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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 11.04.2005
Aktenzeichen: 1 UF 232/00
Rechtsgebiete: BGB, VAÜG
Vorschriften:
BGB § 1587a Abs. 2 | |
VAÜG § 1 Abs. 2 |
Versorgungsausgleich: Zur Dynamik der Anrechte aus dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Thüringen
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss
In der Familiensache
hat der 1. Familiensenat -Hilfssenat- des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena auf die befristete Beschwerde des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Thüringen vom 22.06.2000 gegen das Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Erfurt vom 31.05.2000 hinsichtlich der Regelung über den Versorgungsausgleich in Ziffer 4.) durch
Richterin am Oberlandesgericht Martin als Vorsitzende, Richterin am Oberlandesgericht Kodalle und Richter am Amtsgericht Knöchel
am 11.04.2005
beschlossen:
Tenor:
1. Das Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Erfurt vom 31.05.2000 wird in Ziffer 3 und 4 abgeändert.
Das Verfahren über den Versorgungsausgleich wird ausgesetzt und zur späteren Entscheidung an das Amtsgericht -Familiengericht- Erfurt zurückverwiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben (§ 93 a ZPO).
3. Der Beschwerdewert wird auf 511,29 € festgesetzt (§ 17a Nr. 1 GKG a. F.).
4. Der Wert der Folgesache Versorgungsausgleich I. Instanz wird in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts -Familiengericht- Erfurt vom 29.06.2000 auf vorläufig 1.000,00 DM (511,29 €) festgesetzt.
Gründe:
Die am 19.05.1989 geschlossene Ehe der Parteien wurde aufgrund eines am 02.06.1999 zugestellten Scheidungsantrages durch Urteil des Familiengerichts Erfurt vom 31.05.2000 geschieden und der Versorgungsausgleich derart geregelt, dass im Wege des Rentensplittings vom Versicherungskonto des Antragstellers bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte monatliche angleichungsdynamische Anwartschaften in Höhe von 110,58 DM auf das Versicherungskonto der Antragsgegnerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übertragen (Ziffer 3.) und darüber hinaus zu Lasten der Versorgung des Antragstellers bei dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Thüringen monatliche Anwartschaften in Höhe von 105,60 DM bei einer Lebensversicherung begründet (Ziffer 4.) worden.
Gegen die Art der Durchführung des Versorgungsausgleichs in Ziffer 4.) wendet sich das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Thüringen mit seiner Beschwerde vom 22.06.2000 und führt an, dass nach den Bestimmungen der Satzung bei einem privaten Rentenversicherungsträger nicht eine Rentenanwartschaft zu begründen sei, sondern eine Rentenanwartschaft, die einer Rentenanwartschaft beim Versorgungswerk entspricht. Dementsprechend sei die Tenorierung im Urteil fehlerhaft und daher abzuändern.
Weder der Antragsteller noch die Antragsgegnerin sind der Beschwerde entgegengetreten.
Die Beschwerde ist als befristete Beschwerde gemäß §§ 629a Abs. 2 Satz 1, 621e Abs. 1, 3 ZPO, 53b Abs. 2 FGG zulässig und verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
Sie führt in der Sache auch zum Erfolg.
Der Antragsteller hat ausweislich der Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 11.04.2000 in der Ehezeit vom 01.05.1989 bis 31.05.1999 angleichungsdynamische Rentenanwartschaften (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 VAÜG in Verbindung mit § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB) in Höhe von monatlich 221,15 DM sowie dynamische Rentenanwartschaften (§ 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB) in Höhe von monatlich 57,24 DM erworben.
Darüber hinaus verfügt er im Ehezeitende über eine monatliche Versorgungsanwartschaft in Höhe von 266,29 DM bei dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Thüringen (§ 1587a Abs. 2 Nr. 4 b BGB).
Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Thüringen ist gemäß § 1 ThürRAVG vom 31.05.1996 eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und lässt nach § 22 ihrer Satzung die Realteilung zu. Es gewährt seinen Mitgliedern nach Maßgabe der §§ 9 ff der Satzung Rentenleistungen u.a. für den Fall des Alters und der Berufsunfähigkeit.
Demgegenüber hat die Antragsgegnerin in der Ehezeit nach der Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 14.02.2000 monatliche dynamische Rentenanwartschaften (§ 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB) in Höhe von 112,34 DM erworben.
Zur Durchführung des Versorgungsausgleichs ist zunächst eine Gesamtbilanz der beiderseitigen Anwartschaften der Parteien aufzustellen.
Für die Wertberechnung des beim Versorgungswerk bestehenden Anrechts des Antragstellers gilt die Regelung in § 1587a Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b BGB; denn die im Leistungsfall gewährte Rente bemisst sich nicht oder nicht nur nach der Dauer einer Anrechnungszeit und auch nicht nach Nr. 4 Buchst. d.
Demgemäß ist der Teilbetrag der vollen satzungsgemäßen Leistung maßgeblich, der dem Verhältnis der in die Ehezeit fallenden Zeit zu der bei Vollendung des 65. Lebensjahres erreichten Gesamtdauer entspricht.
Dieser gemäß der Auskunft des Versorgungswerkes vom 17.02.2000 rechnerisch richtig mit monatlich 266,29 DM festgestellte Wert unterliegt keiner Umbewertung nach § 1587a Abs. 3 BGB. Eine solche Umrechnung kommt nicht in Betracht, wenn die Versorgung sowohl im Anwartschafts- wie im Leistungsstadium regelmäßig der allgemeinen Einkommensentwicklung angepasst wird und ihr Wert daher in gleicher oder nahezu gleicher Weise steigt wie der Wert von Anwartschaften in der Beamtenversorgung oder in der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. BGHZ 85, 194, 198 und BGH, FamRZ 1985, 1236).
Vorliegend ist das in Rede stehende Anrecht als in diesem Sinne angleichungsdynamisch (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 VAÜG) zu beurteilen (a.A. 2. FamS des Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 04.06.2004, 2 UF 189/02).
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (Beschluss vom 18.07.2001, 1 UF 414/00; FamRZ 2002, 397 zur Ärzteversorgung Thüringen) fest, wonach Anrechte, die ausschließlich auf dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet erworben worden und diese in einer den angleichungsdynamischen Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren Weise steigen, als angleichungsdynamische Anwartschaften zu charakterisieren sind (so auch OLG Rostock, FamRZ 2004, 884 für das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern).
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Gemäß § 12 Abs. 1 der Satzung bemisst sich der Monatsbeitrag der Alters- bzw. der Berufsunfähigkeitsrente nach dem Produkt aus dem Rentensteigerungsbetrag, der Anzahl der anzurechenden Versicherungsjahre und dem persönlichen durchschnittlichen Beitragsquotienten, wobei letzterer derart zu ermitteln ist, indem für jeden Monat der Mitgliedschaft ein Quotient zwischen dem in diesem Monat gezahlten Beitrag und dem monatlichen Regelpflichtbeitrag nach § 23 Abs. 1 der Satzung gebildet wird. Die Summe dieser Quotienten wird dann durch die Summe der Monate geteilt, in denen eine Mitgliedschaft bestand.
Der Rentensteigerungsbetrag betrug
für Rentenfälle ab 01.07.1996: 83,00 DM,
für Rentenfälle ab 01.01.1999: 116,50 DM (= 40,36 % Steigerung),
für Rentenfälle ab 01.01.2001: 123,50 DM (= 6,01 % Steigerung) und
für Rentenfälle ab 01.01.2004: 67,00 EUR (= 6,11 % Steigerung).
Dies entspricht einer linearen Steigerung (nach BGH, FamRZ 1992, 1051) im Durchschnitt von jährlich 8,75%.
Dem stehen im Zeitraum von 1999 bis 2004 folgende Steigerungen der gesetzlichen Rentenversicherung (Ost), der Rentenversicherung (West) sowie der Beamtenversorgung (West) gegenüber (vgl. Gutdeutsch, Versorgungsausgleichtabelle zur Feststellung der Volldynamik von Versorgungen bis 2004, FamRZ 2005, 257):
Jahr | RV (Ost) | RV (West) | BA (West) |
1999 | 2,79 % | 1,34 % | 2,80 % |
2000 | 0,60 % | 0,60 % | 0,00 % |
2001 | 2,11 % | 1,91 % | 1,70 % |
2002 | 2,89 % | 2,16 % | 2,10 % |
2003 | 1,19 % | 1,04 % | 1,74 % |
2004 | 0,00 % | 0,00 % | 1,25 % |
Hiernach ist die gesetzliche Rentenversicherung (Ost) um durchschnittlich jährlich 1,60 %, die gesetzliche Rentenversicherung (West) um 1,18 % und die Beamtenversorgung um 1,60 % gestiegen.
Der Zuwachs der Anwartschaften beim Versorgungswerk belief sich im selben Zeitraum auf durchschnittlich jährlich 8,75 %. Damit liegt die Wertsteigerung dieser Anwartschaften deutlich über dem der gesetzlichen Rentenversicherung (Ost).
Selbst wenn man die überdurchschnittliche Steigerung um 40,36 % im Jahre 1999 unberücksichtigt lässt und lediglich auf eine dreijährige Steigerung von ca. 6 % abstellt, entspräche dies immer noch einer durchschnittlichen Wertsteigerung um jährlich 2 %.
Für die Bejahung des (angleichungs-)dynamischen Charakters eines Anrechts genügt es nach Ansicht des BGH (BGHZ 85, 194, 202), wenn sein jährlicher Zuwachs mit demjenigen nur einer der vom Gesetz als volldynamisch anerkannten Versorgungen Schritt hält. Die zurückliegende Entwicklung rechtfertigt die Feststellung, dass die Anwartschaften bei dem Versorgungswerk in der Vergangenheit eine "nahezu gleiche" Steigerung i.S. von § 1 Abs. 2 Nr. 1 VAÜG i.V.m. § 1587a Abs. 3 BGB erfahren haben wie die Versorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung (Ost). Diese Voraussetzung kann nämlich nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 85, 194, 202) schon dann als erfüllt angesehen werden, wenn die Wertsteigerung einer Versorgung um durchschnittlich nicht mehr als etwa einen Prozentpunkt hinter der einer der Vergleichsversorgungen zurückbleibt, was vorliegend der Fall ist.
Das gilt nicht nur für die bisher seit Gründung des Versorgungswerks vergangene verhältnismäßig kurze Zeit. Ein Indiz für die Dynamik des in Rede stehenden Anrechts ergibt sich vielmehr auch daraus, dass die Leistungsfähigkeit des Versorgungswerks nicht nur auf Erträgen aus den Vermögenswerten beruht, die mit den jeweiligen individuellen Beiträgen der Mitglieder aus der Vergangenheit gebildet wurden, sondern dass die Leistungen auch mit den laufenden Beiträgen der noch nicht versorgungsberechtigten Mitglieder finanziert werden. Dieses sogenannte "offene Deckungsplanverfahren" ermöglicht die Anpassung in der Weise, dass Renten und Anwartschaften jeweils im gleichen Umfang gemäß den vorhandenen Mitteln erhöht werden; dieses System entspricht daher auch insoweit dem der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. dazu BGH, FamRZ 1983, 265, 266 f, betreffend die Nordrheinische Ärzteversorgung, BGH FamRZ 1983, 998, 999 betreffend die Ärztliche Versorgung Westfalen-Lippe, BGH, FamRZ 1992, 382 betreffend das Versorgungswerk der Rechtsanwaltskammer des Saarlandes, jeweils m.w.N.).
Die Erhöhung des Rentensteigerungsbetrages bedarf zwar gemäß § 12 Abs. 2 der Satzung eines auf Vorschlag des Vorstandes gefassten Beschlusses der Vertreterversammlung. Gemäß § 30 Abs. 3 der Satzung ist es indessen nicht zulässig, die im Jahresabschluss ausgewiesene Rückstellung für satzungsgemäße Überschussbeteiligung für andere Zwecke als die der Leistungsverbesserung zu verwenden, wobei ausweislich des § 30 Abs. 4 der Satzung sowohl die Anwartschaften als auch die laufenden Renten durch den Rentensteigerungsbetrag erfasst und angepasst werden.
Hieraus kann die Prognose abgeleitet werden, dass auch in Zukunft die Leistungen nicht hinter denen der gesetzlichen Rentenversicherung zurückbleiben (vgl. BGH, FamRZ 1990, 382).
Der Senat schließt sich nicht der Auffassung des OLG Naumburg (FamRZ 2004, 641) an, wonach die Angleichungsdynamik einen besonderen strukturellen Angleichungsvorgang verlange, der gerade bei berufsständischen Versorgungen nicht existiere. Denn einerseits setzt, worauf Gutdeutsch zutreffend (in FamRZ 2004, 1114) verweist, das Gesetz einen solchen nicht voraus und andererseits ist ein solcher auch nicht notwendig, da anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegend das Versorgungswerk nicht zwei strukturell verschiedene Versichertenbestände verwalten muss, da seine Versicherten sich nur in einem Bundesland befinden.
Darüber hinaus darf eine völlige Identität der zu erwartenden Versorgungsentwicklung mit dem Angleichungsmechanismus und Einkommensfortschritt der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erwartet werden. Es genügt eine Vergleichbarkeit, die sich auf die angleichungsspezifische Typik des Anrechts zu Anrechten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, wobei der anzulegende Maßstab nicht zu eng zuziehen ist (Soergel/Schmeiduch/Minz, BGB, 13.A., VAÜG § 1, Rdn. 9).
Damit stehen den höheren angleichungsdynamischen Anwartschaften des Antragstellers jedoch höhere dynamische Rentenanwartschaften der Antragsgegnerin gegenüber, so dass gegenwärtig die Voraussetzungen für die Durchführung des Versorgungsausgleichs gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 a, b VAÜG nicht gegeben sind.
Das Verfahren war daher gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG auszusetzen. Gleichzeitig war anzuordnen, dass das Familiengericht das Verfahren bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2, 3 VAÜG wieder aufzunehmen haben wird.
Unter Berücksichtigung der Aussetzungsentscheidung war die Wertfestsetzung des Familiengerichts von Amts wegen auf vorläufig 1.000,00 DM festzusetzen (§ 25 Abs. 2 S. 2 GKG a.F.), da mit der korrekten (vorläufigen) Festsetzung ein Gebührensprung verbunden ist.
Ende der Entscheidung
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