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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 22.07.2009
Aktenzeichen: D 6 A 194/08
Rechtsgebiete: BDG, BBG, BeamtStG


Vorschriften:

BDG § 60 Abs. 3
BBG § 54
BBG § 55
BeamtStG § 34
BeamtStG § 35
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: D 6 A 194/08

In der Disziplinarrechtssache

wegen Anfechtung von Verweisen

hier: Berufung

hat der 6. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, die Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und Dehoust sowie die Beamtenbeisitzer Hellmund und Schindler aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 22. Juli 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden vom 1. Februar 2007 - D 10 K 1197/06 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtsgebührenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger, Streifen- und Kontrollbeamte der Bundespolizei, wenden sich gegen die ihnen mit Disziplinarverfügungen der Bundespolizeiinspektion Dresden vom 30.7.2005 erteilten Verweise.

Der.... geborene Kläger zu 1. gehört seit Dezember 1994 dem Bundesgrenzschutz (jetzt: Bundespolizei) an. Er wurde nach einer Ausbildung zum Kontroll- und Streifenbeamten zum 6.12.1996 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeimeister ernannt. Die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit erfolgte am 6.12.1999, die Beförderung zum Polizeiobermeister am 19.6.2001.

Der.... geborene Kläger zu 2. gehört seit Oktober 1990 dem Bundesgrenzschutz an. Er ist ebenfalls als Kontroll- und Streifenbeamter ausgebildet. Zum 5.8.1996 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeimeister ernannt. Seit dem 5.8.1998 ist er Beamter auf Lebenszeit, zum 28.2.2000 wurde er zum Polizeiobermeister ernannt.

Die Kläger sind weder strafrechtlich noch disziplinarisch vorbelastet.

Am 14.1.2005 wurden die Kläger zusammen mit dem als Grenzunterstützungskraft eingesetzten Zeugen ...... im Spätdienst zur Durchführung der grenzpolizeilichen Einreise- und Transportmittelkontrolle im Reisezug NZ 378 Prag-Dortmund eingesetzt. Nach dem von der Beklagten dazu vorgelegten Tourenplan war ein Einsatz "Decin - Bad Schandau" von "20:31 bis 20:51 Uhr" vorgesehen; für die früheren Züge wies der Tourenplan dagegen die Kontrollstrecke Decin-Dresden aus. Ein besonderer Streifenbefehl wurde den Klägern nicht erteilt. Die Kläger waren während ihres Einsatzes mit einem Datenfunkterminal (Datenabfragegerät), nicht jedoch mit Mobiltelefonen ausgerüstet. Eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit ihrem Vorgesetzten oder der Dienstgruppenleitung in Dresden war den Klägern aus dem fahrenden Zug heraus bis Bad Schandau nicht möglich. Aus Gründen der Eigensicherung wurden Kontrollstreifen in Zügen stets zu zweit durchgeführt.

Der als Kontrollgruppenführer eingesetzte Kläger zu 1., der Kläger zu 2. und der Zeuge ...... verließen den fahrplanmäßig im Bahnhof Bad Schandau haltenden Zug und sprachen mit ihrem - wie üblich - auf dem Bahnsteig wartenden Gruppenleiter Polizeihauptmeister (PHM) ....... Während der Einfahrt des Zuges in den Bahnhof gegen 20.50 Uhr hatte der Zeuge ...... den im Türbereich befindlichen Klägern mitgeteilt, dass im letzten Wagen des Zuges in Höhe des Abteils Nr. 8 an der Dachverkleidung manipuliert worden war und er bei der Ausspiegelung etwas "Rot-Weißes", vermutlich eine größere Anzahl Zigarettenstangen, entdeckt hatte. Der Kläger zu 2. informierte die ebenfalls im Zug befindlichen tschechischen Grenzbeamten und stieg mit ihnen gemeinsam aus dem Zug aus. Anschließend begab er sich zum Kläger zu 1. sowie zum Zeugen ......, der PHM ...... den Sachverhalt schilderte. Entgegen einer an das Zugpersonal gerichteten Bitte des Zeugen ......, mit der Abfahrt des Zuges auf ein entsprechendes Signal des Gruppenleiters zu warten, verließ der Reisezug den Bahnhof Bad Schandau nach einem Aufenthalt von ein oder zwei Minuten, ohne dass die Kläger erneut in den Zug eingestiegen waren. Die Einzelheiten dieses Geschehens stehen zwischen den Beteiligten im Streit.

Nach Abfahrt des Zuges unterrichtete PHM ...... gegen 21.00 Uhr Polizeikommissar ........ im Büro des Dienstgruppenleiters in Dresden; von dort erfolgte eine Mitteilung an das Hauptzollamt Dresden und an die Bundesgrenzschutzinspektion Berlin Ostbahnhof. Bei der Überprüfung des zwischenzeitlich im Hauptbahnhof Dresden eingefahrenen Zuges stellten Beamte der Bundesgrenzschutzinspektion Dresden gegen 21.30 Uhr fest, dass in der Verkleidung eines näher bezeichneten Waggons über dem Fenster mehrere Zigarettenschachteln fachmännisch eingebaut waren. Die dazu gefertigten Aktenvermerke der Bundesgrenzschutzinspektion Dresden vom 17.1. und 18.1.2005 weisen aus, dass ein schneller Ausbau der Zigarettenschachteln in Dresden nicht möglich war, weil zunächst mehrere Verkleidungsteile hätten gelöst werden müssen. Der Reisezug fuhr nach der Kontrolle in Dresden Hauptbahnhof weiter. Bei einer späteren Untersuchung des fahrplanmäßig in Berlin-Lichtenberg abgekoppelten letzten Waggons durch das Zollfahndungsamt wurden keine Zigaretten mehr gefunden.

Mit Verfügung vom 25.1.2005 leitete der Leiter der damaligen Bundesgrenzschutzinspektion Dresden gegen die Kläger Disziplinarverfahren ein.

Mit Disziplinarverfügungen vom 30.7.2005 erteilte die Bundespolizeiinspektion Dresden den Klägern jeweils einen Verweis. Die Beamten hätten rechtswidrig und schuldhaft ihre Pflichten zur Befolgung von Anordnungen und Richtlinien (§ 55 Satz 2 BBG), zur vollen Hingabe an den Beruf (§ 54 Satz 1 BBG) sowie zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten (§ 54 Satz 2 BBG) verletzt. Als erfahrene Polizeivollzugsbeamte hätten sie aufgrund des Hinweises des Zeugen ...... erkennen müssen, dass die Durchführung strafprozessualer Maßnahmen nach § 163 StPO veranlasst gewesen sei. Die Kläger hätten den Zug verlassen, ohne zuvor den Tatort gesichert oder andere polizeiliche Maßnahmen getroffen zu haben. Der Kläger zu 2. habe zudem seine Beratungs- und Remonstrationspflicht verletzt, weil er die fehlerhafte Entscheidung des weisungsberechtigten Klägers zu 1. zum Verlassen des Zuges hingenommen habe.

Die gegen die Disziplinarverfügungen vom 30.7.2005 jeweils eingelegten Widersprüche der Kläger zu 1. und 2. wies das Bundespolizeipräsidium Ost mit Widerspruchsbescheiden vom 9.5.2006 als unbegründet zurück.

Der Kläger zu 1. hat am 8.6.2006 Klage erhoben (D 10 K 1197/06), der Kläger zu 2. am 14.6.2006 (D 10 K 1255/06). Die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden hat die Verfahren mit Beschluss vom 1.2.2007 zur gemeinsamen Entscheidung unter dem Aktenzeichen D 10 K 1197/06 verbunden und die Disziplinarverfügungen mit Urteil vom 1.2.2007 aufgehoben. Die Bescheide seien rechtswidrig, weil sich die Kläger keines Dienstvergehens schuldig gemacht hätten. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Kläger am 14.1.2005 die ihnen vorgeworfenen schuldhaften Pflichtverletzungen begangen hätten. Die Kläger seien ihren beamtenrechtlichen Pflichten zur Verhinderung der Verdunkelung einer Straftat (§ 12 Abs. 3 Satz 2 BPolG i. V. m. § 163 Abs. 1 StPO) zwar nicht hinreichend nachgekommen. Aufgrund des Hinweises des Zeugen ...... habe der Verdacht eines Zigarettenschmuggels bestanden, weshalb zumindest einer der Kläger verpflichtet gewesen wäre, bis zum Ende der Kontrollstrecke im Zug zu bleiben. Als Kontrollgruppenführer sei der Kläger zu 1. für die Entscheidung zum Verlassen des Zuges verantwortlich; der Kläger zu 2. hätte dem Kläger zu 1. einen entsprechenden Hinweis geben müssen. Bei einer Gesamtwürdigung liege jedoch kein disziplinarisch relevanter Pflichtverstoß vor. Erst während der Einfahrt des Zuges in den Bahnhof Bad Schandau hätten die Kläger einen Hinweis auf den Verdacht des Zigarettenschmuggels erhalten. In dieser Situation sei eine Rücksprache nicht möglich gewesen. Die Kläger hätten sich wie üblich an ihren auf dem Bahnsteig wartenden Gruppenleiter gewandt. Der Zugführer habe auf den Zuruf des Zeugen ...... nicht reagiert, sondern habe den Zug pünktlich abfahren lassen, ohne dass der Gruppenleiter die Kläger noch in den Zug hätte zurückschicken können. Das Verhalten der Kläger sei nicht als bewusste Nachlässigkeit, sondern allenfalls als teilweises Unvermögen anzusehen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 22.3.2007 zugestellte Urteil am 13.4.2007 die Zulassung der Berufung beantragt und diesen Antrag am 2.5.2007 begründet. Mit Beschluss vom 1.4.2008 - D 6 B 204/07 - hat der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.

Die Beklagte begründet ihre Berufung im Wesentlichen wie folgt: Entgegen den Ausführungen der Disziplinarkammer hätten die Kläger ihre Kernpflichten als Kontroll- und Streifenbeamte und langjährige Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zumindest grob fahrlässig verletzt. Sie hätten den ihn zugewiesenen Einsatzort (Reisezug) trotz des Anfangsverdachts einer Straftat weisungswidrig (§ 55 Satz 2 BBG) verlassen und ihre Pflicht zur vollen Hingabe an den Dienst (§ 54 Satz 1 BBG) missachtet. Die Kläger wären verpflichtet gewesen, im Zug zu bleiben, Beweise zu sichern und etwa die Fahrgäste informatorisch zu befragen. Ein besonderer Zeitdruck oder eine stressbedingte Ausnahmesituation habe nicht vorgelegen. Von einem bloßen Arbeitsmangel, der jedem einmal unterlaufe, könne keine Rede sein.

Die Kontrollstrecke sei aufgrund eines Abkommens mit der Tschechischen Republik von Decin nach Dresden festgelegt worden. Da eine ordnungsgemäße Kontrolle bis zum ersten deutschen Haltepunkt (Bad Schandau) nicht immer gewährleistet sei, sehe der allgemeine Tourenplan eine Zugbegleitung für die gesamte Strecke vor. Eine Ausnahme habe es nur für die Zugbegleitfahrt in der Spätschicht gegeben, weil eine Rückkehr von Dresden nach Bad Schandau bis zum Ende der regulären Dienstzeit (22.00 Uhr) sonst nicht gewährleistet gewesen sei. Diese Ausnahme habe jedoch unter dem Vorbehalt gestanden, dass die grenzpolizeiliche Kontrolle bereits in Bad Schandau abgeschlossen sei und sonstige polizeiliche Vorkommnisse keinen weiteren Verbleib im Zug erforderten. Wegen des vom Zeugen ...... festgestellten Anfangsverdachts einer Straftat hätten die Kläger nach den maßgeblichen allgemeinen Weisungen bis zum Ende der Kontrollstrecke im Zug bleiben müssen, um bis zum Eintreffen des Zuges in Dresden insbesondere die erforderlichen Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Die Kläger seien auch zur Verhinderung des rechtswidrigen Verbringens von Gegenständen über die Grenze eingesetzt worden und könnten sich deshalb nicht darauf berufen, dass sie die grenzpolizeiliche Kontrolle der etwa 20 Fahrgäste bei der Einfahrt in Bad Schandau bereits abgeschlossen gehabt hätten. Die Kläger hätten den am Bahnsteig wartenden Gruppenleiter ohne Verlassen des Zuges informieren können, etwa durch Zuruf oder Nutzung eines Mobiltelefons. Der im Urteil der Disziplinarkammer hervorgehobene Zeitdruck sei nur dadurch zustande gekommen, dass beide Kläger weisungswidrig den Zug verlassen hätten. Zumindest einer der Kläger hätte im Zug bleiben müssen. Die plötzliche Abfahrt des Zuges, den sie nicht hätten verlassen dürfen, entlaste die Kläger nicht, zumal sie nicht selbst für einen verlängerten Halt des Zuges im Bahnhof Bad Schandau gesorgt hätten.

Die Vernehmung des vom Senat vernommenen Zeugen ...... habe bestätigt, dass die Kläger zur Weiterfahrt nach Dresden verpflichtet gewesen seien. Wegen des begründeten Verdachts einer Straftat hätte der Gruppenleiter keine abweichende Weisung erteilen dürfen; einer Rücksprache mit ihm hätte es nicht bedurft. In vergleichbaren Fällen seien Kontroll- und Streifenbeamte im Zug verblieben und hätten den Sachverhalt entweder selbst oder mit Unterstützung einer vorab informierten Streife in Dresden abschließend klären können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 1. Februar 2007 - D 10 K 1197/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Ein disziplinarisch relevanter Pflichtverstoß sei ihnen nicht vorzuwerfen. Sie hätten sich nicht dazu entschieden, ihren Dienst in Bad Schandau zu beenden, sondern hätten - entsprechend der damaligen Übung - wegen des Verdachts des Zigarettenschmuggels eine Rücksprache mit ihrem an Bahnsteig wartenden Vorgesetzten gesucht. Eine Kontaktaufnahme mit dem Gruppenleiter etwa durch Zurufen aus dem haltenden Zug wäre unzweckmäßig gewesen. Zwischen Bad Schandau und Niedersedlitz wäre die Herstellung einer Funkverbindung zur Dienstelle in Dresden nicht möglich gewesen. Der Vorwurf, sie hätten dienstliche Weisungen im Interesse des bevorstehenden Feierabends missachtet, sei falsch. Ebenso wie ihr Vorgesetzter seien sie von der plötzlichen Weiterfahrt des Zuges überrascht worden. Die Aussage des Zeugen ...... belege, dass ihnen in Bad Schandau nur sehr wenig Zeit zur Verfügung gestanden habe. Ein schriftliches oder mündliches Verbot, den Zug für eine Rücksprache mit dem Vorgesetzten zu verlassen, sei ihnen nicht bekannt.

Durch Beschluss vom 13.5.2009 hat der Senat den Berichterstatter mit der Vernehmung des Zeugen ...... beauftragt. Wegen des Ergebnisses der am selben Tag durchgeführten Zeugenvernehmung wird auf die Niederschrift vom 13.5.2009 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Senatsakten D 6 B 204/07, D 6 A 194/08, die Gerichtsakten D 10 K 1197/06 und D 10 K 1255/06 des Verwaltungsgerichts Dresden sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (zwei Heftungen) verwiesen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§ 65 BDG i. V. m. §§ 124 ff. VwGO) des Beklagten gegen das Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden ist unbegründet.

Die Disziplinarkammer hat die angefochtenen Bescheide im Ergebnis zu Recht mit der Begründung aufgehoben, dass sich die Kläger nicht der ihnen vorgeworfenen Dienstvergehen schuldig gemacht haben.

Die Disziplinarverfügungen in der Gestalt der Widerspruchsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Einer eigenen "Ermessensentscheidung" (§ 65 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 3 BDG) des Senats zur Angemessenheit der verhängten Verweise bedarf es damit nicht (zum Prüfungsmaßstab nach § 60 Abs. 3 BDG siehe BVerwG, Urt. v. 15.12.2005 - 2 A 4/04 -, juris Rn. 23).

1. Gegenstand und Umfang der den Klägern zur Last gelegten Dienstvergehen, über die der Senat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht selbst zu befinden hat, ergeben sich aus den Disziplinarverfügungen in der Fassung der jeweiligen Widerspruchsbescheide (siehe BVerwG, Urt. v. 15.12.2005 a. a. O. Rn. 24).

Nachdem das damalige Bundespolizeipräsidium Ost den in der Disziplinarverfügung vom 30.7.2005 enthaltenen Vorwurf gegen den Kläger zu 2., er habe durch die passive Hinnahme der fehlerhaften Anordnung des Klägers zu 1. zum Verlassen des Zuges seine Hinweis-, Beratungs und Remonstrationspflicht (§ 56 Abs. 2 BBG a. F., nunmehr § 36 Abs. 2 BeamtStG) verletzt, im Widerspruchsbescheid zu Recht nicht mehr aufrechterhalten hat, beschränkt sich die gerichtliche Prüfung auf die Frage, ob aufgrund des vom Senat festgestellten Sachverhalts eine schuldhafte Verletzung der beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht (§ 55 Satz 2 BBG a. F., nunmehr § 35 Satz 2 BeamtStG) oder Hingabepflicht (§ 54 Satz 1 BBG a. F., nunmehr § 34 Satz 1 BeamtStG) durch die Kläger zu 1. und 2. vorliegt. Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie dem Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden, nicht der Fall.

2. In tatsächlicher Hinsicht ist unter Berücksichtigung des auch im Disziplinarverfahren anwendbaren Zweifelssatzes ("in dubio pro reo" - im Zweifel für den Angeklagten; siehe BVerwG, Urt. v. 24.5.2007 - 2 C 28/06 -, juris Rn. 16; SächsOVG, Beschl. v. 28.4.2009 - D 6 A 380/08 -) von Folgendem auszugehen:

Die Kläger verließen den Reisezug in Bad Schandau, um den auf sie am Bahnsteig wartenden Gruppenleiter PHM ...... - ihren Vorgesetzten - am Zielort des für die Spätschicht angeordneten Tourenplans über den bei der Einfahrt des Zuges vom Zeugen ...... festgestellten Verdacht des Zigarettenschmuggels zu informieren. Eine Kontaktaufnahme der Kläger mit ihrem Vorgesetzten aus dem Zug heraus war auf dem dunklen Bahnsteig kaum möglich. Vor dem Verlassen des Zuges hatte der Zeuge den Zugführer gebeten, mit der Abfahrt des Zuges kurz zu warten, um eine Rücksprache mit PHM ...... zu ermöglichen. Dies entsprach einer seit längerem beanstandungsfrei geübten Praxis. Üblicherweise erfolgte die Abfahrt des Zuges auf eine solche Bitte hin erst nach einem entsprechenden Zeichen des Gruppenleiters an den Zugführer. Während der Kläger zu 1. und der Zeuge ...... PHM ...... über den Sachverhalt informierten, gab der Zugführer - für die auf dem Bahnsteig stehenden Beamten und den Zeugen unerwartet - das Abfahrtssignal. Den überraschten Klägern war es nach dem Schließen der Zugtüren nicht mehr möglich, in den abfahrenden Zug einzusteigen.

Eine schriftliche Anordnung, die es Kontrollbeamten untersagte, Reisezüge zur Unterrichtung von Vorgesetzten zu verlassen, lag nicht vor. Soweit am Ende der vom Tourenplan für die Spätschicht bestimmten Kontrollstrecke in Bad Schandau polizeiliche Maßnahmen oder Maßnahmen der Grenz- und Transportmittelkontrolle angezeigt waren, waren Kontrollbeamte der Spätschicht jedoch allgemein gehalten, den Reisezug bis zum Hauptbahnhof Dresden zu begleiten.

3. Bei der disziplinarischen Würdigung dieses Sachverhalts lässt sich eine Verletzung der Dienstpflichten aus § 55 Satz 2 BBG a. F./§ 35 Satz 2 BeamtStG und aus § 54 Satz 1 BBG a. F./§ 34 Satz 1 BeamtStG durch die Kläger nicht feststellen.

Entgegen den Ausführungen der Beklagten verletzten die Kläger durch das Verlassen des Zuges in Bad Schandau weder dienstliche Anordnungen noch allgemeine Richtlinien i. S. v. § 55 Satz 2 BBG a. F./§ 35 Satz 2 BeamtStG. Die Kläger verließen den Zug, um den auf sie wartenden Gruppenleiter über den bei der Einfahrt des Zuges festgestellten Verdachts des Zigarettenschmuggels zu informieren und das weitere Vorgehen abzustimmen. Dies war den Klägern weder durch eine konkrete Weisung noch durch allgemeine Weisungen verwehrt. Eine Kontaktaufnahme der Kläger mit dem Gruppenleiter war auch nach Auffassung der Beklagten geboten, damit dieser die Dienstgruppenleitung in Dresden über den Vorfall informieren konnte (Anlage zur Niederschrift vom 22.7.2009, S. 2, 2. Absatz). Eine Weisung des Inhalts, dass eine Kontaktaufnahme mit dem Vorgesetzten vom Zug aus zu erfolgen hatte, lag nicht vor. Soweit die Kläger aufgrund einer allgemeinen mündlichen Weisung gehalten waren, den Reisezug wegen des Verdachts des Zigarettenschmuggels bis zum Hauptbahnhof Dresden zu begleiten, um die im Einzelfall gebotenen strafprozessualen oder grenzpolizeilichen Maßnahmen durchzuführen, lässt sich den Klägern ein weisungswidriges Verhalten nicht nachweisen. Die Kläger haben sich bei ihrer Befragung durch den Senat glaubhaft dahin eingelassen, dass sie den Zug nicht zur pünktlichen Beendigung der Spätschicht, sondern nur zur Information ihres Gruppenleiters und zur Absprache des weiteren Vorgehens verlassen hätten. Diese Darstellung wird durch die Aussage des am 13.5.2009 gerichtlich vernommenen Zeugen ...... bestätigt. Da Kontrollstreifen aus Gründen der Eigensicherung stets zu zweit durchgeführt wurden, kann den Klägern nach Überzeugung des Senats auch nicht vorgeworfen werden, dass einer von ihnen während des Aufenthalts in Bad Schandau im Zug hätte bleiben müssen.

Eine Verletzung der Pflicht, sich mit "voller Hingabe" (§ 54 Satz 1 BBG a. F.) bzw. "vollem persönlichen Einsatz" (§ 34 Satz 1 BeamtStG) seinem Beruf zu widmen, läst sich ebenso wenig feststellen. Die Vorgehensweise der Kläger, die den Zug verließen, um ihren Gruppenleiter auf dem Bahnsteig zu informieren und das weitere Vorgehen abzusprechen, verletzte nach den vom Senat festgestellten Umständen des Einzelfalls nicht die Pflicht der Kläger, ihren Dienst als Kontrollbeamte mit voller Arbeitskraft und Intensität zu verrichten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht unter Berücksichtigung des weiteren Inhalts der Gerichts- und Behördenakten zur Überzeugung des Senats fest, dass die Kläger seinerzeit entsprechend der in der Vergangenheit üblichen und zuvor unbeanstandet gebliebenen Handhabung darauf vertrauen konnten, dass der Zug am Abend des 14.1.2005 auf die Bitte des Zeugen ...... an den Zugführer erst nach einem entsprechenden Zeichen des Gruppenführers abfahren werde. Durch die für die Kläger - wie für ihren Gruppenleiter PHM ...... - überraschende Abfahrt des Zuges ohne vorheriges Zeichen des Gruppenleiters war es den Klägern nach dem Schließen der Zugtüren nicht mehr möglich, wieder in den Zug einzusteigen, um ihren Dienst bis zum Erreichen des Hauptbahnhof Dresden fortzusetzen. Dies ist den Klägern in disziplinarischer Hinsicht nicht vorzuwerfen.

Ob der Vorfall vom 14.1.2005 bei konkreter gefassten Dienstanweisungen und bei einer Ausstattung der Kontrollbeamten mit Funkgeräten oder Mobiltelefonen vermeidbar gewesen wäre, hat der Disziplinarsenat ebenso wenig zu entscheiden wie die von den Klägern angesprochene Frage, ob es der zuständigen Zollfahndung möglich gewesen wäre, das vom Bundesgrenzschutz festgestellte Schmuggelgut im Reisezug sicherzustellen.

Nach alledem ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtsgebühren nach § 78 Satz 1 BDG fallen nicht an (§ 85 Abs. 11 BDG).

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 69 BDG vorliegt.

Ende der Entscheidung

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