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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.01.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 280/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB, GVG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 353
StPO § 354 Abs. 2
StPO § 460
StPO § 462
StGB § 53
StGB § 54
StGB § 55
GVG § 24 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 Ss 280/02

In dem Strafverfahren

wegen Vergewaltigung u. a.

hat auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. großen Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts Erfurt vom 11.07.2002 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rachor, Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger

am 24. Januar 2003

einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Das Urteil der 3. Strafkammer des Landgerichts Erfurt vom 11.7.2002 wird im Rechtsfolgenausspruch (Einzelstrafe, Gesamtstrafe) samt den insofern zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts Erfurt zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Revision als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Artern verurteilte den Angeklagten im hiesigen Strafverfahren am 24.9.2002 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Kindesmissbrauch und sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren. Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil form- und fristgerecht unbeschränkt Berufung ein. Durch Urteil des Amtsgerichts Gotha vom 1.3.2002 (Az. 140 Js 60252/01 - 8 Dsj.) wurde der Angeklagte wegen einer am 22.9.2002 begangenen Straftat des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die 3. große Strafkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts Erfurt hob im Berufungsverfahren mit Urteil vom 11.7.2002 das Urteil des Amtsgerichts Artern im Strafausspruch auf und erkannte unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Gotha auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten.

Der Angeklagte hat gegen das in seiner Abwesenheit verkündete, seinem Verteidiger am 20.8.2002 in vollständiger Fassung zugestellte Berufungsurteil durch seinen Verteidiger am 16.7.2002 Revision eingelegt und diese am 27.8.2002 mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Er beantragt vollständige Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Hinsichtlich des Schuldspruchs war die Revision aus den in der Stellungnahme der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen als offensichtlich unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

2. Die Revision ist jedoch hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs vorläufig erfolgreich. Insoweit entscheidet der Senat durch Beschluss gem. § 349 Abs. 4 i. V. m. §§ 353, 354 Abs. 2 StPO.

Das Berufungsgericht hat eine Gesamtstrafe gem. § 55 StGB gebildet und dabei die Grenzen seiner Strafgewalt überschritten.

Gem. § 24 Abs. 2 GVG darf das Amtsgericht nicht auf eine höhere Strafe als 4 Jahre Freiheitsstrafe erkennen. Dieser sogenannte Strafbann gilt für den gesamten amtsgerichtlichen Rechtszug, also sowohl für die erste als auch für die zweite Instanz und damit auch für die Berufungskammer des Landgerichts (s. nur Karlsruher Kommentar StPO/Kissel 4. Aufl. § 24 GVG Rn. 15 f).

Die Limitierung der Strafgewalt ist nicht davon abhängig, ob es sich um eine Einzelslrafe, eine Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB oder um eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gem. § 55 durch Urteil oder durch Beschluss (§ 460 StPO) handelt (Karlsruher Kommentar StPO/Kissel a.a.O. Rn. 14). Anders verhält es sich allerdings dann, wenn in einem Urteil zwei getrennte (Gesamt-)Strafen gebildet werden, die zwar zusammen 4 Jahre übersteigen, die aber untereinander nicht gesamtstrafenfähig sind (BGH NJW 1987, 1211 f; Karlsruher Kommentar StPO/Kissel a.a.O. Rn. 14); ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Indem das Berufungsgericht auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten erkannte, hat es die Beschränkung seiner Rechtsfolgenkompetenz mithin nicht beachtet.

Dies führt nur zu einer Aufhebung und Zurückverweisung hinsichtlich des Strafausspruchs.

Das Berufungsurteil unterläge allerdings der Aufhebung auch im Schuldspruch, wenn die Nichtbeachtung des Strafbanns durch das Berufungsgericht zur notwendigen Konsequenz hätte, dass die Sache vor einer großen Strafkammer als erstinstanzliches Verfahren erneut geführt werden müsste. Das ist hier jedoch nicht erforderlich. Insbesondere zwingt die in Betracht kommende Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als 4 Jahren dazu nicht. Die - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 StGB - notwendige Bildung einer Gesamtstrafe aus den Verurteilungen durch das Amtsgericht Gotha und des Amtsgerichts Artern hat nämlich nicht zwingend durch das Berufungsgericht zu erfolgen. Wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist ein Berufungsgericht zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht verpflichtet, wenn dies - aus Gründen des Strafbanns - zum Wechsel vom Berufungs- in das erstinstanzliche Verfahren führen muss (s. BGH NStZ 1990, 29; BGHSt 34, 204, 206 f). In einem solchen Fall empfehle es sich vielmehr, so der Bundesgerichtshof (a.a.O.), die nachträgliche Gesamtstrafenbildung dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO zu überlassen.

Es war dem Senat nicht möglich in der Weise selbst zu entscheiden, dass der Strafausspruch des Berufungsurteils auf die für die im vorliegenden Verfahren abgeurteilte Tat rechtsfehlerfrei ausgeworfene Freiheitsstrafe von 4 Jahren abgeändert wird und die Akten der für eine Entscheidung nach §§ 460, 462 StPO zuständigen großen Strafkammer des Landgerichts vorgelegt werden. Vor Einleitung des Beschlussverfahrens nach §§ 460, 462 StPO wird die Berufungskammer nämlich zu prüfen haben, ob die durch Urteil des Amtsgerichts Gotha ausgesprochene Freiheitsstrafe trotz der vorangegangenen Verurteilungen (Zäsurwirkung) überhaupt gesamtstrafenfähig ist, ob, wenn dies zu verneinen sein sollte, anderweitige Gesamtstrafenbildungen in Betracht kommen und ob und ggf. wie ein Härteausgleich stattzufinden hat. Das Landgericht teilt nämlich unter Ziff. II 1 und 2 der schriftlichen Urteilsgründe Verurteilungen zu Geldstrafen mit, ohne deren Erledigung zu erwähnen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass auch insoweit Gesamtstrafenbildung zu prüfen gewesen wäre. Diese Prüfung wird die nunmehr befasste Berufungskammer vorzunehmen haben.

Ende der Entscheidung

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