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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 13.05.2009
Aktenzeichen: A 5 A 274/08
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: A 5 A 274/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutzes nach § 60 AufenthG

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Düvelshaupt und die Richterin am Verwaltungsgericht von Wedel

am 13. Mai 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 28. April 2008 - A 4 K 990/05 - wird abgelehnt.

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Rechtsanwaltes für das Verfahren in der zweiten Instanz wird abgelehnt.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 28.4.2008 - A 4 K 990/05 - hat keinen Erfolg. Die angeführten Zulassungsgründe greifen nicht durch bzw. werden nicht gemäß den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - dargelegt.

I.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht Chemnitz die auf die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten und auf Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - gerichtete Klage abgewiesen. Das Verwaltungsgericht Chemnitz vertritt im Wesentlichen die Rechtsauffassung, dass dem Kläger wegen seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG - und § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG die Berufung auf das Asylgrundrecht verwehrt sei. Er habe aber auch keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, weil ihm nunmehr eine inländische Fluchtalternative i. S. v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG in Gebieten außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung stehe. Das Verwaltungsgericht geht insoweit davon aus, dass dem Kläger vernünftigerweise zugemutet werden könne, seinen Aufenthalt außerhalb Tschetscheniens in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation zu nehmen. Die Grundversorgung sei gesichert, auch könne der Kläger den für die Registrierung benötigten Inlandspass beschaffen. Schließlich lägen auch keine Anhaltspunkte für Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vor.

Der Kläger hält in seinem auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen beschränkten Zulassungsantrag die Frage für grundsätzlich und entscheidungserheblich, ob Tschetschenen in der Russischen Föderation eine zumutbare Fluchtalternative finden können. Außerdem lägen die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG vor, denn das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz weiche von den Urteilen des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 24.4.2006 - 2 L 10/06 - und 31.3.2006 - 2 L 40/06 - ab. Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt aufgehoben habe (Urt. v. 1.2.2007 - 1 C 24.06), seien die entscheidungserheblichen Fragen weiterhin klärungsbedürftig. Weiterer Vortrag des Klägers erfolgte nach Ablauf der Monatsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG.

II.

1. Der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt nicht vor, weil diese Vorschrift nur die Divergenz eines Verwaltungsgerichts zu dem im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgericht erfasst, nicht aber die Abweichung von der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichtes bzw. Verwaltungsgerichtshofes (ebenso: OVG NW, Beschl. v. 29.3.2004, AuAS 2004, 115; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15 Aufl., § 124 Rn. 12 m. w. N.; zu § 32 AsylVfG a.F. auch BVerfG, Kammerbeschl. v. 26.1.1993, NJW 1993, 1846). Im Übrigen wäre der Zulassungsgrund auch nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügenden Weise dargetan. Für die Eröffnung einer Berufung wegen Divergenz i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG wäre es erforderlich gewesen, dass der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der genannten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hätte. Daran fehlt es hier, denn der Kläger benennt keinen abstrakten Rechtssatz, sondern fasst allenfalls das Ergebnis des dort zur Entscheidung stehenden Sachverhaltes zusammen.

2. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 28.4.2008 bleibt auch im Hinblick auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG ohne Erfolg.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Asylsache nur dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich und obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegung dieser Voraussetzungen erfordert die Bezeichnung der konkreten Frage, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, als auch für das Berufungsverfahren erheblich sein würde. Darüber hinaus muss die Antragsschrift zumindest einen Hinweis auf den Grund enthalten, der die Anerkennung der grundsätzlichen, d. h. über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Sache rechtfertigen soll (SächsOVG, Beschl. v. 6.2.2007 - A 5 B 608/05 -; st. Rspr.).

Die vom Kläger formulierte Grundsatzfrage, "ob Tschetschenen in der Russischen Föderation eine zumutbare Fluchtalternative finden können" ist schon nicht präzise gestellt. Mangels näherer Ausführungen des Klägers bleibt bereits unklar, ob der Kläger die rechtlichen Aspekte der Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für grundsätzlich klärungsbedürftig hält oder ob er mit dem angestrebten Berufungsverfahren die weitergehende Klärung der tatsächlichen allgemeinen Verhältnisse in seinem Herkunftsstaat erreichen will.

In beiden Fällen ist die Berufung indessen nicht zuzulassen. Der bei der Frage der inländischen Fluchtalternative anzuwendende rechtliche Prüfungsmaßstab ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Dieses hat zuletzt in seinem Urteil vom 29.5.2008 (DVBl. 2008, 1251 f.) ausgeführt, hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs des § 60 Abs. 1 AufenthG n. F. werde im Hinblick auf die durch Satz 5 der Vorschrift erfolgte Umsetzung des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG an dem Erfordernis des landesinternen Vergleichs zum Ausschluss nicht verfolgungsbedingter Nachteile und Gefahren nicht mehr festgehalten. Von dem Asylantragsteller könne nur dann vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhalte, wenn er am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d. h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Im Falle fehlender Existenzgrundlage sei eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben; dies gelte auch dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht seien. Für die Frage, ob der Asylantragsteller vor Verfolgung sicher sei und eine ausreichende Lebensgrundlage bestehe, komme es danach allein auf die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet und die persönlichen Umstände des Antragstellers an. Der Senat folgt dieser Rechtsauffassung. Der Zulassungsantrag des Klägers erläutert auch nicht ansatzweise, welche rechtlichen und fallübergreifenden Aspekte der innerstaatlichen Fluchtalternative für Tschetschenen nach Auffassung des Klägers noch ungeklärt sind und inwiefern eine Berufungsentscheidung zu ihrer Klärung führen könnte.

Sollte es dem Kläger um die tatsächliche Bewertung der allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet gehen, zu denen eine aktuelle Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bislang nicht vorliegt, bleibt der Zulassungsantrag ebenfalls ohne Erfolg. Das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil geht in Übereinstimmung mit einer gefestigten und übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass es für tschetschenische Rückkehrer zwar ebenso wie für andere Volksgruppen Schwierigkeiten bei der durch die russischen Gesetze gewährleisteten Möglichkeit der Wahl eines Aufenthaltsortes gebe, diese Schwierigkeiten aber überwindbar seien und sie deswegen grundsätzlich einen legalen Aufenthalt begründen könnten (vgl. OVG Schl.-H., Urt. v. 3.11.2005 - 1 LB 211/01 -, VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.10.2006 - A 3 S 46/06 -, OVG Saarland, Beschl. v. 29.5.2006, - 3 Q 1/06 -, NdsOVG, Beschl. v. 16.1.2007 - 13 LA 67/06 -, BayVGH, Urt. v. 19.6.2006 - 11 B 02.31598 -, OVG Bremen, Urt. v. 31.5.2006 - 2 A 112/06.A - und HessVGH, Urt. v. 2.2.2006 - 3 UE 3021.03.A -, alle Entscheidungen zitiert nach juris, letzteres Urteil allerdings leicht differenzierend: Ob eine Registrierung gelingen könne, hänge von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab). Eine inländische Fluchtalternative mit der Gewährleistung des Existenzminimums sei daher grundsätzlich vorhanden.

Das Vorbringen des Klägers in seinem Zulassungsantrag bietet vor diesem Hintergrund keinen Anlass, diese Frage auch noch durch das Sächsische Oberverwaltungsgericht einer weiteren oder erneuten Klärung in einem Berufungsverfahren zuzuführen. Es reicht für die Bejahung der Klärungsbedürftigkeit nicht aus, dass das angerufene Berufungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht die von den Klägern aufgeworfene Tatsachenfrage noch nicht in einem Berufungsverfahren geklärt hat. Im Hinblick auf Tatsachenfragen, die keine landesrechtlichen Besonderheiten aufweisen, kommt der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe eine vereinheitlichende Wirkung zu. Der Kläger hätte vor dem Hintergrund dieser einhelligen Rechtsprechung deshalb darlegen müssen, dass nicht die der obergerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Erkenntnisse und Feststellungen des Verwaltungsgerichts, sondern vielmehr gegenteilige Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind und hierfür abweichende verwaltungs- oder oberverwaltungsgerichtliche Entscheidungen, gegensätzliche Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen benennen müssen (vgl. HessVGH, Beschl. v. 13.9.2001 - 8 ZU 944/00.A - juris). Dies hat der Kläger auch nicht ansatzweise getan. Sein Vortrag beschränkt sich vielmehr auf das bloße Zitat zweier Urteile des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt, die im Ergebnis "eine inländische Fluchtalternative für Tschetschenen ablehnen". Mit dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz und den von ihm verwendeten Erkenntnismitteln setzt sich der Kläger vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung nicht auseinander.

Die behauptete "Abweichung" als solche begründet vorliegend ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Da sich der Kläger auf die bloße Benennung des Schlagworts "inländische Fluchtalternative für Tschetschenen" beschränkt, vermag der Senat nicht zu erkennen, welche grundsätzlich klärungsbedürftige Tatsachenfrage das Verwaltungsgericht in Abweichung von den genannten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt entschieden haben könnte. Der Kläger behauptet auch nicht, dass sich die Sachverhalte gleichen würden. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, ob die Entscheidung überhaupt auf einer Abweichung bei einer grundsätzlichen Tatsachenbewertung oder auf der Unterschiedlichkeit des Sachverhaltes beruht. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat seine Rechtsprechung und Bewertung der tatsächlichen Lage in Tschetschenien inzwischen jedoch geändert und vertritt nicht mehr die Auffassung, dass es keine inländische Fluchtalternative für Tschetschenen gebe. Es ist in seinem Urteil vom 31.7.2008 (- 2 L 23/06 - juris) zu der Auffassung gelangt, dass Tschetschenen sogar bei einer Rückkehr nach Tschetschenien keine asylrelevante Verfolgung mehr befürchten müssen.

Hinzuweisen ist an dieser Stelle noch auf weitere seit dem Zulassungsantrag des Klägers ergangene obergerichtliche Rechtsprechung, die ebenfalls das grundsätzliche Bestehen einer inländischen Fluchtalternative nicht in Frage stellt: z. B. BayVGH. Urt. v. 11.12.2008 - 11 B 03.31261 -; BayVGH, Urt. v. 12.1.2009 - 11 B 06.30900 -, alle zitiert nach juris.

3. Dem Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nicht entsprochen werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Mit dieser Entscheidung wird das Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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