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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 14.11.2006
Aktenzeichen: 5 B 810/04
Rechtsgebiete: SGB VIII, VwGO, SGB I, BGB, BSHG


Vorschriften:

SGB VIII § 19
SGB VIII § 27
SGB VIII § 34
SGB VIII § 42
SGB VIII § 86
SGB VIII § 86 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz
SGB VIII § 86 Abs. 2 Satz 2
SGB VIII § 86 Abs. 3
SGB VIII § 86 Abs. 4 Satz 2
SGB VIII § 86a
SGB VIII § 86b
SGB VIII § 86c
SGB VIII § 86d
SGB VIII § 89b
SGB VIII § 89b Abs. 1
SGB VIII § 89c Abs. 1
SGB VIII § 89c Abs. 1 Satz 2
SGB VIII § 89c Abs. 2
VwGO § 91 Abs. 1
VwGO § 91 Abs. 2
VwGO § 101 Abs. 2
VwGO § 123
VwGO § 125 Abs. 1
SGB I § 30 Abs. 3
SGB I § 30 Abs. 3 Satz 2
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1 Satz 2
BGB § 291
BSHG § 107
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: 5 B 810/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Kostenerstattung für Jugendhilfeleistungen

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Verwaltungsgericht Büchel ohne mündliche Verhandlung

am 14. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12. Januar 2004 - 6 K 3492/99 - wird geändert, soweit die Klage hinsichtlich des Erstattungsanspruchs abgewiesen wurde.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 36.985,77 € nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Kläger trägt zu 1/4 und der Beklagte zu 3/4.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden, mit dem seine Klage auf Kostenerstattung in Höhe von 36.958,53 € im Zusammenhang mit Aufwendungen für die am .10.1981 geborene K. S. und auf einen Zusatzbetrag wegen pflichtwidrigen Handelns in Höhe von 11.087,36 € durch den Beklagten abgewiesen worden ist. Er begehrt nunmehr einen Erstattungsbetrag in Höhe von 36.985,77 € sowie einen Zusatzbetrag in Höhe von 13.476,27 €.

Nach der Scheidung ihrer Eltern lebte K. S. zunächst bei ihrer Mutter im Gebiet des Klägers. Diese hatte das alleinige Sorgerecht über K. S. , das ihr mit Beschluss des Amtsgerichts Öhringen vom .3.1998 entzogen wurde. Das Sorgerecht wurde dem Kreisjugendamt des Klägers als Amtsvormund übertragen. Zu dieser Zeit lebte K. S. bei einer Freundin. Ihre Mutter verzog in den Main-Tauber-Kreis. Einer geplanten Inobhutnahme durch den Kläger und den Main-Tauber-Kreis entzog sie sich durch Flucht. Während sie von der Polizei bundesweit gesucht wurde, gelangte sie am .5.1998 zu ihrem Vater in das Hoheitsgebiet des Beklagten, bei dem sie sich bis zum .5.1998 aufhielt. Am .5.1998 suchte sie zusammen mit ihrem Vater das Jugendamt des Beklagten auf. In Absprache mit beiden nahm der Beklagte K. S. in Obhut und informierte den Kläger. Es war mit K. S. und ihrem Vater vereinbart worden, dass sie in die Wohnung ihres Vaters in P. aufgenommen wird. Der Vater hatte deshalb bereits am .4.1998 beim Amtsgericht Bad Mergentheim beantragt, ihm die elterliche Sorge zu übertragen. Mit dem umgehend erklärten vorläufigen Einverständnis des Amtsvormundes prüfte der Beklagte sodann das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aufnahme der K. S. in den Haushalt ihres Vaters. Zu einer längeren Aufnahme bei ihrem Vater kam es jedoch nicht, nachdem K. S. am .5.1998 ihre Schwangerschaft mitgeteilt hatte. Nachdem über die Schwangerschaft am .5.1998 ein amtsärztliches Zeugnis gefertigt worden war und der Vater angekündigt hatte, seinen Sorgerechtsantrag zurückziehen zu wollen, nahm der Beklagte K. S. erneut in Obhut mit dem Ziel sie in einem Kinderheim unterzubringen. Nach verschiedenen Gesprächen zwischen den Beteiligten sowie dem Jugendamt des Main-Tauber-Kreises brachte der Beklagte sie am .5.1998 auf ihren Wunsch hin in das Hoheitsgebiet des Klägers zurück.

Noch am .5.1998 erfolgte eine Inobhutnahme der K. S. durch den Kläger, nachdem ihr Amtsvormund bereits mit Schreiben vom 26.5.1998 beim Beklagten die Gewährung von Hilfe zur Erziehung für K. S. gemäß § 27, § 34 SGB VIII beantragt hatte. Mit Bescheid vom 2.6.1998 lehnte dieser den Antrag ab. Am selben Tag beantragte der Kläger beim Verwaltungsgericht Dresden den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Hilfegewährung. Dieser wurde mit Beschluss vom 23.9.1998 - 6 K 1473/98 - abgelehnt.

Am .7.1998 beantragte der Amtsvormund Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung beim Kläger. Ab dem .7.1998 wurde K. S. im Rahmen der vorläufigen Gewährung (§ 86d SGB VIII) Hilfe zur Erziehung (§ 27, § 34 SGB VIII) gewährt. Vom .8.1998 bis zum .9.1998 erfolgte eine weitere Inobhutnahme der K. S. durch den Kläger. Nach Geburt des Kindes K. erfolgte die Hilfe zur Erziehung ab dem .1.1999 gemäß § 19 SGB VIII. Diese wurde am .8.1999 eingestellt. Weitere Jugendhilfemaßnahmen lehnte K. S. ab.

Am .9.1998 beantragte der Kläger beim Beklagten die Erstattung der von ihm aufgewendeten Kosten ab dem .7.1998. Mit Schreiben vom 26.11.1998 lehnte der Beklagte dies ab.

Am 15.11.1999 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Dresden. Geltend machte er dort neben einem Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 36.958,53 € für von ihm aufgewendete Jugendhilfemaßnahmen einen Zusatzanspruch wegen pflichtwidrigen Handelns in Höhe von 11.087,36 €.

Mit Urteil vom 12.1.2004 - 6 K 3492/99 - wies das Verwaltungsgericht Dresden die Klage mit der Begründung ab, dass eine Erstattung der Jugendhilfekosten nicht in Betracht komme, weil K. S. bei ihrem Vater in P. zu keinem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Nach der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I habe jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Diese Feststellung sei auf Grund einer die tatsächlichen Verhältnisse berücksichtigenden Prognose zu treffen. Zwar sei ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich, sondern genüge ein Aufenthalt "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs. Diese Voraussetzungen lägen hier jedoch nicht vor, weil der Aufenthalt der K. S. bei ihrem Vater in der Zeit vom .5. bis .5.1998 noch nicht gesichert gewesen sei. Er sei über das Stadium eines Aufenthaltes zur Vorbereitung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht hinaus gekommen, nachdem die Prüfung der Eignung des Vaters noch nicht abgeschlossen und die endgültige Zustimmung des Amtsvormundes noch nicht erteilt gewesen sei.

Am 25.2.2004 beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Mit Beschluss vom 21.9.2004 - 5 B 193/04 - hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil mit der Begründung zugelassen, dass ernstliche Zweifel an seiner Richtigkeit bestünden, weil einiges dafür spreche, dass die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes schon dann anzunehmen sei, wenn er bis auf weiteres bestehe, also nicht auf Beendigung angelegt, sondern zukunftsoffen sei.

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, der Erstattungsanspruch gründe sich auf § 89c Abs. 1, Abs. 2 SGB VIII. Zur Bestimmung des maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts sei auf § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurückzugreifen. Danach genüge die bloße Tatsache des Verweilens von gewisser Dauer und Regelmäßigkeit an einem bestimmten Ort zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Nicht erforderlich sei ein Wille, an diesem Ort den Daseinsmittelpunkt zu begründen. Es reiche aus, wenn der Aufenthalt bis auf weiteres im Sinne von zukunftsoffen ausgerichtet sei und der Hilfeempfänger dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen habe. Die Aufnahme von K. S. in den Haushalt ihres Vaters vom .5. bis .5.1998 sowie die Beantragung des Sorgerechts durch ihn bereits am .4.1998 ließen auf ein dauerhaftes Verweilen, jedenfalls aber auf ein Verweilen bis auf weiteres schließen. Für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts sei keine Zustimmung des Amtsvormunds erforderlich. Selbst wenn man zu der Auffassung gelange, dass K. S. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten damals keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, ergebe sich eine Zuständigkeit des Beklagten auf Grund des tatsächlichen Aufenthaltes vor Beginn der Jugendhilfeleistungen. Maßgeblich sei insoweit nach § 86 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz SGB VIII der Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Maßnahmen, nicht zum Zeitpunkt des Beginns der Maßnahmen. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf einen Zusatzbetrag wegen pflichtwidrigen Handelns sei § 89c Abs. 2 SGB VIII, denn der Beklagte habe pflichtwidrig gehandelt, indem er K. S. am .5.1998 wieder in den Zuständigkeitsbereich des Klägers verbracht habe. Denn hierdurch habe er sich seiner eigenen Leistungspflicht entzogen. Nach § 86d SGB VIII sei der Beklagte zum Tätigwerden verpflichtet gewesen. Unter Bezugnahme auf die in der Verwaltungsakte befindliche Zusammenstellung der Abrechnungen ergebe sich der nunmehr geltend gemachte Erstattungsbetrag in Höhe von 36.985,77 € sowie der Zusatzbetrag in Höhe von ? aus 40.428,81 €.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich und sachdienlich gefasst,

den Beklagten unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12. Januar 2004 - 6 K 3492/99 - zu verpflichten, dem Kläger Kosten für Jugendhilfemaßnahmen in Höhe von 36.985,77 € nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu erstatten und

den Beklagten darüber hinaus zu verpflichten, an den Kläger 13.476,27 € wegen pflichtwidrigen Handelns zu zahlen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt unter Verweis auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren vor, dass sich K. S. seit Bekanntwerden ihres Aufenthaltes im Hoheitsgebiet des Beklagten ausschließlich im Rahmen einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII in P. aufgehalten habe. Der gewöhnliche Aufenthalt könne jedoch nicht durch eine solche begründet werden. Denn während es für den gewöhnlichen Aufenthalt zuvorderst auf den Willen des Betroffenen ankomme, sei dieser bei einer Inobhutnahme unbeachtlich. Dies gelte auch, wenn - wie hier - im Rahmen der Inobhutnahme eine vorläufige Unterbringung der in Obhut genommenen Person bei ihrem Vater erfolgt sei. K. S. habe daher vor der ersten Jugendhilfemaßnahme ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Klägers gehabt. Dieser sei für die Kostentragungspflicht und die Zuständigkeit des Klägers maßgeblich. Auf den tatsächlichen Aufenthalt der K. S. sei hingegen nicht abzustellen, weil diese vor der Flucht zu ihrem Vater, und damit in den letzten sechs Monaten vor Leistungsbeginn ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Klägers besessen habe. Soweit ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 SGB VIII nicht bestehe, komme auch ein Anspruch auf einen Zusatzbetrag wegen pflichtwidrigen Handelns nicht in Betracht. Im Übrigen sei dem Beklagten ein solches Handeln auch nicht vorzuwerfen, da er alles zum Wohle der Jugendlichen Erforderliche veranlasst habe. Die örtliche Zuständigkeit des Klägers habe nach § 86 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 SGB VIII festgestanden.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt..

Dem Senat liegen die Verwaltungsvorgänge des Klägers und des Beklagten - teilweise nur auszugsweise -, die Gerichtakten des Verwaltungsgerichts - 6 K 3492/99 und 6 K 1473/98 - sowie die Akten des Zulassungs- und Berufungsverfahrens vor.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet gemäß § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Kostenerstattung in Höhe von 36.958,53 € zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger besitzt in Höhe von 36.985,77 € einen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten. Dagegen ist ein Anspruch des Klägers auf einen Zusatzbetrag wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Beklagten nicht gegeben.

1. Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 89b Abs. 1 SGB VIII, soweit der Kläger die Erstattung der Kosten für die beiden Inobhutnahmen der K. S. am .5.1998 und am .8.1998 verlangt. Danach sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen der Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (§ 42 SGB VIII) aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 86 SGB VIII begründet wird.

Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten, die der Kläger im Rahmen eines vorläufigen Tätigwerdens nach § 19, § 86d SGB VIII und § 27, § 34, § 86d SGB VIII aufgewendet hat, ist hingegen § 89c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 86, § 86a und § 86b SGB VIII. Auch danach kommt es auf die Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt an.

Zuständig für die durch den Kläger gegenüber K. S. erbrachten Kinder- und Jugendhilfeleistungen war hier der Beklagte. Dies ergibt sich aus § 86 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. Danach kommt es, wenn beide Elternteile verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben, auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteiles an, bei dem der Jugendliche vor Beginn der Leistung einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte.

K. S. hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor Beginn der ersten Jugendhilfemaßnahme, die am .5.1998 erfolgte, im Hoheitsgebiet des Beklagten begründet. Maßgeblich für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts ist insoweit die Legaldefinition in § 30 Abs. 3 SGB I, wonach jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Feststellung ist auf Grund einer die tatsächlichen Verhältnisse berücksichtigenden Prognose zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - 1 C 25/96 -, NVwZ-RR 1997, 751). Erforderlich ist zunächst auch bei Minderjährigen eine tatsächliche Aufenthaltsnahme (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.7.2005 - 5 C 9/04 -, NVwZ 2006, 97; Urt. v. 26.9.2002 - 5 C 46/01, 5 B 37/01 -, NVwZ 2003, 616). Es ist hingegen kein dauerhafter oder längerer Aufenthalt erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn der Betroffene sich an einem bestimmten Ort "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG, Urt. v. 18.3.1999 - 5 C 11/98 -, FEVS 49, 434 [436]). Objektive Vorbereitungshandlungen, wie etwa die Anmietung oder Einrichtung einer Wohnung oder auch die melderechtliche Anmeldung, wie auch der bloße Wille eines Personensorgeberechtigten ersetzen den notwendigen physischen Aufenthalt nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.9.2002 - 5 C 46/01, 5 B 37/01 -, NVwZ 2003, 616).

Das Verwaltungsgericht hat unter Zugrundelegung dieser maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausführlich und zutreffend die rechtlichen Voraussetzungen für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts dargelegt. Der Senat folgt dem Verwaltungsgericht jedoch nicht darin, auf Grund des zunächst nur vorläufigen Einverständnisses des Amtsvormundes und der im Zeitraum des tatsächlichen Aufenthalts von K. S. bei ihrem Vater noch andauernden Prüfung seiner Lebensverhältnisse könne noch kein gewöhnlicher Aufenthalt der K. S. festgestellt werden. Einer Verfestigung des Aufenthalts, wie ihn sich das Verwaltungsgericht offensichtlich durch eine Erteilung des endgültigen Einverständnisses des Amtsvormundes vorstellt, bedarf es nicht. Denn auf den Willen des Personensorgeberechtigten kommt es für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes gerade nicht an. Maßgeblich ist ausschließlich die tatsächliche Aufenthaltsnahme des Kindes, die von seinem Willen getragen sein muss, auf unbestimmte Zeit beim Vater zu bleiben. Das war hier am .5.1998 der Fall. Zu diesem Zeitpunkt hat K. S. ihren tatsächlichen Aufenthalt mit dem Willen bei ihrem Vater genommen, dort bis auf weiteres und somit zukunftsoffen zu bleiben, nachdem sie weder bei ihrer Mutter leben noch - wie vom Kläger vor ihrer Flucht vorgesehen - in einem Heim untergebracht werden wollte. Als weitere Indizien hierfür sind der Antrag des Vaters auf Erteilung des Personensorgerechts, der bereits vor der tatsächlichen Aufenthaltsnahme von K. S. in P. gestellt worden war, und die gemeinsamen Bestrebungen des Jugendamtes der Beklagten mit K. S. , ihrem Vater sowie dessen Lebensgefährtin zu sehen, die wohnlichen Bedingungen beim Vater so zu gestalten, dass K. S. dort aufgenommen werden konnte. Selbst wenn noch objektive Vorbereitungshandlungen für den auf längere Zeit angelegten Aufenthalt durchzuführen waren, hindert dies nicht die bereits erfolgte Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts. Denn dieser ist nicht an rechtliche, sondern ausschließlich an tatsächliche Bedingungen geknüpft.

Auch der kurze Zeitraum von wenigen Tagen bis zur Inobhutnahme durch den Beklagten steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen, da dies von K. S. so nicht beabsichtigt gewesen ist. Vielmehr trat die Zäsur, also die Willensänderung bei ihr erst ein, nachdem sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte und ihr Vater sie sowohl nicht weiter aufnehmen, als auch den Sorgerechtsantrag zurückziehen wollte.

Nachdem K. S. aber einen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Beklagten begründet hatte, ergibt sich dessen örtliche Zuständigkeit. Denn ohne Zweifel ist der dann maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt des Vaters von K. S. ebenfalls im Hoheitsgebiet des Beklagten gewesen.

Der Gesamterstattungsbetrag beläuft sich auf 36.985,77 €. Zwar hat das Verwaltungsgericht nur über einen bei ihm vom Kläger geltend gemachten Erstattungsbetrag in Höhe von 36.958,53 € entschieden. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren weitere 27,23 € geltend macht, liegt eine gemäß § 91 Abs. 1 und 2, § 125 Abs. 1 VwGO zulässige Klageänderung vor. Der Beklagte hat die Höhe des Betrages nicht bestritten und sich mit seiner Berufungserwiderung vom 10.10.2006 auf die geänderte Klage eingelassen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -. Der geltend gemachte Zins liegt mit 4% nicht über dem in § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB festgesetzten Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

2. Die Berufung hat hingegen keinen Erfolg, soweit der Kläger neben dem Erstattungsbetrag noch einen Zusatzbetrag wegen pflichtwidrigen Handelns geltend macht.

Dies folgt in Höhe von 2.388,91 € nicht schon daraus, weil der Kläger im Berufungsverfahren einen um diesen Betrag höheren Zusatzbetrag geltend macht, als im erstinstanzlichen Verfahren. Dort belief sich der beantragte Zusatzbetrag nur auf 11.087,36 €. Denn auch insoweit liegt eine gemäß § 91 Abs. 1 und 2, § 125 Abs. 1 VwGO zulässige Klageänderung vor, nachdem sich der Beklagte schriftsätzlich auf sie eingelassen hat.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Zusatzbetrag liegen gleichwohl in der Sache nicht vor. Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 89c Abs. 2 SGB VIII. Danach hat der nach § 89c Abs. 1 SGB VIII Erstattungspflichtige zusätzlich zum Erstattungsbetrag einen Betrag in Höhe von ? der aufgewendeten Kosten zu zahlen, wenn er pflichtwidrig gehandelt und der handelnde örtliche Träger deshalb die Kosten aufgewendet hat. Pflichtwidrigkeit liegt vor, wenn die Gewährung einer Hilfe abgelehnt wird, ihre Erbringung verzögert wird oder nur unzureichend erfolgt.

Da es sich bei dieser Norm um einen Annexanspruch nur zum Erstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 SGB VIII (vgl. NiedersOVG, Urt. v. 13.2.2006 - 12 LC 12/05 -, juris) handelt, scheidet vorliegend ein Anspruch schon in dem Umfang aus, als dem Kläger Erstattung seiner Kosten auf Grundlage von § 89b SGB VIII zusteht. Nur für die im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII i.V.m. § 89c Abs. 1 SGB VIII aufgewendeten Kosten kommt ein Zusatzbetrag überhaupt in Betracht.

Insoweit fehlt es aber an einem pflichtwidrigen Handeln des Beklagten. Pflichtwidrig handelt ein sachlich und örtlich zuständiger Jugendhilfeträger, wenn er durch inkorrektes Verwaltungshandeln die Wahrnehmung seiner Zuständigkeit ablehnt oder verzögert (vgl. BayVGH, Urt. v. 18.7.2005 - 12 B 02/1197 -, juris). Allein die Tatsache, dass ein öffentlicher Jugendhilfeträger in einem Kompetenzkonflikt mit einem anderen Jugendhilfeträger seine Zuständigkeit aus rechtlichen Erwägungen heraus oder auf Grund einer unübersichtlichen tatsächlichen Situation verneint, stellt nicht notwendig eine pflichtwidrige Handlung im Sinne des § 89c Abs. 2 SGB VIII dar, selbst wenn die Rechtsansicht des betroffenen Trägers fehlerhaft ist. Denn nicht jeder Rechtsirrtum ist pflichtwidrig. Pflichtwidrigkeit ist anzunehmen, wenn sich die Rechtsauffassung als in jeder Hinsicht unvertretbar oder willkürlich erweist oder wenn andere Umstände hinzutreten, die das Verwaltungshandeln als pflichtwidrig erscheinen lassen (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 30.5.2006 - 4 A 535/04 -, juris). Das ist hier nicht der Fall.

Hauptanwendungsfall der früheren Parallelvorschrift des § 107 BSHG war die Abschiebung eines Hilfesuchenden in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers, da dort der tatsächliche Aufenthalt für die Zuständigkeit des Leistungsträgers maßgeblich gewesen ist. Dieser Anwendungsfall ist nach den hier einschlägigen Vorschriften jedoch nicht von Bedeutung, da ohnehin auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt wird.

Darüber hinaus fehlt es auch an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Beklagte nach dem aufgezeigten Maßstab pflichtwidrig gehandelt hat. Zwar hat er am 28.5.1998 K. S. in das Hoheitsgebiet des Klägers gebracht. Dies geschah jedoch zum einen auf eigenen Wunsch der K. S. . Zudem hatte diese vor Begründung ihres gewöhnlichen Aufenthaltes beim Beklagten im Hoheitsgebiet des Klägers gelebt, ohne Jugendhilfemaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Zum Zeitpunkt des Rücktransportes des Mädchens in das Hoheitsgebiet des Klägers lag auch zunächst kein Antrag auf eine Jugendhilfemaßnahme beim Beklagten vor. Der entsprechende Antrag des Amtsvormundes ging erst am .5.1998 beim Beklagten ein. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zuvor versucht hat, mit den Jugendämtern des Beklagten wie auch des Main-Tauber-Kreises eine einvernehmliche Abstimmung der Verfahrensweise zu finden. Die entsprechenden Telefonvermerke sind in der nunmehr vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte enthalten. Ein Fax des Klägers mit dem Antrag an den Beklagten, Maßnahmen nach § 86d SGB VIII zu treffen, ging erst beim Beklagten ein, nachdem der Transport im Gange war.

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts im vorliegenden Fall nicht ohne Weiteres zu beantworten gewesen ist. Es handelte sich um eine schwierige Frage. Die hierzu vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung erweist sich nicht als in jeder Hinsicht unvertretbar oder willkürlich. Auch sonst fehlt es an Anhaltspunkten für eine Pflichtwidrigkeit des Beklagten.

Die Kostenentscheidung für das folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2, 2. Teilsatz VwGO nicht gerichtskostenfrei, da es sich um eine Erstattungsstreitigkeit zwischen Sozialleistungsträgern handelt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 13 Abs. 2 GKG a. F., § 72 Nr. 1 GKG auf 50.462,04 € festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a. F., § 72 Nr. 1 GKG)

Ende der Entscheidung

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