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Beginn der Entscheidung

Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 10.06.2009
Aktenzeichen: PL 9 A 536/08
Rechtsgebiete: SächsPersVG, BGB


Vorschriften:

SächsPersVG § 47 Abs. 1 S. 2
BGB § 626 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Beschluss

Az.: PL 9 A 536/08

In der Personalvertretungssache

wegen Zustimmung des Gesamtpersonalrats zur außerordentlichen Kündigung

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der 9. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Grünberg, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Drehwald und die ehrenamtlichen Richter Hehr und Maurer

am 10. Juni 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 25. April 2008 - PL 9 K 2228/07 - wird abgelehnt.

Gründe:

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

Ernstliche Zweifel bestehen dann, wenn im Zulassungsverfahren tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt werden, dass der Ausgang des Beschwerdeverfahrens zumindest als ungewiss zu beurteilen ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, da das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur beabsichtigten Kündigung des Beteiligten zu 1 - zumindest im Ergebnis - zu Recht abgelehnt hat.

Die Ersetzung der Zustimmung setzt nach § 47 Abs. 1 Abs. 2 SächsPersVG voraus, dass die außerordentliche Kündigung des Personalratsmitgliedes unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Die Schutzvorschrift knüpft damit an einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB an, dessen Vorliegen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine zweistufige Prüfung erfordert. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG, Urt. v. 7.7.2005, NJW 2006, 540). Im Streitfall fehlt es hinsichtlich des von der Antragstellerin erhobenen Vorwurfs des unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst schon auf der ersten Stufe an einem wichtigen Grund (1); hinsichtlich der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten kann jedenfalls auf der zweiten Stufe nicht von einem wichtigen Kündigungsgrund ausgegangen werden (2).

1. Zwar stellt das unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst an sich eine kündigungsrelevante Verletzung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht dar, die umso schwerer wiegt, je mehr der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt (BAG, Urt. v. 7.7.2005, a. a. O.). Nimmt jedoch ein nicht freigestelltes Personalratsmitglied Personalratstätigkeit wahr, so kommt eine Abmahnung und erst recht eine außerordentliche Kündigung wegen der dadurch bedingten Versäumung von Arbeitszeit dann nicht in Betracht, wenn es sie für erforderlich halten konnte (vgl. BAG, Urt. v. 6.8.1981, DB 1982, 758 zur Abmahnung eines Betriebsratsmitgliedes). Für die Beurteilung, ob Arbeits- oder Dienstzeitversäumnis zur ordnungsgemäßen Durchführung der Personalratsaufgaben erforderlich ist, kommt es maßgeblich darauf an, ob das betreffende Personalratsmitglied nach pflichtgemäßem Ermessen und nach vernünftiger Würdigung aller objektiven Umstände die Arbeitszeitversäumnis für notwendig halten durfte, um den Personalratsaufgaben gerecht zu werden (BVerwG, Beschl. v. 1.12.1993 - 1 DB 36/92 - zitiert nach JURIS). Allerdings darf der Arbeitgeber schon aufgrund des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht regelmäßig zur Prüfung der Erforderlichkeit in der Vergangenheit liegender Personalratstätigkeit die lückenlose Darlegung zu deren Art und Umfang fordern. Stichwortartige Angaben zum Zwecke der Prüfung der Erforderlichkeit kann der Arbeitgeber vielmehr nur verlangen, wenn anhand der konkreten Situation der Dienststelle und des vom Personalratsmitglied genannten Zeitaufwandes an der Erforderlichkeit der Personalratstätigkeit insgesamt Zweifel bestehen. Nur in diesem Fall hat das Personalratsmitglied dem Arbeitgeber Kurzangaben auch zur Art der durchgeführten Tätigkeit zu übermitteln, die zumindest eine Plausibilitätskontrolle ermöglichen (vgl. BAG, Urt. 15.3.1995, BAGE 79, 263)

Ausgehend davon kann der Umstand, dass der Beteiligte zu 1 unstreitig ab seiner Wahl zum Gesamtpersonalratsvorsitzenden Mitte Mai 2007 bis Juli 2007 fast ausschließlich Personalratstätigkeiten wahrgenommen hat (Mai 2007 108 Stunden, Juni 2007 160,5 Stunden, Juli 121,5 Stunden), nicht als kündigungsrelevantes Fernbleiben vom Dienst gewertet werden. Die Antragstellerin hatte im Streitfall keinen hinreichenden Anlass, die Erforderlichkeit der Personalratstätigkeit des Beteiligten zu 1 insgesamt in Zweifel zu ziehen und stichwortartige Angaben für die ersten drei Monate zu verlangen.

Hinsichtlich der Hälfte der regulären Arbeitszeit ergibt sich dies schon daraus, dass bereits die Vorsitzende des Vorgänger-Gesamtpersonalrats in Höhe von 50 v. H. vom Dienst teilweise pauschal freigestellt war, die Antragstellerin diesen Freistellungsumfang in der Vergangenheit selbst für erforderlich gehalten und sie nicht substantiiert dargelegt hat, dass und ggf. aus welchen Gründen ab Mitte Mai 2007 ein geringerer Freistellungsumfang ausreichend gewesen sein könnte. Aber auch hinsichtlich des Arbeitszeitumfangs, den der Beteiligte zu 1 darüber hinausgehend für Personalratstätigkeiten in den ersten zweieinhalb Monaten seiner Wahl zum Vorsitzenden des Gesamtpersonalrats aufgewendet hat, ist nicht von berechtigten Zweifeln der Antragstellerin an der Erforderlichkeit der Personalratstätigkeit auszugehen.

Im Hinblick auf die mangelnde Reaktion der Antragstellerin auf sein Schreiben vom 31.5.2007 durfte der Beteiligte zu 1 zumindest für die von ihm mitgeteilte Anfangsphase von ca. zwei bis drei Monaten seinen ganz überwiegenden Einsatz für die Tätigkeit als Gesamtratspersonalvorsitzender für erforderlich halten. In dem Schreiben hatte er seine hauptsächliche Inanspruchnahme für Personalratstätigkeiten während dieser Zeitspanne damit begründet, dass die Startphase mit zahlreichen neuen Mitgliedern die Überprüfung bewährter Arbeitsmethoden mit sich bringe, gleichzeitig das laufende Geschäft abzusichern und für die Fortbildung bzw. Grundschulung der neu gewählten Mitglieder zu sorgen sei, zumal auf erfahrene Leistungs- und Erfahrungsträger teilweise nicht mehr zurückgegriffen werden könne. In ihrem Schreiben vom 27.6.2009 trat die Antragstellerin dem nicht ausdrücklich entgegen. Angesichts der durch den Beteiligten zu 1 dargelegten Umstände erscheint es plausibel, dass die neue Zusammensetzung des Gesamtpersonalrats zumindest vorübergehend eine Freistellung des Vorsitzenden in erheblich höherem Umfang gerechtfertigt hätte als der bereits unter eingespielten Arbeitsbedingungen für erforderlich gehaltene Umfang in Höhe von 50 v. H. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Gründe, mit denen der Beteiligte zu 2 mit Schreiben vom 9.11.2007 seine Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung des Beteiligten zu 1 abgelehnt hat. Danach übernahm der Beteiligte zu 1 im Zeitraum ab der konstituierenden Sitzung des Gesamtpersonalrats am 21.5.2007 alle Aufgaben, die mit der Neuwahl des Gesamtpersonalrats verbunden waren. Er habe u. laufenden Arbeitsaufgaben, neue Terminstellungen und den Aufbau einer Arbeitsstruktur innerhalb des Gesamtpersonalrats koordinieren, inhaltlich vorbereiten und in Form von Beschluss- und Positionierungsvorlagen bereitstellen müssen. In dieser schwierigen Anfangs- und Aufbauphase habe er wegen wiederholter längerer Krankheitszeiten von Büro- und Schreibkräften zusätzlich bürobezogene Routineaufgaben übernommen und durch seinen erstmals in den Gesamtpersonalrat gewählten ersten Stellvertreter nur sehr wenig Hilfe erhalten können. Abschließend zieht auch der Gesamtpersonalrat trotz Kritik an den Arbeitsergebnissen nicht in Zweifel, dass der Zeitaufwand des Beteiligten zu 1 der Abarbeitung von Personalratsaufgaben diente. Unter diesen Umständen kann die Antragstellerin die Berechtigung ihrer Zweifel an der Erforderlichkeit nicht - wie im Zulassungsantrag geschehen - allein damit begründen, dass der Beteiligte zu 1 sich "über einen Zeitraum von deutlich mehr als zwei Monaten" nahezu ausschließlich der Personalratstätigkeit gewidmet habe. Offenbar räumt die Antragstellerin selbst für eine Anfangsphase von unter zwei Monaten den benötigten Zeitaufwand im Anschluss an eine neue Zusammensetzung des Gesamtpersonalrats ein. Sie wartete indes noch deutlich länger zu, bis sie dem Beteiligten zu 1 mit Schreiben vom 5.9.2007 mitteilte, dass sie seinen Vollzeiteinsatz für den Gesamtpersonalrat nicht akzeptiere, und ihn aufforderte, stichwortartig konkrete Angaben zur Art seiner Personalratstätigkeit im Zeitraum vom Mai bis Juli 2007 zu machen. In Anbetracht dessen war und ist nicht erkennbar, aus welchen konkreten Umständen die Antragstellerin nach Ablauf von zwei Monaten eine zeitliche Zäsur annimmt, die ihr Anlass zu berechtigten Zweifeln an der Erforderlichkeit der Personalratstätigkeit des Beteiligten zu 1 in dem streitgegenständlichen Zeitraum gegeben haben soll.

2. Indem der Beteiligte zu 1 es unterließ, in dem in Rede stehenden Zeitraum, in dem er als Vorsitzender des Gesamtpersonalrats weder ganz noch teilweise gemäß §§ 57, 55, 46 Abs. 3 SächsPersVG von seiner dienstlichen Tätigkeit freigestellt war, sich täglich jeweils für die Versäumnis von Arbeitszeit, die zur Erledigung von Gesamtpersonalratsaufgaben im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG erforderlich war, bei seinem Dienststellenleiter abzumelden, hat er zwar gegen eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verstoßen. Denn die Pflicht eines nicht freigestellten Personalratsmitgliedes, sich vor Beginn seiner unter § 46 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG fallenden Personalratstätigkeit beim Arbeitgeber abzumelden, stellt nicht nur eine personalvertretungsrechtliche Amtspflicht dar, welche nicht zum Anlass einer individualrechtlichen Kündigung oder Abmahnung gemacht werden kann, sondern obliegt dem Personalratsmitglied wie jedem anderen Arbeitnehmer vor Verlassen seines Arbeitsplatzes als arbeitsvertragliche Nebenpflicht (vgl. BAG, Urt. v. 15.7.1992, BAGE 71, 20 und Urt. v. 15.3.1995, BAGE 79, 263 zu § 37 Abs. 2 BetrVG; NdsOVG, Beschl. v. 1.4.1998, PersR 1999, 28). Die fortgesetzte Verletzung dieser Nebenpflicht wiegt wegen des mehrmonatigen Zeitraums auch schwer. Gleichwohl führt die Würdigung aller hier relevanten besonderen Umstände des Streitfalles zur Bestätigung des erstinstanzlichen Ergebnisses, dass die fortgesetzte Pflichtverletzung des Beteiligten zu 1 nicht von derartigem Gewicht war, dass es der Antragstellerin nicht zumutbar gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der (wegen § 15 Abs. 2 KSchG fiktiven) Frist für eine ordentliche Kündigung fortzuführen.

Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bereits entgegensteht, dass die Antragstellerin den Beteiligten zu 1 nicht vor ihrem Ausspruch abgemahnt hat. Einer vorhergehenden Abmahnung bedarf es nach deren Sinn und Zweck dann, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (vgl. BAG, Urt. v. 7.7.2005, NJW 2006, 540). Die arbeitsvertragliche Abmeldepflicht und deren pflichtwidriges Unterlassen musste der Beteiligte zu 1 ohne weiteres erkennen. Zweifelhaft kann allein sein, ob er wegen des Schweigens der Antragstellerin auf sein Schreiben vom 31.5.2007 vernünftigerweise davon ausgehen durfte, dass sie sein Verhalten als weniger gravierend einschätzen würde. Selbst wenn diese Voraussetzung für das Erfordernis einer vorhergehenden Abmahnung nicht erfüllt wäre, spricht der Umstand, dass die Antragstellerin in Kenntnis des nahezu ausschließlichen Einsatzes des Beteiligten zu 1 zu Personalratstätigkeiten während der von ihm angekündigten Dauer von zwei bis drei Monaten jedenfalls nicht eindeutig missbilligend reagiert hat, gegen die Annahme, dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus diesem Grunde hernach unzumutbar sein sollte. Es ist in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass in vergleichbaren Fällen eine Abmahnung zumindest zulässig ist (vgl. BAG, Urt. v. 15.7.1992, a. a. O.); zudem dürfte sie in Konstellationen, in denen es - wie hier - nicht um die Verletzung der Hauptleistungspflicht geht, auch üblich sein. Unterlässt der Arbeitgeber eine Abmahnung und gibt er seiner Missbilligung auch nicht auf andere Weise eindeutig Ausdruck, so fällt dies bei der Abwägung der für und wider eine außerordentlichen Kündigung zur berücksichtigen Umstände jedenfalls zu seinen Lasten ins Gewicht. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus dem Schreiben der Antragstellerin vom 27.6.2007. Soweit dieses organisatorische Anmerkungen enthält, ist es ersichtlich nicht als Reaktion auf das bereits seit einem Monat praktizierte Verhalten des Beteiligten zu 1 formuliert. Demgemäß teilt der Senat auch die abschließende Wertung des Verwaltungsgerichts, dass die Kommunikation zwischen der Dienststellenleitung und dem Beteiligten zu 1 hinsichtlich des Umfangs einer ggf. notwendigen Freistellung nicht ausreichend war und beiderseits nicht den Anforderungen entsprach, die an eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 SächsPersVG zu stellen sind. Die insoweit beiderseitigen Defizite rechtfertigen es ebenfalls nicht, den Konflikt im Wege der außerordentlichen Kündigung einseitig zu Lasten des Beteiligten zu 1 zu lösen.

Eine Kostenentscheidung erübrigt sich (§ 88 Abs. 2 SächsPersVG i. V. m. § 80 Abs. 1, § 2a Abs. 1 und § 12 Abs. 5 ArbGG).

Mit dieser Entscheidung, die unanfechtbar ist, wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 88 Abs. 2 Satz 2 SächsPersVG, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Ende der Entscheidung

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