Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.05.2009
Aktenzeichen: A 4 B 229/07
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG


Vorschriften:

AsylVfG § 3 Abs. 1
AsylVfG § 77
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7
Angehörigen der Volksgruppe der Roma droht weder in Serbien noch im Kosovo eine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 4 B 229/07

Verkündet am 19.5.2009

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Flüchtlingsanerkennung und Abschiebungsschutz

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein aufgrund der mündlichen Verhandlung

am 19. Mai 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufungen der Beklagten und des Beteiligten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 20. November 2006 - A 6 K 1399/02 - geändert. Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte und der Beteiligte wenden sich gegen ein Urteil, durch das die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung der Kläger verpflichtet wurde.

Der.... geborene Kläger zu 1. und die.... geborene Klägerin zu 2. sind muslimische Angehörige der Roma aus dem Kosovo. Die albanisch sprechenden Kläger verließen den Kosovo Anfang März 2001 und reisten über Montenegro auf dem Landweg nach Deutschland ein. Am 13.3.2001 stellten sie Asylanträge.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - vom 26.4.2001 gab der Kläger zu 1. an, er habe zuletzt in ..... (Kosovo) gelebt. Seit 1994 sei er mit der Klägerin zu 2. verheiratet. Aus erster Ehe habe er eine.... geborene Tochter, die in Deutschland lebe. Seine fünf Geschwister lebten ebenfalls in Deutschland. Nach dem Besuch der Grundschule habe er ab dem 15. Lebensjahr bis zur Ausreise am 5.3.2001 als Schmied und Scherenschleifer gearbeitet. Wehrdienst habe er von 1984 bis Juli 1985 als Soldat der Infanterie geleistet. Zu seinen Asylgründen machte der Kläger zu 1. geltend, die Klägerin zu 2. und er seien als Angehörige der Roma von Kosovo-Albanern bedroht und misshandelt worden. Vor dem Krieg im Kosovo habe es im Zusammenleben mit den Kosovo-Albanern keine Probleme gegeben, nach dem Krieg hätten sich die Verhältnisse jedoch geändert. Kosovo-Albaner hätten Roma als Zigeuner beschimpft und verlangt, dass sie den Kosovo verlassen. Ausgereist seien sie wegen eines Vorfalls vom 5.3.2001. Am frühen Morgen dieses Tages seien fünf unbekannte bewaffnete Männer in grün-braunen UCK-Uniformen - wohl ehemalige UCK-Kämpfer - in das Haus der Kläger gekommen und hätten sie beschimpft. Er selbst sei geschlagen worden. Die Männer hätten ihnen vorgeworfen, sich immer noch im Kosovo aufzuhalten. Sie hätten die Klägerin zu 2. in ein Zimmer gesperrt, die Tür jedoch später wieder aufgeschlossen. Dann hätten die Männer das Haus angezündet. Die Kläger seien in den nahen Wald geflüchtet und zu Fuß nach Montenegro aufgebrochen. In der Straße habe es etwa fünfzig Häuser gegeben; in vier Häusern hätten Romafamilien gewohnt. Von diesen vier Häusern seien drei bereits Monate zuvor niedergebrannt worden. Die bewaffneten Männer hätten ihnen gesagt, dass sie "abhauen" sollten, sonst würde man sie umbringen. KFOR-Truppen seien in etwa 10 bis 15 Minuten Entfernung vom Haus stationiert gewesen. Der Kläger zu 1. wisse nicht, wo er im Falle einer Rückkehr wohnen solle. Das Haus sei ja niedergebrannt. Außerdem habe er Angst vor den Kosovo-Albanern, die ihnen wegen ihrer Volkszugehörigkeit feindlich gesonnen seien. Kein Mitglied der Großfamilie lebe mehr im Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien.

Die Klägerin zu 2. verwies bei ihrer Anhörung vom 26.4.2001 auf die Ausführungen des Klägers zu 1. Einen Beruf habe sie nicht erlernt, sie habe auch nicht gearbeitet. Konkreter Anlass für die Flucht sei gewesen, dass am Morgen des 5.3.2001 fünf Männer zu ihnen gekommen seien. Die Männer hätten sie beschimpft und sie, die Klägerin zu 2., in ein Zimmer eingesperrt. Dort habe sie laut geschrien. Sie hätten sie wieder aus dem Zimmer herausgelassen und geschlagen. Dann hätten sie sie zu ihrem Mann gebracht. Mit ihm habe sie das Haus fluchtartig verlassen. Eine Rückkehr in die Heimat sei wegen des Vorfalls vom 5.3.2001 ausgeschlossen, Roma seien im Kosovo unerwünscht.

Mit Bescheid vom 20.9.2002 lehnte das Bundesamt die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab. Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte die Kläger auf, Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Darüber hinaus wurde den Klägern eine Abschiebung in die "Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo)" angedroht.

Die Kläger haben am 4.10.2002 vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, sie würden als Angehörige der Roma im Kosovo verfolgt. Die Klägerin zu 2. legte darüber hinaus mehrere ärztliche Bescheinigungen vor, nach denen sie seit 2002 in ärztlicher Behandlung sei. Nach dem Attest vom 22.9.2006 litt die Klägerin an migränoidem Kopfschmerz und Spannungskopfschmerz, einem Zervikalsyndrom, CTÜ(= Cervicothoraler Übergang)-Blockierungssyndrom und einer depressiven Angststörung, wobei eine Medikamentengabe während der Schwangerschaft und Stillperiode nicht möglich gewesen sei.

Mit Beschluss vom 20.11.2006 trennte das Verwaltungsgericht die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte das abgetrennte Verfahren mit Beschluss vom 24.11.2006 - A 6 K 657/06 - nach insoweit erfolgter Klagerücknahme ein.

Mit Urteil vom 20.11.2006 - A 6 K 1399/02 - verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung, dass bei den Klägern die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Serbiens vorliegen und hob Nr. 2 und 3 des Bescheides des Bundesamts vom 20.9.2002 sowie Nr. 4 des Bescheids auf, soweit den Klägern die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien angedroht wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, den Klägern drohe als Angehörigen der Roma eine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure.

Gegen das ihr am 11.12.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15.12.2006 die Zulassung der Berufung beantragt. Auf diesen Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 24.4.2007 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Der Beteiligte hat gegen das ihm am 12.12.2006 zugestellte Urteil am 19.12.2006 ebenfalls die Zulassung der Berufung beantragt. Auf diesen Antrag hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 7.5.2007 ebenfalls zugelassen und das zugelassene Berufungsverfahren mit dem Berufungsverfahren der Beklagten zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Beklagte verweist zur Begründung ihrer Berufung auf die Ausführungen in ihrem Zulassungsantrag und trägt vor, die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung von Angehörigen der Roma lägen weder in Serbien noch im Kosovo vor. Sie beantragt schriftsätzlich, die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils im Umfang der Berufungszulassung abzuweisen.

Der Beteiligte hat seine Berufung am 7.6.2007 begründet. Er führt aus, die Kläger hätten keinen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung; ebenso wenig bestehe ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Wegen der serbischen Staatsangehörigkeit der Kläger komme es trotz der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und seiner teilweisen staatlichen Anerkennung vorrangig auf die Verhältnisse in der Republik Serbien an. Das kosovarische Staatsangehörigkeitsrecht lasse eine Mehrstaatigkeit zu. Die für eine staatliche Gruppenverfolgung geltenden Grundsätze seien auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar. Gründe für die Anwendung eines herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs lägen nicht vor. Eine hinreichende Verfolgungsdichte für Angehörige der Roma bestehe weder in Serbien noch im Kosovo. Mit der einhelligen obergerichtlichen Spruchpraxis ließen sich auch keine extremen Leibes- oder Lebensgefahren feststellen, die zur Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen könnten. Aus der Qualifikationsrichtlinie ergebe sich letztlich nichts anderes. Die Abschiebungsandrohung beziehe sich bei verständiger Auslegung nur auf die Republik Serbien als Rechtsnachfolgerin der Bundesrepublik Jugoslawien.

Der Beteiligte beantragt schriftsätzlich,

die Klage unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung abzuweisen.

Die Kläger verteidigen das angegriffene Urteil. Als Angehörige der Roma drohe ihnen nach wie vor Verfolgung.

Sie beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der Verkündung des Senatsurteils am 19.5.2009 wurden dem Gericht am 22.5.2009 mehrere Schriftstücke per Telefax übermittelt, aus denen sich ergibt, dass sich der Kläger zu 1. um eine Arbeitsaufnahme bemüht. Einen Absender lässt das Telefaxschreiben nicht erkennen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Chemnitz A 6 K 1399/02 und A 6 K 657/06, die Senatsakten A 4 B 894/06, A 4 B 902/06 und A 4 B 229/07 sowie die Behördenakte des Bundesamts verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl weder die Beklagte noch der Beteiligte in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 125 Abs. 1, § 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Bundesbeauftragten, dessen Beteiligungsrecht aus § 87b AsylVfG i. V. m. § 6 AsylVfG a. F. folgt, sind begründet. Das angefochtene Urteil ist zu ändern, weil die Kläger jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (siehe 1.) noch einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots haben (siehe 2.). Dies gilt sowohl hinsichtlich Serbiens als auch hinsichtlich des Kosovo.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Flüchtlingsanerkennung (§ 60 Abs. 1 AufenthG), hilfsweise - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - die Feststellung von Abschiebungsverboten (zur sachdienlichen Antragstellung: BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, BVerwGE 131, 198). Über einen Anspruch der Kläger auf Asylanerkennung hat der Senat dagegen nicht mehr zu entscheiden.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798) sowie § 60 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162). Damit sind auch die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl. I S. 1970) eingetretenen Rechtsänderungen zugrunde zu legen.

1. Einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 4 AsylVfG haben die Kläger nicht. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG, auf den die vorgenannte Vorschrift Bezug nimmt, ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist.

Einer solchen Bedrohung sind die Kläger weder in Serbien noch im Kosovo ausgesetzt; einer abschließenden Klärung ihrer Staatsangehörigkeiten bedarf es insoweit nicht.

Die Kläger sind im Jahr 2001 als Staatsangehörige der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien ausgereist. Da die Republik Serbien Rechtsnachfolgerin der Bundesrepublik Jugoslawien wurde, ist mangels eines anderweitigen Klägervorbringens - und sonstiger greifbarer Anhaltspunkte (wie etwa der Ausstellung kosovarischer Reisepässe) - von einer serbischen Staatsangehörigkeit der Kläger auszugehen, wie sie für die Klägerin zu 2. durch den in Kopie vorgelegten Staatsangehörigkeitsnachweis der Republik Serbien vom 3.12.2007 belegt wurde. Ob die seit 2001 in Deutschland lebenden Kläger, die eine dauerhafte Rückkehr in den Kosovo nicht beabsichtigen, wegen ihrer kosovarischen Herkunft zugleich Staatsangehörige der - völkerrechtlich nicht durchweg anerkannten - Republik Kosovo sind (zur Erstreckung der Staatsangehörigkeit auf einen solchen Personenkreis siehe VGH BW, Urt. v. 24.9.2008, NVwZ-RR 2009, 354 f.), mag dahinstehen. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet jedenfalls deshalb insgesamt aus, weil den Klägern weder in Serbien noch im Kosovo eine Verfolgung i. S. v. 60 Abs. 1 AufenthG droht (zum Prüfungsmaßstab bei mehrfacher Staatsangehörigkeit BVerwG, Beschl. v. 10.8.2006, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 340).

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Gemäß Satz 4 dieser Vorschrift kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Gemäß Satz 5 sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12) - nachfolgend Qualifikationsrichtlinie - ergänzend anzuwenden.

Nach diesem Maßstab droht den Klägern Verfolgung weder in Serbien noch im Kosovo. Eine Verfolgung durch den Staat oder durch Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des serbischen oder kosovarischen Staatsgebiets beherrschen, machen die anwaltlich vertretenen Kläger nicht geltend. Sie verweisen ausschließlich auf eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen der Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Roma. Die Annahme einer solchen Verfolgung setzt voraus, dass die Kläger als Angehörige dieser Minderheit "wegen ihrer Rasse bedroht" sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), dass der Staat, die Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staates beherrschen, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten und dass keine innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).

Nicht anders als eine staatliche Gruppenverfolgung setzt die von den Klägern geltend gemachte Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure voraus, dass jedes im Verfolgungsgebiet lebende Gruppenmitglied wegen der Gruppenzugehörigkeit von Verfolgung betroffen ist. Dies setzt Verfolgungshandlungen gegen die Gruppe voraus, die so intensiv und zahlreich sind, dass jedes einzelne Mitglied der Gruppe daraus die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit ableiten kann; daran hat die Qualifikationsrichtlinie nichts geändert (siehe BVerwG, Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris, m. w. N.). Eine solche Verfolgungsdichte, die die Regelvermutung eigener Verfolgung begründet, lässt sich für Angehörige der Roma weder in Serbien noch im Kosovo feststellen.

Für Serbien weist der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 22.9.2008 aus, dass die Anzahl der Angehörigen der Roma-Minderheit nach grober Schätzung von Roma-Verbänden und internationalen Nicht-Regierungs-Organisation über 500.000 liege (Lagebericht S. 14). Nach dem Lagebericht soll die Polizei nicht aktiv genug gegen Übergriffe auf Minderheiten vorgehen, wobei "Einzelfälle" immer wieder über die Medien bekannt würden. Anzeigen von Roma wegen Körperverletzungen führten nicht nur nach geltendem Recht, sondern auch in der Praxis zu Gerichtsprozessen, wobei Übergriffe nur zögerlich verfolgt würden. Angehörige von diskriminierten Minderheiten hätten Ausweichmöglichkeiten innerhalb Serbiens, wobei Belgrad als "Auffangbecken" gelte. 12 % der Einwohner Belgrads gehörten Minderheiten an; auch die Großstädte der Wojwodina gälten als tolerant (Lagebericht S. 17). Andere Erkenntnismittel, die eine Gruppenverfolgung von Roma in Serbien auch nur ansatzweise belegen könnten, liegen nicht vor.

Im Kosovo gibt es nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 2.2.2009 mehr als 30.000 Angehörige der Roma (davon wohl 23.000 Ashkali und Ägypter), wobei der UNHCR Ashkali und Ägypter nicht mehr zur Gruppe der Personen mit einem fortbestehenden Bedürfnis nach internationalem Schutz zählt (Lagebericht S. 16). Eine Volkszählung im Jahr 1991 habe 42.000 Roma auf dem Gebiet des Kosovo ergeben, nach Angaben von Roma-Verbänden habe die Anzahl der Roma mit rund 120.000 deutlich höher gelegen. Nach Amnesty International (Asyl-Info 2009, S. 6) wurden im März 2004 4.100 Angehörige von Minderheiten durch ethnisch motivierte Gewalttaten vertrieben, darunter auch Roma. Im Anschluss an den Einsatz der NATO hätten Albaner zahlreiche Häuser der Roma zerstört. Viele Angehörige der Roma lebten heute in extremer Armut, nahezu alle Roma seien von Arbeitslosigkeit betroffen. Seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008 habe sich die Lage der Roma nicht verbessert; Roma seien von den sozialen Sicherungssystemen faktisch ausgeschlossen und kaum in der Lage, sich eine medizinische Grundversorgung zu leisten. Aktionspläne zur Integration von Roma, Ashkali und Ägyptern seien im Kosovo bislang nicht umgesetzt werden. Auf gewaltsame Repressionen durch nichtstaatliche Akteure - wie sie von den Klägern geltend gemacht werden - verweist Amnesty International dagegen nicht. Das Positionspapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 10.10.2008 weist aus, dass es seit den progromartigen Ausschreitungen von März 2004 zu keinen größeren Übergriffen gegen Roma-Gemeinschaften gekommen sei. Angehörigen der Roma, Ashkali und Ägypter drohe "in Einzelfällen" noch asylrelevante Verfolgung, wenn sie im Verdacht der Kollaboration mit der ehemaligen serbischen Verwaltung oder der Teilnahme an Plünderungen stünden. Während der vergangenen Jahre habe sich die Sicherheitssituation der Roma-Gemeinschaften allmählich verbessert. Die Sicherheitslage im Kosovo sei insgesamt auch für ethnische Minderheiten stabil. Im Bereich ihrer Siedlungen drohten den Angehörigen der Roma im Allgemeinen keine Gewaltakte. Diese Einschätzung wird durch den Lagebericht des Auswärtigen Amts bestätigt, nach dem die Anzahl ethnisch motivierter Vorfälle von 62 im Jahr 2006 auf 24 im Jahr 2007 gefallen sei (S. 14). Im Rahmen groß angelegter Wiederaufbauprojekte seien umfangreiche Baumaßnahmen durchgeführt worden, um eine dauerhafte Rückkehr von Roma etwa in der Siedlung Roma Mahala zu ermöglichen (Lagebericht S. 16 f.).

Ausgehend von diesen Erkenntnismitteln, deren Aussagekraft die Kläger nicht bezweifelt haben, bestehen jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch hinsichtlich des Kosovo keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Roma (ebenso für Ashkali VGH BW v. 24.4.2008 - A 6 S 1026/05 -, juris).

Mit Blick auf die von den Klägern geltend gemachte Vorverfolgung durch fünf Kosovo-Albaner, die nach ihrem übereinstimmenden Vorbringen im Asylverfahren am 5.3.2001 in das gemeinsam bewohnte Haus eingedrungen sind, die Kläger wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma misshandelt und das Haus schließlich in Brand gesteckt haben, ist eine Verfolgung i. S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG ebenso wenig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen.

Mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Vorlagebeschl. v. 7.2.2008 - 10 C 33.77 -, juris Rn. 35 ff.) ist - auch unter der Geltung der Qualifikationsrichtlichtlinie, die keine eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe festlegt - hier der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit zugrunde zu legen.

Aufgrund der insoweit glaubhaften Schilderung des Klägers zu 1. in der mündlichen Verhandlung geht der Senat davon aus, dass die Kläger im März 2001 eine "Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit" (siehe BVerwG, Beschl. v. 5.5.2003, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 271 m. w. N.) durch nichtstaatliche Akteure erlitten haben, also vorverfolgt aus der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien ausgereist sind.

Trotz dieser Vorverfolgung ist den Klägern eine Rückkehr sowohl nach Serbien als auch in den Kosovo zumutbar, weil sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats ernsthafte Bedenken an der Verfolgungssicherheit der Kläger insoweit ausschließen lassen.

Für Serbien gilt dies nicht nur deshalb, weil sich die Kläger vor ihrer Ausreise nie im Staatsgebiet der heutigen der Republik Serbien (ohne Kosovo) aufgehalten haben. Die in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel bieten keine greifbaren Hinweise für die Annahme, dass zurückehrende Roma wie die Kläger wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder aus anderen Gründen Verfolgung i. S. v. § 60 Abs. 1 AufenthG droht. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Positionspapier vom 10.10.2008) hält eine zwangsweise Rückkehr von Roma nach Serbien wegen der schwierigen Lebensverhältnisse für unzumutbar, belegt aber keine Fälle der asylrelevanten Verfolgung.

Hinsichtlich des Kosovo steht eine hinreichende Verfolgungssicherheit der Kläger ebenfalls zur Überzeugung des Senats fest. Die vorliegenden Erkenntnismittel lassen allenfalls geringe Zweifel an der Sicherheit der Kläger im Falle einer Rückkehr in den Kosovo zu. Weder der aktuelle Lagebericht noch andere Erkenntnismittel aus jüngerer Zeit lassen auf eine landesweit drohende Verfolgung zurückkehrender Roma schließen, auch wenn die wirtschaftliche und soziale Lage dieser ethnischen Minderheit nach wie vor als desolat bezeichnet werden muss. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Positionspaper vom 10.1.2008), die eine Rückkehr von Roma in den Kosovo als unzumutbar ansieht, beschreibt die Lage der abgeschottet von der "Außenwelt" lebenden Roma-Gemeinschaften als relativ sicher, wobei eine "asylrelevante Verfolgung" in "Einzelfällen" nur solchen Angehörigen von Minderheiten drohe, die im Verdacht der Kollaboration mit der früheren serbischen Verwaltung oder der Teilnahme an Plünderungen stünden. Zu diesem Personenkreis zählen die Kläger auch nach eigenem Vorbringen nicht.

Soweit der Kläger zu 1. - erstmals in der mündlichen Verhandlung des Senats - geltend gemacht hat, dass die Männer, die das Haus der Familie im Jahr 2001 zerstört hätten, Bekannten der Kläger bei einem Aufenthalt im Heimatort ausgerichtet hätten, die Kläger "sollten nicht mehr zurückkommen", ist der Senat von der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens nicht überzeugt. Die entsprechenden Angaben des Klägers zu 1. waren detailarm und zu vage, als dass sich der Senat von ihrer Richtigkeit hätte überzeugen können.

Im Hinblick auf die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehende Verfolgungssicherheit der Kläger in Serbien und in Kosovo bestehen auch "stichhaltige Gründe" i. S. v. Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie dagegen, dass die Kläger trotz ihrer bereits erlittenen Verfolgung im Falle einer Rückkehr erneut von Verfolgung bedroht werden.

Nach alledem haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2. Einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten, wie ihn die Kläger hilfsweise geltend machen, besteht ebenso wenig. Der Verpflichtungsantrag zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ist sachdienlich dahin auszulegen, dass die Kläger in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehren (siehe BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, BVerwGE 131, 198).

Von den vorgenannten Abschiebungsverboten kommt - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - nach dem Berufungsvorbringen der Kläger allenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG mit der Erwägung in Betracht, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin 2. im Falle einer Ausreise nach Serbien oder in den Kosovo verschlimmern werde. Anderweitige Gefahren i. S. v. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG werden von den anwaltlich vertretenen Klägern nicht geltend gemacht und scheiden nach den aktuellen Erkenntnismitteln auch ersichtlich aus (für § 60 Abs. 7 AufenthG siehe VGH BW, Urt. v. 24.4.2008 - A 6 S 1026/05 -, juris zu Roma und Ashkali im Kosovo, OVG Saarland, Beschl. v. 8.2.2008 - 2 A 16/07 -, juris zu Roma).

Bei der Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit oder den ständigen Aufenthalt eines Ausländers an, sondern darauf, ob das Bundesamt für den betreffenden Staat bereits eine Feststellung getroffen oder der Ausländer aus anderen Gründen berechtigten Anlass für die Befürchtung hat, in den jeweiligen Staat abgeschoben zu werden (s. BVerwG, Urt. v. 2.8.2007, BVerwGE 129, 155, 161 f.). Dies betrifft sowohl Serbien als auch den Kosovo.

Einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen hat die Klägerin zu 2. weder hinsichtlich Serbiens noch hinsichtlich des Kosovo. Bei einer Einreise droht ihr keine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands im Sinne der angesprochenen Regelung. Nach den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen leidet die Klägerin zu 2. an migränoidem Kopfschmerz, an Spannungskopfschmerz, einem Zervikalsyndrom (Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule), einem CTÜ (= Cervicothoraler Übergang)-Blockierungssyndrom, an Refluxgastritis sowie einer depressiven Angststörung. Diese Erkrankungen können nach den Erkenntnismitteln, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden, sowohl in Serbien als auch im Kosovo behandelt werden. Angesichts der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu 1., der vor der Ausreise nach Deutschland den Lebensunterhalt der Familie bestritten hat, lässt sich auch nicht feststellen, dass der Klägerin zu 2. der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in einer mit § 60 Abs. 7 AufenthG unvereinbaren Weise verwehrt wäre.

Schließlich ist auch die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 20.9.2002 mit der Zielstaatsbezeichnung "Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo)" trotz der heute abweichenden Zielstaatsbezeichnungen nicht zu beanstanden (siehe VGH BW, Beschl. v. 22.7.2008 - 11 S 1771/08 -, juris m. w. N.).

Nach alledem ist das angegriffene Urteil auf die Berufungen der Beklagten und des Beteiligten zu ändern; die Klagen sind abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Die nachträglich am 22.5.2009 eingegangenen Schriftstücke, die keinen Absender erkennen ließen, gaben zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO) keinen Anlass, zumal das Urteil des Senats bereits mehrere Tage zuvor verkündet worden war.

Ende der Entscheidung

Zurück