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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: 5 B 1022/02.A
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
AuslG § 53 Abs. 6 S. 2
Aus der in der Demokratischen Republik Kongo herrschenden, die allgemeinen Lebensbedingungen prägenden schlechten Versorgungslage lässt sich keine Extremgefahr für Rückkehrer in den Großraum Kinshasa herleiten, die die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG rechtfertigt.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 5 B 1022/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schaffarzik auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2003

am 26. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 4. August 2000 - A 6 K 31402/96 - geändert. Die Klage wird im Umfang der Berufungszulassung abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1967 in Kinshasa geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Demokratischen Volksrepublik Kongo. Er reiste nach eigenen Angaben am 30.11.1995 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab er am 3.1.1996 u. a. an, dass er Epileptiker sei. In Deutschland habe er bislang keinen Anfall gehabt. Die Anfälle stellten sich nicht regelmäßig ein, sie kämen ganz plötzlich. Er habe schon mehrere Anfälle gehabt. In den letzten zwei Jahren habe er etwa sechs bis sieben Anfälle gehabt. Seine Eltern hätten ihn finanziell unterstützt. Seine Mutter habe als Hebamme gearbeitet. Sein Vater habe einen Kleinhandel betrieben. Er sei der älteste von sieben Geschwistern. Alle lebten gemeinsam in der Familie. Die finanzielle Situation sei nicht gut gewesen. Sie seien arm gewesen.

Im weiteren Verlauf seiner Vernehmung erklärte der Kläger, dass er sich Sorgen um seine Frau und seine drei Kinder mache. Auf Nachfrage erklärte er, dass er nicht verheiratet sei. Er lebe mit der Frau und seinen Kindern bei seinen Eltern.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 30.4.1996 den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte dem Kläger die Abschiebung nach dem ehemaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) an.

Am 21.5.1996 erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz. Zur Begründung trug sein Prozessbevollmächtigter u. a. vor, dass der Kläger an Epilepsie leide. Am 6.6.1996 habe er beim Schwimmen einen epileptischen Anfall erlitten. Er wäre fast ertrunken und habe im Krankenhaus stationär behandelt werden müssen. Inzwischen sei er aus dem Krankenhaus entlassen. Seine behandelnden Ärzte könnten weitere epileptische Anfälle nicht ausschließen. Er, der Prozessbevollmächtigte, könne keine ärztlichen Atteste vorlegen, da er die Informationen nur über Dritte erhalten habe, die mit dem Kläger telefoniert hätten.

Das Verwaltungsgericht Chemnitz hob mit Urteil vom 4.8.2000 den Bescheid der Beklagten insoweit auf, als mit ihm die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG versagt wurde. Es verpflichtete die Beklagte festzustellen, dass hinsichtlich der Demokratischen Republik Kongo Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus: Im Falle einer Abschiebung in sein Heimatland wäre der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit massiven Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln sei die Grundversorgung der Bevölkerung nicht gesichert. Die Arbeitslosigkeit liege bei über 80 v. H.. Aufgrund des im Lande weiterhin andauernden Konfliktes lasse sich die krisenhafte Zuspitzung der Wirtschaftslage nicht aufhalten. Bemühungen, eine funktionierende und rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Verwaltung und Justiz aufzubauen, seien über erste Ansätze nicht hinausgekommen. Der Sicherheitsapparat sei zersplittert und agiere willkürlich. Die Menschenrechtslage im besetzten wie unbesetzten Teil des Landes habe sich stark verschlechtert. Im Laufe des Jahres 1999 seien über 100 Menschen aufgrund von Urteilen des Militärgerichtshofes exekutiert worden. Es gäbe weder ein funktionierendes, rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Polizeiwesen in Kinshasa noch in anderen Landesteilen der Demokratischen Republik Kongo. Es würden häufig Folterungen, unmenschliche bzw. grausame Behandlungen verübt. In den besetzten Gebieten komme es u.a. zu grausamen Verstümmelungen einheimischer Personen seitens der Angehörigen der Rebellenallianz RCD bzw. deren Alliierten. In Kinshasa und den von der Regierung kontrollierten Gebieten komme es immer wieder zu Folter und unmenschlicher Behandlung von Gefangenen. Neben den vom Militärgerichtshof verhängten Todesurteilen gebe es eine Anzahl von Fällen, in denen Militärangehörige offenbar ungestraft willkürlich Menschen getötet hätten. Die Haftbedingungen in den Gefängnissen sowie in den bekannten oder geheimen, oft überfüllten Arrestzellen, würden größtenteils als unmenschlich beschrieben. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie die medizinischen und hygienischen Verhältnisse seien vollkommen unzureichend. Die Verpflegung und die Versorgung mit Trinkwasser seien nicht sicher gestellt. Die Versorgungslage in der 6-Mill.-Stadt Kinshasa sei sehr angespannt. Nach einer Studie von FAO und UNDP reichten die vorhandenen Lebensmittel derzeit nur zur Abdeckung von 55 v. H. des tatsächlichen Bedarfs der Bevölkerung aus. In vielen kongolesischen Familien in der Hauptstadt könne derzeit nur noch eine Mahlzeit pro Tag eingenommen werden. Die Einkommen befänden sich auf einem historischen Tiefstand. In der Hauptstadt, aber auch in den Provinzen, werde zunehmend Unterernährung verzeichnet. Der Kläger würde deshalb bei einer Rückkehr in sein Heimatland Verhältnisse vorfinden, die der Führung eines Lebens unter menschenwürdigen Bedingungen entgegenstünden.

Auf Antrag des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat der Senat mit Beschluss vom 19.12.2002 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, soweit es in Bezug auf die Demokratische Republik Kongo die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zum Gegenstand hat.

Der Bundesbeauftragte nimmt Bezug auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren und trägt unter Berufung auf obergerichtliche Rechtsprechung vor, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer extremen Allgemeingefahr nicht vorlägen.

Der Bundesbeauftragte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 4. August 2000 - A 6 K 31402/96 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht geäußert.

Die Beklagte schließt sich dem Vortrag des Bundesbeauftragten an, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

Dem Senat liegen die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten (1 Heftung), die Akten des Verwaltungsgerichts Chemnitz in dem Verfahren (A 6 K 31402/96) sowie die Verfahrensakten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Zulassungsverfahren A 5 B 748/00 vor. Auf sie sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten entscheiden, da sie in der ordnungsgemäßen Ladung darauf hingewiesen wurden (§ 125 Abs. 1, § 102 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist zulässig. Die Bezugnahme auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren erfüllt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nach § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.9.1999, NVwZ 2000, 67).

Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, im Hinblick auf den Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen, weil eine extreme Gefahr für sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit als allein geltend gemachte Tatsachengrundlage des im Berufungsverfahrens streitigen Anspruchs aus § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Falle seiner Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht besteht.

Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift hebt allein auf das Bestehen einer konkreten, individuellen Gefahr für die genannten Rechtsgüter ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist. Macht der Ausländer geltend, von Gefahren betroffen zu sein, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der er angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden diese gem. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auch dann nicht erfasst, wenn sie einzelne Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG werden Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, in dem Staat allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt. Nach dieser Bestimmung kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von sonstigen Ausländergruppen allgemein oder in einzelne Zielländer für längstens sechs Monate ausgesetzt wird (Satz 1); für längere Aussetzungen bedarf es des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern (Satz 2). Beruft sich der einzelne Ausländer auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig also nur im Rahmen eines generellen Abschiebungsstopps nach § 54 AuslG erhalten.

Die "Allgemeinheit" der Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG hängt nicht davon ab, ob sie sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das etwa bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. Die Sperrwirkung kann auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. So weit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände (etwa Obdachlosigkeit, Lebensmittelknappheit, gesundheitliche Gefährdungen) geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urt. v. 8.12.1998, BVerwGE 108, 77 [82 f.]; Urt. v. 12.7.2001, BVerwGE 115, 1 [4, 6]).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 21.7.2001, NVwZ 2001, 1420; Beschl. v. 26.1.1999, NVwZ 1999, 668; Urt. v. 8.12.1998, BVerwGE 108, 77), der sich der Senat anschließt, dürfen das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 54 AuslG nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.

Ob eine aus einer allgemeinen Gefahr erwachsene extreme Gefahrenlage vorliegt, ist stets mit Blick auf sämtliche einem Ausländer drohenden Gefahren zu beurteilen. Dabei geht es allerdings nicht um eine "mathematische" oder "statistische" Summierung von Einzelgefahren; vielmehr ist jeweils eine einzelfallbezogene umfassende Bewertung der aus der allgemeinen Gefahr für den Ausländer folgenden Gesamtgefährdungslage vorzunehmen, um auf dieser Grundlage über das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entscheiden zu können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.9.1999 Buchholz 402, 214 § 53 AuslG Nr. 17; Urt. v. 19.11.1996 NVwZ 1997, 685). Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist gegenüber dem im Asylrecht entwickelten Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage allerdings einer strengerer Maßstab anzulegen. Die allgemeine Gefahr muss sich für den jeweiligen Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit verwirklichen. Nur dann rechtfertigt sich die Annahme eines aus den Grundrechten folgenden zwingenden Abschiebungshindernisses, dass die gesetzliche Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG beseitigen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.11.1996 aaO und Urt. v. 12.7.2001, BVerwGE 115, 1).

Geboten ist die verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG immer dann, wenn der einzelne extrem gefährdete Asylbewerber ansonsten gänzlich schutzlos bliebe, d.h. wenn seine Abschiebung in den Zielstaat ohne Eingreifen des Bundesamtes oder der Verwaltungsgerichte tatsächlich vollzogen würde. Die verfassungskonforme Anwendung ist mit Rücksicht auf das gesetzliche Schutzkonzept aber auch dann zulässig, wenn der Abschiebung zwar anderweitige - nicht unter § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 Satz 1 oder § 54 AuslG fallende - Hindernisse entgegenstehen, diese aber dem Ausländer nach der Rechtswirkung keinen gleichwertigen Schutz bieten. Ein anderweitiger Schutz ist deshalb nur dann gleichwertig, wenn er dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 54 AuslG hätte oder den er bei Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen könnte. Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt somit neben dem Vorliegen einer extremen Gefahrenlage das Nichtbestehen eines anderweitigen gleichwertigen Abschiebungsschutzes voraus (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 aaO).

Der Kläger begehrt Abschiebungsschutz im Hinblick auf seine Krankheit (Epilepsie) und die typischen Folgen der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen in der Demokratische Republik Kongo (mangelhafte Versorgungslage, unzureichendes Gesundheitssystem, Arbeitslosigkeit) wie Unterernährung, Krankheit und Tod.

Die vom Kläger aufgeworfene Frage einer Extremgefahr infolge einer von ihm behaupteten Erkrankung an Epilepsie, kann der Senat offen lassen. Der Kläger hat bislang nicht den Nachweis erbracht, dass er tatsächlich an dieser Krankheit leidet. Sein Prozessbevollmächtigter hat mit an das Verwaltungsgericht Chemnitz gerichteten Schriftsatz vom 17.10.1996 insoweit vorgetragen, dass der Kläger an Epilepsie leide und am 6.6.1996 einen epileptischen Anfall beim Schwimmen erlitten habe. Er sei fast ertrunken und habe stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen. Seine behandelnden Ärzte könnten es nicht ausschließen, dass weitere epileptische Anfälle aufträten. Dieser Vortrag genügt nicht, um von der vom Kläger behaupteten Erkrankung auch mit der erforderlichen Überzeugung ausgehen zu können. Der Senat sieht auch keine Veranlassung dafür, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Der Prozessbevollmächtigte hat in dem o.g. Schriftsatz ausgeführt, dass er deshalb keine ärztlichen Atteste vorlegen könne, weil er die Informationen über die Erkrankung seines Mandanten lediglich telefonisch über Dritte bekommen habe. Mit diesem Vorgehen ist der Kläger seiner im gerichtlichen Verfahren bestehenden Mitwirkungspflicht an der Aufklärung des Sachverhaltes nicht nachgekommen. Der Kläger ist auch weder in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz noch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat erschienen. Dieses Fernbleiben wirkt sich insoweit zu seinem Nachteil aus.

Im Übrigen ist dem Vorbringen des Klägers zu entnehmen, dass er bereits vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland an der Krankheit gelitten haben will. Hier hätte er sowohl im Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als auch vor dem Verwaltungsgericht und dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht Ausführungen dazu machen müssen, wie die Krankheit in seinem Heimatland behandelt wurde. Derartige Angaben fehlen jedoch.

Eine vom Verwaltungsgericht Chemnitz angenommene Extremgefahr infolge der schlechten Versorgungslage in der Demokratischen Republik Kongo lässt sich für den Kläger nicht feststellen. Er würde nicht unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo auf Grund der dort herrschenden, die allgemeinen Lebensbedingungen (§ 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG) prägenden Versorgungslage, in eine extreme Gefährdungslage geraten, die ihn mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit dem sicheren Tode oder schwersten Verletzungen ausliefern würde. Im Hinblick darauf, dass der Kläger aus Kinshasa stammt und im Übrigen eine Abschiebung nur auf dem Luftwege über den Flughafen von Kinshasa erfolgen kann, beschränkt der Senat die Prüfung der Lebensbedingungen auf den Großraum dieser Stadt, in der die Situation ohnehin besser ist als in den übrigen Landesteilen.

Der Senat vermag nicht festzustellen, dass ein abgeschobener Asylbewerber im Großraum Kinshasa mangels jeglicher Lebensgrundlage in eine extreme Gefahrenlage geriete und dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Diese Einschätzung gilt jedenfalls für den Normalfall eines im Wesentlichen gesunden Menschen, der sich nach seiner Abschiebung aufgrund seines längeren Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland in einem gutem Ernährungszustand befindet und in seinem Heimatland über familiäre Bindungen verfügt.

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen herrscht in der Region Kinshasa keine allgemeine Hungersnot, bei der einem großen Teil der Bevölkerung "mangels jeglicher Lebensgrundlage" der baldige sichere Hungerstod droht. Es ist auch nicht erkennbar, dass gerade im Großraum Kinshasa eine besonders schlechte Lebensmittelversorgung bestünde. Allerdings besteht eine angespannte Versorgungslage mit Lebensmitteln. Die Hauptursache hierfür ist das Fehlen hinreichender Transportmöglichkeit aus den fruchtbaren Agrarprovinzen in die Stadt. Die Verbindungsstraße in den Bandundu und zur Hafenstadt Matadi sowie die Eisenbahnverbindung dorthin sind in desolatem Zustand. Die Flussschifffahrt auf dem Kongo in die Ostprovinzen ist seit Jahren kriegsbedingt unterbrochen. Gegenwärtig gibt es verstärkte Bemühungen, den Kongo entsprechend einschlägiger VN-Sicherheitsrats-Resolutionen wieder für die Schifffahrt zu öffnen. Die MONUC (VN-Mission im Kongo) hat in geringem Umfang die Flussschifffahrt von Kinshasa in die Rebellengebiete zur humanitären Lebensmittelversorgung wieder eröffnet. Daneben verkehren regelmäßig kleinere Transportboote zwischen dem Bandundu und Kinshasa. In Ergänzung dazu versucht die Bevölkerung in Kinshasa, mit städtischer Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist für die Bevölkerung in Kinshasa schwierig. Dank verschiedener Überlebensstrategien herrscht jedoch keine akute Unterversorgung wie etwa in anderen Hungersgebieten in Afrika (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4.8.2003, Stand: Juli 2003).

Eine im September 2001 veröffentliche Untersuchung der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Kinshasa zur Ernährungssituation in Kinshasa ergab u.a., dass z.B. von 611 Haushalten in Kinshasa in einem Untersuchungszeitraum von drei Monaten 22 % der Haushalte eine Mahlzeit, 61,1 % zwei und 16,1 % drei Mahlzeiten pro Tag zu sich nehmen konnten. Von 598 Haushalten hatten 14,1 % im Untersuchungszeitraum eine gesteigerte Menge Lebensmittel zur Verfügung gehabt, 59,1 % weniger, bei 26,8 % lag die Menge der konsumierten Lebensmittel über drei Monate gleich. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Versorgung mit Lebensmitteln für die Bevölkerung in Kinshasa im Herbst 2001 schwierig war, das aber dank verschiedener Überlebensstrategien keine akute Unterversorgung herrschte. In den Armutsvierteln von Kinshasa Kimbanseke und Selemba waren im Februar 2001 12 % der Kinder unter fünf Jahren latent unterernährt, unter akuter Unterernährung litten 2,6 % (Auswärtiges Amt vom 16.5.2002 an VG München - 508 - 516.80/39442). OCHA, die humanitäre Koordinierungsorganisation der Vereinten Nationen, kam im Februar 2002 zu dem Ergebnis, dass dank der Anpassungsfähigkeit der Menschen im informellen Nahrungssektor eine befürchtete akute Mangelsituation im Großraum Kinshasa ausgeblieben ist. Hier variiert die allgemeine (zu unterscheiden von akuter/schwerer) Unterernährungsrate zwischen 10 und 20 %.

In Kinshasa gibt es Volkskantinen, in denen die völlig Mittellosen mit dem Nötigsten versorgt werden (AA vom 16.6.2001 an VG München). Versorgungsengpässe werden vor allem durch die traditionelle Solidarität und gegenseitige Unterstützung im Familienverband aufgefangen (UNHCR vom 22.4.2002 an VG Gelsenkirchen).

Ausgehend von den oben dargestellten Kriterien fehlt jede Grundlage für die Prognose, gerade der Kläger werde mit hoher Wahrscheinlichkeit mangels jeglicher Lebensgrundlage bald nach der Rückkehr an Hunger sterben. Nach seinen vor dem Bundesamt gemachten Angaben lebt er zusammen mit seiner Lebensgefährtin und den drei gemeinsamen Kindern bei seinen Eltern. Seine sechs Geschwister leben ebenfalls in diesem Familienverband. Er verfügt somit über einen familiären Rückhalt in Kinshasa, der nach den obigen Ausführungen die Gefahr des Hungertodes ausschließt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b Abs. 1 AsylVfG).

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Fall des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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