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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 15.01.2008
Aktenzeichen: A 4 B 460/07
Rechtsgebiete: EMRK, AufenthG


Vorschriften:

EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
Zur Frage des Abschiebungsschutzes wegen der medizinischen Versorgungslage im Irak.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 4 B 460/07

Verkündet am 15. Januar 2008

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz

hat der 4. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Künzler, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Heinlein

am 15. Januar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15. April 2005 - 2 K 30793/04 - geändert; die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Abschiebungsschutz nach § 60 AufenthG.

Die am in N. geborene - verwitwete - Klägerin ist irakische Staatsangehörige und gehört zur Gruppe der arabischen Schiiten. Am 20.08.2003 reiste sie auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und stellte am 9.9.2003 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 15.11.2004 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz - AuslG - sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Auf ihre am 29. 11. 2004 erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung, dass in der Person der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliege; im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es u. a. aus: Das Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG griffe ein, weil der Klägerin bei Rückkehr in den Irak eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK drohe. Die medizinische Versorgung der Klägerin, die an psychischen (psychosomatisches Syndrom, Angst- und Depressionssyndrom, Schlafstörungen) und körperlichen Erkrankungen (u.a. Arthrose, krankhafte Veränderung von Knochen und Knorpeln, Wirbelsäulenerkrankung mit geschädigter Bandscheibe, Hexenschuss, Bluthochdruck, Übergewicht, Geschwüre im Magen-Darmbereich, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Kreislaufstörungen) leide, sei im Zielstaat nicht gesichert. Als allein stehende, kranke Frau sei die Klägerin einem höheren Gefährdungsrisiko ausgesetzt als die übrige Bevölkerung im Irak.

Die Beklagte beantragte am 17.6.2005 die Zulassung der Berufung gegen das ihr am 6.6.2005 zugestellte Urteil und machte den Zulassungsgrund der Divergenz geltend. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche u. a. vom Urteil des BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - ab, wonach Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG bzw. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK ungeachtet der Rechtsprechung des EGMR regelmäßig nur Platz griffe, wenn der Betroffene im Zielstaat der Abschiebung Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation unterworfen zu werden.

Mit Beschluss vom 10.8.2007 - der Beklagten am 22.8.2007 zugestellt - hat der Senat die Berufung zugelassen. Mit Schreiben vom 29.8.2007 hat sich die Beklagte zur Begründung der Berufung auf ihr bisheriges Vorbringen bezogen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15. April 2005 - A 2 K 30793/04 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie u.a. vor, dass die Berufung unbegründet sei. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK bestünde. Dabei habe es zutreffend auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zurückgegriffen, wonach Art. 3 EMRK auch dann Abschiebungsschutz vermitteln könne, wenn die Gefahr bestünde, dass sich die Gesundheitssituation des Betroffenen im Zielstaat aufgrund der unzureichenden medizinischen Versorgung erheblich verschlechtern würde. Die hiervon abweichende Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts könne im Hinblick auf die sogenannte Qualifikationsrichtlinie nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Klägerin drohe bei Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden im Sinne von Art. 15b der Richtlinie des Rates 2004/83 vom 29.4.2004 (ABlEG Nr. L 304, S. 12 - Qualifikationsrichtlinie [QRL]) bzw. Art. 15c QRL.

Ausweislich einer von der Klägerin vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme einer Internistin vom 2.8.2007 befindet sie sich trotz ihrer Erkrankungen (Arterielles Hypertonie-Syndrom, mäßige Gonarthrose, Adipositas) in einem guten Allgemeinzustand.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Dresden, die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte (eine Heftung) sowie die Senatsakten zu diesem Verfahren verwiesen. Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG zugunsten der Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (Art. 77 AsylVfG) nicht vor (sh.1); soweit hier deshalb der Hilfsantrag der Klägerin in Bezug auf die Feststellung der Voraussetzungen der § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG im Berufungsverfahren anfällt, hat die Klage keinen Erfolg, weil auch die Voraussetzungen hierfür zu dem maßgeblichen Zeitpunkt nicht vorliegen (sh. 2.). 1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685 - EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist hier nicht der Fall. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Bei Abschiebung der Klägerin in den Irak drohen ihr dort diese Gefahren weder im Hinblick auf die unzureichende medizinische Versorgungs- (sh. 1.1) noch im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage (1.2). 1.1 Art. 3 EMRK vermittelt der Klägerin wegen der medizinischen Versorgungslage im Irak keinen Abschiebungsschutz, weil ihr insoweit keine unmenschliche Behandlung, die von den in Art. 3 EMRK angesprochenen Alternativen allein in Betracht kommt, droht. Dies gilt unabhängig davon, ob insoweit auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder diejenige des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abgehoben wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann grundsätzlich nur eine im Zielstaat von einer staatlichen, ausnahmsweise auch von einer staatsähnlichen Herrschaftsmacht begangene oder von ihr zu verantwortende Misshandlung eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK sein (BVerwG, Urt. v. 17. 10. 1995 - 9 C 15.95 - a. a. O. zit. nach juris). Bei Gefahren für Rückkehrer aufgrund der allgemeinen medizinischen Versorgungslage droht eine solche vom Staat oder einer vergleichbaren Macht ausgehende oder zu verantwortende Behandlung nicht (BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris).

Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Auffassung, wonach die Annahme einer unmenschlichen Behandlung nur bei einer Misshandlung im Zielstaat angenommen werden kann, die vom Staat oder einer vergleichbaren Macht ausgeht bzw. zu verantworten ist, trotz der entgegenstehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufrechterhalten und dabei darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer ausreichenden medizinischen Versorgung und Betreuung im Empfangsstaat nur ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG, dem heute § 60 Abs. 7 AufenthG entspricht, begründen könne (BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris). Die Frage, ob dieser Auffassung noch im Hinblick auf Art. 6 QRL, wonach ein ernsthafter Schaden im Sinne von Art. 15 QRL auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann (sh. hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, 55. Aktualisierung, § 60 AufenthG, Rn. 111), gefolgt werden kann, kann der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit offen lassen. Denn auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des EGMR, wonach im Einzelfall selbst die bloße Verschlechterung der Lebenssituation eines Ausländers als Folge unzureichender medizinischer und sozialer Versorgung im Zielstaat Abschiebungsschutz nach Art. 3 EMRK begründen kann (EGMR, Urt. v. 2.5.1997, NVwZ 1998, 161; sh. hierzu auch Hailbronner, a. a. O., § 60 Rn. 107) würde Art. 3 EMRK der Klägerin keinen Abschiebungsschutz wegen der aktuellen medizinischen Versorgungslage im Irak vermitteln.

Nach Auffassung des EGMR begründet Art. 3 EMRK in Fällen, in denen - wie hier - nicht der Vertragsstaat für die Situation des Ausländers im Zielstaat verantwortlich ist, Abschiebungsschutz nur unter besonders außergewöhnlichen Umständen, bei denen eine hohe Schwelle überschritten ist (EGMR, Urt. v. 6.2.2001, NVwZ, 2002, 453). Solche Umstände nimmt der EGMR nur an, wenn sie mit denen vergleichbar sind, die seiner Entscheidung im Verfahren D/Vereinigtes Königreich (NVwZ 1998, 161) zugrunde lagen, das einen an Aids im Endstadium erkrankten Ausländer betraf, dessen Abschiebung er als Verletzung des Art. 3 EMRK qualifizierte. Er begründete dies damit, dass nach seinen Feststellungen der abrupte Entzug der im Vereinigten Königreich vom Antragsteller genossenen medizinischen und karitativen Betreuung höchst dramatische Folgen für ihn hätte. Die Abschiebung würde den Eintritt seines Todes beschleunigen und die reale Gefahr mit sich bringen, dass er im Empfangsstaat unter höchst qualvollen Umständen sterben müsste, da es für ihn dort keine angemessene medizinische Versorgung, keine Unterkunft und keinen Familienrückhalt gebe (sh. EGMR, Urt. v. 2.5.1997, a. a. O.; BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris). Solche außergewöhnliche Umstände liegen hier nicht vor. Der Gesundheitszustand der Klägerin ist mit dem einer an Aids im Endstadium erkrankten Person ersichtlich nicht vergleichbar. Ausweislich der von der Klägerseite vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme einer Internistin vom 2.8.2007 befindet sich die Klägerin trotz ihrer Erkrankungen in einem guten Allgemeinzustand. Ein reales Risiko dafür, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankungen, die - jedenfalls zum Teil - für Menschen ihres Alters typisch sind, alsbald nach Abschiebung in den Irak verschlechtern würde und sie in eine lebensbedrohliche Situation geriete, besteht auch im Hinblick auf die außerordentlich schwierige medizinische Versorgungslage im Irak (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19. Oktober 2007) nicht. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass die Klägerin im Irak ohne verwandtschaftliche Hilfe im Wesentlichen auf sich gestellt wäre.

1.2 Nichts anderes gilt im Ergebnis im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage im Irak. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 2.9.1997 - 9 C 40/96 - zit. nach juris), der der Senat folgt, setzt der angesprochene Begriff der Behandlung ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln im Zielstaat der Abschiebung voraus. Bei Gefahren aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe im Zielstaat allgemein ausgesetzt ist, kann demnach nicht angenommen werden, dass sich das in Rede stehende Handeln auf eine bestimmte Person bezieht. Dass diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit wegen Regelungen in der QRL nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich hierfür nicht Art. 6 QRL fruchtbar machen.

2. Der Antrag der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren in Bezug auf die Feststellung der Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 4 und 7 AufenthG ist ungeachtet seiner Fassung als Hilfsantrag auszulegen, der hier automatisch anfällt, weil der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht teilt (BVerwG, Beschl. v. 24.5.2000 - 9 B 144/00 - zit. nach juris; BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 19/96 - zit. nach juris). Die Klage hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 4 AufenthG ist unbegründet; insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG, dessen Prüfprogramm dem des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK im Wesentlichen entspricht, aus den bereits oben genannten Gründen nicht vor.

Die Klage hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG ist unzulässig, weil der Klägerin hierfür kein Rechtschutzbedürfnis mehr zur Seite steht. Der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung am 15.1.2008 zu Protokoll erklärt, dass die Beklagte die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugunsten der Klägerin feststellen werde, wenn diese keinen anderen Abschiebungsschutz erhalte. Gleichwohl hat die Klägerin an ihrem Klagebegehren auch insoweit festgehalten und dieses nicht etwa für erledigt erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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