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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 23.03.2006
Aktenzeichen: 1 U 1049/05
Rechtsgebiete: HaftpflG
Vorschriften:
HaftpflG § 1 Abs. 1 | |
HaftpflG § 1 Abs. 2 |
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 23.03.2006
In dem Rechtsstreit
Eisenbahnverkehrsunternehmen
hat der 1. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pfalzer, die Richterin am Oberlandesgericht Zimmermann-Spring und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Brenneisen
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom .................
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 30.09.2005 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.484,45 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 23.09.2004 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Klägerin (ein Eisenbahnverkehrsunternehmen) verlangt von der Beklagten (einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen) Schadensersatz wegen eines Unfallereignisses am 14.05.2002 auf der Trasse zwischen E und D durch Kollision mit einem auf den Schienen befindlichen Rind (Kalb). Sie macht 2/3 des ihr hierbei entstandenen Schadens (Reparatur des beschädigten Triebwagens, Einsatzkosten im Rahmen der Schadensfeststellung, Taxikosten für Fahrgastbeförderung) geltend.
Während Unfallhergang und Unfallfolgen unstreitig sind, bleibt die Schadenshöhe bestritten.
Mit Schreiben vom 21.09.2004 (eingegangen bei der Klägerin am 23.09.2004) hat die Beklagte die Schadensregulierung abgelehnt.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte als Bahninfrastrukturunternehmen hafte ihr nach § 1 Abs. 1 HPflG verschuldensunabhängig für die von ihrem Trassenbetrieb ausgehende spezifische Bahngefahr, die sich in der Kollision mit dem auf den Schienen stehenden Rind verwirklicht habe. Ein Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt i. S. d. § 1 Abs. 2 S.1 HPflG sei nicht gegeben, da das "Auftreten" von Rindern - auch das Ausbrechen von Rindern aus ihren Weiden - und das Versperren von Schienen durch solche Rinder nicht außergewöhnlich sei. Überdies sei es auch nicht unabwendbar.
Die Klägerin lässt sich die Betriebgefahr durch das Fahren des Zuges in Höhe von 1/3 anrechnen und erklärt hierzu, in Anbetracht der Trennung der Verantwortungs- und Risikobereiche im Verhältnis der Betriebsunternehmen untereinander sei die Versperrung des Fahrweges allein der Beklagten zuzurechnen, die dementsprechend eine höhere Kostenlast treffe und ihr (unter Anrechnung einer Mithaftung von 1/3) 2/3 des Schadens ersetzen müsse.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.494,06 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie hat geltend gemacht, eine Haftung aus § 1 HPflG scheide schon deshalb aus, weil sich durch ein auf den Schienen befindliches Rind nicht etwa eine vom Trassenbetrieb ausgehende spezifische Bahngefahr verwirkliche. Sie bzw. ihre Mitarbeiter hätten nicht das Rind "auf den Schienen postiert oder dorthin getrieben". Es liege ein Fall der Tierhalterhaftung nach § 833 BGB vor. Überdies sei die Haftung wegen höherer Gewalt ausgeschlossen gem. § 1 Abs. 2 HPflG. Im Gegensatz zur Blockade des Schienenweges durch einen heruntergefallenen großen Felsbrocken führe ein auf den Gleisen stehendes Rind nicht zu einem Mangel der Eisenbahninfrastruktur und falle nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten als Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Anders als bei der Kontrolle von Schienenwegen zur Vermeidung bzw. Veranlassung der Beseitigung von Blockaden, könne das Eisenbahninfrastrukturunternehmen keinerlei - zumutbare - Maßnahmen dagegen ergreifen, dass Rinder in das Lichtraumprofil von Eisenbahnfahrzeugen geraten und mit ihnen kollidieren. Irgendwelche Schutzpflichten, welche die Beklagte hätte wahrnehmen können, stünden damit nicht in Zusammenhang. Die Sicherung der Tiere, hier des Rindes, sei Sache des Halters; allein an diesen müsse sich die Beklagte halten.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass nicht jedwede Versperrung des Fahrweges Schadensersatzansprüche des Eisenbahnverkehrsunternehmens gegen das Infrastrukturunternehmen auslösen könne. Denn anders als bei der Versperrung des Fahrweges durch einen Felsbrocken oder einen ausgerissenen Baum, liege das Verhindern einer Blockade des Schienenstrangs durch entlaufenes Vieh außerhalb der Einwirkungsmöglichkeit und -verpflichtung der Beklagten. Die von entlaufenem Vieh ausgehende Gefahr könne der Beklagten daher nicht als ihrem Risikobereich zugehörend angerechnet werden.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen sowie der Einzelheiten der Begründung wird auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.
Mit ihrer gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter. Sie rügt, dass sich die Auffassung des Landgerichts, wonach die Versperrung der Trasse durch ein auf den Schienen befindliches Rind allein dem Risikobereich der Klägerin zuzuordnen sei, nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang bringen lasse, nach welcher nur das Fahren des Zuges in den Risikobereich des Transportunternehmens falle. Eine Differenzierung zwischen lebenden und somit beweglichen Hindernissen und unbeweglichen Hindernissen lasse sich nicht rechtfertigen; entscheidend sei das Versperren der Trasse und die damit einhergehende Gefährdung des Bahnverkehrs. Für die Frage, ob eine Haftung nach § 1 HPflG gegeben sei, komme es nicht darauf an, ob die Schadensursache außerhalb der Einwirkungsmöglichkeit und -verpflichtung der Beklagten als Verkehrsinfrastrukturunternehmen liege. Ansonsten wäre § 1 Abs. 2 HPflG nicht erklärbar, wonach die Ersatzpflicht nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht worden ist. Nach bisher unangefochtener Rechtsprechung greife auch in Fällen einer Kollision mit Tieren die Haftung nach dem Haftpflichtgesetz ein. Im Rahmen einer Haftung nach dem Haftpflichtgesetz komme es gerade nicht entscheidend darauf an, ob man mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln auf das Entstehen einer Gefahr einwirken kann. Die Haftungsgrenze bilde nach der Logik des Gesetzes allein die höhere Gewalt. Von daher könnte ein Haftungsausschluss nur dann eingreifen, wenn es sich um ein außergewöhnliches Naturereignis (einem elementaren Ereignis gleichkommend) handeln würde, was hier aber nicht der Fall sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Erfurt vom 30.09.2005 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.484,45 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2004 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Zurückweisung der Berufung der Klägerin an und verteidigt das erstinstanzliche Urteil als richtig.
Sie meint, das Landgericht habe zu Recht die Versperrung des Schienenweges durch ein entlaufenes Rind (bzw. Kalb) nicht dem Risikobereich des Eisenbahninfrastrukturunternehmens zugeordnet. Die bislang vom Bundesgerichtshof getroffenen Entscheidungen zur Anwendung des Haftpflichtgesetzes im Verhältnis zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen hätten einen auf die Schienen gefallenen Gesteinsbrocken bzw. einen auf die Schienen gestürzten Baum zum Gegenstand gehabt. Der Fall eines entlaufenen Rindes sei dem jedoch nicht vergleichbar, hier gebe es keinen inneren Zusammenhang mit dem Bahnbetrieb.
Darüber hinaus greife ohnedies der Haftungsausschluss des § 1 Abs. 2 HPflG, da das Entlaufen eines Kalbes (bzw. Rindes) und das Versperren der Schienen durch dieses Tier so außergewöhnlich sei, dass die Beklagte damit nicht habe rechnen müssen und nicht dafür einzustehen habe. Ein Schutz der Eisenbahninfrastruktur durch Zäune werde selbst von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt (so entschieden vom BGH im Falle des unbefugten Erkletterns von abgestellten Waggons durch Jugendliche mit anschließendem Stromschlag - veröffentlicht in NJW 1995, S. 2631 ff.). Selbst im Straßenverkehr, der von der Gefahr entlaufenen Viehs wesentlich stärker betroffen sei, bestehe keine Verpflichtung für Straßenbaulastträger zur Anbringung von Wildschutzzäunen.
Darüber hinausgehend bleibe das Bestreiten zur Höhe des geltend gemachten Schadens weiter aufrechterhalten. Zudem müsste bei der Haftungsverteilung beachtet werden, dass die Beklagte - anders als bei der möglichen Kontrolle von Blockaden durch Gesteinsbrocken oder Bäume - keinerlei (zumutbare) Maßnahmen habe ergreifen können, um zu verhindern, dass Rinder die Schienen blockieren und es hierdurch zu Kollisionen mit dem Schienenfahrzeug kommt. Eine Übernahme der Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten verbiete sich deshalb.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.
Entgegen der Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts haftet die Beklagte als Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Klägerin als Eisenbahnverkehrsunternehmen wegen Versperrung des Schienenwegs durch ein entlaufenes Rind (ein Kalb) nach § 1 Abs. 1 HPflG.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung haftet das Schieneninfrastrukturunternehmen dem Verkehrsbetrieb gegenüber gem. § 1 HPflG (grundsätzlich) auf Schadensersatz wegen Versperrung des Fahrweges, da die den Unfall auslösenden Ursachen im Bahnbetrieb, und zwar im Schienennetz, liegen und damit ihrem Risikobereich zuzuordnen sind.
Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob die Blockade des Schienenweges durch einen leblosen Gegenstand (etwa einen heruntergefallenen Felsbrocken oder einen umgestürzten Baum) oder aber durch ein Tier wie z. B. entlaufenes Weidevieh erfolgt. Das Gefährdungspotential, das vom blockierten Schienenweg ausgeht, ist gleich hoch.
Die Gefährdungshaftung ist nicht von einem Tun oder Unterlassen des Haftenden (hier der Beklagten, die bspw. eine Kontrolle des Schienennetzes vornehmen muss) abhängig. Die Gefahr von Zwischenfällen, mit denen beim Betrieb einer Eisenbahn zu rechnen ist, muss der Unternehmer, wenn er bis zur höheren Gewalt haftet, nach dem Willen des Gesetzes in Kauf nehmen, mag er sie auch in zumutbarer Weise nicht ausschließen können (so erscheint etwa eine Umzäunung des gesamten Schienennetzes nicht zumutbar).
Erfahrungsgemäß kommt es immer wieder vor, dass Vieh aus einer Weide ausbricht und auf die Bahngleise gerät (vgl. OLG München, Urteil v. 22.09.1989, Vrs 80, 324 - 327). Auch in solchen Fällen greift die Gefährdungshaftung nach § 1 HPflG, und ein Ausschluss der Haftung wegen höherer Gewalt i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 HPflG ist nicht gegeben; es fehlt an der Einzigartigkeit, am Ungewöhnlichen dieses Ereignisses.
Die Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten als Schienennetzbetreiber, wie diese von Seiten der Klägerin angenommen wird, erscheint dem Senat für den vorliegenden Fall ebenfalls sachgerecht. Die Gefahrenlage geht nämlich in erster Linie von der Blockade der Schienen aus (auch wenn die Beklagte diese nicht in zumutbarer Weise verhindern konnte), nicht von dem hierauf fahrenden Triebwagen, was eine doppelt so hohe Beteiligung der Beklagten im Vergleich zur Beteiligung der Klägerin rechtfertigt.
Nach alledem war die Beklagte zur Zahlung von 2/3 des der Klägerin entstandenen Schadens von insgesamt 9.726,68 €, also zur Zahlung von 6.484,45 € zu verurteilen.
Dabei war den durch Vorlage dezidierter Rechnungen untermauerten Angaben der Klägerin zur Schadenshöhe zu folgen. Angesichts der exakten Angaben der Klägerin zur Schadenshöhe ist das pauschale Bestreiten der einzelnen Schadenspositionen durch die Beklagte ungenügend.
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Verzugszinsen folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
Ob neben der Beklagten auch der Halter oder der Hüter des Rindes schadensersatzpflichtig sein könnten, kann dahingestellt bleiben, weil sie als Gesamtschuldner haften, § 840 BGB.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Revisionszulassungsgründe i.S.d. § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO sind nicht gegeben.
Ende der Entscheidung
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