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Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.02.2008
Aktenzeichen: 4 B 437/05
Rechtsgebiete: SGB VII, SGB X, BSHG
Vorschriften:
SGB VII § 35a | |
SGB X § 105 Abs. 1 S. 1 | |
SGB X § 105 Abs. 1 S. 3 | |
BSHG § 37 |
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
Az.: 4 B 437/05
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Kostenerstattung
hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein ohne mündliche Verhandlung
am 25. Februar 2008
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 19. Mai 2005 - 2 K 1244/02 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Beklagte ihr zur Erstattung von Kosten für die stationäre Entgiftung der tabletten- und heroinabhängigen Frau L. vom 13. bis 15.9.2000 in Höhe von 376,08 € verpflichtet ist.
Die 1981 geborene, damals nicht krankenversicherte Frau L. wurde am 13.9.2000 gegen 17.15 Uhr mit akuten Entzugssymptomen im Stadtzentrum von L...... angetroffen und vom Notarzt des Rettungsdienstes in das ....krankenhaus L...... eingewiesen, wo sie gegen 19.00 Uhr eintraf. Bis zum übernächsten Tag unterzog sich Frau L. in diesem Krankenhaus einer stationären Entgiftung. Zuvor hatte die seit 1995 oder 1996 drogenabhängige Frau L. bereits etwa 15 Entgiftungs- und zwei Entwöhnungsmaßnahmen durchlaufen. Im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 130b Satz 1 VwGO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug.
Das Verwaltungsgericht Leipzig hat die Feststellungsklage hinsichtlich der Kosten der stationären Behandlung mit Urteil vom 19.5.2005 - 2 K 1244/02 - abgewiesen und hat zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch nicht zu. Mit der Entgiftung sei Eingliederungshilfe i. S. v. § 35a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII - nicht etwa Krankenhilfe - gewährt worden, für die die Klägerin selbst als Trägerin der Jugendhilfe zuständig gewesen sei.
Die Klägerin hat am 23.6.2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 21.7.2005 begründet. Sie macht unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, sie habe einen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten gemäß § 105 Abs. 1 SGB X. Die isolierte Entgiftung sei keine Maßnahme der Jugendhilfe, sondern eine vorläufige Krankenhilfe gewesen, für die der Beklagte nach § 100 Abs. 1 BSHG zuständig gewesen sei. Eine sich an die medizinische Behandlung der Frau L. anschließende psychotherapeutische, psychologische oder sozialpsychologische Maßnahme sei damals nicht vorgesehen gewesen; einen Jugendhilfeplan und einen Antrag auf Hilfe für junge Erwachsene gemäß § 41 i. V. m. § 35a SGB VIII habe es nicht gegeben. Im Zeitpunkt der Weiterleitung des an ihn adressierten Kostenübernahmegesuchs "des Krankenhilfeträgers" am 7.11. bzw. 9.11.2000 habe der Beklagte Kenntnis von den Umständen gehabt, die zur stationären Behandlung geführt hätten. Damit seien die Voraussetzungen des § 100 Abs. 3 BSHG (gemeint: 105 Abs. 3 SGB X) erfüllt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 19. Mai 2005 - 2 K 1244/02 - zu ändern und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der stationären Behandlung von Frau L. für den Zeitraum vom 13. bis 15.9.2000 in Höhe von 376,08 € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Behördenakten des Klägers und Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten über die Berufung ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Feststellung zum Bestehen einer Erstattungspflicht des Beklagten hinsichtlich der Behandlungskosten für Frau L.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus der - hier allein in Betracht kommenden - Erstattungsregelung des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Diese Vorschrift begründet eine Erstattungspflicht des unzuständigen Leistungsträgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger für den Fall, dass der unzuständige Träger Sozialleistungen erbracht hat, ohne auf Grund gesetzlicher Vorschriften zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet gewesen zu sein. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen zwar vor (siehe 1.1.); der Anspruch ist jedoch nach § 105 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen (siehe 1.2.).
1.1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind erfüllt. Anders als das Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass die stationären Entgiftung der drogen- und tablettenabhängigen Frau L. zwischen dem Abend des 13.9. und dem 15.9.2000 als vorläufige Krankenhilfe für eine Person mit seelischer Behinderung (vgl. Schoch, in: LPK-BSHG, 5. Aufl., § 100 Rn. 35) einzustufen ist, für die der Beklagte als überörtlicher Sozialhilfeträger gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG nach damaligem Recht zuständig war. Bei der hier gebotenen Abgrenzung von jugendhilferechtlicher Eingliederungshilfe (§ 35a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) und Krankenhilfe i. S. v. § 37 BSHG (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 17.10.1989 - 4 M 92/89 -, juris) ist dem Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, dass die Entgiftung in vielen Fällen der erste Schritt zur Beseitigung einer Behinderung sein mag und auch ohne unmittelbar anschließende Entwöhnungsbehandlung zu einer Milderung der Behinderung beitragen kann. Dass die Behandlung unter ärztlicher Betreuung in einem Krankenhaus durchgeführt wird, schließt es auch nicht von vornherein aus, die Entgiftung als Eingliederungshilfe zu qualifizieren. Nach den Umständen des vorliegenden Falles spricht jedoch Überwiegendes dafür, anhand des vorrangigen Hilfezwecks (vgl. Brühl, in: LPK-BSHG, a. a. O., § 39 Rn. 34) von einer sozialhilferechtlichen Krankenhilfe statt von einer jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe auszugehen. Die stationäre Entgiftung erfolgte außerhalb einer Entwöhnungsbehandlung, nachdem die seit 1996 suchtkranke Frau L., die zuletzt im April 2000 eine Entgiftungstherapie abgebrochen hatte, am 13.9.2000 im Stadtgebiet der Klägerin mit so starken akuten Entzugssymptomen aufgefunden worden war, dass der Notarzt gerufen werden musste. Nach der notärztlichen Einweisung verblieb die Klägerin nur vom frühen Abend des 13.9. bis zum übernächsten Tag im Krankenhaus. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass während dieser kurzen Zeit - außerhalb eines abgestimmten Therapieplans - gezielte Maßnahmen zur Eingliederung von Frau L. in die Gesellschaft oder Milderung ihrer seelischen Behinderung durchgeführt oder zumindest ins Werk gesetzt wurden, sind den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen. Hinzu kommt, dass Frau H. im Zeitpunkt der ärztlichen Behandlung bereits 20 Jahre alt war, wobei sich die vom Verwaltungsgericht angenommene Aussicht auf eine Verbesserung der Situation angesichts der von Frau H. wenige Monate zuvor abgebrochenen Entgiftungstherapie - sowie der weiteren zuvor offenbar erfolglos durchgeführten Maßnahmen - im Zeitpunkt der Durchführung der Entgiftung nicht aufdrängen musste. Die (Not-)Behandlung im Krankenhaus stand auch in keinem erkennbaren funktionalen Zusammenhang mit den zuvor bereits planmäßig durchgeführten Hilfemaßnahmen für Frau L.
Nach alledem ist die in ihrer Einordnung streitige Behandlung von Frau L. nicht als jugendhilferechtliche Eingliederungshilfe, sondern als sozialhilferechtliche Krankenhilfe anzusehen, für die der Beklagte als überörtlicher Sozialhilfeträger zuständig war.
1.2. Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X reicht für das Bestehen des von der Klägerin beanspruchten Erstattungsanspruchs jedoch nicht aus, weil gemäß § 105 Abs. 3 SGB X eine Leistungspflicht des in Anspruch genommenen Sozialhilfeträgern erst ab dem Zeitpunkt besteht, von dem dem Sozialhilfeträger bekannt war, dass die Voraussetzungen für seine Leistungspflicht vorlagen. Kenntnis von dem hier maßgeblichen Hilfebedarf erlangte der Beklagte ausweislich der vorgelegten Behördenakten erst durch die an ihn gerichtete Aufnahmeanzeige des ....krankenhaus L...... vom 27.10.2000, also mehrere Wochen nach Abschluss der Entgiftung am 15.9.2000. Einen früheren Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Beklagten macht auch die Klägerin nicht geltend. Das von ihr in der Berufungsbegründung genannte Kostenübernahmegesuch datiert vom 9.11.2000 und betrifft nicht die allein noch streitigen Behandlungskosten, sondern die Kosten des Rettungswagentransports, hinsichtlich derer die Klägerin ihre Klage bereits erstinstanzlich zurückgenommen hat.
Nach alledem steht der Klägerin der geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen den Beklagten nicht zu.
Da die Klage daher mit dem angefochtenen Urteil im Ergebnis zu Recht abgewiesen wurde, ist die Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 5.5.2004 - KSt 1/04 -, juris), der sich der Senat angeschlossen hat, ist das Berufungsverfahren nach § 188 Satz 2, § 194 Abs. 5 VwGO nicht mehr gerichtskostenfrei.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 47, § 52 Abs. 3 GKG auf 376,08 € festgesetzt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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