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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 22.12.2008
Aktenzeichen: D 6 A 582/08
Rechtsgebiete: SächsDG


Vorschriften:

SächsDG § 38 Abs. 1
SächsDG § 68
Wird im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden, sind an die Interessenabwägung und ihre Darstellung in der die vorläufige Dienstenthebung anordnenden Verfügung grundsätzlich keine übermäßigen Anforderungen zu stellen.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: D 6 A 582/08

In der Disziplinarrechtssache

wegen vorläufiger Dienstenthebung und Einbehaltung von Dienstbezügen; Antrag nach § 64 SächsDG

hier: Beschwerde

hat der 6. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust

am 22. Dezember 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12. September 2008 - 10 L 493/08 - geändert.

Die vorläufige Enthebung vom Dienst durch die Verfügung des Antragsgegners vom 21. August 2008 wird ausgesetzt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihren Antrag auf Aussetzung ihrer vorläufigen Dienstenthebung ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts über die Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung statthafte Beschwerde ist gem. § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 68 Abs. 1 SächsDG innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird. Sie ist gem. § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO i. V. m. § 68 Abs. 3 SächsDG innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss gem. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auseinander setzen. Diesen Anforderungen an die Zulässigkeit der Beschwerde gegen den den Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12.9.2008 genügt die Beschwerde der Antragstellerin.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde der Antragstellerin am 16.9.2008 zugestellt. Am 2.10.2008 und damit innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ging beim Verwaltungsgericht Dresden die Beschwerde ein. Die Begründung erfolgte mit Schriftsatz vom 16.10.2008, der am selben Tage und damit innerhalb der Frist des § 146 Abs. 1 Satz 1 VwGO beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht einging. Die Beschwerde enthält den Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12.9.2008 insoweit aufzuheben, als darin die Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung der Antragstellerin abgelehnt wird. Sie enthält die Gründe, aus denen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung abzuändern ist und setzt sich eingehend mit ihr auseinander.

Die somit zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO i. V. m. § 68 Abs. 3 SächsDG allein einzugehen ist, rechtfertigen die aus dem Tenor ersichtliche Änderung des Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht den Antrag auf Aussetzung der mit Verfügung des Antragsgegners vom 21.8.2008 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung abgelehnt. Die vorläufige Dienstenthebung ist auszusetzen, weil ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung hat keinen Bestand, weil jedenfalls nicht erkennbar ist, dass der Antragsgegner das ihm obliegende Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung des § 38 Abs. 1 Satz 1 SächsDG unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgeübt hat.

Rechtsgrundlage der Verfügung der vorläufigen Dienstenthebung ist § 38 Abs. 1 Satz 1 SächsDG. Danach kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Die Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung steht, wie sich aus dem Wort "kann" ergibt, im Ermessen der zuständigen Behörde.

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 SächsDG regelmäßig gerechtfertigt ist, die vorläufige Dienstenthebung anzuordnen, und in einem solchen Falle an die Interessenabwägung und ihre Darlegung grundsätzlich keine übermäßigen Anforderungen zu stellen sind. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 15.12.2006 - D 6 B 621/06 - zur Frage der Ermessensbetätigung und ihrer Darlegung bei der Anwendung der die vorläufige Dienstenthebung früher regelnden Vorschrift des § 83 SächsDO ausgeführt:

"Bei der Ausübung des Ermessens hat die Einleitungsbehörde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen, der auch für die Anordnung vorläufiger Maßnahmen im förmlichen Verfahren zu beachten ist. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet in seiner hier maßgeblichen Ausprägung, dass die Belange des Beamten, insbesondere sein Interesse, seine Tätigkeit einstweilen bis zur rechtskräftigen Beendigung des Disziplinarverfahrens fortzusetzen, mit den dienstlichen Interessen der Behörde, die seiner Weiterbeschäftigung entgegenstehen können, abzuwägen sind. Kommt im Hinblick auf Art und Schwere des Dienstvergehens voraussichtlich die Entfernung des Beamten aus dem Dienst in Betracht, so rechtfertigen es die zu befürchtende Störung der dienstlichen Interessen und die Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes regelmäßig, die Suspendierung anzuordnen und auf diesem Wege den Zeitpunkt der Unterbindung der Amtsausübung gleichsam vorzuverlagern. Denn die Weiterbeschäftigung eines Beamten, dem nach dem Stand der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen das berufserforderliche Vertrauen nicht mehr länger entgegengebracht werden kann, ist dem Dienstherrn in der Regel bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht mehr zuzumuten. In einem solchen Fall, in dem mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme in Betracht kommt, sind deshalb an die Interessenabwägung und ihre Darstellung in der Verfügung grundsätzlich keine übermäßigen Anforderungen zu stellen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn - erstens - eine Entfernung des Beamten aus dem Dienst erkennbar nicht zu erwarten ist oder wenn - zweitens - zwar eine Verhängung der Höchstmaßnahme voraussichtlich in Betracht kommt, besondere Umstände des Falles es jedoch gebieten, auf die sich gegenüberstehenden Rechte und Interessen näher einzugehen. Dann hat die Einleitungsbehörde im Rahmen des § 83 SächsDO eine entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen, weil es in derartigen Fällen eines besonderen rechtfertigenden Grundes dafür bedarf, dass der Beamte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens seinen sich aus dem bestehenden Beamtenverhältnis ergebenden Anspruch auf Ausübung seines Amtes vorübergehend verliert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.9.2000 - 1 DB 7.00 -, NVwZ-RR 2001, 246 und Beschl. v. 17.5.2001 - 1 DB 15.01 -, NVwZ 2001, 1410)."

Diese Maßstäbe gelten auch bei der auf § 38 Abs. 1 Satz 1 SächsDG zu stützenden vorläufigen Dienstenthebung. Die vorgenannte Norm unterscheidet sich sowohl hinsichtlich Regelungsgehalt als auch des mit ihrer Anwendung verfolgten Zwecks nicht von der Norm des § 83 SächsDO. Dies führt auch bei der Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 1 SächsDO zu einem Normverständnis in dem Sinne, dass bei der voraussichtlichen Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis an die Interessenabwägung und ihre Darstellung in der die vorläufige Dienstenthebung anordnenden Verfügung grundsätzlich keine übermäßigen Anforderungen zu stellen sind. Ausnahmsweise ist aber dann eine besondere Interessenabwägung vorzunehmen, wenn besondere Umstände des Falles es gebieten, auf die sich gegenüberstehenden Rechte und Pflichten näher einzugehen. So verhält es sich hier.

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz ist davon ausgegangen, dass im Falle der Antragstellerin wegen des von ihr begangenen Kollegendiebstahls voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Es bezieht sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt: Urt. v. 29.5.2008 - 2 C 59/07 - zitiert nach juris, m.w.N.), nach der in den Fällen des die Schwelle der Geringwertigkeit übersteigenden Kollegendiebstahls aufgrund der Schwere eines solchen Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die disziplinare Maßnahmebestimmung ist, weil der Dienstherr sich auf die Ehrlichkeit seiner Bediensteten verlassen können muss und der Diebstahl gegenüber Kollegen das Betriebsklima vergiftet und den Arbeitsfrieden in schwerwiegender Weise stört. Diese Gründe rechtfertigen es, den Beamten vorläufig vom Dienst zu suspendieren.

Im vorliegenden Fall liegen jedoch besondere Umstände vor, die den Dienstherrn hätten veranlassen müssen, auf die bei der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung sich gegenüberstehenden Rechte und Interessen näher einzugehen. Die Antragstellerin hat eine größere Zahl von Erklärungen vorgelegt, in der Vorsitzende Richter und Richter am sowie Beschäftigte aus dem nichtrichterlichen Bereich erklärt haben, sie sähen das Vertrauensverhältnis zur Antragstellerin als nicht endgültig zerstört und gingen davon aus, dass sich die Antragstellerin nicht wieder strafbar machen werde. Auch der Präsident hat sich in diesem Sinne geäußert. Die durch die Antragstellerin geschädigte Beschäftigte hat in ihrem an den Prozessbevollmächtigten der Beamtin gerichteten Schreiben vom 5.8.2008 sich dahingehend geäußert, dass sie sich vorstellen könne, mit der Beamtin wieder ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen und mit ihr für die nächsten Jahre zusammenzuarbeiten. Diese Erklärungen legen die Vermutung nahe, dass der von der Beamtin begangene Kollegendiebstahl weder das Betriebsklima noch der Arbeitsfrieden in der Dienststelle nachhaltig vergiftet bzw. gestört hat. Sie schließen auch die Annahme nicht aus, dass nach der Einschätzung einer nicht unerheblichen Anzahl von Beschäftigten keine Gefahr eines erneuten strafbaren Verhaltens der Beamtin besteht. Diese Umstände dürfen bei der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung der Beamtin nicht außer Betracht bleiben und hätten deshalb in die Ermessensbetätigung besonders eingestellt werden müssen. In einem Fall wie dem vorliegenden bedarf es eines besonderen rechtfertigenden Grundes dafür, dass die Beamtin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens ihren sich aus dem bestehenden Beamtenverhältnis ergebenden Anspruch auf Ausübung ihres Amtes vorübergehend verliert.

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz ist bei seiner Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin nicht näher auf diese Umstände eingegangen und hat diese damit auch nicht in ihre Interessenabwägung mit einbezogen. Es hat ausgeführt:

"Die vorläufige Dienstenthebung von Frau verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere gebieten mögliche Schwierigkeiten, nach einer Entfernung aus dem Dienst eine andere Arbeitsstelle zu finden, nicht, von der Verhängung der schwersten Disziplinarmaßnahme abzusehen. In das Verhältnis zu setzen sind die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn, zu der das Fehlverhalten geführt hat, und die dementsprechend zu verhängende Maßnahme. Hat eine Beamtin - wie hier - durch ihr vorwerfbares Verhalten die Vertrauensgrundlage zerstört, dann ist die Entfernung aus dem Dienst die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Hörte für die Betroffene ist nicht unverhältnismäßig, sie beruht vielmehr auf ihr zurechenbarem Verhalten (st.Rspr., vgl. z.B. BVerwG, Urteil v. 29.9.1998, 1 D 82/97 zitiert nach Juris)."

Diese Begründung bezieht sich mit Ausnahme des Eingangssatzes nicht auf die vorläufige Suspendierung vom Dienst, sondern verhält sich allein und ausschließlich zur Frage der Verhältnismäßigkeit der zu erwartenden Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Der Begründung der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung kann dagegen nicht entnommen werden, dass sich das Staatsministerium mit den oben näher dargelegten Umständen befasst und diese in seine Interessenabwägung bei der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung einbezogen hat.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergibt sich die notwendige Interessenabwägung durch das Sächsische Staatsministerium der Justiz auch nicht aus der Begründung der im Hinblick auf § 39 Abs. 1 Satz 1 SächsDG nicht erforderlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung. In der Verfügung heißt es hierzu:

"Die sofortige Vollziehung der Verfügung war anzuordnen; sie liegt im besonderen öffentlichen Interesse. Unter dem 31. Juli 2008 wurde Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht Dresden erhoben, mit der beantragt wurde, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, in dem der Antrag gestellt werden wird, Frau aus dem Dienst zu entfernen. Kündigte der Dienstherr einerseits an, die Entfernung der Beamtin aus dem Dienst zu beantragen, und ließe er es aber andererseits zu, dass die angeordnete vorläufige Enthebung vom Dienst in ihrer Vollziehbarkeit gehemmt wird, machte er sich sowohl gegenüber den weiteren Bediensteten in seinem Geschäftsbereich, als auch in der Öffentlichkeit unglaubwürdig. Im übrigen ist es nicht tragbar, dass eine Beamtin, die voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden wird, weiterhin in ihrer Dienststelle unverändert tätig ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass sie seit der Tat zunächst ein Jahr weiterhin als Geschäftsstellenbeamtin eingesetzt war, da die Disziplinarklage mit dem angekündigten Antrag auf Entfernung aus dem Dienst erst kurz zuvor erhoben wurde."

Mit dieser Begründung verhält sich das Sächsische Staatsministerium der Justiz allein zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO und nicht zu der Interessenabwägung im Zusammenhang mit der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung. Im Übrigen setzt sich das Sächsische Staatsministerium der Justiz in dieser Begründung nicht mit den oben näher dargestellten besonderen Umständen auseinander, die in die entsprechende Interessenabwägung einzustellen waren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 78 Abs. 4 SächsDG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 3 SächsDG).

Ende der Entscheidung

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