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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 19.10.2009
Aktenzeichen: D 6 A 399/08
Rechtsgebiete: SächsDO, BeamtStG


Vorschriften:

SächsDO § 67 Abs. 1
SächsDO § 72 Abs. 1 S. 2
BeamtStG § 34 S. 3
1. Eine Nachtragsanschuldigung im Berufungsverfahren kommt nicht in Betracht.

2. Bei der Maßnahmenbemessung im Disziplinarverfahren sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichti-gen. Bei der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten ist auch eine Berücksichtigung eines neuen Vorwurfes möglich, obwohl er von der Anschuldigungsschrift nicht erfasst ist. Der Beamte muss auf diese Mög-lichkeit hingewiesen werden.


SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: D 6 A 399/08

In der Disziplinarrechtssache

wegen Förmliches Disziplinarverfahren

hier: Berufung

hat der 6. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden und die Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und Dehoust sowie die Beamtenbeisitzer Gläser und Weist aufgrund der Hauptverhandlung

vom 19. Oktober 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Einleitungsbehörde gegen das Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden vom 8. Mai 2008 - D 10 K 2274/07 - wird zurückgewiesen.

Der Dienstherr trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beamten.

Tatbestand:

Der 1960 in ....... geborene Beamte besuchte von 1966 an die Polytechnische Oberschule in ........., die er 1976 erfolgreich abschloss. Anschließend folgte bis 1978 eine Berufsausbildung als Elektromonteur beim VEB ..................................... Der Beamte wurde am 1.5.1988 mit Dienstvertrag als Hauptwachtmeister in die Deutsche Volkspolizei eingestellt. Am 3.10.1990 wurde er in die Polizei des Freistaates Sachsen übernommen und mit Wirkung vom 1.1.1992 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeiwachtmeister ernannt. Mit Wirkung vom 1.1.1993 wurde er zum Polizeimeister ernannt. Wegen eines Ermittlungsverfahrens wurde die Probezeit verlängert. Mit Urkunde vom 23.1.1998 wurde er in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen und mit Urkunde vom....2003 zum Polizeiobermeister ernannt. Der Beamte war zunächst im Streifendienst und später im Ermittlungsdienst tätig. Die zum Ablauf der Probezeit zum 31.10.1994 erstellte Beurteilung erhielt als Einschätzung das Prädikat "bewährt". Die Leistungen des Beamten wurden in den Regelbeurteilungen für die Zeiträume vom 1.9.1996 bis 31.3.1999 mit 3,52 Punkten (entspricht im Wesentlichen den Anforderungen), vom 1.4.1999 bis 1.4.2002 mit 5,58 Punkten (übertrifft im Wesentlichen die Anforderungen) und vom 1.4.2002 bis 31.3.2005 mit 6,21 (übertrifft die Anforderungen) bewertet.

Der Beamte ist in zweiter Ehe verheiratet. Seine zwei 1983 und 1985 geborenen Kinder aus erster Ehe leben ebenso im Haushalt wie das von seiner jetzigen Ehefrau in die Ehe eingebrachte Kind. Er erhält netto ungefähr 2.000,- € monatlich, seine jetzige Ehefrau 1.000,- €. Ein Sohn erhält von ihm 150,- € im Monat. Zusätzlich bedient er einen Hauskredit mit 500,- € monatlich.

Mit Bescheid des Polizeipräsidiums Dresden vom 23.5.2001 wurde gegen den Beamten eine Geldbuße in Höhe von 800,00 DM wegen Dienstverrichtung unter Alkoholeinwirkung verhängt.

Der Beamte wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Eisenach - Cs 305 Js 6412/06 III/2 - vom 28.7.2006, rechtskräftig seit dem 31.8.2006, wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB) zu einer Geldstrafe in Höhe von 55 Tagessätzen zu je 45,- € verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde entzogen, der Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, den Beamten für die Dauer von sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Der Strafbefehl enthält folgende tatsächliche Feststellungen:

"Sie fuhren am...12.2005 gegen 17.25 Uhr mit dem Pkw, Typ Ford, Kennzeichen: ........., auf der BAB 4 bei Eisenach-Ost, obwohl Sie infolge vorangegangenem Alkoholgenusses fahruntüchtig waren.

Infolge der alkoholischen Beeinflussung kamen Sie von der Fahrbahn ab und kollidierten mit der rechten Leitplanke. Dadurch schleuderten Sie zurück und es kam zur Kollision mit dem vom Zeugen Schwarze geführten, nachfolgenden Pkw Fiat, an dem ein Sachschaden von 7.000,00 EUR entstand. Der Zeuge wurde leicht verletzt.

Eine bei Ihnen am...12.2005 um 18.55 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille.

Ihre Fahruntüchtigkeit hätten Sie bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen.

Wegen Ihrer erheblichen Alkoholisierung mussten Sie auch mit der Möglichkeit eines von Ihnen im Zustand der Fahruntüchtigkeit verursachten Verkehrsunfalls und seiner Folgen rechnen.

Durch die Tat haben Sie sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen."

Der Beamte war infolge des Unfalles verletzt worden. Ein Nerv im rechten Arm war gestört und der Arm ein halbes Jahr nicht bewegungsfähig. Seit August 2006 war der Beamte wieder vollständig arbeitsfähig.

Wegen des strafrechtlich verfolgten Verhaltens ordnete der Leiter der Polizeidirektion im Februar 2006 disziplinarische Vorermittlungen an und leitete am 24.10.2006 das förmliche Disziplinarverfahren ein. Der Beamte war zuvor angehört worden und hatte die Beteiligung des Personalrates beantragt, der der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens zugestimmt hat. Der Beamte erkannte den im Strafbefehl festgestellten Sachverhalt an. Wegen seiner Alkoholprobleme habe er sich psychologisch behandeln lassen und einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. Die Funktionsfähigkeit seines Armes sei wiederhergestellt.

Mit Anschuldigungsschrift vom 12.11.2007, die beim Verwaltungsgericht am 19.11.2007 einging, wurde dem Beamten zur Last gelegt, ein Dienstvergehen dadurch begangen zu haben, dass er am...12.2005 außerdienstlich seinen privaten Pkw auf der Autobahn führte, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Der Beamte habe damit gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten und zur vollen Hingabe an den Beruf in besonderem Maße verstoßen. Eine zum Ausschluss der Verantwortlichkeit führende Bewusstseinstrübung habe nicht vorgelegen.

In seiner Stellungnahme führte der Beamte aus, er habe inzwischen die entzogene Fahrerlaubnis nach Abschluss der Sperrfrist wiedererlangt. Um einer Wiederholungsgefahr zu begegnen, habe er an einer mehrwöchigen Trainingsmaßnahme beim Leiter der Suchtberatung der Arbeiterwohlfahrt Bautzen teilgenommen und sich einer Selbsthilfegruppe für Suchtgefährdete in Bautzen angeschlossen.

Das Verwaltungsgericht Dresden stellte mit Urteil vom 8.5.2008 - D 10 K 2274/07 - das Disziplinarverfahren ein. Das Gericht ging von dem Sachverhalt aus, wie er in dem Strafbefehl vom 28.7.2006 geschildert ist. Damit habe der Beamte schuldhaft ein Dienstvergehen begangen. Dies wiege schwer. Ein Polizeibeamter, der eine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs begehe, verletze seine Kernpflichten als Polizeibeamter. Trunkenheitsfahrten von Polizeivollzugsbeamten, die dienstlich mit dem Führen von Kraftfahrzeugen betraut seien, hätten aber nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte regelmäßig nur eine Gehaltskürzung zur Folge. Die Kammer sei - auch aufgrund des persönlichen Eindrucks, den der Beamte in der Hauptverhandlung hinterlassen habe - davon überzeugt, dass hier eine Degradierung weder angemessen noch erforderlich sei. Die Kammer könne eine Degradierung nicht allein deshalb aussprechen, weil der Gesetzgeber die angemessene Gehaltskürzung nicht vorgesehen habe. Der Versetzung des Beamten in ein niedrigeres Amt derselben Laufbahn stehe zudem § 12 Satz 2 SächsDO entgegen. Eine Zurückstufung sei nicht erforderlich, um den Beamten zur Pflichterfüllung anzuhalten. Hierfür fehle es an der konkreten Wiederholungsgefahr.

Am Montag, den 7.7.2008, hat die Einleitungsbehörde gegen das Urteil vom 8.5.2008, das ihr am 6.6.2008 zugestellt worden ist, Berufung eingelegt.

Zur Begründung trägt sie vor: Nach Verkündung des Urteils des Verwaltungsgerichts seien Ereignisse vorgefallen, die einer Einstellung des Disziplinarverfahrens entgegenstünden. Der Leiter des Polizeireviers habe am 20.5.2008 gegen 7.00 Uhr beim Beamten eine Kontrolle wegen des Trinkens von Alkohol durchgeführt. Der Beamte habe jegliche Angaben verweigert und darum gebeten, nach Hause gegen zu dürfen. Als der Vorgesetzte ihm den Waffenfachschlüssel entzogen habe, sei der Beamte aus der Dienststelle geflohen. Einer Kollegin sei es gelungen, ihn einzuholen. Unter Mitwirkung einer Funkstreifenbesatzung sei der Beamte zurück zum Revier gebracht worden. Der Vorgesetzte habe bei der Ehefrau des Beamten angerufen. Diese habe erklärt, dass ihr Mann am Morgen das Haus mit dem Pkw verlassen habe. Dem Beamten sei daraufhin der Tatvorwurf der Trunkenheit im Straßenverkehr zur Last gelegt worden. Die Durchführung eines Alcomat-Tests habe der Beamte abgelehnt. Die angeordnete Blutentnahme um 8.30 Uhr habe eine Blutalkoholkonzentration von 0,84 Promille ergeben. Der Pkw des Beamten habe in der .....straße in ....... verschlossen geparkt. Vom...5.2008 bis..6.2008 sei der Beamte zur Entgiftung im Fachkrankenhaus in Arnsdorf gewesen. Das Verfahren wegen Trunkenheit im Straßenverkehr sei nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, da eine Fahruntüchtigkeit nicht habe nachgewiesen werden können. Auch wenn sich eine Trunkenheitsfahrt nicht nachweisen lasse, stehe weiterhin der Vorwurf im Raum, dass der Beamte am 20.5.2008 unter Einfluss von Alkohol zum Dienst erschienen sei. Die Einleitungsbehörde gehe davon aus, dass in der Berufungsinstanz eine Einbeziehung dieser neuerlichen Verfehlungen in das laufende Disziplinarverfahren mittels Nachtragsanschuldigung nicht möglich sei. Die neuerlichen Verfehlungen seien jedoch relevant für die Art und das Maß der Disziplinarmaßnahmen im laufenden Disziplinarverfahren. Mit den neuerlichen Verfehlungen habe der Beamte inzwischen selbst belegt, dass bei ihm eine Wiederholungsgefahr bestehe.

Die Einleitungsbehörde beantragt,

den Beamten unter Abänderung des Urteils der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden vom 8.5.2008 - D 10 K 2274/07 - in ein Amt derselben Laufbahn mit niedrigerem Endgrundgehalt zu versetzen.

Der Beamte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er räumt seine erneuten Alkoholprobleme und das Geschehen am 20.5.2008 im Wesentlichen ein. Allerdings habe er an diesem Tag nicht arbeiten wollen, sondern die Dienststelle nur aufgesucht, um sich krank zu melden und sich die Vordrucke für die Heilfürsorge zu holen. Er sei in die Dienststelle bereits um 6.30 Uhr gekommen, da um diese Zeit normalerweise Vorgesetzte nicht anwesend seien. Zur Flucht habe er sich auf dem Weg zur Waffenabgabe entschlossen. Anlass für seine Flucht sei die vom Vorgesetzten ausgesprochene Suspendierung und seine Annahme gewesen, dass "das jetzt wieder alles von vorne losgehe".

Nach einer weiteren Entgiftung im Krankenhaus Arnsdorf vom... bis...7.2008 hat sich der Beamte einer stationären Therapie in der Fachklinik Weinböhla vom..8. bis...11.2008 unterzogen. In dem ärztlichen Entlassungsbericht wird u. a. ausgeführt:

"Im Verlauf der stationären Rehabilitationsmaßnahme wurden die medizinischen Therapieziele erreicht und umgesetzt. Insgesamt hielt der Patient vermutlich während des Reha-Aufenthalts die Alkoholabstinenz ein und alle Alkomattests waren negativ.

Insgesamt war zum Ende des stationären Aufenthalts eine gute psycho-physische Stabilisierung des Patienten zu verzeichnen. Zum Zeitpunkt der Entlassung war Herr Sch arbeitsfähig.

(...)

Die Prognose der Erkrankung ist nicht sicher beurteilbar; bei Anwendung der vermittelten Strategien steht dem Patienten ein großes Repertoire an persönlichen Hilfsmitteln zur Verfügung."

Der Senat hat am 29.4.2009 mündlich verhandelt. Dabei hat der Beamte zur Sache ausgesagt. Die Hauptverhandlung ist zunächst unterbrochen und mit Beschluss vom 9.7.2009 ausgesetzt worden. Eine weitere Hauptverhandlung hat am 19.10.2009 stattgefunden. Der Senat hat den Beamten darauf hingewiesen, dass der Vorfall am 20.5.2008 bei der Maßnahmebemessung berücksichtigt werden kann.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten der ersten Instanz einschließlich der von der Einleitungsbehörde dem Gericht vorgelegten Vorgänge, die insgesamt zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind, vor. Hierauf sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Einleitungsbehörde ist unbegründet. Die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden hat das Verfahren zu Recht eingestellt. Auch der Vorfall am 20.5.2008 führt zu keiner anderen Beurteilung.

Auf das Disziplinarverfahren ist auch nach Inkrafttreten des Sächsischen Disziplinargesetzes am 28.4.2007 (Art. 11 des Gesetzes zur Neuordnung des Disziplinarrechts sowie zur Änderung anderer beamtenrechtlicher Vorschriften des Freistaates Sachsen vom 10.4.2007 [SächsGVBl. S. 54]) die Disziplinarordnung für den Freistaat Sachsen anzuwenden (§ 89 Abs. 1 SächsDG), weil das förmliche Disziplinarverfahren zuvor eingeleitet worden war.

Dem Beamten muss kein Pflichtverteidiger bestellt werden. Die Sächsische Disziplinarordnung sieht ebenso wie die Bundesdisziplinarordnung eine Verteidigerbestellung von Amts wegen nicht vor (vgl. § 17 SächsDO; BVerwG, Beschl. v. 26.11.1984 - 1 DB 44.84 - juris).

Der Senat entscheidet in der Sache. Eine Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts und eine Zurückverweisung nach § 77 Abs. 1 Nr. 3 SächsDO, um einer Nachtragsanschuldigung Raum zu geben, erscheinen nicht sachgerecht. Ihnen steht das Beschleunigungsgebot (§ 3 Abs. 2 Satz 1 SächsDO) entgegen. Ein Sonderfall, in dem der Grundsatz der Einheitlichkeit des Dienstvergehens gegenüber der Beschleunigungsmaxime überwiegt und deshalb eine Pflicht des Gerichtes zur Zurückverweisung besteht (vgl. BayVGH, Beschl. v. 29.8.1985, ZBR 1986, 94), liegt hier nicht vor. Der neue - bislang noch nicht angeschuldigte - Sachverhalt liegt zeitlich nach dem bereits angeschuldigten Sachverhalt und steht mit ihm nicht in einem so engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang, dass nur eine einheitliche Entscheidung in Betracht kommt.

Eine Nachtragsanschuldigung in der Berufungsinstanz kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, nicht in Betracht (vgl. obiter: BVerwG, Beschl. v. 31.5.1979 - 2 WD 29.79 - juris Rn. 37; anders noch: OVG Rh.-Pf., Urt. v. 26.3.1975 - 9 A 2/74 -, juris), so dass Gegenstand der Hauptverhandlung und der Entscheidung nur der Vorwurf aus dem Jahr 2005 ist. § 67 Abs. 1 SächsDO sieht vor, dass zum Gegenstand der Urteilsfindung nur die Anschuldigungspunkte gemacht werden können, die in der Anschuldigungsschrift und ihren Nachträgen dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden.

Der Senat hat den Sachverhalt selbst festzustellen und disziplinarrechtlich zu würdigen, weil das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt wurde.

Der Beamte hat durch den im Strafbefehl angeschuldigten Sachverhalt, der feststeht und von ihm auch eingeräumt wird, schuldhaft ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen. Er hat seine Pflicht, mit seinem Verhalten auch außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (§ 72 Abs. 1 Satz 2 SächsBG a. F., § 34 Satz 3 BeamtStG), verletzt. Zwar bedeutet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine einmalige außerdienstliche Trunkenheitsfahrt im Sinne des § 316 StGB bei einem Beamten, der nicht dienstlich mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs betraut ist, keine Dienstpflichtverletzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.8.2000 - 1 D 37.99 - juris). Hier hat sich der Beamte aber wegen des Unfalls der schwerwiegenderen Straftat nach § 315c StGB schuldig gemacht. Zudem führt er auch dienstlich Kraftfahrzeuge.

Bei der Maßnahmenbemessung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Bei der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten ist auch eine Berücksichtigung des neuen Vorwurfs möglich, obwohl er von der Anschuldigungsschrift nicht erfasst ist. Das Gericht hat bei der Würdigung der Persönlichkeit alle ihm bekannten Umstände zu berücksichtigen (Kognitionspflicht des Gerichts). Es hat den Betroffenen aber auf die Berücksichtigung hinzuweisen. Dies entspricht der Rechtsprechung der Strafgerichte (vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 1.6.1981, BGHSt 30, 147).

Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichts kommt bei einer außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt eines auch dienstlich Kraftfahrzeuge führenden Beamten in der Regel die Verhängung einer Gehaltskürzung in Betracht (vgl. z. B. VG Berlin, Urt. v. 8.2.2007 - 80 Dn 2.06 -; VG München, Urt. v. 8.5.2006 - M 19 D 05.2706 -, jeweils juris. Ausnahmsweise mag die Versetzung eines ein Dienstvergehen der vorliegenden Art begehenden Beamten in ein Amt derselben Laufbahn mit niedrigerem Endgrundgehalt angezeigt sein, wenn das Vergehen von erschwerenden Umständen begleitet wird. Derartige erschwerende Umstände liegen hier aber nicht vor. Die an dem Verkehrsunfall Beteiligten wurden leicht verletzt, der Beamte zeigt Einsicht und versucht - bislang mit sehr gutem Erfolg - seine Alkoholerkrankung zu überwinden. Die Degradierung des Beamten kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil das hier maßgebliche Disziplinarrecht eine Gehaltskürzung nicht vorsieht. Das Fehlen dieser Disziplinarmaßnahme im Kanon der durch die Sächsische Disziplinarordnung geregelten Disziplinarmaßnahmen darf nur zur Verhängung einer geringeren Disziplinarmaßnahme als der Degradierung führen, weil sich die Verhängung dieser Disziplinarmaßnahme bereits aus rechtsstaatlichen Erwägungen heraus verbietet.

Selbst wenn man eine Degradierung für angemessen halten würde, müsste diese nach der Regelung des § 12 Satz 2 SächsDO neben dem Strafbefehl zusätzlich erforderlich sein, um den Beamten zur Erfüllung seiner Aufgaben anzuhalten. Auf ein solches zusätzliches Erfordernis könnte der Zwischenfall vom 20.5.2008 hindeuten. Der Beamte ist im Mai 2008 erneut in die nasse Phase seiner Alkoholkrankheit zurückgefallen und alkoholisiert auf dem Revier erschienen. Bei diesem Rückfall handelt es sich nicht um den ersten Rückfall des Beamten. Gleichwohl ist eine Disziplinarmaßnahme hier nicht erforderlich, um den Beamten zur Erfüllung seiner Aufgaben anzuhalten. Der Beamte hat sich unmittelbar nach dem Vorfall einer Entgiftung unterzogen und im Anschluss daran erstmals eine stationäre Langzeittherapie vom..8. bis...11.2008 in einer Fachklinik gemacht. Nach den Schilderungen im ärztlichen Entlassungsbericht war die Therapie erfolgreich. Zwar gibt der Entlassungsbericht an, die Prognose der Erkrankung sei nicht sicher beurteilbar. Dies liegt aber in der Natur der Alkoholkrankheit und der hohen Rückfallgefahr. Der Senat hat zudem in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Beamte in der Langzeittherapie vertiefte Einsicht in die Ursachen seiner Alkoholsucht gewonnen hat und sich für die Zukunft ein dauerhaft abstinentes Leben vornimmt. Die Disziplinarmaßnahme der Degradierung erscheint neben diesen ernsthaften und bislang auch erfolgreichen eigenen Anstrengungen des Beamten nicht erforderlich.

Die Verhängung einer Geldbuße oder der Ausspruch eines Verweises kommt aus den von der Disziplinarkammer dargelegten Gründen nicht in Betracht mit der Folge der Einstellung des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 106 Abs. 1 Satz 2, § 107 Abs. 3 Satz 1 SächsDO.

Das Urteil ist mit der Verkündung rechtskräftig (§ 82 SächsDO).

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