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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: A 5 B 780/01
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53
AuslG § 53 Abs. 3
AuslG § 53 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: A 5 B 780/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 4 AuslG

hat der 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Kober und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schaffarzik

am 26. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beteiligten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 13. März 2001 - A 4 K 30028/99 - wird zurückgewiesen.

Der Beteiligte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der nach seinen Angaben am 1978 in Q. geborene Kläger macht eine chinesische Staatsangehörigkeit geltend. Er beruft sich darauf, am 1998 mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Am 9.11.1998 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Zur Begründung seines Antrages führte er bei seiner Anhörung am 1998 vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt - aus, am 6.10.1998 von der Provinz Y. aus mit einem LKW aus China ausgereist zu sein. Von seinem Vater habe er den Beruf des Tischlers gelernt und als solcher bei diesem bis zu seiner Ausreise gearbeitet.

China habe er verlassen, da er einer Minderheit angehöre, die von den Han-Chinesen benachteiligt werde. An den Feiertagen hätten die Polizisten immer nach einem Grund gesucht und etwa die Häuser durchsucht. Am Abend des 1.10.1998 habe er mit zwei Freunden und seinem Vater Majiang gespielt. Gegen 21 Uhr hätten drei Personen Einlass begehrt und sich als - zivile - Polizisten ausgegeben. Sodann seien sie des illegalen Glücksspiels bezichtigt worden. Bei der hierauf folgenden Auseinandersetzung habe ein Freund einem der Besucher mit einem Stuhl auf den Kopf geschlagen, woran dieser später gestorben sei. Er und ein Freund seien sofort durch die Hintertür zu einem im gleichen Ort wohnenden Cousin geflohen. Dorthin habe ihm seine Mutter am folgenden Tag 25.000 Yuan gebracht. Am 5.10.1998 sei seine Mutter wieder zu ihm gekommen und habe ihm berichtet, dass sein Vater zu fünf Jahren Haft und sein Freund zum Tode verurteilt worden sei. Am folgenden Tag sei er mit einem Schlepper und dem anderen Freund auf einem LKW versteckt ausgereist.

Politisch betätigt habe er sich nicht. Er sei auch kein Mitglied einer politischen Partei oder Organisation gewesen, hasse aber die chinesische Regierung. Als Minderheit seien sie bei Verstößen gegen die Bestimmungen der Familienplanung härter bestraft worden als die anderen Chinesen und hätten auch höhere Steuern zahlen müssen. Wegen seiner Religionszugehörigkeit habe es aber keine Probleme gegeben.

Für den Fall seiner Rückkehr erwarte ihn der Tod. Er und sein Freund würden wegen des Totschlags mit Steckbrief gesucht.

Mit Bescheid vom 14.1.1999 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Ziffer 2) noch des § 53 AuslG (Ziffer 3) vorliegen. Zugleich forderte sie ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats zu verlassen und drohte ihm widrigenfalls seine Abschiebung - vornehmlich nach China - an (Ziffer 4). Zur Begründung führte sie aus, eine angebliche Beteiligung an Glücksspielen ziehe keine politischen Verfolgungsmaßnahmen nach sich. Die geschilderten Hausdurchsuchungen seien nicht von asylbegründender Eingriffsintensität. Im Übrigen bemühe sich der chinesische Staat um ein spannungsfreies Verhältnis der Han-Chinesen zu den Minderheiten. In Art. 4 der Verfassung verbiete er die Diskriminierung von Minderheiten. Auch Nachfluchtgründe stünden dem Kläger nicht zur Verfügung.

Der Kläger hat am 28.1.1999 gegen die Ablehnung seines Asylgesuchs Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er seine Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zurückgenommen. Ergänzend führte er aus, Ende 1999 erfahren zu haben, dass sein Vater im Gefängnis erschlagen worden sei. Im Oktober 1999 sei dieser verstorben.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 13.3.2001 das Verfahren eingestellt, soweit die Klage zurückgenommen wurde. Im Weiteren hat es die Beklagte unter Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheides des Bundesamtes zu der Feststellung verpflichtet, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich der Volksrepublik China vorliegt. Insoweit hat es auch die Abschiebungsandrohung aufgehoben.

Zur Begründung führte es aus: Dem Kläger stehe ein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG zu, da ihm in seinem Heimatland landesweit unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch chinesische Amtsträger drohe. Sein Tatsachenvortrag zu seiner Individualverfolgung entspreche nach der Überzeugung des Gerichts der Wahrheit.

Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung folge angesichts einer allgemein bekannten Härte der Sanktionen durch die chinesische Strafjustiz aus dem Umstand, dass ein chinesischer Staatsangehöriger, der einen Polizeibeamten in der Weise niedergeschlagen habe, dass dieser blutend am Boden lag, mit einer mindestens mehrmonatigen, wahrscheinlich längeren Haftstrafe zu rechnen habe. Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung sei das Gericht der Überzeugung, dass auch für "normale" Kriminelle im Falle längerer Haftstrafen stets die beachtliche Wahrscheinlichkeit erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung drohe. Amnesty international sei aufgrund ihm vorliegender Informationen der Auffassung, dass sowohl politische Gefangene als auch unter Strafverdacht festgenommene Personen routinemäßig Folterungen unterworfen würden. Gefährdet sei jeder, der bei den Behörden Missfallen errege. Personen aus sozial niedrigen Schichten und/oder mit geringer Schulbildung wie der Kläger seien eher gefährdet, in der Haft und durch die Polizei willkürlich misshandelt zu werden. Da es sich um Willkür handele, bestehe die Gefahr gewissermaßen täglich. Sie liege auch landesweit vor, da es für tatsächlich von den chinesischen Sicherheitsorganen gesuchte Personen kaum möglich sei, sich in den großen Städten längere Zeit versteckt zu halten. Auf dem Land würde der Kläger erst recht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, so dass er sich dort ebenfalls nicht erfolgreich verbergen könne.

Auf Antrag des Beteiligten ist die Berufung mit Beschluss vom 23.11.2001 - A 4 B 582/01 - zugelassen worden. Die Zulassung erfolgte zur Klärung der Frage, ob für politische Straftäter wie auch "normale" Kriminelle in der Volksrepublik China im Fall längerer Haftstrafen stets die beachtliche Wahrscheinlichkeit erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung im Sinne von § 53 Abs. 3 (meint: 4) AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK bestehe.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Beteiligte auf seine Ausführungen in der Antragsschrift und im Zulassungsbeschluss verwiesen. In seiner Antragsschrift hat er ausgeführt: Die vom Auswärtigen Amt zitierte Ausführung zur Strafzumessungspraxis - dass die Haftbedingungen für politische Gefangene nicht härter als für gewöhnliche Kriminelle seien - rechtfertige nicht den vom Verwaltungsgericht gezogenen Umkehrschluss, dass auch gewöhnliche Kriminelle misshandelt würden. Der Auskunft sei zwar zu entnehmen, dass es in der Haft zu menschenrechtswidrigen Übergriffen komme. Sie weise hingegen auch darauf hin, dass der chinesische Staat diesen entgegentrete und sie unterbinden wolle sowie nicht von grundsätzlich wie stets menschenrechtswidrigen Haftbedingungen auszugehen sei. Die Feststellung von "strengen" Haftbedingungen in dieser Auskunft könne nicht mit unmenschlicher Behandlung i.S.v. § 53 Abs. 4 AuslG gleichgesetzt werden.

Ergänzend führt er mit Schriftsatz vom 20.10.2003 aus, die vom Verwaltungsgericht angeführten Missstände hinsichtlich der Ernährung und der medizinischen Betreuung könnten nicht als Ergebnis eines geplanten staatlichen Vorgehens gegenüber den Häftlingen aufgefasst werden. § 53 Abs. 4 AuslG biete aber allein Schutz vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Daran fehle es bei Folgen allgemeiner Missstände. Eine regelmäßig zu besorgende Gefährdung liege auch nicht in dem Umstand begründet, dass etwaige Folterungen oder sonstige Misshandlungen in hohem Maß willkürliches Vorgehen von Gefängnisaufsehern oder sonstigem Haftpersonal darstellten. Die Willkürlichkeit des Vorgehens bedeute nichts anderes, als dass ein Übergriff vom Zufall abhinge, was der Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit dieser Gefahr entgegenstehe. Seitens der chinesischen Regierung würden jedenfalls in Fällen ohne politischen Kontext nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes Übergriffe als streng verfolgte Exzesse individueller Amtsträger dargestellt. Auch wenn es insoweit Diskrepanzen zu der tatsächlichen Rechtspraxis geben könne, spreche dieser Umstand mehr gegen als für eine staatliche Verantwortung und Zurechenbarkeit.

Der Beteiligte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 13. März 2001 - A 4 K 30028/99 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung im Falle längerer Haftstrafen sei insbesondere aufgrund der Ausführungen im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.8.2001 geboten. Die dortige Ausführung, dass die Haftbedingungen für politische Straftäter nicht strenger seien als für gewöhnliche Kriminelle lasse sich nur so verstehen, dass auch gewöhnliche Kriminelle den gleichen strengen Haftbedingungen ausgesetzt seien wie politische Straftäter. Es sei deshalb entscheidend, ob die Haftbedingungen in der Volksrepublik China insgesamt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen seien. Nach den vom Auswärtigen Amt und von amnesty international geschilderten Vorfällen sei hiervon auszugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Bundesamtes sowie auf die Gerichtsakten verwiesen. Diese Unterlagen sowie die den Beteiligten bekannt gegebenen Erkenntnismittel waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der informatorischen Anhörung des Klägers durch den Senat wird auf das hierzu gefertigte Protokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Leipzig hat die Beklagte zu Recht durch sein Urteil vom 13.3.2001 zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses in der Person des Klägers verpflichtet.

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 Ausländergesetz - AuslG - i.V.m. Art. 3 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - zusteht. Insoweit ist der auch diesen Anspruch ablehnende Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 14.1.1999 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Das Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG bietet Schutz vor einer Abschiebung, wenn sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Durch die Verweisung auf Art. 3 EMRK bietet § 53 Abs. 4 AuslG Schutz vor einer im Zielstaat der Abschiebung drohenden menschenrechtswidrigen Behandlung. Dies setzt ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes und vom Staat ausgehendes oder ihm zurechenbares Handeln voraus. Die Verantwortlichkeit des Vertragsstaates gründet sich auf den Umstand, dass der Vertragsstaat durch die Abschiebung den Betroffenen in seinem Heimatland oder in einem Drittstaat einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK aussetzt. Letztlich kann nur eine vom Staat ausgehende oder von ihm zu verantwortende Misshandlung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK sein. Die Europäische Menschenrechtskonvention dient dem Schutz vor dem Missbrauch staatlicher Gewalt. Eine solche Behandlung muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 331 [(332 ff.] = NVwZ 1996, 476; Urt. v. 2.9.1997, DVBl 1998, 271).

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit von abschiebungshindernden Umständen liegt aufgrund der Besonderheiten im Fall des Klägers auf der Grundlage der hier zur Verfügung stehenden Erkenntnisse vor. Im Anschluss an die informatorische Befragung des Klägers teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass dieser im Zusammenhang mit der Tötung eines Polizisten steckbrieflich in China gesucht wird und ihm infolgedessen Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG drohen.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand: August 2002, Ziff. III Nr. 3) liegen keine Erkenntnisse über unmenschliche oder erniedrigende Strafen vor. Misshandlung von Gefangenen durch Strafvollzugs- und Sicherheitsbeamte würden hingegen selbst von staatlichen Stellen eingeräumt. Von der Regierung würden diese Vorfälle als streng verfolgte Exzesse individueller Amtsträger dargestellt. Hierauf Bezug nehmend führt das Auswärtige Amt (ebd., Ziff. II. Nr. 1 d) ) aus, dass die Strafzumessungspraxis und Haftbedingungen für "politische" Straftäter in der Regel nicht härter als für "gewöhnliche Kriminelle" seien. Ergänzend führt es aus (ebd., Ziff. II Nr. 2), dass Übergriffe durch Polizei- und Strafvollzugsorgane stattfänden, die auch nach chinesischem Recht rechtswidrig seien. Hierzu gehörten u.a. unrechtmäßige Inhaftierung oder Erpressung von Geständnissen durch Folter sowie Misshandlung von Gefangenen. Die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse räumten solche Übergriffe ein. Auch wenn diese als streng verfolgte Exzesse einzelner Amtsträger dargestellt würden, sei anzunehmen, dass zahlreiche Übergriffe aus Angst der Betroffenen vor weiteren Repressalien oder wegen erwarteter Aussichtslosigkeit rechtlicher Schritte weder Regierungsstellen noch der Öffentlichkeit bekannt würden. Sämtliche Repressionen würden in China nicht landesweit einheitlich durchgeführt (ebd., Ziff. I. Nr. 4). Wegen der Größe des Landes und der historisch überkommenen Strukturen sei der Einfluss und die Kontrolle der Zentralregierung in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich groß. Staatliche bzw. dem Staat zuzurechnende Übergriffe seien häufig nicht von einer erklärten Regierungspolitik gestützt. Gleichzeitig gebe es Nischen, in denen der Einzelne sich dem staatlichen Herrschaftsanspruch entziehen könne.

In diesem Zusammenhang hat das Auswärtige Amt am 6.9.1999 (an VG Gelsenkirchen) ausgeführt, Folter und andere körperliche Misshandlungen seien in chinesischen Gefängnissen verbreitet. Ihre Anwendung werde jedoch - mit Ausnahme politischer Fälle, bei denen es anders sein könne - staatlicherseits missbilligt und, soweit dies bekannt werde, auch bestraft. Die chinesischen Justizbehörden veröffentlichten jedes Jahr mehrere hundert Fälle von Folter durch Polizei- und Gefängnisbehörden, denen nachgegangen wurde. Das chinesische Justizwesen sei darum bemüht, Gefängnisse zu modernisieren und den Schutz der Gefangenen vor Misshandlungen zu verbessern. Körperliche Misshandlungen seien weder systematisch noch staatliche Politik. Ein gewisses Risiko körperlicher Misshandlungen in chinesischen Gefängnissen könne dennoch nicht ausgeschlossen werden. Unter dem 29.7.2003 führte es gegenüber dem VG Regensburg aus, im Zusammenhang mit der Verfolgung von Falun-Gong sei es in der Vergangenheit mehrfach zu Todesfällen in der Haft gekommen, ohne dass die chinesischen Sicherheitsbehörden die gegen sie erhobenen Vorwürfe, die Anwendung von Folter, zweifelsfrei hätten widerlegen können. Selbst nach eigenen Angaben der chinesischen Justizbehörden sei Folter sowohl im Bereich der Strafverfolgungs- als auch der Strafvollzugsbehörden ein Problem. Im Jahr 1997 habe der Oberste Volksgerichtshof der VR China eine Fallsammlung für Staatsanwälte veröffentlicht, in denen Hunderte von Fällen der Folter und erzwungener Geständnisse dokumentiert worden seien. Im Jahre 2000 habe der Nationale Volkskongress eine Untersuchung zur Anwendung der Folter in ausgewählten Regionen Chinas durchgeführt; diese habe 221 nachgewiesene Fälle von unter Folter erzwungenen Geständnissen und 21 Todesfälle aufgrund von Folter ergeben. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen. Die Gründe für die fortgesetzte Anwendung von Folter lägen - trotz der bestehenden Strafdrohungen - zumeist im Fortbestand rechtsfreier Räume im Bereich der Strafverfolgung. Darüber hinaus fehle es an einem Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten und an einem Verwertungsverbot für Aussagen, die unter Folter oder Androhung von Folter vom Beschuldigten bei der Vernehmung durch Polizei und Staatsanwaltschaft gemacht wurden.

Nach der Auskunft von amnesty international vom 9.6.1998 (an das VG Leipzig) werden sowohl politische Gefangene als auch unter Straftatverdacht festgenommene Personen routinemäßig Folterungen unterworfen. Gefährdet sei jeder, der bei den Behörden Missfallen errege. So seien in den vergangenen Jahren Menschen gefoltert worden, nur weil sie sich auf einen Wortwechsel mit Polizeibeamten oder anderen Amtsträgern eingelassen oder ihre Rechte einzufordern versucht hätten. Zu den Opfern zählten Angehörige aller Gesellschaftsschichten und Berufe. Offiziell sei für den Zeitraum zwischen Januar 1997 und Juli 1997 von 300 bis 400 von den Staatsanwaltschaften untersuchten Beschwerden über Folterungen und Misshandlungen berichtet worden. Diese Zahl sei aber als nicht repräsentativ einzuschätzen. Über strafrechtliche Schritte gegen die für Folterungen Verantwortlichen werden nur äußerst selten berichtet. Diese Einschätzung hat amnesty international am 24.8.1999 (an VG Gelsenkirchen) dahingehend ergänzt, dass bei den Haftbedingungen in China ein hohes Maß an Willkür herrsche, so dass die Gefährdung gewissermaßen täglich bestehe. Darüber hinaus sei es lediglich möglich, den Gefährdungsgrad bestimmter Personenkreise noch etwas genauer einzuschätzen. So dürften etwa politische Gefangene gefährdeter sein, Opfer von Misshandlung und Folter zu werden, als "normale" Gefangene. In seinem aktuellen Jahresbericht (2003) weist amnesty darauf hin, dass die Behörden auf Folter- und Misshandlungspraktiken zurückgriffen, um von Straftatverdächtigen Schuldeingeständnisse zu erpressen. Unter den Opfern von Folterung und Misshandlung befänden sich sowohl krimineller Taten wie auch politischer Vergehen verdächtige Personen als auch unbeteiligte Augenzeugen von Protesten, Wanderarbeiter, Obdachlose und der Prostitution beschuldigte Frauen. Straftatverdächtige und politischer Vergehen beschuldigte Personen hätten nach wie vor nicht mit einem ordentlichen, rechtsstaatlichen Verfahren rechnen können. Politische Prozesse hätten bei weitem nicht den internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren entsprochen. In Zusammenhang mit "Staatsgeheimnissen" angeklagte Personen seien in ihren Rechten noch stärker beschnitten worden und hätten sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gericht verantworten müssen. Im Zuge der Kampagne "Hartes Durchgreifen" sei es vermehrt zur Anwendung von Folter als Mittel zur Erzwingung von Geständnissen sowie zu verkürzten Gerichtsverfahren gekommen.

Nach einer Auskunft von Prof. H. an das VG Leipzig vom 26.8.1999 ist die Wahrscheinlichkeit eines gesetzeswidrigen Verhaltens von Untersuchungsbeamten gering, wenn es sich nicht um eine politische Straftat handelt.

Hiervon ausgehend ist von einer beachtlichen Gefährdung im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG bei Personen auszugehen, die im Verdacht einer politischen bzw. gegen den Staat gerichteten Straftat stehen. Sämtlichen vorliegenden Stellungnahmen lässt sich eine qualifizierte Gefahr bei derartiger Straftaten verdächtiger Personen entnehmen. In diesem Fall wird das nicht auszuschließende Risiko einer Misshandlung im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG zu einem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Risiko qualifiziert. Der Senat ist der Überzeugung, dass eine derart qualifizierte Gefährdung auch für den Kläger besteht. In Abweichung von der Beurteilung des Verwaltungsgerichts sieht der Senat den gegenüber dem Kläger bestehenden Tatverdacht nicht als politisch neutrales, sich im Bereich der "normalen" Kriminalität bewegenden Ermittlungsinteresse an. Vielmehr ist die angenommene Beteiligung des Klägers an der Tötung eines Polizisten als ein gegen den Staat gerichtetes Verbrechen aufzufassen. In diesem Zusammenhang ist von einem qualifizierten Aufklärungsinteresse der ermittelnden Polizeibeamten auszugehen. Dies lässt auf der Grundlage der vorstehend dargestellten Auskunftslage mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Anwendung von Folter zur Erzielung eines Geständnisses erwarten.

Ist hiernach der gegenüber dem Kläger bestehende Tatverdacht als gegen den Staat gerichtetes Delikt und damit gleichsam politische Straftat aufzufassen, bedarf es keiner näheren Klärung, ob auch im Fall von "normaler" Kriminalität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Annahme von Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG gerechtfertigt ist.

Die Kostenentscheidung für das gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG gerichtskostenfreie Verfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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