Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 17.08.2009
Aktenzeichen: D 6 A 655/08
Rechtsgebiete: SächsBG, SächsDO


Vorschriften:

SächsBG § 96 Abs. 1 S. 1
SächsDO § 4 Abs. 1 Nr. 4
SächsDO § 8
SächsDO § 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az.: D 6 A 655/08

In der Disziplinarrechtssache

wegen förmlichen Disziplinarverfahrens

hat der 6. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, den Richter am Oberverwaltungsgericht Meng und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dehoust sowie die Beamtenbeisitzer Gläser und Weist aufgrund der Hauptverhandlung

vom 17. August 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Einleitungsbehörde wird das Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden vom 23. September 2008 - D 10 K 2070/07 - geändert.

Der Beamte wird aus dem Dienst entfernt.

Dem Beamten wird ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v. H. des zum Zeitpunkt der Urteilsfällung erdienten Ruhegehaltes auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt.

Der Beamte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Der 1964 geborene Beamte trat am 1.12.1987 nach dem Besuch der Polytechnischen Oberschule, der Ausbildung zum Zerspanungsfacharbeiter, der Ableistung des Wehrdienstes und einer anschließenden Tätigkeit als Transportarbeiter in den Dienst der Deutschen Volkspolizei beim Volkspolizeikreisamt R........ Zum....1992 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeihauptwachtmeister ernannt. Nach einer Überleitung in das Amt eines Polizeimeisters erfolgte am.....1995 die Ernennung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Während seiner Dienstzeit wurde der Beamte überwiegend im Streifendienst im Polizeirevier R....... eingesetzt.

Der Beamte ist verheiratet. Er erhält verminderte Bezüge der Besoldungsgruppe A 7 in Höhe von etwa 1.900,- € netto. Seine Ehefrau ist arbeitslos. Der gemeinsame Sohn leistet Wehrdienst. Neben den üblichen Belastungen zahlt der Beamte monatlich 453,- € für einen Hauskredit und 210,- € für den Leasingvertrag seines Pkw.

Am 2.4.2002 wurde der Beamte mit 4,37 Punkten (entspricht den Anforderungen) und in der letzten Regelbeurteilung vom 24.8.2005 mit 5,00 Punkten (übertrifft im Wesentlichen die Anforderungen) beurteilt.

Der Beamte ist mit Ausnahme des verfahrensgegenständlichen Vorwurfs weder strafrechtlich noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

Wegen des Vorwurfs, er habe am.....2005 vereinnahmte Verwarngelder in Höhe von 80,- € unterschlagen, wurde gegen den Beamten im Oktober 2005 ein Strafverfahren eingeleitet. Dieses Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft Chemnitz mit Verfügung vom 13.12.2005 gem. § 153 Abs. 1 StPO ein.

Mit Verfügung des Leiters der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge vom.....2005 wurden Vorermittlungen gegen den Beamten angeordnet und wegen des eingeleiteten Strafverfahrens zunächst ausgesetzt. Mit Schreiben vom.....2006 wurde die Fortführung der Vorermittlungen angeordnet. Nach einer Beteiligung der Personalvertretung ordnete der Präsident der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge mit Schreiben vom....2006 das förmliche Disziplinarverfahren an. Zugleich wurde der Beamte vorläufig des Dienstes enthoben. Darüber hinaus wurde die Einbehaltung von 15 % seiner Dienstbezüge angeordnet. Mit Änderungsbescheid vom 11.10.2007 wurde der Einbehaltungssatz rückwirkend auf 10 % verringert.

Mit der am 24.10.2007 beim Verwaltungsgericht Dresden eingegangenen Anschuldigungsschrift der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge wurde der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 96 Abs. 1 SächsBG begangen zu haben, indem er am.....2005 auf 80,- € des von ihm dienstlich vereinnahmten Verwarngeldes zugegriffen und dieses zum Nachteil des Dienstherrn unterschlagen habe.

Zur Begründung führte die Einleitungsbehörde aus, am 27.9.2005 habe eine Mitarbeiterin des Innendienstes die monatliche Kontrolle des Verwarngeldes durchgeführt. Dabei sei bei dem Beamten ein Fehlbetrag in Höhe von 80,- € festgestellt worden. Anhand des Quittungsblocks sei ersichtlich gewesen, dass der Beamte vom 2. bis 27.9.2005 Verwarngelder in Höhe von 155,- € ausgesprochen und vereinnahmt habe. Bei der Kontrolle habe er jedoch nur einen Betrag in Höhe von 75,- € abrechnen können. Im Rahmen des disziplinarischen Vorermittlungsverfahrens am 14.3.2006 habe sich der Beamte dahin eingelassen, er habe am.....2005 bei einer Streifenfahrt in R....... in der Auslage eines Geschäftes einen Gegenstand gesehen, den er unbedingt habe kaufen wollen. Um welchen Gegenstand es sich gehandelt habe, habe der Beamte nicht sagen wollen; dies sei privat. Der Kaufpreis habe 76,90 € betragen. Bei Dienstende gegen 14.00 Uhr habe er bemerkt, dass er seine EC-Karte nicht dabei gehabt habe. Er habe 80,- € aus dem vereinnahmten Verwarngeld entnommen und den Betrag zum nächsten Dienstbeginn wieder hineinlegen wollen. Am folgenden Tag habe er bei Dienstbeginn gemerkt, dass er die EC-Karte wieder zu Hause gelassen habe. Bei der Verwarngeldkontrolle gegen 13.30 Uhr sei der Fehlbetrag in Höhe von 80,- € festgestellt worden. Der Beamte habe gehofft, dass es schon gut gehen werde. Er habe es am.....2005 aus Bequemlichkeit unterlassen, nach Hause zu fahren und die EC-Karte zu holen. Sein Konto sei an dem Tag gedeckt gewesen, so dass er den benötigten Betrag problemlos hätte abheben können. Seine in den Jahren 2003 und 2004 entstandene finanzielle Schieflage, die u. a. zu einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über 4.534,03 € geführt habe, sei überwunden gewesen.

Der Beamte habe eine veruntreuende Unterschlagung bzw. Untreue begangen und dadurch seine Pflichten zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten sowie zur uneigennützigen Amtsführung in schwerwiegender Weise verletzt. Daran ändere die Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit nichts. Der Beamte habe die für eine ordnungsgemäße öffentliche Verwaltung unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört und sei aus dem Dienst zu entfernen. Anerkannte Milderungsgründe oder andere entlastende Gesichtspunkte im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lägen nicht vor. Die Geringwertigkeitsgrenze sei erheblich überschritten. Eine einmalige persönlichkeitsfremde Augenblickstat liege ebenso wenig vor. Der Beamte habe sich nicht in einer besonderen Versuchungssituation befunden und habe das Geld nicht aus einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage genommen.

Mit Urteil vom 23.9.2008 - D 10 K 2070/07 - stellte die Disziplinarkammer das Verfahren ein und legte dem Beamten die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen auf. Der Beamte habe das ihm mit der Anschuldigungsschrift vorgeworfene schwerwiegende innerdienstliches Dienstvergehen begangen, wie er es vorbehaltlos eingeräumt habe. Er habe gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung, zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten sowie zur Befolgung dienstlicher Anordnungen verstoßen. Eine - an sich gebotene - Versetzung in ein Amt derselben Laufbahngruppe mit geringerem Endgrundgehalt könne die Disziplinarkammer nicht verhängen, weil sich der Beamte im Eingangsamt befinde. Da die Sächsische Disziplinarordnung eine Kürzung der Dienstbezüge nicht vorsehe und ein Verweis und eine Geldbuße wegen des Maßnahmeverbots des § 11 SächsDO nicht mehr zulässig sei, müsse das Verfahren gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SächsDO eingestellt werden. Aufgrund der Besonderheiten des Falles komme eine Entfernung aus dem Dienst nicht in Betracht. Zu berücksichtigen sei zunächst der Milderungsgrund der Geringwertigkeit. Die an der Rechtsprechung zu § 248a StGB orientierte Geringwertigkeitsgrenze von 50,- € sei zwar überschritten. Es handle sich allerdings nicht um eine starre Grenze. Die disziplinare Bewertung des Fehlverhaltens könne sich nicht allein nach dem Wert des Zugriffsobjekts richten. Die entscheidende Frage, ob der Beamte für den öffentlichen Dienst noch tragbar sei, lasse sich nur nach der Beurteilung seines gesamten Persönlichkeitsbildes beantworten. Angesichts der lückenlosen Kontrolle der vereinnahmten Verwarngelder und der kurzzeitigen Entziehung des Geldes unterscheide sich der Erfolgsunwert von anderen Unterschlagungen; dies entspreche im Ergebnis der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Chemnitz. Die als unbefriedigend anzusehende Rechtslage dürfe nicht zu einer Absenkung der Anforderungen für die Entfernung aus dem Dienst führen.

Gegen das ihr am 6.10.2008 zugestellte Urteil hat die Einleitungsbehörde am 3.11.2008 Berufung eingelegt und im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Disziplinarkammer habe zu Unrecht von einer Entfernung aus dem Dienst abgesehen. Der Beamte habe durch das vorsätzlich begangene Zugriffsdelikt ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, das bei Polizeivollzugsbeamten nach ständiger Rechtsprechung beim Fehlen von Milderungsgründen im Regelfall mit der Entfernung aus dem Dienst zu ahnden sei. Entgegen den Ausführungen der Disziplinarkammer liege der Milderungsgrund der Geringwertigkeit nicht vor. Auch wenn die Wertgrenze von 50,- € in der Rechtsprechung nicht als starre Grenze verstanden werde, sei sie bei einem Betrag von 80,- € erheblich überschritten. Der Beamte habe eingeräumt, dass er nur aus Bequemlichkeit auf die Verwarngelder zugegriffen habe; den von ihm erstandenen Gegenstand habe er nicht benannt. Damit fehle es an dem von der Rechtsprechung beim Zugriff auf geringwertige Beträge geforderten vertrauenserhaltenden Persönlichkeitselement in Gestalt einer noch vorhandenen Hemmschwelle und eines verminderten Unrechtsbewusstseins. Andere Gesichtspunkte rechtfertigten es ebenso wenig, von einer Entfernung aus dem Dienst abzusehen. Der Dienstherr sei auf die absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten beim Umgang mit dienstlich anvertrautem Geld angewiesen. Wer die für eine öffentliche Verwaltung unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstöre, müsse grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen. Eine lückenlose Kontrolle der Verwarngelder erfolge auch im Bereich der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge nicht. Die von der Disziplinarkammer herangezogene Festlegung des Leiters der Polizeidirektion vom 14.2.2005, nach der die Revierführer und Leiter der Polizeiinspektionen sicherzustellen hätten, dass jeder Bedienstete einmal im Monat kontrolliert werde, lasse einen Schluss auf eine lückenlose Kontrolle ebenso wenig zu wie die Ausgabe von Verwarnblöcken und die Abrechnung in entsprechend geführten Listen. Die angeordneten Kontrollen schlössen es nicht aus, dass Beamte über einen Zeitraum von bis zu zwei Monate unkontrolliert blieben. Es lasse sich auch nicht ausschließen, dass Beamte bei den unangekündigt durchgeführten Kontrollen etwa wegen Urlaubs, Krankheit oder Abordnung nicht angetroffen würden. Öffentliche Mittel seien auch nicht dazu bestimmt, dem Kreditbedürfnis von Beamten zu dienen. Da sich eine fehlende Aufsichtsführung in Disziplinarverfahren unter Umständen zugunsten eines angeschuldigten Beamten auswirken könne, gehe es nicht an, einem Beamten die Durchführung regelmäßiger Kontrollen zum Vorteil gereichen zu lassen. Den Beamten entlaste es schließlich auch nicht, dass er den von Fehlbetrag nach der Endeckung beglichen habe.

Die Einleitungsbehörde beantragt,

das Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden vom 23. Juni 2008 - D 10 K 2070/07 - zu ändern und den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.

Der Beamte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Eine Entfernung aus dem Dienst sei nicht gerechtfertigt. Im Rahmen einer prognostischen Gesamtwürdigung seien sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Der Beamte habe den gegen ihn erhobenen Vorwurf von Anfang an vorbehaltlos eingestanden. Die Disziplinarkammer sei zutreffend vom Milderungsgrund der Geringwertigkeit ausgegangen. Ein finanzieller Schaden sei letztlich nicht entstanden. Die regelmäßigen Kontrollen hätten einen dauerhaften Entzug des Geldes ausgeschlossen. Erschwerende Tatumstände lägen nicht vor; die Staatsanwaltschaft habe das Strafverfahren schon vor Jahren eingestellt.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten der ersten Instanz einschließlich der von der Einleitungsbehörde vorgelegten Vorgänge vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakte des Senats einschließlich des Protokolls der Hauptverhandlung wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Einleitungsbehörde ist begründet. Die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Dresden hat das Verfahren zu Unrecht eingestellt. Der Beamte ist aus dem Dienst zu entfernen.

Auf das Disziplinarverfahren ist auch nach Inkrafttreten des Sächsischen Disziplinargesetzes am 28.4.2007 (Art. 11 des Gesetzes zur Neuordnung des Disziplinarrechts sowie zur Änderung anderer beamtenrechtlicher Vorschriften des Freistaates Sachsen vom 10.4.2007 [SächsGVBl. S. 54]) die Disziplinarordnung für den Freistaat Sachsen anzuwenden (§ 89 Abs. 1 SächsDG).

Der Senat hat den Sachverhalt selber festzustellen und disziplinarrechtlich zu würdigen, weil das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt wurde.

Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung - insbesondere aufgrund der Einlassung des auch im Berufungsverfahren geständigen Beamten - steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beamte ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen i. S. d. § 96 Abs. 1 Satz 1 SächsBG begangen hat, indem er sich der Unterschlagung (§ 246 StGB) vereinnahmter Verwarngelder in Höhe von 80,- € schuldig gemacht hat. Ob bei der strafrechtlichen Würdigung der dem Beamten vorgeworfenen Tat zugleich ein Verwahrungsbruch (§ 133 Abs. 1 StGB) anzunehmen ist (siehe BGH, Urt. v. 29.10.1992 - 4 StR 353/92 - juris Rn. 16 ff.), kann für die disziplinarrechtliche Würdigung offen bleiben.

In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat von Folgendem aus:

Der Beamte nahm am frühen Nachmittag des.....2005 (Montag) nach dem Ende seiner Schicht (14.00 Uhr) in seiner Dienststelle in R....... 80,- € der von ihm vereinnahmten Verwarngelder an sich, um damit ein Geschenk für seine Ehefrau zu kaufen, das er einige Stunden zuvor bei seiner Streifenfahrt in einer Schaufensterauslage in R....... gesehen hatte. Auf dem Nachhauseweg in das etwa 12 km entfernte ........... fuhr der Beamte an dem Geschäft vorbei und kaufte das - auch auf mehrfaches Nachfragen des Senats nicht näher benannte - Geschenk für 76,90 €. Dieses Geschenk überreichte der Beamte seiner Frau am folgenden Wochenende; zuvor hatte er es im Kofferraum seines Wagens aufbewahrt. Der Beamte wusste u. a. aufgrund vorangegangener Belehrungen, dass Polizeibeamten der Zugriff auf vereinnahmte Verwarngelder vom Dienstherrn untersagt war. Der Beamte beabsichtigte, am folgenden Tag mit seiner EC-Karte Geld abzuheben, um den Fehlbetrag zum Dienstantritt zu ersetzen. Bei Antritt des Dienstes am folgenden Tag stellte der Beamte fest, dass er seine EC-Karte erneut vergessen hatte. Als gegen Mittag die unangekündigte Kontrolle der Verwarngelder erfolgte, räumte der Beamte gegenüber der für die Kontrolle zuständigen Bediensteten des Innendienstes ein, dass er nur 75,- € der vereinnahmten Verwarngelder in einer Gesamthöhe von 155,- € abrechnen konnte, weil er 80,- € für eigene Zwecke verwendet hatte. Am folgenden Tag beglich der Beamte den Fehlbetrag in der Dienststelle.

Bei der disziplinarrechtlichen Würdigung dieses Sachverhalts geht der Senat mit der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts davon aus, dass der Beamte die ihm obliegenden Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 69 Abs. 1 Satz 2 SächsBG a. F., § 34 Satz 2 BeamtStG), zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten (§ 72 Abs. 1 Satz 2 SächsBG a. F., § 34 Satz 3 BeamtStG) und zur Befolgung dienstlicher Anordnungen (§ 73 Satz 2 SächsBG a. F., § 35 Satz 2 BeamtStG) vorsätzlich verletzt und damit ein sehr schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 SächsBG a. F., § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen hat.

Anders als die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts hält der Senat eine Entfernung des Beamten aus dem Dienst für angemessen.

Die Entfernung aus dem Dienst (§ 4 Abs. 1 Nr. 4, § 8 SächsDO) setzt voraus, dass der Beamte aufgrund seines Fehlverhaltens für den Dienst nicht mehr tragbar ist. Dabei ist nicht nur das Fehlverhalten, sondern die Gesamtpersönlichkeit des Beamten zu würdigen. Die Entfernung aus dem Dienst ist auszusprechen, wenn sich aufgrund der Gesamtwürdigung ergibt, dass es dem Dienstherrn nicht mehr zuzumuten ist, das Beamtenverhältnis fortzusetzen. Entscheidendes Gewicht kommt bei der gebotenen Einzelfallprüfung den spezifischen Amtspflichten zu, die dem Beamten obliegen (SächsOVG, Urt. v. 6.7.2004, LKV 2005, 225 m. w. N.). Ein Beamter, der durch die Begehung einer vorsätzlichen Straftat gerade das tut, was zu verhindern oder wenigstens anzuzeigen zu den spezifischen Aufgaben seines Amtes gehört, ist bei Fehlen von Milderungsgründen im Regelfall aus dem Dienst zu entfernen. Unter Berücksichtigung der den in § 152 Abs. 2 Satz 1 GVG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz über die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft vom 5.4.2005 (SächsGVBl. S. 72) näher aufgeführten Polizeivollzugsbeamten mit der Funktion von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zukommenden spezifischen Amtspflichten (§§ 1, 3 SächsPolG, § 163 StPO) entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Disziplinarsenats, dass vorsätzliche Straftaten von Polizeivollzugsbeamten wegen des damit verbundenen Vertrauensverlustes und Ansehensschadens im Regelfall zur Entfernung aus dem Dienst führen, sofern keine sog. Milderungsgründe oder andere entlastende Umstände von vergleichbarem Gewicht vorliegen.

Ausgehend von diesem Maßstab ist der Beamte aufgrund seines vorsätzlichen Fehlverhaltens für den Dienst nicht mehr tragbar. Das als sog. Zugriffsdelikt einzustufende Dienstvergehen, durch den der Geldbestand des Dienstherrn unmittelbar verkürzt wurde (zur Definition siehe BVerwG, Urt. v. 11.6.2002 - 1 D 31/01 - juris Rn. 16 m. w. N.), hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen endgültigen Verlust des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zur Folge.

Ein sog. klassischer Milderungsgrund ist nicht gegeben. Einer der vom Bundesverwaltungsgericht unter der Geltung der Bundesdisziplinarordnung speziell zu den Zugriffsdelikten entwickelten - und vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht für die Sächsische Disziplinarordnung übernommenen - sog. anerkannten Milderungsgründe (siehe BVerwG, Urt. v. 20.10.2005 - 2 C 12/04 - juris Rn. 29) liegt nicht vor.

Eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat des Beamten scheidet aus. Dieser Milderungsgrund kommt in Betracht, wenn ein Beamter im Zuge einer plötzlich entstandenen besonderen Versuchungssituation einmalig und persönlichkeitsfremd gehandelt und dabei ein gewisses Maß an Kopflosigkeit, Unüberlegtheit und Spontaneität gezeigt hat (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 5.5.1998, Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 16; Senatsurt. v. 8.6.2005 - D 6 B 978/04 - m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil zwischen der "Entdeckung" des als Geschenk vorgesehenen Gegenstands in der Schaufensterauslage vor 12.00 Uhr - so die Einlassung des Beamten in der Hauptverhandlung - und der Entnahme des Verwarngeldes nach Dienstende (14.00 Uhr) mehrere Stunden verstrichen waren. Im Übrigen kann die Schaufensterauslage in R....... - mag sie auch den vom Beamten schon länger gesuchten Gegenstand enthalten haben - nicht als außergewöhnliche Versuchungssituation für einen Polizeivollzugsbeamten im langjährigen Streifendienst angesehen werden.

Der Milderungsgrund der psychischen Ausnahmesituation scheidet mangels eines plötzlichen und unvorhersehbaren Ereignisses mit anschließendem seelischem Schock ersichtlich aus. Die Unterschlagung der Verwarngelder erfolgte auch nicht aus einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage heraus. Der Beamte hat auf mehrfache Nachfragen des Senats ausdrücklich erklärt, seine wirtschaftlichen Verhältnisse seien im September 2005 trotz vorhandener Kreditbelastungen (namentlich für den Erwerb und Ausbau des Eigenheims) geordnet gewesen. Hinzu kommt, dass der Beamte das Verwarngeld nicht zur Abwehr einer als unausweichlich empfundenen Notlage eingesetzt (dazu siehe BVerwG, Urt. v. 7.11.1990 - 1 D 80/89 - juris Rn. 10), sondern seiner arbeitslosen Ehefrau - "außer der Reihe" - ein Geschenk gekauft hat, um ihr eine Freude zu machen. Eine freiwillige Offenbarung des Fehlverhaltens vor der Tatentdeckung lag nicht vor, weil der Beamte die Unterschlagung erst im Rahmen der unangekündigten, für ihn unabwendbaren Kontrolle der Verwarngelder am 27.9.2005 eingeräumt hat. Dies schließt es zugleich aus, die Erstattung des Fehlbetrags durch den Beamten am 28.9.2005 als freiwillige Wiedergutmachung des Schadens mildernd zu berücksichtigen (siehe BVerwG, Urt. v. 7.11.1990 a. a. O.; Urt. v. 20.10.2005 a. a. O.). Soweit der Beamte in der Hauptverhandlung auf Nachfrage des Gerichts erklärt hat, sein Vater habe ihm am Nachmittag des.....2005 unerwartet schwere Vorwürfe wegen eines Darlehns gemacht, das er zum Ausbau des Eigenheims erhalten, aber noch nicht getilgt habe, lag dieser Vorfall zeitlich nach der Unterschlagung und hatte deshalb auf die Begehung dieser Tat keinen Einfluss. Anderweitige familiäre Probleme hatte der Beamte nach eigenen Angaben nicht.

Anders als die Disziplinarkammer sieht der erkennende Senat den Milderungsgrund der Geringfügigkeit angesichts des unterschlagenen Verwarngeld in Höhe von 80,- € nicht mehr als gegeben an. Der vom Bundesverwaltungsgericht erstmals im Urteil vom 24.11.1992 - 1 D 66.91 - (juris) angewandte Milderungsgrund gestattet ein Absehen von der Entfernung aus dem Dienst, wenn der Wert des Zugriffsobjekts gering ist und durch das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Interessen verletzt sind. Der vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts zunächst mit etwa 50,- DM angesetzte, nie als starre Obergrenze verstandene Wert wurde in Anlehnung an neuere strafgerichtliche Rechtsprechung zu § 248a StGB (diese ablehnend Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 248a Rn. 3) mit Urteil vom 11.6.2002 - 1 D 31/01 - (juris Rn. 21) zuletzt auf 50,- € erhöht. Dem sind der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 22.9.2006 - 2 B 52/06 - juris) für das Bundesdisziplinargesetz und der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.2.2008 - 2 WD 5/07 - juris Rn. 63 mit Erläuterungen von Deiseroth, jurisPR-BVerwG 18/2008 Anm. 3) für die Wehrdisziplinarordnung gefolgt. Für die Sächsische Disziplinarordnung wurde die Wertgrenze von 50,- € durch den erkennenden Senat mit Urteil vom 6.11.2002 - D 6 B 437/01 - (unveröffentlicht) übernommen und seitdem in ständiger Rechtsprechung zugrunde gelegt.

Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Geringfügigkeitsgrenze sei bei der kurzfristigen Entziehung eines Betrags in Höhe von 80,- € noch nicht überschritten, folgt der Senat nicht. Da eine Unterschlagung von Bargeld vorliegt, hängt das Erreichen der "oberen Wertgrenze" (Formulierung im Leitsatz von BVerwG, Urt. v. 11.6.2002 a. a. O.) für ein Absehen von der Entfernung aus dem Dienst nicht vom Ergebnis einer Wertermittlung ab, wie sie etwa bei der Entwendung von dienstlichen Gebrauchsgegenständen erforderlich werden kann. Nach Auffassung des Senats ist der Wert von "etwa 50,- €" (BVerwG, Urt. v. 11.6.2002 a. a. O., Rn. 21) bei einem Geldbetrag in Höhe von 80,- € deutlich überschritten, so dass dem Beamten der Milderungsgrund der Geringwertigkeit nicht zugebilligt werden kann. Dabei verkennt der Senat nicht, dass sich vertrauenserhaltende Persönlichkeitselemente und eine noch vorhandene Hemmschwelle, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.6.2002 a. a. O.) den Milderungsgrund der Geringwertigkeit rechtfertigen sollen, nur schwer an der Höhe eines bestimmten Geldbetrags festmachen lassen. Ebenso trifft zu, dass sich der vom Beamten gegenüber dem Dienstherrn verursachte materielle Schaden wegen der nur kurzzeitigen Entziehung des Geldbetrags im unteren Bereich bewegt und dass die Staatsanwaltschaft Chemnitz von einer Strafverfolgung des Beamten wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) abgesehen hat. Diese Erwägungen rechtfertigen es jedoch nicht, die - namentlich im Vergleich zur arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung für außerordentliche Kündigungen (Nachweise bei Deiseroth a. a. O.) - obere Wertgrenze für die Annahme eines sog. Bagatellfalls abweichend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der strafrechtlichen Praxis zu § 248a StGB um 60 % zu überschreiten. Ob der Bundesgerichtshof entgegen der obergerichtlichen Rechtsprechung zu § 248a StGB noch von einer Wertgrenze von 25,- € ausgeht (so Fischer a. a. O.), ist insoweit ohne Belang.

Der vom Verwaltungsgericht zugunsten des Beamten mitberücksichtigte Umstand, dass der Dienstherr eine "lückenlose" (Urteilsabdruck S. 8) Kontrolle und Abrechnung der vereinnahmten Verwarngelder durchführte, rechtfertigt es nicht, von einer Entfernung aus dem Dienst abzusehen. Aus der Durchführung regelmäßiger Kontrollen in der Dienststelle lässt sich allenfalls schließen, dass der Beamte eine Entdeckung der Unterschlagung von Anfang an ernstlich in Betracht ziehen musste. Dies mag für eine fehlende kriminelle Energie des Beamten sprechen, der sich auch nicht um eine Verdeckung der Tat bemüht hat. Die Durchführung der Kontrollen als solche ist für die Frage, ob der durch das Dienstvergehen eingetretene Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit beseitigt werden kann, jedoch unerheblich.

Neben der geringen kriminellen Energie des Beamten, der das Verwarngeld aus "Bequemlichkeit" unterschlagen hat, um sich einen zusätzlichen Weg nach Hause und zur Bank zu sparen, hat der Senat im Rahmen einer Gesamtwürdigung berücksichtigt, dass der Beamte nicht anderweitig strafrechtlich oder disziplinarrechtlich vorbelastet ist, dass er von Anfang an geständig war und dass er seinen Polizeidienst über viele Jahre hinweg ohne wesentliche Beanstandungen verrichtet hat.

Im Rahmen einer Gesamtwürdigung kommt diesen Umständen jedoch kein solches Gewicht zu, das zugunsten des Beamten die Annahme rechtfertigen könnte, er habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit trotz des vorsätzlich begangenen Zugriffsdelikts noch nicht endgültig verloren.

Nach alledem ist das angegriffene Urteil der Disziplinarkammer zu ändern.

Dem Beamten ist ein Unterhaltsbeitrag (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SächsDO) in Höhe von 75 v. H. des erdienten Ruhegehaltes für die Dauer von sechs Monaten zu bewilligen. Der Senat hält es für erforderlich, dem Beamten diesen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen, um ihm die Möglichkeit zu geben, die mit der Entfernung aus dem Dienst und damit dem Wegfall der Bezüge verbundenen finanziellen Probleme zu lösen. Anhaltspunkte dafür, dass der Beamte unwürdig im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 SächsDO ist, liegen nicht vor.

Der Senat weist darauf hin, dass ein Unterhaltsbeitrag gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 SächsDO erneut bewilligt werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 69 SächsDO nach sechs Monaten weiter vorliegen, wenn also der frühere Beamte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung weiterhin bedürftig und ihrer nicht unwürdig ist. Voraussetzung ist, dass der Beamte sich in ausreichendem Maß um die Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit bemüht hat. Findet der Beamte trotz seiner Bemühungen aufgrund seiner persönlichen Umstände oder der Arbeitsmarktlage keine sein Auskommen sichernde Beschäftigung, kann er bei der Disziplinarkammer beantragen, dass ein Unterhaltsbeitrag neu bewilligt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 106 Abs. 3 Satz 2, § 105 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SächsDO.

Das Urteil ist mit der Verkündung rechtskräftig (§ 82 SächsDO).

Ende der Entscheidung

Zurück