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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: 6 W 495/01
Rechtsgebiete: BGB, BtVormVG


Vorschriften:

BGB § 1836a
BtVormVG § 1 Abs. 1 S. 2
1. Besondere Kenntnisse oder Fachkenntnisse sind solche, die über ein bestimmtes Grundwissen deutlich hinausgehen, wobei dieses Grundwissen je nach Bildungsstand oder Ausbildung unterschiedlich sein kann. Für die Führung der Betreuung nutzbar sind solche Fachkenntnisse dann, wenn sie den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen. Dabei ist es nicht nötig, dass die Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken, vielmehr reichen Kenntnisse zur Bewältigung eines bestimmten Aufgabenkreises aus (vgl. Senat FGPrax 2000, 110)

2. Da es sich bei der Betreuung ihrem Wesen nach um rechtliche Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) handelt, kommt insbesondere rechtlichen Kenntnissen eine besondere Bedeutung zu; betreuungsrelevant sind aber auch Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft, sofern die abgeschlossene Ausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung betreuungsrelevanten Fachwissens ausgerichtet ist, wie etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaft, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaft (vgl. Senat, a.a.O.)

3. Ein Hochschulstudium als Diplompädagoge mit den Schwerpunktfächern Erwachsenen- und Jugendpädagogik, Erwachsenen- und Jugendpsychologie, Familienpädagogik, Arbeitspsychologie und Alterspsychologie kann die Erhöhung der Betreuervergütung nach § 1 Abs. 1 S. 2 BtVormVG begründen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

6 W 495/01

In dem Betreuungsverfahren

hat der 6. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. h.c. Bauer, den Richter am Oberlandesgericht Hollandt sowie den Richter am Oberlandesgericht Bettin auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 vom 03.08.2001

am 08.11.2001

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Staatskasse hat dem Beteiligten zu 1 dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde zu erstatten.

3. Der Beschwerdewert wird auf 975 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Mitarbeiter I. S. des Beteiligte zu 1 ist gerichtlich bestellter Vereinsbetreuer des Betroffenen für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Anordnung der Unterbringung und unterbringungsähnlicher Maßnahmen, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt und Vertretung bei Behörden und Gerichten. Für die Tätigkeit des Betreuers hat der Beteiligte zu 1 für den Abrechnungszeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2000 neben Aufwendungsersatz, der nicht Gegenstand der Rechtsmittelverfahren ist, die Festsetzung einer Vergütung aus der Staatskasse für 90,4 Stunden zu einem Stundensatz von 54 DM beantragt.

Der Mitarbeiter des Beteiligten zu1 hat ein Studium zum Diplompädagogen an der Humboldt-Universität zu Berlin absolviert; seine Diplomarbeit wurde mit dem Prädikat "sehr gut" bewertet. Die Schwerpunkte des Studiums lagen bei der Erwachsenen- und Jugendpädagogik, Erwachsenen- und Jugendpsychologie, Familienpädagogik, Arbeitspsychologie und Alterspsychologie. Außerdem hat der Betreuer ein Fachschulstudium zum Ingenieur-Pädagogen mit dem Prädikat "gut" abgeschlossen.

Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts hat dem Beteiligten zu 1 lediglich eine Vergütung nach einem Stundensatz von 45 DM auf der Grundlage der Übergangsregelung des § 1 Abs. 3 BVormVG zugebilligt und die von dem Beteiligten zu 1 beantragte Mehrwertsteuererstattung lediglich mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unter Vorbehalt festgesetzt.

Auf die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht dem Beteiligten zu 1 Vergütung auf der Grundlage eines Stundensatzes von 54 DM zuerkannt und das Rechtsmittel im Übrigen, also hinsichtlich der Festsetzung der Mehrwertsteuer, zurückgewiesen. Auf die Begründung der Entscheidung des Landgerichts nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Das Landgericht hat die weitere Beschwerde mit der Begründung zugelassen, der Frage, inwieweit die in einem Fachschulstudium erworbenen pädagogischen Kenntnisse für die Betreuung nutzbar sein können, komme grundsätzliche Bedeutung zu.

Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2, der lediglich den vom Landgericht angenommenen Stundensatz angreift. Auf die Begründung des Rechtsmittels nimmt der Senat Bezug.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27 ff. FGG an sich statthaft und auch sonst zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg, weil die angefochtene Entscheidung des Landgerichts nicht auf Gesetzesverletzungen beruht, §§ 27 FGG, 550 ZPO.

1. Ist der Betreute wie hier mittellos, kann der Berufsbetreuer - auch der Betreuungsverein für einen als Vereinsbetreuer bestellten Mitarbeiter - Vergütung aus der Staatskasse verlangen (§§ 1908 i Abs. 1, 1908 e Abs. 1, 1836 a BGB), und zwar für jede Stunde der für die Führung der Betreuung aufgewandten und erforderlichen Zeit den seiner Qualifikation entsprechenden, vom Gesetzgeber in einer typisierten dreistufigen Skala verbindlich festgelegten Betrag (§ 1836 a BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 BVormVG). Dabei setzt die Zuerkennung der erhöhten Stundensätze von - in den neuen Bundesländern - 40,50 DM bzw. 54 DM voraus, dass der Berufsbetreuer über Fachkenntnisse bzw. besondere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind und die durch eine abgeschlossene Lehre bzw. eine abgeschlossene Hochschulausbildung oder durch eine diesen Ausbildungen vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben worden (§ 1 Abs. 1 S. 2 BVormVG). Besondere Kenntnisse oder Fachkenntnisse sind solche, die über ein bestimmtes Grundwissen deutlich hinausgehen, wobei dieses Grundwissen je nach Bildungsstand oder Ausbildung unterschiedlich sein kann. Für die Führung der Betreuung nutzbar sind solche Fachkenntnisse dann, wenn sie den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen. Dabei ist es nicht nötig, dass die Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken, vielmehr reichen Kenntnisse zur Bewältigung eines bestimmten Aufgabenkreises aus (vgl. Senat FGPrax 2000, 110; BayObLG FGPrax 2000, 22, 23 m.w.N.). Da es sich bei der Betreuung ihrem Wesen nach um rechtliche Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) handelt, kommt insbesondere rechtlichen Kenntnissen eine besondere Bedeutung zu; betreuungsrelevant sind aber auch Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft (vgl. OLG Zweibrücken FGPrax 2001, 21; BayObLG, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Die Auffassung des Beteiligten zu 2, der offensichtlich ausschließlich auf Rechtskenntnisse abstellen will, findet im Gesetz keine Stütze und widerspricht auch der soweit ersichtlich einhelligen Auffassung in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte. Ihr folgt auch der Senat nicht.

Erforderlich ist es weiter, dass die abgeschlossene Ausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung betreuungsrelevanten Fachwissens ausgerichtet ist, wie etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaft, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaft (vgl. Senat, a.a.O.; BayObLG, a.a.O.; OLG Zweibrücken, a.a.O.).

2. Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht ausgegangen und dabei ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass der Vergütungsanspruch des Beteiligten zu 1 nach dem höchsten Stundensatz zu bemessen ist.

a) Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, unter denen ihm gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 BVormVG eine erhöhte Vergütung zu bewilligen ist, obliegt der Beurteilung des Tatrichters, die im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde nur darauf überprüft werden kann, ob der Tatrichter einen unbestimmten Rechtsbegriff verkannt hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zu Stande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen oder gegen Denkgesetze bzw. Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. Senat, a.a.O.; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Auflage, § 27 Rn. 42 jeweils m.w.N.). Solche Rechtsfehler sind dem Landgericht nicht unterlaufen.

Nach seinen verfahrensfehlerfrei getroffenen und damit für den Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren bindenden Feststellungen hat der Mitarbeiter des Beteiligten zu 1 Ingolf Schmidt ein Hochschulstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Diplompädagogen absolviert. Schwerpunkte dieses Studiums waren die Fächer Erwachsenen- und Jugendpädagogik, Erwachsenen- und Jugendpsychologie, Familienpädagogik, Arbeitspsychologie und Alterspsychologie.

Die daraus abgeleitete Folgerung, der Berufsbetreuer verfüge über für die Führung einer Betreuung nutzbare besondere Fachkenntnisse, ist ebenfalls aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Es entspricht vielmehr der soweit ersichtlich einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, dass sich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes eine Beschränkung der gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 BVormVG erhöhten Vergütungsstufen auf bestimmte Berufsgruppen nicht entnehmen lässt. Durch eine Hochschulausbildung in den betreuungsrelevanten Fächern Psychologie und Pädagogik können Fachkenntnisse erworben sein, die eine Erhöhung der Vergütung rechtfertigen. Eine solche Ausbildung vermittelt soziale Kompetenzen und zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeit, die bei der Erfüllung von Betreuungsaufgaben von allgemeinem Vorteil sein können (vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O.; OLG Dresden, FamRZ 2000, 1310). Wurden diese Kenntnisse wie hier in einem Hochschulstudium zum Diplompädagogen vermittelt, handelt es sich auch nicht mehr Kenntnisse, die nur bei Gelegenheit eines Studiums vermittelt wurden, das im Kern auf ein anderes Fachgebiet ausgerichtet ist. Da der Betreuer mithin betreuungsrelevante Fachkenntnisse bereits durch sein Hochschulstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin erworben hat, erweist sich die Entscheidung des Landgerichts schon aus diesem Grund als richtig. Auf die vom Landgericht problematisierte Frage, wegen der es auch die weitere Beschwerde zugelassen hat, nämlich ob auch die in einem Fachschulstudium erworbenen pädagogischen Kenntnisse den höchsten Stundensatz des § 1 Abs. 1 S. 2 BVormVG rechtfertigen könnten, kommt es mithin nicht an.

Soweit der Beteiligte zu 2 aus Reformüberlegungen des Gesetzgebers (vgl. den Entwurf eines Eckpunktepapiers zur Strukturreform des Betreuungsrechts der interfraktionellen Arbeitsgruppe Strukturreform des Betreuungsrechts vom 23.10.2000) eine andere Beurteilung ableiten will, folgt der Senat dem nicht. Abgesehen davon, dass schon fraglich ist, ob und in welchem Umfang derartige Reformbestrebungen Bedeutung für die Auslegung des geltenden Rechts haben, ergeben sich aus diesem Eckpunktepapier auch keinerlei Ansatzpunkte für die vom Beteiligten zu 2 vertretene Auffassung.

III.

Der Senat hat nach § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG angeordnet, dem Beteiligten zu 1 die außergerichtlichen Kosten im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde aus der Staatskasse zu erstatten, weil der Beteiligte zu 2, der am Verfahren formell beteiligt ist, diese Kosten durch ein unbegründetes Rechtsmittel verursacht hat. Den Wert des Beschwerdegegenstands hat der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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