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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.12.2005
Aktenzeichen: 4 W 399/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 406 Abs. 1
ZPO § 407a Abs. 2
Ein Verstoß gegen § 407a Abs. 2 ZPO rechtfertigt nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

4 W 399/05

In dem selbständigen Beweisverfahren

hat der 4. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen zu 2 und 4 vom 11.07.2005 gegen den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 24.06.2005, Nichtabhilfeentscheidung vom 22.07.2005, durch Richter am Oberlandesgericht Jahn als Einzelrichter

am 14.12.2005

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerinnen zu 2 und 4.

Der Beschwerdewert wird auf 66.667 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Durch Beschluss vom 07.02.2003 (Bd. I Bl. 67 ff d.A.) hat das Landgericht den Dipl.-Ing. H.-J. R. mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. Unter Ziffer IV dieses Beschlusses ist dem Sachverständigen gestattet worden, soweit erforderlich, weitere Sachverständige als Hilfspersonen hinzuzuziehen. Der Sachverständige hat das Gutachten vom 04.11.2003 vorgelegt. Auf den Beschluss vom 14.05.2004, mit dem er gebeten wurde, sein bisheriges Gutachten schriftlich zu ergänzen (Bd. II Bl. 264 f d.A.), hat er das Ergänzungsgutachten vom 03.12.2004 vorgelegt.

Im Termin zur Anhörung des Sachverständigen am 17.05.2005 hat er sein Gutachten mündlich erläutert (Bd. III Bl. 383 ff d.A.). Dabei hat er unter anderem erklärt (Seite 4 des Protokolls): "Aus meiner Erinnerung heraus war ich zwei- bis dreimal persönlich vor Ort. Bei der ersten Ortsbesichtigung wurde von mir allen Beteiligten klar gemacht, dass Herr N. im Wesentlichen das Gutachten erstellen wird. Wir sind ein Sachverständigenbüro. Ich hatte bis vor kurzen noch vier angestellte Beschäftigte. Bei derartig großen Gutachten haben wir uns in die Arbeit hineingeteilt, weil es einfach so ist, dass heute einer allein nicht mehr das gesamte Fachwissen haben kann. Vor Ort war fast ausschließlich Herr N.. An dem Gutachten selbst haben aber mehrere Personen gearbeitet. Es ist richtig, dass an dem Gutachten natürlich auch Personen mitgearbeitet haben, die nicht vor Ort waren. Beispielsweise wenn Herr N. das Aufmaß vor Ort genommen hat, wurden dann die Kostenermittlungen von Frau W. im Büro durchgeführt. Auf dem Deckblatt des Gutachtens ist als Bearbeiter Herr N. angegeben. Herr N. ist Diplom-Ingenieur für Bauwesen mit der Fachrichtung Verfahrenstechnologie. Das Gutachten wurde überwiegend von Herrn N. erstellt. Herr N. selbst ist kein Sachverständiger. Das heißt, er ist zwar Sachverständiger, aber kein vereidigter Sachverständiger. Am Gutachten bearbeite ich überwiegend die statisch-konstruktiven Probleme und die Bauphysik. Wer von meinen Mitarbeitern an diesem konkreten Gutachten welchen Bereich erarbeitet hat, kann ich heute so nicht darstellen."

Mit am 30.05.2005 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz (Bd. II Bl. 409 d.A.) haben unter anderen die Antragsgegnerinnen zu 2 und 4 die mangelnde Verwertbarkeit des Gutachtens wegen des Verstoßes gegen die Pflicht zur persönlichen und eigenverantwortlichen Erstellung des Gutachtens gerügt und den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Das Landgericht hat die Befangenheitsanträge mit Beschluss vom 24.06.2005 zurückgewiesen (Bd. III Bl. 439 ff d.A.). Dagegen haben die Antragsgegnerinnen zu 2 und 4 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie die Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit weiterverfolgen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen zu 2 und 4 ist statthaft nach §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 ZPO und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, § 569 ZPO.

Die Beschwerde hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg.

Der Antrag der Antragsgegnerinnen zu 2 und 4 auf Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen scheitert daran, dass ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit nicht vorliegt.

Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.1987, Az: X ZR 29/86 = NJW-RR 1987, 893). Eine solche Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige seine gutachterlichen Äußerungen in einer Weise gestaltet, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden können (BGH, Beschluss vom 15.03.2005, Az: VI ZB 74/04 = EBE/BGH 2005, BGH-Ls 397/05).

Hiernach ausreichende Gründe haben die Antragsgegnerinnen zu 2 und 4 nicht vorgetragen. Sie haben ihren Ablehnungsantrag ausschließlich auf Umstände gestützt, die sich auf einen Verstoß des Sachverständigen gegen die Pflicht zur Offenbarung der Hinzuziehung Dritter beziehen.

Gemäß § 407a Abs. 2 ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Ein Verstoß gegen diese Pflicht rechtfertigt aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit (Damrau in MünchKomm/ZPO, 2. Auflage 2000, § 407a Rn. 9; Schikora, Einsichtnahme in die Handakten von Sachverständigen, MDR 2002, 1033, 1034 unter Hinweis auf die a. A. von Zöller/Greger, ZPO, 23. Auflage 2002, § 407a Rn. 2, die aber von Zöller/Greger in der 25. Auflage 2005 nicht mehr vertreten wird). Das Unterlassen des Benennens wirkt sich dahin aus, dass Bedenken gegen die Eignung als Sachverständiger bestehen. Da durch die fehlende Eignung beide Parteien gleichermaßen benachteiligt sind, rechtfertigt der prozessuale Verstoß aus der Sicht der Partei aber nicht das subjektive Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen (Damrau in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 407a Rn. 8). Etwas anderes gilt dagegen dann, wenn der Gutachter einen Mitarbeiter hinzugezogen hat, in dessen Person, wäre er selbst zum Sachverständigen bestellt worden, ein Ausschluss-/Ablehnungsgrund nach § 406 Abs. 1 ZPO zum Tragen käme und dem Gutachter dieses hätte bekannt sein können (Schikora, a.a.O.).

Die mit dem Ablehnungsgesuch vom 30.05.2005 vorgetragene Rüge, der Sachverständige habe gegen die Pflicht zur persönlichen und eigenverantwortlichen Erstellung des Gutachtens verstoßen, rechtfertigt - aus den oben genannten Gründen - aus der Sicht der Antragstellerinnen zu 2 und 4 nicht das subjektive Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen.

Im Ablehnungsgesuch ist weiter die Rüge enthalten, der Sachverständige habe - entgegen seiner eigenen Darstellung - im ersten Ortstermin nicht darauf hingewiesen, dass Herr Naß das Gutachten im Wesentlichen erstellen werde. Die Antragstellerinnen zu 2 und 4 haben ausgeführt, wovon "die Beteiligten ausgehen mussten" und worauf der Sachverständige "aus ihrer Sicht" hingewiesen habe. Damit erheben sie den Vorwurf, dass sie die Äußerungen des Sachverständigen, die er gegenüber allen Beteiligten gemacht hat, nicht so verstanden haben wie der Sachverständige sie verstanden wissen wollte. Einer undeutlichen oder missverständlichen Ausdrucksweise des Sachverständigen sehen sich aber alle Beteiligten in gleicher Weise ausgesetzt. Der Vorwurf kann daher ebenfalls nicht das subjektive Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen.

Die Antragstellerinnen zu 2 und 4 tragen mit der Beschwerdebegründung vom 11.07.2005 vor, beim ersten Ortstermin am 06.03.2003 habe der Sachverständige nicht gegenüber allen am Verfahren Beteiligten erklärt, dass nicht er, sondern Herr N. das Gutachten überwiegend erstelle. Allein die Ankündigung der Mitarbeit von Herr N. zum ersten Ortstermin gegenüber den Antragstellern genüge nicht. Der Umfang der Arbeit des Herr N. sei ihnen - den Antragstellerinnen zu 2 und 4 - erst in der Anhörung vom 17.05.2005 offenbart worden. Damit erheben sie den Vorwurf, der Sachverständige habe beim ersten Ortstermin nicht allen Beteiligten, aber speziell ihnen bzw. ihrer bei diesem Ortstermin anwesenden Prozessbevollmächtigten den Umfang der Mitarbeit des Herrn N. verheimlicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Vorwurf die Besorgnis der Befangenheit begründet hätte, denn der neue Ablehnungsgrund wäre weder glaubhaft gemacht (§ 406 Abs. 3 ZPO) noch könnte er mit der Beschwerde erstmals geltend gemacht werden (Zöller/ Greger, ZPO, 25. Auflage 2005, § 406 Rn. 14; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 46 Rn. 17).

Nicht Gegenstand der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs war die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit der Sachverständige Reinhardt den Gutachtenauftrag unzulässig delegiert hat (§ 407a Abs. 2 ZPO). Wenn die Eigenverantwortlichkeit nicht das ganze Gutachten deckt, wird das Gericht erwägen, den Mitarbeiter zum Mit-Sachverständigen zu ernennen, so dass dieser nun auch nach außen die Verantwortung übernimmt (Damrau in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 407a Rn. 9; Schikora, a.a.O.). Fehlt das eigenverantwortliche Tätigwerden des ernannten Sachverständigen völlig oder im Wesentlichen, so wird das Gericht ihn entlassen müssen und erwägen, ob es die Ersteller des Gutachtens zu Sachverständigen ernennt (Damrau in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 407a Rn. 9; Musielak-Huber, ZPO, 4. Aufalge 2005, § 407a Rn. 3; vgl. BGH, Urteil vom 08.01.1985, Az: VI ZR 15/83 = NJW 1985, 1399-1401 = VersR 1985, 361-363; OLG Zweibrücken, Urteil vom 27.10.1998, Az: 5 U 5/98 = NJW-RR 1999, 1368-1369).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Beschwerdewert ist nach § 3 ZPO auf ein Drittel des Hauptsachestreitwertes von 200.000 EUR festzusetzen (BGH, Beschluss vom 15.12.2003, Az: II ZB 32/03 = AGS 2004, 159-160).

Ende der Entscheidung

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