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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.11.2000
Aktenzeichen: 1 W 498/00
Rechtsgebiete: GG, BGB
Vorschriften:
GG Art. 5 Abs. 1 | |
BGB § 823 | |
BGB § 1004 |
2. Zum Vergleich eines Bürgermeisters mit Diktatoren und der Wertung, "der ist schlimmer als Hitler".
Thüringer Oberlandesgericht, 1. Zivilsenat, Beschluss vom 06.11.2000 - 1 W 498/00
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss
1 W 498/00 8 O 1739/00 (Landgericht Erfurt)
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
....................., Bürgermeister der Gemeinde...........
- Beschwerdeführer und Antragsteller -
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Günther Steinert, Haarbergstraße 10, 99097 Erfurt
gegen
.....................
- Beschwerdegegner und Antragsgegner -
Prozeßbevollmächtigter: ./.
hat der 1. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pfalzer, die Richterin am Oberlandesgericht Zimmermann-Spring und den Richter am Landgericht Apel am 6.11.2000
beschlossen:
Tenor:
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichtes Erfurt vom 5.7.2000 wird zurückgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer fallen die Kosten der Beschwerde zur Last.
3. Beschwerdewert: 20.000 DM.
Gründe:
A
Das Landgericht Erfurt hat mit Beschluss vom 5.7.2000 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, mit welcher der Antragsteller erreichen wollte, dass der Antragsgegner es unterlasse, sich in Bezug auf ihn ( Antragsteller) "zu äußern oder äußern zu lassen" :
"In den letzten 50 Jahren gab es mehrere Diktatoren in Deutschland, nunmehr leiden die Bürger der Gemeinde unter dem Diktator..................., und der ist schlimmer als Hitler, ihr werdet schon alle noch erwachen, aber dann ist es zu spät".
Nach dem Vorbringen des Antragstellers soll die oben wiedergegebene Äußerung des Antragsgegners in der öffentlichen Sitzung des Gemeinderates im Gemeindehaus von ............... am 15.6.2000 gemacht worden sein.
Das Landgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung im wesentlichen deshalb zurückgewiesen, da schon zweifelhaft sei, ob diese Äußerung nicht vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei. Es hat weiter darauf abgestellt, dass der Antragsteller offenlasse, in welchem Zusammenhang diese Äußerung gefallen sei, sodass bereits die zur "Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erforderlichen Tatsachen" fehlten.
Schließlich mangele es an der Wiederholungsgefahr.
Wegen der weiteren Begründung wird auf den angegriffenen Beschluss Bezug genommen, welcher dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 12.7.2000 zugestellt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 24.7.2000 hat er Beschwerde eingelegt, der das Landgericht Erfurt mit Beschluss vom 27.10.2000 nicht abgeholfen hat.
B
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Äußerung des Antragsgegners, deren Unterlassung der Beschwerdeführer erreichen will, ist eine Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptung, weil es sich um eine Vermengung wertender und tatsächlicher Bestandteile handelt, die nicht ohne Sinnverfälschung streng getrennt werden können. In solchen Fällen muß die Äußerung insgesamt als Meinungsäußerung betrachtet werden ( BVerfG NJW 1992, 1439). Die Verwendung schlagwortartiger Bezeichnungen wie z.B. "Nazi" , "Faschist" , "Kommunist" oder - wie hier - "Diktator" kann in ganz unterschiedlicher Weise erfolgen. Der Bedeutungsgehalt dieser Begriffe reicht von einer "streng historischen Terminologie"(Prinz/Peters, Medienrecht , Randnummer 18 ) bis hin zum substanzlosen Schimpfwort. Solche Bezeichnungen sind deshalb in ihrem Kontext zu beurteilen ( BVerfG NJW 1992, 2013 "Nazi" ). Sie haben dann Tatsachencharakter, wenn mit ihr die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gemeint ist. Handelt es sich hingegen um eine Einstufung des Betreffenden aus der Sicht des Erklärenden, ist ein Werturteil gegeben. Die beanstandete Äußérung stellt für sich betrachtet nicht bereits aufgrund ihres Inhaltes eine sog. reine "Schmähkritik" dar, die aus dem Schutzbereich des Art. 5 I GG herausgenommen ist, weil sie sich erkennbar nicht in der Herabsetzung der Person des Beschwerdeführers ohne jeglichen Bezug zu Tatsachenbehauptungen erschöpft. Nach der - wenn auch teilweise heftig angegriffenen - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (ausführlich hierzu Kriele, NJW 1994,1897 , der die Ansicht vertritt, von einem "Ehrschutzprozess können Anwälte nur noch abraten" ; kritisch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch BayObLG NJW 2000, 3079 ) sind Werturteile bis zur Grenze der "Schmähkritik" zulässig , wobei letztgenannter Begriff im Interesse der Meinungsfreiheit nicht weit, sondern so eng wie möglich ausgelegt werden müsse. "Schmähkritik" liege nur dann vor, wenn für den "Beleidiger" subjektiv statt der Auseinandersetzung in der Sache die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht es z.B. gebilligt, dass ein querschnittsgelähmter Reserveoffizier öffentlich und unter voller Namensnennung als "geb.Mörder" bezeichnet wurde ( BVerfG NJW 1992, 2073 ). In der Entscheidung NJW 1991,95 hat es die Bezeichnung des früheren Bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauss als "Personifizierung des Typs des Zwangsdemokraten" gebilligt. Ein Senat des Nürnberger Oberlandesgerichtes musste sich die Bezeichnung "Reichsparteitags-OLG" gefallen lassen ( BVerfG NJW 1994,1149 ). Aus jüngerer Zeit ist insbesondere auch die "Soldaten sind Mörder"- bzw. "Soldaten sind potentielle Mörder"- Entscheidung ( BVerfG NJW 1995,3303 ) anzuführen, in der strafgerichtliche Verurteilungen wegen dieser Äußerungen aufgehoben worden sind, da das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 I GG nicht in dem erforderlichen Maße durch die Gerichte beachtet worden seien (weitere Beispiele und Nachweise zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei Schmitt Glaeser , NJW 1996, 873 und Grimm, NJW 1995,1697).
Entscheidend ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit derartiger Äußerungen immer eine genaue Analyse des Zusammenhanges, in dem diese gefallen sind , und eine sorgfältige Abwägung des Rechts auf persönlichen Ehrschutz einerseits und des Rechts auf freie Meinungsäußerung andererseits. Dies setzt aber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes voraus, dass alle maßgeblichen Tatsachen vom Antragsteller vorgetragen und glaubhaft gemacht werden. Anders als im Hauptsacheprozess ist nämlich die Behauptungs- und Beweislast im einstweiligen Verfügungsverfahren verteilt, wenn ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Nach überwiegender Ansicht, der der Senat folgt ( z.B. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO , 21. Aufl., Randnummer 11 zu § 920 ; Wieczorek/Schütze/Thümmel, ZPO , 3. Aufl., Randnummer 16 zu § 920 ; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 2. Aufl., Randnummern 21 ff. zu § 920 ZPO ; Musielak, ZPO, 1. Aufl., Randnummer 4 zu § 920 alle jeweils mit weiteren Nachweisen) , obliegt es hier dem Antragsteller, das Nichtvorliegen sich aus dem Sachverhalt ergebender "naheliegender Einwendungen" ( des Antragsgegners ) auszuräumen.
Dem ist der Beschwerdeführer trotz Hinweises des Landgerichtes in dem angefochtenen Beschluss , er lasse "offen , in welchem Zusammenhang die behauptete Äußerung gefallen ist" auch mit dem Beschwerdevorbringen nicht nachgekommen. Derartiger Sachvortrag (und Glaubhaftmachung ) ist aber - wie ausgeführt - unabdingbare Voraussetzung für den Erlass der begehrten einstweiligen Regelung. Dies deshalb, weil sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers entnehmen lässt, dass die beanstandete Äußerung im Rahmen einer öffentlichen Ratssitzung erfolgt ist, die durch "diffamierende Zwischenrufe" gestört worden ist und es daher naheliegt, dass der Antragsgegner - wäre er am Verfahren beteiligt worden - die näheren Umstände, die der Beschwerdeführer verschweigt , vorgetragen und Einwendungen gegen den Unterlassungsanspruch , ggfs. durch Berufung auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, erhoben hätte.
Gemäß § 97 ZPO fallen dem Beschwerdeführer die Kosten seiner erfolglosen Beschwerde zur Last.
Den Beschwerdewert hat der Senat im Anschluß auf die Streitwertfestsetzung durch das Landgericht auf 20.000 DM festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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