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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 02.04.2001
Aktenzeichen: 6 W 190/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 890
ZPO § 85 Abs. 2
Rechtliche Grundlage: ZPO § 890, § 85 Abs. 2

1. Da die Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht nur eine Maßnahme zur Beugung des Schuldnerwillens ist, sondern auch repressiv-strafrechtliche Elemente enthält, kann sie nur erfolgen, wenn ein individuelles Verschulden des Schuldners an der Zuwiderhandlung gegen ein Handlungsverbot oder Unterlassungsgebot feststeht.

2. Ist die verbotene Zuwiderhandlung vor Zustellung des Titels nebst Androhung erfolgt, ist das Verhalten vom Schuldner nur zu vertreten, wenn er das Verbot und die Ordnungsmittelandrohung kannte.

3. § 85 Abs. 2 ZPO ist im Ordnungsmittelverfahren nicht anwendbar. Daher kann auch bei zweifelsfrei vorhandenem Verschulden des Prozessbevollmächtigten gegen den Schuldner ein Ordnungsgeld nicht festgesetzt werden.

4. Kennt der Vollstreckungsschuldner den Inhalt des Verbotstitels und versucht er nicht ein verbotswidriges Verhalten seines Prozessbevollmächtigten zu verhindern, liegt der für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ausreichende Vorwurf in einem vom Schuldner persönlich zu vertretenden Unterlassen.

Thüringer Oberlandesgericht, 6. Zivilsenat, Beschluss vom 02.04.2001 6 W 190/01


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 190/01 2 HKO 420/00 (Landgericht Gera)

In der Zwangsvollstreckungssache

...................................

- Vollstreckungsschuldner und Beschwerdeführer -

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Hans Galiläer, Herderstraße 46, 07545 Gera

gegen

..................................

- Vollstreckungsgläubigerin und Beschwerdegegnerin -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Kaufmann, Dr. Lutz & Kollegen, Bavariaring 17, 80336 München

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer, die Richterin am Amtsgericht Dr. Mittenberger-Huber sowie den Richter am Oberlandesgericht Bettin auf die sofortige Beschwerde des Vollstreckungsschuldners vom 07.03.2001 gegen den Beschluss der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Gera vom 02.02.2001

am 02.04.2001

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Gera vom 02.02.2001 wird aufgehoben. Der Antrag der Vollstreckungsschuldnerin auf Verhängung eines Ordnungsgelds wird abgewiesen.

2. Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Vollstreckungsgläubigerin zu tragen.

3. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 5.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Vollstreckungsgläubigerin hat gegen den Vollstreckungsschuldner am 17.10.2000 eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der es dem Vollstreckungsschuldner unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, untersagt wurde, in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der E.... GmbH mit Sitz in G. (Vollstreckungsgläubigerin) am 20.10.2000 für die Zwangseinziehung des Geschäftsanteils der Antragstellerin an dieser Gesellschaft zu stimmen oder ein entsprechende Stimmabgabe durch einen Vertreter vornehmen zu lassen. Diese einstweilige Verfügung hat die Vollstreckungsgläubigerin am 18.10.2000 per Telefax an den Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsschulders gesandt. Die förmliche Zustellung durch den Gerichtsvollzieher erfolgte am Nachmittag des 20.10.2000, nachdem der Gerichtsvollzieher in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 20.10.2000 gegen 14.00 Uhr vergeblich eine Zustellung an den Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsschuldners versucht hatte. Der Prozessbevollmächtigte des Vollstreckungsschuldners hat sich geweigert, die Zustellung entgegenzunehmen und behauptet, seine Vollmacht berechtige ihn hierzu nicht. Auf den Inhalt der Vollmacht vom 16.10.2000 (Bl. 97 d.A.) nimmt der Senat Bezug. In der außerordentlichen Gesellschafterversammlung stimmte der Prozessbevollmächtigte des Vollstreckungsschuldners als dessen Vertreter für die Einziehung des Geschäftsanteils der E.... GmbH. Auf entsprechenden Antrag der Vollstreckungsgläubigerin hat das Landgericht daraufhin mit Beschluss vom 02.02.2001 gegen den Vollstreckungsschuldner ein Ordnungsgeld von 5.000 DM und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je 500 DM einen Tag Ordnungshaft verhängt. Auf die Begründung dieses Beschlusses nimmt der Senat Bezug. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Vollstreckungsschuldners, der erneut geltend macht, die einstweilige Verfügung des Landgerichts sei dem Vollstreckungsschuldner vor der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 20.10.2000 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, der Vollstreckungsschuldner habe von deren Inhalt auch keine Kenntnis gehabt. Die Vollstreckungsgläubigerin verteidigt die angefochtene Entscheidung des Landgerichts. Wegen des Vorbringens der Parteien in den Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die beiderseitigen Schriftsätze. II. Die sofortige Beschwerde ist nach den §§ 793 Abs. 1, 577 ZPO an sich statthaft und auch sonst zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil das Landgericht gegen den Vollstreckungsschuldner zu Unrecht ein Ordnungsgeld festgesetzt hat. Allerdings hat das Landgericht zu Recht festgestellt, dass der Prozessbevollmächtigte des Vollstreckungsschuldners die Zustellung der einstweiligen Verfügung des Landgerichts vom 17.10.2000 zu Beginn der außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 20.10.2000 treuwidrig vereitelt hat. Seine Angabe, er sei zur Entgegennahme derartiger Zustellungen nicht berechtigt, ist ersichtlich wahrheitswidrig, wie sich aus dem Inhalt der vom Vollstreckungsschuldner an seinen Prozessbevollmächtigten erteilten Vollmacht vom 16.10.2000 ergibt. Die Vollmacht umfasst unter Ziffer 5 ausdrücklich die Entgegennahme von Zustellungen jeder Art. Das Landgericht hat indessen nicht beachtet, dass die Verhängung der Ordnungsmittel des § 890 ZPO, die nicht nur eine Massnahme zur Beugung des Willens des Schuldners darstellen, sondern auch strafrechtliche (repressive) Elemente enthält, nach allgemeiner Auffassung Verschulden des Vollstreckungsschuldners selbst voraussetzt. Ahndung ohne Verschulden des Vollstreckungsschuldners ist rechtsstaatswidrig und verletzt den Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG 20, 323, 332; BVerfG 84, 82; Zöller/Stöber, ZPO, 22. Auflage, § 890 Rd.-Nr. 5 m.w.N.). Erfolgt eine Zuwiderhandlung wie hier nach Androhung des Ordnungsmittels, jedoch vor Zustellung des Titels und der Androhung, liegt Verschulden nur vor, wenn der Schuldner die Verbotsnorm und die Androhung kannte oder schuldhaft nicht kannte, wobei wegen der strafrechtlichen Elemente des Ordnungsmittels nur eigenes Verschulden des Vollstreckungsschuldners beachtlich ist (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., m.w.N.). § 85 Abs. 2 ZPO gilt mithin im Ordnungsmittelverfahren nicht, so dass sich der Vollstreckungsschuldner das zweifelsfrei vorhandene Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht anzurechnen hat (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 85 Rd.-Nr. 11). Ein eigenes Verschulden wäre dem Vollstreckungsschuldner im vorliegenden Fall nur dann vorzuwerfen, wenn er selbst den Inhalt der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Gera vom 17.10.2000 vor der außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 20.10.2000 gekannt hätte und gleichwohl nicht versucht hätte, die verbotswidrige Stimmabgabe durch seinen Prozessbevollmächtigten zu verhindern. Hinsichtlich der Kenntnis des Vollstreckungsschuldners selbst hat die Vollstreckungsgläubigerin indessen nichts vorgetragen; auch aus dem Akteninhalt ergeben sich hierzu keine Anhaltspunkte. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 891 S. 2, 91 ZPO. Den Beschwerdewert hat der Senat nach den §§ 12 Abs. 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt.

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