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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 01.08.2005
Aktenzeichen: 5 BS 133/05
Rechtsgebiete: BAföG


Vorschriften:

BAföG § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3
BAföG § 60 Nr. 1
1. Der Verweis auf § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG in § 60 Nr. 1 BAföG ermöglicht einem Auszubildenden, der unter § 60 BAföG fällt, die Aufnahme einer förderungsfähigen Ausbildung auch nach dem 01.01.2003, wenn ihn persönliche oder familiäre Gründe an einem rechtzeitigen Ausbildungsbeginn gehindert haben.

2. Maßgeblich für das Vorliegen zwingender Hinderungsgründe ist der gesamte Zeitraum zwischen dem 01.07.1994 (In-Kraft-Treten des § 60 BAföG) und dem Zeitpunkt der Aufnahme der Ausbildung.

3. Neben § 60 Nr. 1 BAföG stehen Verfolgten nach § 1 BerRehG bzw. verfolgten Schülern nach § 3 BerRehG auch die Ausnahmetatbestände des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 - 4 BAföG zu, wenn deren tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: 5 BS 133/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen BAföG; Antrag nach § 123 VwGO

hier: Beschwerde

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schaffarzik und den Richter am Verwaltungsgericht Büchel am 1. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. in B. wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28. April 2005 - 13 K 614/05 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen, denn die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor. Nach § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 166 VwGO wird einem Beteiligten, der auf Grund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwaltes seiner Wahl gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hier fehlt es jedenfalls an der hinreichenden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28.4.2005 - 13 K 614/05 - bleibt ohne Erfolg.

Die vom Antragsteller gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - dargelegten Gründe geben keine Veranlassung für eine Abänderung des mit der Beschwerde angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Diese Gründe, auf die es nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für die Entscheidung des Senats ankommt, rechtfertigen nicht die Annahme, das Verwaltungsgericht habe den Antrag auf vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners auf Bewilligung von Ausbildungsförderung dem Grunde nach zu Unrecht abgelehnt. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist davon auszugehen, dass dieser Antrag zu Recht abgelehnt wurde.

Der Antragsteller stützt seine Beschwerde darauf, dass sich das Verwaltungsgericht bei seiner Beschlussfassung von einem fehlerhaften Verständnis des § 60 Nr. 1 BAföG habe tragen lassen. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht die Regelung in dessen 2. Halbsatz fehlverstanden, wonach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG unberührt bleibe. Es handele sich deswegen nicht um eine gesetzliche Ausschlussfrist, sondern der Gesetzgeber habe bewusst weitere altersunabhängige Ausnahmen für eine Ausbildungsförderung vorgesehen. Bei § 60 Nr. 1 BAföG komme es nicht darauf an, welche Zeit der Auszubildende zwischen dem Ende der Verfolgungsmaßnahme und dem Beginn der Ausbildung habe vergehen lassen und ob er zu Beginn der Ausbildung die Altersgrenze von 30 Jahren bereits überschritten habe. Nicht zuletzt aus Gleichheitsgesichtspunkten folge, dass eine Verhinderung aus persönlichen oder familiären Gründen, die Ausbildung innerhalb des vorgegebenen Zeitraumes zu beginnen, auch in Fällen des § 60 Nr. 1 BAföG zu berücksichtigen sei. Eine solche Verhinderung des Antragstellers liege hier vor, denn er habe wegen seiner Erkrankung das Studium nicht bis zum 01.01.2003 aufnehmen können.

Es kann hier dahinstehen, ob dem Antragsteller in seiner Rechtsauffassung zu folgen ist, dass es sich bei der in § 60 BAföG normierten Beschränkung der Förderung auf Ausbildungsabschnitte, die vor dem 1.1.2003 begonnen haben, nicht um eine gesetzliche Ausschlussfrist handele. Jedenfalls wäre diese durch § 60 Nr. 1 2. Halbsatz BAföG durchbrochen. Der Gesetzgeber hat durch den Verweis auf § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG klargestellt, dass persönliche oder familiäre Gründe - und nur diese - in Fällen des § 60 Nr. 1 BAföG zu einer Ausbildungsförderung unabhängig von der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG führen können, selbst wenn die Ausbildung nicht zum 1.1.2003 begonnen worden ist. Diese Regelung ist insoweit missverständlich, als sie in § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG zu einer Durchbrechung der förderungsrechtlichen Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG führt, während ihr Bezugspunkt in § 60 Nr. 1 BAföG der Ausbildungsbeginn zum 1.1.2003 ist. Gemeint ist, dass ein Auszubildender, der unter § 60 BAföG fällt, auch nach Ablauf des 1.1.2003 eine förderungsfähige Ausbildungsmaßnahme beginnen kann, wenn ihn persönliche oder familiäre Gründe an einem rechtzeitigen Beginn gehindert haben.

Wie im Falle einer direkten Anwendung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG ist auch bei § 60 Nr. 1 BAföG zu verlangen, dass der Auszubildende nachweist, im gesamten Zeitraum (also hier bis zum 1.1.2003) an der rechtzeitigen Aufnahme des Studiums gehindert gewesen zu sein. Ein Förderungsbewerber ist an einer rechtzeitigen Aufnahme einer Ausbildung gehindert, wenn er aus von ihm nicht zu vertretenden, in seinen persönlichen Lebensverhältnissen liegenden Gründen eine objektiv gegebene Chance, eine seiner Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung zu beginnen, bis zum Erreichen der Altersgrenze, hier jedoch des 01.01.2003 nicht wahrnehmen konnte. Wie in den Fällen des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG ist für die Frage des Vertretenmüssens auf den gesamten Zeitraum vor dem 1.1.2003 abzustellen, in dem dem Auszubildenden die Ausbildungsaufnahme objektiv möglich gewesen wäre (vgl. zu § 10 Abs. 3 BAföG: BVerwG, U. v. 9.5.1985 - 5 C 48/82 -, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 8; zu ; B. v. 8.3.1989 - 5 B 17/89 -, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 15; B. v. 6.11.1991 - 5 B 121/91 -, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 18 zu VGH Baden-Württemberg, U. v. 15.4.1991 - 7 S 728/90 -, juris-Nr.: MWRE109469100; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 10.5.1990 - 12 A 10170/90 -, juris-Nr.: MWRE112039015). Denn das Tatbestandsmerkmal "rechtzeitig" kann sich bei § 60 Nr. 1 2. Halbsatz nur auf den Zeitraum zwischen seinem In-Kraft-Treten (am 1.7.1994 im Rahmen des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994) und dem 1.1.2003 beziehen. Aus persönlichen oder familiären Gründen ist der Auszubildende an der Aufnahme der Ausbildung nur gehindert, wenn diese Gründe für eine verspätete Ausbildungsaufnahme ausschlaggebend waren. Das ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn es dem Auszubildenden im gesamten Zeitraum vom 1.7.1994 bis zum 1.1.2003 durch eine lückenlose Kette von zwingenden Hinderungsgründen unmöglich gewesen ist, die Ausbildung zu einem früheren Zeitpunkt zu beginnen. Entgegen der vom Antragsteller in der Antragsschrift vom 31.3.2005 vertretenen Rechtsauffassung ist es auch für § 60 Nr. 1 BAföG nicht unerheblich, welche Zeit der Auszubildende zwischen dem Ende der Verfolgungsmaßnahme und dem Beginn der Ausbildung hat verstreichen lassen. Denn § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG setzt auch in diesen Fällen einen rechtzeitigen Ausbildungsbeginn als Normalfall voraus, so dass die zwingenden Hinderungsgründe den gesamten Zeitraum abdecken müssen, in dem die Aufnahme des Studiums möglich gewesen wäre. Die Gewährung von Ausbildungsförderung ist deshalb nicht schon dann gerechtfertigt, wenn der Auszubildende nur in den letzten ein oder zwei Jahren vor dem 1.1.2003 an der Ausbildungsaufnahme gehindert war. Erforderlich ist vielmehr, dass es ihm auch in der davor liegenden Zeit möglich und zumutbar war, die Ausbildung zu beginnen (vgl. BVerwG, B. v. 8.3.1989 - 5 B 17/89 -, NVwZ-RR 1989, 560; B. v. 6.4.1988 - 5 B 152/87 -, Buchholz 436.36 § 10 Nr. 13; B. v. 10.2.1983 - 5 C 66/80 -, Buchholz 436.36 § 10 Nr. 7).

Die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG ist Ausdruck der jugendpolitischen Zielsetzung des BAföG (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 11.6.2003 - 7 S 82/01 -, juris-Nr.: MWRE112910300 m.w.N.). Von dieser Zielsetzung weicht § 60 Nr. 1 BAföG nicht dadurch ab, dass er für die durch ihn geregelten Fälle diese Altersgrenze durchbricht. Denn dies ist auch bei den von § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG erfassten Fallkonstellationen so. Durch den Verweis auf § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG einschließlich des unbestimmten Tatbestandsmerkmales "rechtzeitig" hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er auch in den Fällen des § 60 BAföG ein Zeitmoment verlangt.

Der Antragsteller war nicht an einer rechtzeitigen Aufnahme seines Studiums i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG gehindert. Die Gesamtschau des Ausbildungs- und Berufsweges des Antragstellers zeigt, dass er vor dem 1.1.2003 über mehrere Jahre hinweg die Gelegenheit hatte, ein Studium aufzunehmen. Einer Aufnahme des Studiums bereits unmittelbar nach In-Kraft-Treten des § 60 Nr. 1 BAföG stand zunächst nichts entgegen. Insbesondere besaß der Antragsteller damals bereits die Zugangsberechtigung für ein Hochschulstudium. Auch hatte das Landgericht Dresden bereits unter dem 30.3.1993 die strafrechtliche Rehabilitierung des Antragstellers ausgesprochen.

Die vom Antragsteller angeführten persönlichen Gründe reichen hingegen nicht aus, die geforderte Kette zwingender Hinderungsgründe zu belegen. Seinem eigenen Vortrag zufolge erkrankte der Antragsteller erst am 26.9.2001 und somit etwa sieben Jahre nach In-Kraft-Treten des § 60 BAföG. Zwingende Hinderungsgründe während dieses Zeitraumes über sieben Jahre sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsteller im Verlauf des Verwaltungsverfahrens bereits vorgebracht, er habe erst während seiner Krankheit Kenntnis davon erhalten, dass er ein in DDR-Zeiten verhindertes Studium nachholen könne. Erst nach dem "OK der Mediziner" habe er mit seinen Bemühungen, ein Studium aufzunehmen, begonnen (vgl. Schreiben Vw-Akte, Seite 11). Die Unkenntnis der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen stellt jedoch keinen zwingenden Hinderungsgrund dar.

Neben § 60 Nr. 1 BAföG stehen dem Antragsteller zudem grundsätzlich auch die Ausnahmetatbestände zur altersgrenzenunabhängigen Ausbildungsförderung in direkter Anwendung des § 10 BAföG zu, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen in seiner Person gegeben sind. Denn § 60 Nr. 1 BAföG verdrängt § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG nicht, sondern ergänzt ihn um einen weiteren Tatbestand für den begrenzten Personenkreis der Verfolgten nach § 1 bzw. der verfolgten Schüler nach § 3 BerRehG. Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht auch geprüft, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG in der Person des Klägers vorliegen, und dies mit der zutreffenden Begründung verneint, dass allenfalls § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG in Betracht komme. Dessen Voraussetzungen liegen jedoch - wie bereits dargelegt - nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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