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Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 26.09.2000
Aktenzeichen: 1 TaBV 14/2000
Rechtsgebiete: BetrVG
Vorschriften:
BetrVG § 111 | |
BetrVG § 112 | |
BetrVG § 112 a |
Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Gera vom 12.09.2000, Az.: 5 BVGa 4/2000, abgeändert.
2. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, bis zum Abschluß der Verhandlungen über einen Interessenausgleich, längstens bis zum 08.12.2000, gegenüber folgenden Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen:
H. L., R. N., R. P., O. L., M. S., G. H., M. H., R. S., B. M., R. S., S. N., B. T., R. M., G. S., R. R., F. F., W. R., E. A., B. S., B. H., P. J., J. D., E-D. S., H. K., U. S., M. K., M. K., R. S.,
W. M., A. N., E. K., E. P., M. B., R. T., E. O., B. B., U. R., C. P., R. R., G. G., B. F., W. E., D. S., B. H., J. T., K. Z., S. S., U. P., M. S., S. C., H. K., F. G., J. B., O. S., M. S., H-O. F.,
E. S., G. S., I. S., O. W., A. H., B. M., B. B., T. O., G. G., M. G. und S. M..
3. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Unterlassungsverfügung wird der Beteiligten zu 2), zu vollstrecken an einem ihrer Geschäftsführer, ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 500.000,00 DM angedroht.
Gründe:
I)
Der Antragsteller hat behauptet, die Beteiligte zu 2) beabsichtige, ihren Betrieb in N. mit derzeit 67 Arbeitnehmern zum 31.12.2000 vollständig stillzulegen. Von dieser Absicht sei er erst mit Schreiben vom 05.09.2000 unterrichtet worden. Verhandlungen über einen Interessenausgleich habe die Beteiligte zu 2) bisher abgelehnt.
Das Arbeitsgericht hat nach Anhörung der Beteiligten den Antrag, der Beteiligten zu 2) den Ausspruch von Kündigungen bis zum Abschluß der Verhandlungen über einen Interessenausgleich zu untersagen, mit Beschluß vom 12.09.2000 zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die am 18.09.2000 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und begründete Beschwerde des Antragstellers.
Der Antragsteller greift mit Rechtsgründen die Entscheidung des Arbeitsgerichts an. Er behauptet im übrigen, daß zwar zwischenzeitlich eine Einigungsstelle zur Verhandlung über einen Interessenausgleich errichtet worden sei, die Beteiligte zu 2) sich aber geweigert habe, rechtsverbindlich zuzusichern, daß sie bis zum Abschluß des Einigungsstellenverfahrens keine Kündigungen aussprechen werde.
Der Antragsteller hat seine Behauptungen durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.
II)
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Dem gestellten Antrag ist unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses stattzugeben.
Dem Beteiligten zu 1) steht der begehrte Unterlassungsanspruch zu.
Die beim Unterlassungsanspruch gegen die Durchführung einer Betriebsänderung aufgeworfenen Rechtsfragen sind mittlerweile ausführlich in Literatur und Rechtsprechung dargestellt und erörtert worden. Zum aktuellen Meinungsstand kann auf die Nachweise bei Schaub (Arbeitsrechtshandbuch, 9. Auflage, § 244 Rnr. 29) und Hanau/Kania (Erfurter Kommentar, §§ 112, 112 a BetrVG Rnr. 24) verwiesen werden. In der neueren Rechtsprechung markieren die Beschlüsse des LAG Berlin vom 07.09.1995 (LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 13) - den Unterlassungsanspruch bejahend - und des LAG Düsseldorf vom 19.11.1996 (LAGE a. a. O. Nr. 14) - den Unterlassungsanspruch verneinend - die jeweiligen Gegenpositionen.
Die erkennende Kammer hält die Argumente von Dütz (AuR 98, 182 f) und insbesondere die in der Auseinandersetzung mit der Entscheidung des LAG Düsseldorf gewonnene Begründung von Andres (Anmerkung zu LAGE a. a. O. Nr. 14) für überzeugend. Folgende rechtliche Überlegungen - in der gebotenen Kürze dargestellt - tragen die Entscheidung:
Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.05.1994 (NZA 95, 40) können Unterlassungsansprüche des Betriebsrates als selbständige, einklagbare Nebenansprüche auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung bestehen. Seine materiell-rechtliche Grundlage hat dieser Anspruch im Mitwirkungstatbestand, dem betriebsverfassungsrechtlichen Gebot zu vertrauensvoller Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG und dem gesetzlichen Betriebsverhältnis als Dauerrechtsbeziehung. Von daher ist es unerheblich, daß ein Unterlassungsanspruch bei Verletzung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats aus §112 Abs. 2 und 3 BetrVG nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Der Unterlassungsanspruch ist auch nicht durch § 113 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen. Der in dieser Vorschrift geregelte Nachteilsausgleich ist eine Sanktion individualrechtlicher Art. Ein kollektivrechtlicher Nebenanspruch kann aber nicht von einer individualrechtlichen Sanktion abhängig gemacht werden. Unzutreffend ist schließlich die Auffassung, der Anspruch auf Unterlassung der Betriebsänderung gehe über den Verhandlungsanspruch des Betriebsrats hinaus und führe bei einer Anordnung im Wege der einstweiligen Verfügung zu einer Überbefriedigung. Der Unterlassungsanspruch, der dem Betriebsrat bei einer Verletzung seines Verhandlungsanspruchs aus § 112 Abs. 2 und 3 BetrVG zusteht, hat sich an der Reichweite seines Mitwirkungsrechts zu orientieren. Der Betriebsrat hat daher nur so lange einen Anspruch auf Unterlassung der Betriebsänderung, so lange die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und die Schlichtungsverfahren nicht zum Abschluß gekommen sind.
Dem Antragsteller steht auch ein Verfügungsgrund zur Seite. Zur Sicherung seiner Mitwirkungsbefugnisse ist es erforderlich, der Beteiligten zu 2) die Durchführung der Betriebsänderung zeitweilig zu untersagen. Da die Einigungsstelle zur Verhandlung über den Interessenausgleich bereits gebildet ist und auch alsbald ihre Tätigkeit aufnimmt, halten sich die Einschränkungen für die Beteiligte zu 2) in überschaubaren Grenzen.
Der Erlaß der einstweiligen Verfügung ist dringlich, so daß die Entscheidung ohne Anhörung der Beteiligten getroffen werden mußte.
Gegen diesen Beschluß findet gem. § 924 ZPO der Widerspruch statt.
Ende der Entscheidung
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