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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 04.05.2005
Aktenzeichen: 9 W 612/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2247 Abs. 5 analog
Im Erbscheinverfahren trägt grundsätzlich derjenige die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit als eine das Erbrecht vernichtende Tatsache, der sich auf die Unwirksamkeit eines Testaments beruft. Ist jedoch das Testament nicht datiert und auch nicht aufgrund sonstiger Umstände datierbar, trifft die Feststellungslast denjenigen, der Rechte hieraus für sich in Anspruch nimmt, wenn feststeht, dass der Erblasser zu irgendeinem Zeitpunkt während des in Betracht kommenden Zeitraums der Testamentserrichtung testierunfähig war, § 2247 Abs. 5 BGB analog.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

9 W 612/04

In dem Verfahren

betreffend die Erteilung eines Erbscheins nach der am 30.07.2001 in Jena verstorbenen Ludgard L., geb. am ...

hat der 9. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bettin, Richterin am Oberlandesgericht Zoller und Richter am Oberlandesgericht Giebel auf die weitere Beschwerde vom 17.11.2004 gegen den Beschluss des Landgerichts Gera vom 22.10.2004 ohne mündliche Verhandlung am 04.05.2005

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Gera vom 22.10.2004 (Az.: 5 T 214/04) wird aufgehoben.

Der Beschluss des Amtsgerichts Jena vom 26.03.2003 (Az. 9 VI 535/01) wird abgeändert:

Das Amtsgericht wird angewiesen, der Beteiligten zu 2., Ursula Kaie, keinen Erbschein aufgrund des undatierten, sie zur Alleinerbin bestimmenden Testaments der Erblasserin (Bl. 7 d.A.) zu erteilen.

2. Die Beteiligte zu 2. hat die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1., auch soweit sie in den Vorinstanzen entstanden sind, zu tragen.

3. Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 277.980,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 2. (im Folgenden: Antragstellerin) hat die Erteilung eines Erbscheins nach der am 30.07.2001 verstorbenen Ludgard L. beantragt, wonach sie testamentarische Alleinerbin geworden sei. Zur Begründung bezieht sie sich auf ein undatiertes handschriftliches Testament der Erblasserin (vgl. beglaubigte Abschr. Bl. 7 d.A.), das sie zur Alleinerbin bestimmt. Das Amtsgericht hat am 26.03.2003 einen Vorbescheid erlassen, wonach es dem vorgenannten Antrag der Antragstellerin stattzugeben beabsichtigt. Die hiergegen eingelegte Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1. (im Folgenden: Antragsgegnerin), die ihrerseits aufgrund einer letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 25.06.1996 die Erteilung eines sie selbst als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins beantragt hatte, hat das Landgericht am 22.10.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie Verfahrensmängel und die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts geltend macht.

Hinsichtlich der Sachverhaltsdarstellung und der für die Entscheidungen der Vorinstanzen maßgebenden Gründe nimmt der Senat auf den angefochtenen Beschluss des Landgerichts, hinsichtlich des Beteiligtenvorbringens im Verfahren der Rechtsbeschwerde auf die Beschwerdebegründung vom 17.11.2004 und die Beschwerdeerwiderung vom 25.04.2005 Bezug.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Abänderung der mit der Erstbeschwerde angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts, weil die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung auf Gesetzesverletzungen beruht (§§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 546 ZPO). Das undatierte und nicht datierbare Testament vermag vor dem Hintergrund einer zeitweiligen Testierunfähigkeit der Erblasserin die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Antragstellerin nicht zu begründen.

1. Die Feststellungen hinsichtlich des mutmaßlichen Errichtungszeitraums des undatierten handschriftlichen Testaments und der Testierfähigkeit der Erblasserin liegen im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. An rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen des Tatrichters ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden (§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG i.V.m. § 559 Abs. 1 ZPO). Die Beweiswürdigung, insbesondere die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Beteiligten oder eines Zeugen, ist Teil der Tatsachenfeststellung. Diese kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf Rechtsfehler überprüft werden, nämlich darauf, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat, bei der Würdigung der Beweismittel nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, gegen Denkgesetze oder feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat und schließlich, ob er die Beweisanforderungen zu hoch oder zu niedrig angesetzt hat (vgl. BayObLG FamRZ 1992, 1206; BayObLG NJW-RR 1999, 446).

2. Der angefochtene Beschluss leidet an Mängeln im vorgenannten Sinne. Zunächst nimmt der Senat auf seinen rechtlichen Hinweis vom 11.03.2005 (Bl. 592 ff. d.A.) Bezug. Die darin erhobenen Bedenken gegen die Beweiswürdigung und die Anwendung der Regeln der Feststellungslast durch das Landgericht werden durch die Beschwerdeerwiderung vom 25.04.2005 nicht ausgeräumt.

Nach den Feststellungen des Landgerichts litt die Erblasserin im maßgeblichen Testierzeitraum zwischen Oktober 2000 und ihrem Todestag am 30.07.2001 an einer "mittelschweren vaskulären Demenz" (BA S. 12). Der Zustand der Erblasserin sei während dieses Zeitraums starken Schwankungen unterlegen gewesen, wie sie für eine vaskuläre Demenz diesen Grades typisch seien (BA S. 13). Einerseits hätten mehrere Zeugen glaubhaft die geistige Klarheit der Erblasserin in verschiedenen Lebenssituationen bekundet (BA S. 13 und S. 19/20), andererseits habe die Beweiserhebung ergeben, dass die Erblasserin sich zeitweise in "Verwirrtheitszuständen" befunden und "umherirrend nicht mehr nach Hause gefunden" habe (BA S. 13 und S. 18). Diese Umstände hätten etwa eine betreuungsrichterliche Genehmigung erforderlich gemacht, die Zugangstüren zum Haus bzw. der Wohnung der Erblasserin zeitweise zu verschließen. Die Erblasserin habe zudem unter zeitweiligen "Wahnvorstellungen" gelitten, während derer sie sich in ihrer Wohnung von tatsächlich nicht anwesenden Personen ("Russen, schwarzen Frauen und Männern") aufgesucht wähnte (BA S. 13 und S. 18).

Aus den vorgenannten Feststellungen hat das Landgericht den Schluss gezogen, dass der Zustand der Erblasserin zwar erheblichen Schwankungen unterworfen gewesen sei, weshalb im Ergebnis - unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des Sachverständigengutachtens - von einer vaskulären Demenz mittleren Schweregrades auszugehen sei (BA S. 14). Das rechtfertige gleichwohl nicht die Annahme der Testierunfähigkeit. Denn trotz der vorgenannten zeitweiligen Bewusstseinstrübungen habe sie sich wesentliche Fähigkeiten erhalten, die für die Beurteilung der Testierfähigkeit von Bedeutung seien (BA S. 19). Hierzu hat das Landgericht insbesondere die Fähigkeit der Erblasserin gerechnet, Vorstellungen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung ihrer Lebensumstände, etwa dem Wunsch eines beständigen Wohnrechts im eigenen Hause, zu entwickeln und ihnen Ausdruck zu verleihen (BA S. 19).

3. Entgegen der mit der Beschwerdeerwiderung aufgestellten Behauptung hat das Landgericht die zeitweiligen Beeinträchtigungen des Geisteszustands der Erblasserin gerade für den hier in Rede stehenden mutmaßlichen Testierzeitraum von Oktober 2000 bis 30.07.2001 festgestellt. So hat das Landgericht etwa in diesem Zusammenhang den wegen der zeitweiligen Verwirrtheit der Erblasserin notwendig gewordenen betreuungsrichterlichen Beschluss vom 18.05.2001 angesprochen (BA S. 13) und sich auf die Zeugin Dr. G. berufen, die als Hausärztin die Erblasserin bis April 2001 betreut habe und bei ihrer Vernehmung erklärt habe, dass die Erblasserin "bereits" im September 2000 an akustischen Halluzinationen gelitten habe (BA S. 18). Auch die übrigen auf zeitweilige Wahnvorstellungen und Verwirrtheit hinweisenden Zeugenaussagen hat das Landgericht auf den mutmaßlichen Testierzeitraum bezogen und gegen die für den gleichen Zeitraum festgestellten, für den Erhalt der Testierfähigkeit sprechenden Anzeichen abgewogen (BA S. 18-20).

Es ist im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht zulässig, wenn die Antragstellerin insoweit ihre eigenen abweichenden Wahrnehmungen an die Stelle der tatrichterlichen Feststellungen setzt und behauptet, dass Verwirrtheitszustände und Wahnvorstellungen bereits "Monate und Jahre" vor ihrer erstmaligen Begegnung mit der Erblasserin stattgefunden hätten und nach Oktober 2000 gänzlich ausgeblieben seien. Da dem Senat eigene Sachverhaltsermittlungen verwehrt sind, ist er an die vom Landgericht - insoweit ohne erkennbaren - Rechtsfehler getroffenen entgegengesetzten Feststellungen gebunden (§§ 27 Abs. 1 S. 2 FGG, 559 Abs. 2 ZPO).

4. Dagegen hat der Senat zu prüfen, ob die vom Tatrichter rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachen die in der angefochtenen Entscheidung gezogenen Schlüsse zulassen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27, Rn. 42 mit Rspr.-Nachw.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Das vom Landgericht vertretene Ergebnis, die Erblasserin sei - bezogen auf den gesamten in Betracht kommenden Testierzeitraum vom Oktober 2000 bis zum Todestag am 30.07. 2001 - mit Ausnahme eines kurzen Zwischenzeitraumes vom 07.04. bis 10.04.2001 testierfähig gewesen, beruht auf einem Denkfehler.

a) Das Landgericht hat in seiner ausführlichen Beweiswürdigung zunächst die für und gegen den Erhalt der Testierfähigkeit sprechenden Anzeichen für diesen Zeitraum aufgezählt (BA S. 13 und S.18), wobei es das Auftreten besagter Wahn- und Verwirrtheitserscheinungen ausdrücklich als wahr angenommen hat, um auf dieser Grundlage eine Art "Gesamtabwägung" vorzunehmen und sich in deren Ergebnis für ein Überwiegen klarer Momente - bezogen auf den Testierzeitraum - auszusprechen (BA S. 19 - 21). Dabei stützt sich das Landgericht wesentlich auf Zeugenaussagen, die der Erblasserin im persönlichen Umgang die Fähigkeit bescheinigt hätten, "normale" Gespräch zu führen, eigene Vorstellungen und Wünsche zu entwickeln und zwischen "Gut und Böse" unterscheiden zu können. Dagegen hat das Landgericht nicht festgestellt - und nach Lage der Dinge auch nicht feststellen können -, dass die Erblasserin selbst in den bewusstseinsgetrübten Zeitpunkten über die vorgenannten Fähigkeiten verfügte.

b) Das Landgericht lässt insoweit die Möglichkeit außer Acht, dass innerhalb des genannten Zeitraums eine Testierunfähigkeit (mehrfach) punktuell aufgetreten sein kann, obwohl das Landgericht selbst von einem starken Schwankungen unterworfenen geistigen Zustand der Erblasserin ausgeht, der wesentlich abhängig von dem jeweiligen durch Höhen und Tiefen geprägten Verlaufsstadium der Krankheit gewesen sei. Es ist deshalb rechtlich unzutreffend, eine Gesamtabwägung zwischen Phasen der Verwirrung einerseits und Phasen geistiger Klarheit andererseits vorzunehmen, um ein Überwiegen der einen oder anderen Seite festzustellen. Nach diesem Ansatz könnte eine kurzzeitige Testierunfähigkeit durch eine sich daran anschließende - länger andauernde - Bewusstseinsklarheit gewissermaßen nachträglich kompensiert werden. Eine solche Feststellung entspräche jedoch nicht dem tatsächlichen Verlauf einer durch Schwankungen geprägten Demenzerkrankung, der gerade das vorübergehende Abgleiten in den Zustand der Testierunfähigkeit eigen sein kann.

Trifft der Tatrichter die Feststellung, dass ein Erblasser lediglich in einzelnen Momenten testierunfähig war und vermag er mangels weiterer Erkenntnisquellen eine weitergehende Testierunfähigkeit bezogen auf einen übergeordneten Gesamtzeitraum nicht festzustellen, so hat er sich mit dieser Feststellung zu begnügen und die für eine solche Fallkonstellation vorgesehenen Regeln anzuwenden. Diese Vorgaben hat das Landgericht verletzt, indem es zu einem mit seinen eigenen Feststellungen nicht zu vereinbarenden Gesamtergebnis gelangt ist.

5. Nach Aktenlage hat das Landgericht den Sachverhalt in jeder in Betracht kommenden Richtung ermittelt. Weitere Beweismittel sind nicht ersichtlich und werden auch von der Beschwerdeerwiderung nicht aufgezeigt. Der Senat ist daher in die Lage gesetzt, auf der Grundlage der vom Tatrichter vollständig festgestellten Tatsachen in der Sache zu entscheiden. Danach befand sich die Erblasserin zwischen Oktober 2000 und dem 30.07.2001 über den vom Landgericht für den 07.04. bis 10.04.1001 festgestellten Zeitraum hinaus zu mehreren, der Anzahl und den Zeitpunkten nach nicht näher bestimmbaren Malen im Zustand der Testierunfähigkeit.

a) Nach allgemeiner Meinung erfordert die Testierfähigkeit die Vorstellung des Erblassers, dass er überhaupt ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen einzelnen letztwilligen Verfügungen aufweisen. Sie setzt weiter voraus, dass er sich ein klares Urteil über die Tragweite seiner Anordnungen zu bilden, insbesondere die Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen und die sittliche Berechtigung einer Zuwendung zu überblicken, und nach diesem Urteil frei von den Einflüssen Dritter zu handeln vermag (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., § 2229, Rn. 1 mit Rspr.-Nachw.). Dabei besteht zwar weitgehend Einigkeit, dass allein vom Vorliegen einer Demenzerkrankung mittleren Grades selbst dann, wenn sie mit einem paranoid-halluzinatorischen Syndrom mit zeitweiligen Wahnvorstellungen und/oder Phasen von Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit einhergeht, nicht ohne weiteres auf eine Testierunfähigkeit geschlossen werden kann (vgl. Münchener Kommentar-Hagena, BGB, 4. Aufl., § 2229, Rn. 18 mit Rspr.-Nachw.). Danach verbietet sich indes lediglich die schematische Annahme, dass ein solcherart erkrankter Erblasser, bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt, daran gehindert ist, ein wirksames Testament zu errichten. Liegen keine besonderen Beweisquellen, etwa einzelfallbezogene medizinische Erkenntnisse des Sachverständigen, vor, so wird das Gericht trotz nachgewiesener zeitweiliger Wahnzustände des Dementen eine Testierunfähigkeit nicht mit der erforderlichen tatrichterlichen Überzeugung feststellen können, wenn ein Anhalt für eine Bewusstseinstrübung gerade in dem (feststehenden) Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nicht ersichtlich ist.

b) Anders verhält es sich mit den vom Tatrichter zu treffenden Feststellungen jedoch dann, wenn er - wie hier - nicht von einem konkreten Errichtungszeitpunkt des Testaments auszugehen hat, sondern die allgemeinere Frage zu klären hat, ob der Erblasser irgendwann innerhalb eines längeren Testierzeitraums testierunfähig war. Leidet ein Erblasser an vorübergehenden demenzbedingten Wahnvorstellungen (Halluzinationen) bzw. kommt es dazu, dass er innerhalb oder außerhalb der eigenen Wohnung orientierungslos umherirrt, so gebietet das denknotwendig den Schluss, dass er jedenfalls während des unmittelbaren Andauerns dieses Zustands aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, ein Testament zu errichten (§ 2229 Abs. 4 BGB). Wer seine vertraute Umgebung nicht mehr erkennt bzw. Personen wahrzunehmen vermeint, die tatsächlich nicht anwesend sind, steht - unabhängig von den ihm verbliebenen geistigen Fähigkeiten während den sonstigen Phasen seiner Demenzerkrankung - in einem akut so gestörten Verhältnis zur Realität, dass die in diesem Zustand vollzogenen Handlungen und Erklärungen jedenfalls nicht mehr von dem für die Testamentserrichtung erforderlichen klaren Willensbewusstsein getragen sind. Insoweit dürfte er in aller Regel bereits nicht einmal mehr in der Lage sein, die rechtsgeschäftliche Relevanz seines Tuns zu erkennen; zumindest aber ist die Fähigkeit zu einem Willensentschluss insoweit nicht erhalten, als der Betroffene an einer situationsadäquaten Auseinandersetzung mit den für eine Testamentserrichtung maßgebenden Umständen gehindert ist, weil er seinen Vorstellungen und Motiven in diesem Moment zwanghafte und irreale äußere Handlungsbedingungen unterlegt.

Dass einer akut halluzinierenden Person die nach § 2229 Abs. 4 BGB für ein rechtsgültig errichtetes Testament erforderlichen Fähigkeiten fehlen, ist ein Erfahrungssatz, den der Senat bereits aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung treffen kann, ohne dass es insoweit der Rückversicherung durch einen Sachverständigen bedarf.

c) Wenn ein Erblasser in einem solchen Zustand denknotwendig kein rechtsgültiges Testament errichten kann, so liegt dem, entgegen der mit der Beschwerdeerwiderung vertretenen Auffassung, nicht die Annahme einer "partiellen" Testierunfähigkeit zugrunde. Um eine partielle Testierunfähigkeit handelt es sich nach der Rechtsprechung (vgl. BayObLG NJW 1992, 248, 249; Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., § 2229, Rn. 2), wenn einem Erblasser lediglich für einen bestimmten, gegenständlich abgegrenzten Kreis von Angelegenheiten die in § 2229 Abs. 4 BGB vorausgesetzten Fähigkeiten fehlen. Ein solcher Fall scheidet vorliegend aus.

Im Übrigen steht die vom Senat zu treffende Feststellung auch insoweit mit den tatrichterlichen Feststellungen im Einklang, als das Landgericht und der Sachverständige für den Zeitraum vom 07.04. bis 10.04.2001 das Vorliegen einer Testierunfähigkeit positiv bejaht haben, woraus sich ergibt, dass die Demenzerkrankung der Erblasserin jedenfalls ihrem Schweregrad nach geeignet war, diesen Zustand (vorübergehend) eintreten zu lassen.

6. Der tatsächliche Zeitpunkt der Testamentserrichtung kann entgegen der Behauptung der Beschwerdeerwiderung nicht bestimmt oder näher eingegrenzt werden. Abgesehen davon, dass nach den insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts der Testierzeitpunkt ungewiss ist und deshalb im Rahmen der Rechtsbeschwerde kein Raum für eine gegensätzliche Behauptung ist, überzeugt die Argumentation der Antragstellerin in diesem Zusammenhang nicht. Der Wortlaut des bei dem Testament aufgefundenen Schreibens der Erblasserin ("Ich möchte Sie bitten, meine Brüder Ernst M., geb. 1919, und Rolf M., geb. 1929, ausfindig zu machen, weil ich beide Brüder von meinem Erbe ausschließen will"), das auf den 24.02.2001 datiert ist, lässt gerade nicht erkennen, ob es vor, zeitgleich oder nach der Testamentserrichtung verfasst worden ist. Denn die Formulierung "weil ich ausschließen will" lässt sowohl die von der Antragstellerin befürwortete Deutung zu, wonach der Erbausschluss bereits vor oder in diesem Zeitpunkt erklärt war, als auch die gegenteilige Deutung, dass eine Testamentserrichtung erst für den Zeitpunkt des Auffindens der Brüder beabsichtigt war. Die vom Tatrichter getroffene Feststellung, dass die letztwillige Verfügung nicht datierbar sei, ist mithin nicht zu beanstanden.

7. Die Antragstellerin trifft die Feststellungslast hinsichtlich der nicht weiter aufklärbaren Frage, ob die Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierfähig war.

a) Nach einhelliger Meinung trägt im Erbscheinverfahren zwar derjenige die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit als eine das Erbrecht vernichtende Tatsache, der sich auf die Unwirksamkeit eines Testaments beruft. Ist jedoch das Testament nicht datiert und auch nicht aufgrund sonstiger Umstände datierbar, trifft die Feststellungslast denjenigen, der Rechte hieraus für sich in Anspruch nimmt, wenn feststeht, dass der Erblasser zu irgendeinem Zeitpunkt während des in Betracht kommenden Zeitraums der Testamentserrichtung testierunfähig war, § 2247 Abs. 5 BGB analog (vgl. BayObLG FamRZ 2005, 308, 310; NJW-RR 2003, 297, 299; NJW-RR 1996, 1160, 1161; FamRZ 1994, 593, 594; Palandt/Edenhofer, § 2229, Rn. 13; Bamberger/Roth/Litzenburger, BGB, § 2229, Rn. 14; Münchener Kommentar-Hagena, § 2229, Rn. 64; Soergel/Mayer, BGB, 13. Aufl., § 2229, Rn. 36; Staudinger/Baumann, BGB, 2003, § 2229, Rn. 61; Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 4. Aufl., § 2229, Rn. 22).

b) An dieser Regel ist festzuhalten. Die in der Beschwerdeerwiderung vertretene Gegenauffassung, auch soweit sie sich auf die Rechtsprechung zu den sog. luziden Intervallen beruft, ist nicht haltbar.

Sie findet insbesondere keine Stütze in den zum Beleg herangezogenen Entscheidungen und Literaturzitaten, da alle diese Quellen die Feststellungslast hinsichtlich eines datierten bzw. datierbaren Testaments zugrunde legen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind die hierfür entwickelten Grundsätze nicht übertragbar, wenn der Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht feststeht. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass ein datiertes Testament hinsichtlich der Frage der Testierfähigkeit einen konkreten Bezug zu dem in diesem Zeitpunkt vorliegenden Geisteszustand des Erblassers herstellt; folglich hat es in diesem Fall bei dem allgemeinen Grundsatz zu bleiben, wonach die Testierunfähigkeit die Ausnahme ist und die Feststellungslast den trifft, der eine letztwillige Verfügung negiert.

Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis kehrt sich aber zulasten des in einem Testament Bedachten um, wenn die Überprüfung der Testierfähigkeit wegen der fehlenden Datierung des Testaments nicht auf einen konkreten Zeitpunkt bezogen werden kann. Wie in der Beschwerdeerwiderung zwar zutreffend ausgeführt wird, stellt die Testierfreiheit ein hohes Gut dar, das in besonderer Weise dem Schutz der Rechtsordnung untersteht. Insoweit gebietet es entgegen der Ansicht der Antragstellerin jedoch gerade der Schutz des Erblassers, nur solchen letztwilligen Verfügungen die Anerkennung des Erbrechts zuzubilligen, die ihre rechtsgültige Errichtung hinreichend erkennen lassen. Bleibt die zeitliche Zuordnung eines Testaments seinem Inhalt nach vor dem Hintergrund einer zumindest vorübergehend aufgetretenen Testierunfähigkeit in der Schwebe, obliegt demjenigen die Feststellungslast hinsichtlich der Rechtsgültigkeit, der Rechte hieraus geltend macht.

c) Soweit in der Beschwerdeerwiderung die These vertreten wird, im Erbscheinverfahren komme eine Non-liquet-Entscheidung generell nicht in Betracht, ist das unzutreffend. Richtig ist lediglich, dass eine subjektive Beweislast (sog. Beweisführungslast) im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht existiert, weil das Gericht gem. § 12 FGG von Amts wegen zu ermitteln und Beweis zu erheben hat. Der Begriff der "Beweisfälligkeit" eines Beteiligten im Sinne der zivilprozessualen Regeln ist dem Erbscheinverfahren daher fremd (vgl. BayObLG FamRZ 1994, 1137). Gleichwohl gibt es auch hier die Kategorie der (objektiven) Feststellungslast, die Regeln für den Fall der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache vorsieht (vgl. BayObLG a.a.O.). Kann trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten die Testierfähigkeit im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht von Amts wegen festgestellt werden, so hat der mit der Feststellungslast belastete Beteiligte im Erbscheinverfahren die daran geknüpften Nachteile zu tragen (vgl. Münchener Kommentar-Hagena, § 2229, Rn. 57; Dittmann/ Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, § 2229, Rn. 23 mit Nachw.).

d) Schließlich ist es entgegen der Beschwerdeerwiderung nicht möglich, allein vom Inhalt der letztwilligen Verfügung zwingend auf eine vermeintliche Folgerichtigkeit des Denkens und der Motivation der Erblasserin und darauf gestützt auf den Erhalt der Testierfähigkeit in diesem - nicht näher bestimmbaren - Zeitpunkt zu schließen. Hiergegen spricht schon die allgemeine Lebenserfahrung, wonach Menschen selbst im Zustand der Verwirrtheit oder des Wahns noch in konsistenten, grammatikalisch korrekten Sätzen sprechen bzw. schreiben und scheinbar logische Gedanken äußern können, obwohl sie den Bezug zu ihrer realen Umgebung in diesem Moment verloren haben.

Danach sind nach Aktenlage weder der Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch der konkrete geistige Zustand der Erblasserin in diesem unbekannten Zeitpunkt näheren Feststellungen zugänglich, mit der Folge, dass die Ungewissheit hinsichtlich der Testierfähigkeit zu Lasten der Antragstellerin geht. Diese kann keine Rechte aus dem Testament geltend machen, § 2229 Abs. 4 i.V.m. § 2247 Abs. 5 BGB.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren mithin aufzuheben bzw. abzuändern und das Amtsgericht anzuweisen, der Antragstellerin keinen Erbschein zu erteilen.

III.

Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, § 13a Abs. 1 S. 2 FGG. Den Wert des Beschwerdegegenstands hat der Senat im Einklang mit der vom Landgericht vorgenommenen Bemessung festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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