemeinderatssitzungen unentschuldigt gefehlt habe. Die telefonischen Äußerungen des Klägers gegenüber dem Geschäftsführer der.. seien als schwerer Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Pressefreiheit und das Informationsrecht der Presse zu werten. Dieses amtsbezogene Fehlverhalten belege die fehlende Neutralität des Klägers. Sein ehrenamtliches Engagement sei nicht so uneigennützig wie von ihm behauptet.

Mit Urteil vom 19.9.2006 - 2 K 831/06 - hat das Verwaltungsgericht Dresden die Klage abgewiesen. Der Wahlprüfungsbescheid des Beklagten sei rechtmäßig. Der Kläger erfülle die Wählbarkeitsvoraussetzungen nach § 49 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 2 SächsBG nicht. Er sei unstreitig als IM für das MfS tätig gewesen. Die nach der Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs gebotene Prognose, ob sich der Kläger im Licht der rechtsstaatlichen Anforderungen im Amt eines Bürgermeisters bewähren werde, falle zu Ungunsten des Klägers aus. Das Verwaltungsgericht habe sich aufgrund der vorgelegten Akten des Beklagten sowie des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht von einer positiven Bewährung überzeugen können. Die Tätigkeit für das MfS ergebe keine Anknüpfungspunkte für eine positive Prognoseentscheidung. Die Zusammenarbeit sei ohne das Zutun des Klägers mit Auflösung des MfS beendet worden. Eine kritische oder distanzierende Haltung gegenüber dieser Organisation sei damals nicht zu erkennen gewesen. Das Verhalten des Klägers seit der Wende ergebe keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine günstige Bewährungsprognose. Die Gründe für den Mandatsverzicht als Gemeinderatsmitglied seien nicht recht nachvollziehbar. Das Verhalten des Klägers im Vorfeld der Bürgermeisterwahl von 2006 ergebe nichts Greifbares für eine positive Prognose. Der Vorfall mit der Presse sei eher zu Lasten des Klägers zu werten. Das Engagement des Klägers in unterschiedlichen Vereinen sei anerkennenswert, besage aber nichts dafür, dass sich der Kläger im Amt des Bürgermeisters bewähren würde. Es vermittle vielmehr den Eindruck, dass der Kläger bürgernahe Aktionen beliebigen Inhalts mit demokratischer Gesinnung auf eine Stufe stelle. Der in der mündlichen Verhandlung gezeigten Reue des Klägers fehle das "erkennbare Substrat dauerhafter und echter Wandlung".

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 5.6.2007 - 4 B 764/06 - die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen. Der Zulassungsbeschluss ist dem Kläger am 14.6.2007 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 4.7.2007 (eingegangen am 5.7.2007) hat der Kläger die Berufung unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren begründet. Das angefochtene Urteil weiche vom Beschluss des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 26.2.1997 ab. Das Verwaltungsgericht habe keine hinreichende ergebnisoffene Prognose getroffen; es habe die Anforderungen an die sog. Bewährungsprognose grundlegend verkannt. Das MfS habe den Kläger wegen seiner beruflichen Tätigkeit in der Gemeindeverwaltung angeworben. Dem Kläger sei aus dieser Tätigkeit bekannt gewesen, wer Ausreiseanträge gestellt habe. Als SED-Mitglied sei er von der Richtigkeit der Staatspolitik überzeugt gewesen; auch sei er damals davon ausgegangen, dass er die Zusammenarbeit mit dem MfS nicht verweigern könne. Das Verwaltungsgericht habe die Angaben des Bundesbeauftragten zu den angeblichen vier OPK nicht überprüft, sondern - ohne eigene Aktenanforderung - als tatsächliche Feststellung übernommen. Nicht einem Bericht sei zu entnehmen, dass der Arbeitsplatzwechsel von Ausreisewilligen auf Veranlassung des Klägers erfolgt sei. Der Vorwurf einer Verharmlosung seiner Tätigkeit sei nicht haltbar. Nach 1990 habe er sich zunächst geweigert, seinen Sitz im Gemeinderat aufzugeben. Ohne Einsicht in die Stasi-Akten - die ihm der Bundesbeauftragte verwehrt habe - habe er nicht beweisen können, dass er für das MfS keine "wesentliche Tätigkeit" ausgeübt habe. 1992 sei er als Gemeinderat zurückgetreten, weil seine Tätigkeit als IM öffentlich erörtert worden und eine Zusammenarbeit mit den anderen Gemeinderatsmitgliedern nicht mehr möglich gewesen sei. Von einem fehlenden Demokratieverständnis könne keine Rede sein. Die spontanen Ausführungen des Klägers im Telefonat mit dem Geschäftsführer der Zeitung sei kein Angriff auf die Pressefreiheit gewesen. Die Pressefreiheit schütze nicht vor wirtschaftlichen Konsequenzen aus einer einseitigen Berichterstattung. Überdies habe es zeitnah ein klärendes Gespräch zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer gegeben. Das bürgerschaftliche Engagement des Klägers sei ebenso unvoreingenommen zu würdigen wie seine Entscheidung, sich außerhalb einer politischen Partei für die Belange der Gemeinde zu engagieren. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten habe sich der Kläger öffentlich - so auch in der.. - für seine IM-Tätigkeit entschuldigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 19. September 2006 - 2 K 831/06 - zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 13.4.2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Die IM-Tätigkeit des Klägers sei nicht etwa harmlos oder für die Betroffenen unschädlich gewesen. Der Kläger habe sich zu seiner IM-Tätigkeit erst nach dem Bericht des gemeindlichen Bewertungsausschusses bekannt. Eine öffentliche Entschuldigung fehle bis heute. Das Verhalten des Klägers gegenüber der Presse sei - wenn auch nicht mit ausschlaggebender Bedeutung - in die gebotene Abwägung einzustellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten ist auf den Inhalt der Behördenakten des Beklagten (2 Ordner), die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Dresden (2 K 831/06, 2 Bände; 2 K 843/06 1 Band) sowie die Senatsakten 4 B 764/06 und 4 B 332/07 (jeweils 1 Band) zu verweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen; der Wahlprüfungsbescheid des Beklagten vom 13.4.2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

1. Das Rechtsschutzbegehren des Klägers richtete sich - wie in der mündlichen Verhandlung des Senats klargestellt wurde - von Anfang an auf die Aufhebung des Wahlprüfungsbescheids, der die Bürgermeisterwahl vom 5.2.2006 sowie die Neuwahl vom 26.2.2006 für ungültig erklärt und die Unwählbarkeit des Klägers festgestellt hat. Für dieses Begehren ist die Anfechtungsklage statthaft. Wird eine Bürgermeisterwahl nicht durch einen Wahlprüfungsbescheid der Rechtsaufsichtsbehörde für ungültig erklärt, ist sie als gültig anzusehen (§ 45, § 38 i. V. m. § 26 Abs. 2 Satz 1 KomWG); einer Verpflichtungsklage auf Feststellung der Gültigkeit der Wahl bedarf es daher nicht. Die Anfechtungsklage des Klägers ist insgesamt zulässig; ein Vorverfahren war nicht durchzuführen (§ 38 i. V. m. § 26 Abs. 3 KomWG).

2. Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Beklagte hat die Bürgermeisterwahl zu Unrecht wegen Unwählbarkeit des Klägers für ungültig erklärt.

2.1. Rechtswidrig ist der Wahlprüfungsbescheid vom 13.4.2006 nicht schon deshalb, weil er nicht innerhalb eines Monats nach der öffentlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses vom 3.3.2006 erlassen wurde. Dabei mag offen bleiben, ob die gesetzliche Wahlprüfungsfrist von einem Monat (§ 38 i. V. m. § 26 Abs. 1 KomWG) erst durch die korrigierte öffentliche Bekanntmachung des Wahlergebnisses vom 17.3.2006 in Gang gesetzt wurde, wie es der Beklagte in der Begründung des angefochtenen Bescheids (S. 9 f.) ausgeführt hat. Eine Bürgermeisterwahl ist nach der ausdrücklichen Regelung in § 45 Abs. 2 KomWG auch nach Ablauf der einmonatigen Wahlprüfungsfrist für ungültig zu erklären, wenn der Gewählte - wie hier vom Beklagten angenommen - nicht wählbar ist. Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Wahlprüfungsbescheids sind auch im Übrigen nicht veranlasst. Insbesondere hat der Beklagte unverzüglich nach Feststellung des Wahlergebnisses einen Auskunftsantrag an den Bundesbeauftragten gerichtet (§ 45 Abs. 1 Satz 1 KomWG) und dem Kläger hinreichend Gelegenheit gegeben, sich zu den im Zusammenhang mit seiner früheren IM-Tätigkeit ergebenden Vorwürfen im Einzelnen zu äußern.

2.2. Der angefochtene Bescheid ist jedoch materiell rechtswidrig, weil die vom Beklagten bei der Anwendung von § 49 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 2 SächsBG getroffene Entscheidung nicht den Anforderungen an eine ergebnisoffene Bewährungsprognose zur Verfassungstreue des Klägers genügt.

2.2.1. Gemäß § 49 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO darf zum Bürgermeister nur gewählt werden, wer die allgemeinen persönlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis erfüllt. Diese Voraussetzungen ergeben sich aus § 6 SächsBG. Dessen Abs. 2 bestimmt, dass in das Beamtenverhältnis grundsätzlich nicht berufen werden darf, wer für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für nationale Sicherheit tätig war. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist der Kläger, der unstreitig für das MfS tätig war, als Bürgermeister nicht wählbar (vgl. bereits SächsOVG, Urt. v. 17.9.1997, SächsVBl. 1998, 157, 158). Mit der Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs (Beschl. v. 20.2.1997, JbSächsOVG 5, 80, 90 f.) ist § 49 Abs. 1 SächsGemO i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 2 SächsBG jedoch im Hinblick auf das Grundrecht der allgemeinen und gleichen Wahl (Art. 18 Abs.1 SächsVerf i. V. m. Demokratieprinzip) für kommunale Wahlbeamte verfassungskonform dahin auszulegen, dass nur solche Wahlbewerber ausgeschlossen sind, die wegen ihrer Tätigkeit für das MfS für das angestrebte Amt untragbar erscheinen. Dies erfordert eine umfassende, alle beachtlichen Aspekte des jeweiligen Falles einbeziehende Prüfung, deren Ergebnis nicht in dem Sinne vorgeprägt ist, dass die frühere Zusammenarbeit mit dem MfS eine Untragbarkeit des Wahlbewerbers indiziert. Die Einzelfallprüfung muss ergebnis- und zukunftsoffen sein, zumal Art. 119 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf, der für Amtsträger auf die Bestimmungen des Einigungsvertrags verweist, nach der Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs die Absicht zugrunde liegt, die Bediensteten weitgehend in den öffentlichen Dienst zu integrieren (SächsVerfGH, Beschl. v. 20.2.1997, a. a. O. S. 91, unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 21.2.1995, BVerfGE 92, 140, 156). Die Prüfung umfasst eine Eignungsprognose (Art. 33 Abs. 2 GG; Art. 91 Abs. 2 SächsVerf) zu der Frage, ob sich der Bewerber im Lichte der Anforderungen demokratischer Rechtsstaatlichkeit im Amt des Bürgermeisters bewähren wird. Die Prognose zur Verfassungstreue des Wahlbewerbers ("Bewährungsprognose") beruht notwendigerweise auf einer wertenden Beurteilung der Rechtsaufsichtsbehörde, wobei sich die gerichtliche Überprüfung auf die Fragen beschränkt, ob die Behörde von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie allgemeingültige Wertmaßstäbe missachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. SächsOVG, Urt. v. 17.9.1997, SächsVBl. 1998, 157, 160 f.; ThürOVG, Urt. v. 14.10.2003, LKV 2004, 569, 572).

2.2.2. Ausgehend von diesem Grundsätzen erweist sich die Bewährungsprognose des Beklagten in dem Wahlprüfungsbescheid vom 13.4.2006 als rechtswidrig.

2.2.2.1. Bei seiner Gesamtwürdigung des Verhaltens des Klägers nach der Wiedervereinigung hat der Beklagte dem Vorfall vom 31.3.2006 abwägungsfehlerhaft ein unangemessenes Gewicht beigemessen, indem er davon ausgegangen ist, dass der Kläger durch seine telefonischen Äußerungen gegenüber Vertretern der.. während des laufenden Wahlprüfungsverfahrens unzulässigen Druck ausgeübt habe, um eine unabhängige Presseberichterstattung über den Kläger und seine IM-Tätigkeit zu verhindern und dadurch gezeigt habe, dass der Kläger nicht die Gewähr dafür biete, die Verpflichtungen und rechtsstaatlichen Bindungen, die sich aus der Wahrnehmung des Bürgermeisteramts ergäben, unter Zurückstellung persönlicher Auffassungen zu wahren und vorbehaltlos für sie einzutreten (so die "Gesamtbewertung und -würdigung" auf S. 9 des Wahlprüfungsbescheids). Das Verhalten des Klägers an dem vorgenannten Tag, wie es sich insbesondere aus dem bei den Akten befindlichen Schreiben des Geschäftsführers der.. R. mbH vom 7.4.2006 ergibt, stellt - entgegen der Auffassung des Beklagten - keinen schwerwiegenden Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 20 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf) oder in das Informationsrecht der Presse nach § 4 Abs. 1 des Sächsischen Pressegesetzes dar. Dies gilt unabhängig davon, ob es am 7.4.2006 zu einer klärenden Aussprache des Klägers mit den Zeitungsmitarbeitern gekommen ist, wie es der Kläger sowohl bei seiner Anhörung durch den Beklagten als auch im gerichtlichen Verfahren vorgetragen hat. Das bloße Inaussichtstellen der Kündigung eines Zeitungsabonnements - ohne wirtschaftliche oder andere Druckmittel - berührt das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der freien Berichterstattung nicht. Auch das Auskunftsrecht der Presse gegenüber Behörden wurde durch das Verhalten des Klägers nicht verletzt.

Als ehemaliger Bürgermeister und in der Öffentlichkeit stehender Wahlbewerber muss es der Kläger zwar hinnehmen, dass die regionale Presse im Zusammenhang mit der Wahl kritisch über seine Person und seine frühere IM-Tätigkeit berichtet. Dies betrifft auch die in der Stasi-Akte belegten Auskünfte des Klägers an das MfS über Aktivitäten des Karnevalsvereins von B........., der offenbar nicht nach Maßgabe der "Anordnung über die Rechtsstellung, Anleitung und Finanzierung ehrenamtlich geleiteter Karnevalsklubs" vom 21.7.1986 (GBl. DDR I Nr. 26 S. 382) organisiert war. Die in der mündlichen Verhandlung erläuterten Äußerungen des Klägers, der angab, ihm sei damals der "Kragen geplatzt", weil die Zeitung mit ihrer Berichterstattung selbst nach der Bürgermeisterwahl "keine Ruhe" gegeben habe, mögen als Fehlgriff anzusehen sein und gegen einen durchgehend souveränen Umgang mit kritischen Presseveröffentlichungen sprechen, lassen jedoch nicht auf eine fehlende Verfassungstreue des Klägers schließen. Weder mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 20 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf noch nach dem Sächsischen Pressegesetz besteht eine rechtliche Verpflichtung zur Aufrechterhaltung bestimmter Zeitungsabonnements. Im Übrigen bieten die dem Senat vorgelegten Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Zusammenhang mit seiner früheren IM-Tätigkeit selbst unzulässigen Einfluss auf Pressearbeit genommen hätte. Nicht jede Verfehlung im mitmenschlichen Umgang lässt auf eine fehlende Verfassungstreue schließen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.7.2004, SächsVBl. 2005, 8, 12, für die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung eines früheren IM).

Da der Beklagte seine Abwägungs- und Prognoseentscheidung zur Verfassungstreue des Klägers mitentscheidend auf den fehlerhaft bewerteten Vorfall vom 31.3.2006 gestützt hat, wäre der angefochtene Wahlprüfungsbescheid schon deshalb aufzuheben.

2.2.2.2. Des weiteren erweist sich die Abwägungs- und Prognoseentscheidung auch deshalb als rechtswidrig, weil der Beklagte dem Zeitfaktor keine hinreichende Bedeutung beigemessen hat. Mit dem Thüringer Oberverwaltungsgericht (Urt. v. 14.10.2003, LKV 2004, 569, 572) geht der erkennende Senat davon aus, dass Aspekte einer zwischenzeitlichen Bewährung eines Wahlbewerbers umso mehr zu gewichten sind, je länger die Belastung durch die Verstrickung in die besonderen Machtstrukturen der DDR zurückliegt. Dies schließt es insbesondere aus, bei der zukunftsoffenen Einzelfallprüfung allein auf die gesetzlich geregelten, zwischenzeitlich bis 31.12.2011 festgelegten Verwendungsfristen in § 20 Abs. 3 Satz 1 oder § 21 Abs. 3 Satz 1 des Stasi-Unterlagen Gesetzes abzustellen. Der Beklagte hat die bei Erlass des Wahlprüfungsbescheids geltende Verwendungsfrist (29.12.2006) angesprochen und ist bei seiner Abwägungs- und Prognoseentscheidung im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die Stasi-Unterlagen des Klägers verwertbar sind (S. 9 des Bescheids). Mit der Feststellung der Verwertbarkeit trägt der Wahlprüfungsbescheid dem Zeitablauf zwischen der Wiedervereinigung Deutschlands und der Bürgermeisterwahl in B......... (etwa 15 Jahre) jedoch nicht in der gebotenen Weise Rechnung. Auch im allgemeinen Beamtenrecht ist anerkannt, dass früheres Fehlverhalten, das eine besondere Erheblichkeitsschwelle nicht überschreitet, weder eine Einstellung in den öffentlichen Dienst noch die Fortführung eines bestehenden Dienstverhältnisses grundsätzlich ausschließt. Für strafrechtliche Vorverurteilungen sind die Tilgungsfristen nach dem Bundeszentralregistergesetz zu beachten (vgl. ThürOVG, Urt. v. 14.10.2003, a. a. O.). Das Sächsische Disziplinargesetz, das auch auf kommunale Wahlbeamten anwendbar ist, enthält für disziplinarische Verfehlungen, die nach ihrer Schwere keine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge haben, zeitlich gestaffelte Verwertungsverbote von bis zu fünf Jahren (§ 16 Abs. 1 SächsDG). Die vorgenannten Regelungen sind für die verfassungsrechtlich gebotene Einzelfallprüfung zwar nicht unmittelbar anwendbar, aber Ausdruck des in Rechtsordnung allgemein anerkannten Rechtsgedankens, dass früheres Fehlverhalten bei einer sich anschließenden Bewährung mit zunehmendem Zeitablauf an Bedeutung verliert.

Mit Blick auf den zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablauf kommt der in den vorgelegten Akten dokumentierten und im Wahlprüfungsbescheid (S. 6 f.) wiedergegebenen IM-Tätigkeit des Klägers nach Überzeugung des Senats - auch im Vergleich mit den vom vormals für Kommunalrecht zuständigen 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts entschiedenen "Bürgermeisterfällen" (Urt. v. 17.9.1997, SächsVBl. 1998, 157: Wählbarkeit verneint; Urt. v. 17.9.197, LKV 1998, 68: Wählbarkeit bejaht) - insgesamt kein so großes Gewicht mehr zu, dass sie zur Ungültigkeit der - in Kenntnis der IM-Vergangenheit des Klägers - durchgeführte Bürgermeisterwahl führt. Sowohl durch die mehrfach vom MfS beklagte mangelnde Treffdisziplin wie auch die zu einem größeren Teil allgemein gehaltenen Berichte des Klägers kommt zum Ausdruck, dass die Verstrickung des Klägers in das MfS nicht in einem Ausmaß vorliegt, das es rechtfertigen könnte, dem Kläger die Wahl zum Bürgermeister nach über 15 Jahren vorzuenthalten.

Soweit der Beklagte auf das unentschuldigte Fehlen des - nur durch mündliche Erklärung (formunwirksam) von seinem Gemeinderatssitz "zurückgetretenen" - Klägers in den Gemeinderatssitzungen von B......... zwischen Januar 1993 und Juni 1994 verweist (S. 7 f. des Wahlprüfungsbescheids), merkt der Senat lediglich an, dass die Anforderungen an die kommunalrechtlichen Kenntnisse von Gemeinderatsmitgliedern Anfang der 1990iger Jahre - zumal in der Übergangszeit zwischen der Geltung der Kommunalverfassung der DDR vom 15.5.1990 und dem Inkrafttreten der Sächsischen Gemeindeordnung im Frühjahr 1993 - nicht überspannt werden dürfen. Ob der Kläger zu den angesprochenen Gemeinderatssitzungen jeweils ordnungsgemäß geladen wurde, mag dahinstehen.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil zu ändern und der Wahlprüfungsbescheid des Beklagten aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,00 € festgesetzt. Der Streitwertkatalog von 2004 (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Anh. § 164 Rn. 14), an dem sich der Senat regelmäßig orientiert, sieht für die Anfechtung einer Kommunalwahl durch einen Wahlbewerber einen Streitwert von mindestens 7.500,00 € vor (Nr. 22.1.3). Mit Blick auf die Bedeutung des Bürgermeisteramts und die Größe der Gemeinde hält der Senat der Senat eine Erhöhung des vorgeschlagenen Mindestbetrags für angemessen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück