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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 07.03.2002
Aktenzeichen: 3/6 Sa 269/01
Rechtsgebiete: BAT-O


Vorschriften:

BAT-O § 19
BAT-O § 50
Im Falle einer langfristigen Delegierung eines "Werktätigen" ins Ausland wird das "Arbeitsrechtsverhältnis des mitreisenden Ehepartners" nicht unterbrochen. Gem. § 3 VO des DDR-Ministerrats vom 21.09.1971 ruhte es und bestand daher rechtlich weiter. Dieses hat zur Folge, dass als Beschäftigungszeit gem. § 19 BAT-O auch diese Ruhenszeit gilt. § 50 BAT-O entfaltet für diese Fälle keine Rückwirkung.
Tenor:

1) Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gotha vom 04.04.2001 - 4 Ca 1579/00 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Umfang der von dem Beklagten anzuerkennenden Beschäftigungszeit der Klägerin gem. § 19 BAT-O.

Hinsichtlich der im ersten Rechtszug vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Parteien, der von ihnen gestellten Anträge sowie der vom Arbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 64 ArbGG i. V. mit § 543 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung vom 04.04.2001 sowie auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Schriftstücke und auf den Inhalt der Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Gegen das dem Beklagten am 22.06.2001 zugestellte Urteil, auf dessen Gründe ebenfalls Bezug genommen wird, hat er am 19.07.2001 Berufungg eingelegt und diese Berufung nach rechtzeitiger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.09.2001 am 20.09.2001 begründet.

Der Beklagte wendet sich gegen die Auslegung des § 19 BAT-O durch das Arbeitsgericht. Er ist der Auffassung, die Beschäftigungszeit der von der Übergangsregelung (Übergang aus DDR-Arbeitsrechtsverhältnissen auf Arbeitsverhältnisse, welche dem BAT-O unterliegen) betroffenen Beschäftigten seien genauso zu ermitteln, wie die Beschäftigungszeit einer Person, auf die schon immer der BAT-O Anwendung gefunden hätte. Die einzige Möglichkeit, der Klägerin die Begleitung ihres Ehemannes für einen mehrjährigen Auslandseinsatz zu ermöglichen, wäre die Gewährung von Sonderurlaub gem. § 50 Abs. 2 BAT-O gewesen. Nur dann hätte diese Zeit gem. § 50 Abs. 3 BAT-O als Beschäftigungszeit zu gelten, wenn der Arbeitgeber bei Antritt des Sonderurlaubes dienstliches oder betriebliches Interesse an der Beurlaubung schriftlich anerkannt hätte. Ein derartiges dienstliches oder betriebliches Interesse an der Sonderbeurlaubung sei jedoch nicht ersichtlich. Darüber hinaus liege auch keine entsprechende Niederschrift vor.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gotha vom 04.04.2001, Az.: 4 Ca 1579/00, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr Arbeitsverhältnis habe bis zum Tag der Deutschen Einheit ausschließlich dem DDR-Arbeitsrecht unterlegen mit der Folge, dass auch die Verordnung vom 21.09.1971 zur Sicherung arbeitsrechtlicher Ansprüche mitreisender Ehepartner bei Delegierung ins Ausland volle Wirksamkeit entfaltet habe und entfalte.

Demgegenüber zeige der BAT-O Wirkung lediglich ex nunc.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht seit 01.09.1960. Seit diesem Zeitpunkt arbeitete die Klägerin bei dem Rechtsvorgänger des Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme die Bestimmungen des BAT-O Anwendung. Streitig ist zwischen den Parteien, ob zur Beschäftigungszeit gem. § 19 BAT-O auch die Zeit vom 14.08.1972 bis 01.10.1975 gehört. In dieser Zeit war der Ehemann der Klägerin zur Arbeit in die Sowjetunion delegiert. Gemäß "Verordnung zur Sicherung arbeitsrechtlicher Ansprüche mitreisender Ehepartner bei Delegierung ins Ausland vom 21.09.1971 des Ministerrates der DDR" ruhte für die Dauer des Auslandseinsatzes des Ehepartners - hier des Ehemannes - das Arbeitsrechtsverhältnis des mitreisenden Ehegatten - hier der Klägerin. Gemäß § 3 VO wurde die Betriebszugehörigkeit des mitreisenden Ehegatten durch das ruhende Arbeitsrechtsverhältnis nicht unterbrochen.

Die Klägerin schließt hieraus, dass der Zeitraum vom 14.02.1973 bis 01.10.1975 als Beschäftigungszeit zu gelten habe, während der Beklagte der Auffassung ist, die Zeit vom 14.08.1972 bis 01.10.1975 sei wie Sonderurlaub gem. § 50 BAT-O zu behandeln.

Der Anspruch der Klägerin auf Anerkennung der fraglichen Zeit als Beschäftigungszeit leitet sich allein aus § 19 BAT-O ab. Daher sind auch für die Frage, wie lang die Beschäftigungszeit der Klägerin ist, allein die Bestimmungen dieses TV maßgebend. Hiervon geht auch das Arbeitsgericht zutreffend aus.

Maßgeblich für die Dauer der Beschäftigungszeit gem. § 19 BAT-O ist der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses. Dieses folgt aus einem Umkehrschluss aus § 50 Abs. 3 BAT-O, nach welchem Zeiten ohne Bezüge in der Regel nicht als Beschäftigungszeit angerechnet werden (Uttlinger/Breier u. a., BAT, Erl. 4 zu § 19). Solche Zeiten ohne Bezüge liegen zwar auch bei der Klägerin vom 14.02.1973 bis 01.10.1975 vor. Wäre das Arbeitsverhältnis der Klägerin damals den Bestimmungen des BAT-O unterfallen, wäre ihr diese Zeit damals möglicherweise nicht als im dienstlichen oder betrieblichen Interesse liegend schriftlich anerkannt worden, § 50 Abs. 3 BAT-O. Insoweit wäre dann auch nicht von einer Beschäftigungszeit gem. § 19 BAT auszugehen.

Indessen unterlag ihr damaliges "Arbeitsrechtsverhältnis" nicht dem BAT, sondern dem Arbeitsrecht der DDR. Gemäß § 1 der Verordnung des DDR-Ministerrates vom 21.09.1971 ruhte ihr Arbeitsrechtsverhältnis, ohne dass gem. § 3 VO die Betriebszugehörigkeit unterbrochen worden wäre. Zum Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf ihren heutigen Arbeitgeber, den Beklagten, hatte das Arbeitsrechtsverhältnis ohne rechtliche Unterbrechung in der Zeit vom 14.02.1973 bis 01.10.1975 bestanden. In dieser Form ging es über. Eine Ausnahmeregelung für Fälle wie denjenigen der Klägerin enthält der BAT-O nicht.

Insbesondere fehlt es an einer Bestimmung, nach welcher für die Zeit vor der Geltung des BAT-O für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse die Beschäftigungszeiten gem. § 50 BAT-O zu berechnen wären. Von einer solchen Rückwirkung ist nach der Systematik des § 50 BAT-O auch zumindest dann nicht auszugehen, wenn, wie im vorliegenden Falle, ein tatsächlich ruhendes Arbeitsverhältnis gesetzlich als nicht unterbrochen definiert wurde. Es bestand in diesem Falle für den DDR-Betrieb kein Anlass und auch keine Möglichkeit, schriftlich ein dienstliches oder betriebliches Interesse an der Beurlaubung des Werktätigen im Sinne der Verordnung vom 21.09.1971 anzuerkennen, obwohl im Einzelfalle ein solches Interesse z. B. wegen des Erwerbs von Sprachkenntnissen im Ausland vorgelegen haben mag. Daher passt die Bestimmung des § 50 BAT-O nicht auf die Rechtslage zur Zeit der Geltung von DDR-Arbeitsrecht.

Der Hinweis des Beklagten auf das Urteil des BAG vom 21.09.1995 (6 AZR 18/95 - ZTR 96, 313) geht fehl, weil es im vorliegenden Falle nicht darum geht, wie der Begriff "unbillig" auszulegen ist, ob nach den gesellschaftspolitischen Vorstellungen der DDR oder nach heutigen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen. Eine Wertungsentscheidung, bei welcher es auf die heutige Rechtslage im Widerspruch zur früheren ankäme, war hinsichtlich der Qualifizierung des Ruhenszeitraumes nicht zu treffen.

Die Berufung des Beklagten war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision wurde zugelassen, da die Sache eine über den Freistaat Thüringen hinausgehende grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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