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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 18.01.2001
Aktenzeichen: 3 Sa 289/2000
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611
BGB § 276
BGB § 254
BGB § 823 Abs. 1
Die Haftung des Arbeitnehmers für Schäden, die er in Verrichtung seiner betrieblich veranlaßten Tätigkeit verursacht hat, ist lediglich bei fahrlässigem Verhalten eingeschränkt. Bei vorsätzlicher Schadenszufügung entfällt die Haftungsbeschränkung. Der Vorsatz (auch in der Form des dolus eventualis) hat sich nicht nur auf die haftungsbegründende, sondern auch auf die haftungsausfüllende Kausalität zu beziehen (so BAG, Urteil vom 18.06.1970, AP Nr. 57 zu § 611, Haftung des Arbeitnehmers, Hanau/Rolphs NJW 94, 1439 ff, 1442; unentschieden BGH, Urteil vom 20.11.1979, NJW 80, 996 ff). Damit unterscheidet sich die Haftung des Arbeitnehmers von der allgemeinen des Privatrechts, nach welcher der vorsätzliche Verstoß gegen die Vertragspflicht allein für die Begründung der Schadensersatzpflicht genügt.
Tenor:

1) Die Berufung der Klägerin (Berufungsklägerin) und die Anschlussberufung des Beklagten (Berufungsbeklagten) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Jena vom 07.04.2000 (3 Ca 169/99) werden zurückgewiesen.

2) Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 3/4 und der Beklagte 1/4.

3) Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht mit ihrer Klage Schadensersatzansprüche gegenüber dem Beklagten, der ehemals Auszubildender bei ihr war, geltend.

Die Schadensersatzansprüche basieren auf einem Vorfall von Anfang Mai 1998. Der Beklagte, damals Auszubildender der Klägerin, fuhr mit einem Gabelstapler der Klägerin gegen das Tor der Lagerhalle der Klägerin und beschädigte dieses Tor. Streitig ist zwischen den Parteien, ob dem Beklagten die Benutzung des Gabelstaplers von der Klägerin verboten worden war und ob sich das Lamellentor der Lagerhalle, welches zur Öffnung unter das Dach der Lagerhalle zu ziehen war und dort waagerecht parallel zum Dach aufgehängt war, während der Benutzung des Gabelstaplers durch den Beklagten unversehens absenkte, mit der Folge, dass der Beklagte den Gabelstapler nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte und das Tor beschädigte.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivortrages, wegen der gestellten Anträge, wegen der richterlichen Feststellungen und wegen des Ergebnisses der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils gem. § 543 Abs. 1 ZPO und auf den Inhalt der Vernehmungsniederschriften vom 17.03.2000 und vom 07.04.2000 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Jena hat der Klage mit Urteil vom 07.04.2000 teilweise stattgegeben und sie zum überwiegenden Teil aus den aus den Entscheidungsgründen (Bl. 69 - 77 d. A.) ersichtlichen Gründen abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 07.06.2000 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 07.07.2000 Berufung ein und begründete die Berufung am 07.08.2000. Der Beklagte legte am 05.10.2000 die - unselbständige - Anschlussberufung ein.

Während die Klägerin die vom erstinstanzlichen Gericht zugrundegelegten tatsächlichen Feststellungen im Ergebnis nicht beanstandet, wendet sie sich gegen die Rechtsauffassung im angefochtenen Urteil, wonach die Haftung des Beklagten im konkreten Falle summenmäßig auf drei Monatsgehälter beschränkt wurde. Die Klägerin ist der Auffassung, eine Haftungserleichterung könne es für den Beklagten im vorliegenden Falle nicht geben, weil wegen des ausdrücklichen Verbotes der Klägerin gegenüber dem Beklagten, den Gabelstapler zu benutzen, der Gesichtspunkt des Betriebsrisikos keine Rolle spielen könne.

Die Klägerin beantragt,

in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Jena vom 07.04.2000, Az.: 3 Ca 169/99, den Beklagten zu verurteilen, über die Verurteilung des Arbeitsgerichts Jena vom 07.04.2000, Az.: 169/99, hinaus weitere 5.175,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 25.03.1999 zu bezahlen und die Anschlussberufung des Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Jena vom 07.04.2000, Az.: 3 Ca 169/99, abzuändern, die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin vom 17.07.2000 kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Beklagte ist in erster Linie der Auffassung, die Klägerin habe die Frist zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches gem. § 18 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages für den Einzelhandel in Thüringen versäumt. Im übrigen vertritt der Beklagte die Auffassung, die Klägerin habe ihm einen Auftrag erteilt, nämlich Abladen von Fahrrädern, welche in Kartons verpackt und sodann auf Paletten gebündelt befestigt waren, den er ohne Benutzung des technischen Hilfsmittels Gabelstapler nicht habe bewältigen können. Daher habe die Klägerin eine erhebliche Ursache dafür gesetzt, dass der Beklagte sich entgegen möglicherweise erteilten Anweisungen des Gabelstaplers bedient habe. Daher liege in der Benutzung des Gabelstaplers eine von der Klägerin verursachte Handlung mit der Folge, dass der Schaden nur aufgrund leichter bis mittlerer Fahrlässigkeit zustande gekommen sei. Für die Frage des Vorsatzes komme es nicht auf ein vorher ausgesprochenes Verbot an.

Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der in der Berufungsinstanz zu den Akten gereichten Schriftsätze und Schriftstücke und auf den Inhalt der Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete und insgesamt zulässige Berufung ist unbegründet. Gleiches gilt für die ebenfalls statthafte und formgerecht eingelegte und begründete Anschlussberufung.

Das Berufungsgericht macht sich die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils zu eigen und folgt dem Arbeitsgericht bei seiner Feststellung, dass dem Beklagten von der Klägerin bereits vor dem Unfall untersagt worden war, den Gabelstapler zu benutzen. Das Gericht folgt auch den Feststellungen des Arbeitsgerichts, nach welchen das Hallentor bereits teilweise geschlossen war, als der Beklagte den Gabelstapler benutzte und dass sich dieses Hallentor nicht erst herabsenkte, als der Beklagte bereits auf dem Wege zur Ausfahrt aus diesem Tor war. Das Berufungsgericht folgt dem Arbeitsgericht auch in dessen Ausführungen zur Schadenshöhe. Erwägungen zur Ausschlussfrist des § 18 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages für den Einzelhandel vom 07.10.1998 erübrigen sich, da diese Ausschlussfristen für Schadensersatzansprüche nicht gelten.

Zutreffend geht das Arbeitsgericht davon aus, dass der Schaden zu quoteln sei. Die früher auf die Fälle schadensgeneigter Arbeit bezogene Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung ist seit der Entscheidung des großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.09.1994 (AP Nr. 103 zu § 611 BGB, Haftung des Arbeitnehmers) auf alle Tätigkeiten ausgedehnt worden, die durch den Betrieb veranlasst sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Die Schadensgeneigtheit der Arbeit ist nicht mehr Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze zur Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung.

Eine Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung ist allerdings nur bei fahrlässigem Handeln des Arbeitnehmers, unter Umständen auch bei grob fahrlässigem Verhalten, anzunehmen, nicht aber bei Vorsatz. Vorsätzlich handelt jedenfalls derjenige Arbeitnehmer, der 1. die Pflichtverletzung und 2. den Schaden zumindest als möglich voraussieht und ihn 3. für den Fall seines Eintritts billigend in Kauf nimmt (dolus eventualis). Fraglich ist, ob bei Fehlen der 3. Voraussetzung, d. h. bei Fehlen des dolus eventualis hinsichtlich des Schadenseintritts, dennoch die uneingeschränkte Haftung des Arbeitnehmers zu bejahen wäre. Diese Frage wird nicht einheitlich beantwortet.

Im vorliegenden Falle handelte der Beklagte bewusst pflichtverletzend, denn er setzte sich über das ausdrückliche Verbot der Klägerin, den Gabelstapler zu benutzen hinweg.

Allerdings war ihm die mögliche Schädigung nicht bewusst. Er sah sie nicht voraus. Damit entfällt insoweit der dolus eventualis. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18.06.1970, AP Nr. 57 zu § 611 BGB, Haftung des Arbeitnehmers) wäre damit Raum für eine Haftungsbeschränkung des Beklagten, da das BAG für die volle Haftung nicht genügen lässt, dass der Arbeitnehmer sich bewusst über eine Weisung hinweggesetzt hat und hieraus Schäden erwuchsen. Das BAG steht auf dem Standpunkt, der Vorsatz müsse nicht nur für die haftungsbegründende, sondern auch für die haftungsausfüllende Kausalität vorliegen. Diese Auffassung wird ebenfalls vertreten von Hanau/Rolfs (NJW 94, 1439 ff, 1442). Danach ist Vorsatz des Arbeitnehmers nur anzunehmen, wenn er sich nicht nur auf den Pflichtverstoß, sondern auch auf die Rechtsgutverletzung, im vorliegenden Falle die Verletzung des Eigentums der Klägerin bezieht.

Diese Auffassung ist nicht unumstritten, da das Privatrecht allgemein den vorsätzlichen Verstoß gegen die Vertragspflicht allein für die Begründung der Schadensersatzpflicht genügen lässt und nicht den weitergehenden zusätzlichen Vorsatz hinsichtlich des Schadenseintritts als der haftungsausfüllenden Kausalität fordert (BGH, Urteil vom 20.11.1979, NJW 1980, 996 ff). Auch nach der Auffassung des BGH (a. a. O.) kann allerdings der Grundsatz des zivilrechtlichen Haftungssystems, nach welchem der Schädiger im Rahmen seiner Haftung aufgrund der Verletzungshandlung für alle Schäden einzustehen hat, die dadurch adäquat kausal verursacht worden sind, zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn für den Schädiger Haftungsprivilegierungen bestehen, wie sie u. a. von der Rechtsprechung zur Haftung von Arbeitnehmern bei gefahrgeneigter Arbeit entwickelt worden sind. Der BGH lässt in der zitierten Entscheidung ausdrücklich offen, ob deswegen in solchen Fällen zur Begründung einer alle Folgen umfassenden Haftung des Schädigers gefordert werden muss, dass sich sein Vorsatz auch auf den Eintritt und den Umfang des Schadens erstreckt. Im entschiedenen Fall hat der BGH die Voraussetzung des Vorsatzes auch für die haftungsausfüllende Kausalität im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung bejaht, allerdings mit einer Begründung, die für die Arbeitnehmerhaftung gegenüber dem Arbeitgeber nicht gilt. Nach BGH (a. a. O.) verliert im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung der das Schadensersatzrecht beherrschende Ausgleichsgedanke an Gewicht. Ersatz seiner Aufwendungen soll dem Sozialversicherungsträger im wesentlichen aus präventiven, erzieherischen Gründen gewährt werden. Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass in der Kommentierung von Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 640 Anm. 1 auf das "strafwürdige Verhalten" des Schädigers hingewiesen werde.

Hiermit lässt sich eine aufgrund eines Vertragsverstoßes durch den Arbeitnehmer verursachte Schädigung des Arbeitgebers nicht vergleichen. Generell wird mangels ausreichender wirtschaftlicher Leistungskraft ein erheblicher vom Arbeitnehmer angerichteter Schaden von diesem nicht ersetzt werden können. Es liegt also nahe, allein schon durch die Drohung mit einem möglichen - wenn auch faktisch nicht durchsetzbaren - Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers Druck auf den Arbeitnehmer auszuüben, sich möglichst sorgfältig zu verhalten. Dieser Gesichtspunkt steht jedoch nicht im Vordergrund, wie schon daraus folgt, dass bei fahrlässiger Schadensverursachung regelmäßig ein Teil des Schadens durch den Arbeitnehmer zu tragen ist. Im Vordergrund steht daher der allgemein zivilrechtlich begründete Gedanke des Schadensausgleichs durch den Schädiger und nicht der erzieherische, der den Arbeitnehmer von "strafwürdigem Verhalten" abhalten soll.

Trotz dieser Erwägung folgt das erkennende Gericht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach welcher der bewusste Verstoß gegen eine Weisung und der hieraus adäquat kausal folgende Schaden nicht ausreichen, um den Vorsatz bei einer Pflichtverletzung und damit die volle Haftung des Arbeitnehmers zu begründen. Vielmehr liegt im Falle des Beklagten zwar ein bewusster und damit vorsätzlicher Verstoß gegen eine arbeitsvertragliche Verpflichtung vor, da er einer konkreten Anweisung der Klägerin zuwidergehandelt und einen Gabelstapler im Betrieb genommen und gefahren hat. Es fehlte ihm jedoch das Bewusstsein, mit diesem Tun zwangsläufig die Klägerin zu schädigen. Es erscheint daher gerechtfertigt, in Fällen wie dem vorliegenden den Vorsatz zumindest in der Form des dolus eventualis nicht nur für die haftungsbegründende, sondern auch für die haftungsausfüllende Kausalität, also für den konkreten Schadenseintritt, welcher im Fahren des Gabelstaplers gegen das teilweise geschlossene Tor bestand, zu fordern.

Insoweit lag kein Vorsatz des Beklagten vor, sondern grobe Fahrlässigkeit, denn der Beklagte hat all das außer Acht gelassen, was in der konkreten Situation von ihm gefordert werden konnte. Der Beklagte hat sich im Wissen darüber, dass er den Gabelstapler nicht benutzen durfte, dieses Gerätes bedient. Er hatte also allen Anlass, sich besonders vorsichtig zu verhalten. Dieses hat er gerade nicht getan, sondern ist ohne Beachtung einer elementaren Vorsicht gegen ein teilweise geschlossenes Tor gefahren. Er hat keinen Grund vorgetragen, der sich in der Beweisaufnahme bestätigt hätte, weshalb er diesen Unfall nicht hätte vermeiden können.

Angesichts dieser Umstände schließt sich das Berufungsgericht den Erwägungen im angefochtenen Urteil dazu an, dass der Beklagte trotz seiner geringen Vergütung in Höhe von ca. 600,00 DM netto 1/4 des gesamten Schadens zu tragen hat.

Aus alledem folgt, dass das angefochtene Urteil zu bestätigen war und die Parteien als jeweils teilweise auch in der Berufung unterliegend die Kosten der vergeblich eingelegten Rechtsmittel zu tragen haben.

Gemäß § 72 Abs. 1 ArbGG wurde die Revision zugelassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, ob im Rahmen der Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers die volle Haftung zur Voraussetzung hat, dass der Vorsatz sich sowohl auf die haftungsbegründende, als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität bezieht.

Ende der Entscheidung

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