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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 6/9 Ta 160/2000
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 148
1. Die Aussetzung eines Rechtsstreits über Annahmeverzugsvergütung gem. § 148 ZPO kommt erst in Betracht, wenn die Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzverfahrens durch das Gericht positiv festgestellt werden kann. Das ist i. d. R. erst im Kammertermin möglich, weil die Sach- und Rechtslage vorher nicht genügend geklärt ist.

2. Von der Aussetzungsmöglichkeit ist in solchen Fällen nur ausnahmsweise und nur in besonders begründeten Ausnahmefällen Gebrauch zu machen (Anschluss an LAG Düsseldorf, EzA § 148 ZPO Nr. 13; LAG Köln, NZA 1986, 404; LAG Nürnberg, NZA, 1987, 211).

3. Beteiligt sich die beklagte Partei nicht an den Aufklärungsbemühungen des Gerichts, indem sie nichts vorträgt, sondern steuert nur auf die Aussetzung hin, ist zu prüfen, ob Verfahrensverzögerungsabsicht vorliegt. Ein solches Parteiverhalten ist bei der Ermessensausübung über die Frage der Aussetzung zu berücksichtigen.


Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Jena vom 27.11.2000 - 2 Ca 425/00 - aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten in der Hauptsache über Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Vergütung für den Zeitraum vom 18.07.2000 bis zum 30.04.2001.

Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis, welches die Beklagte zum 18.07.2000 kündigte. Über die Wirksamkeit dieser Kündigung führen die Parteien einen Rechtsstreit, der mittlerweile, nachdem der Kläger in erster Instanz obsiegte, beim Thüringer Landesarbeitsgericht zum Aktenzeichen 2/9 Sa 459/00 anhängig ist.

Der Kläger ist der Rechtsansicht gewesen, die geltend gemachten Ansprüche folgten aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Eine Aussetzung des Verfahrens sei aus seiner Sicht nicht hinzunehmen, weil nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess das nachzuzahlende Arbeitsentgelt einer ungünstigeren Besteuerung unterliege und dadurch nur schwer durchsetzbarer Steuerschaden entstehe.

Die Beklagte hat zur Sache nichts vorgetragen, sondern ist der Ansicht, der Kündigungsschutzprozess sei vorgreiflich für den Annahmeverzugsprozess.

Das Arbeitsgericht hat nach der Güteverhandlung ohne schriftsätzliche Vorbereitung eines Kammertermins mit Beschluss vom 27.11.2000 den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen des Arbeitsverhältnisses sei für den Streit über die Annahmeverzugslohnansprüche vorgreiflich, weil Voraussetzung für diese Ansprüche das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sei. Die vom Kläger lediglich abstrakt vorgetragene Gefahr von Steuernachteilen stelle keinen Grund zur Aussetzung dar; ferner sei davon auszugehen, dass aufgrund des Rückgangs der Berufungen beim Thüringer LAG eine alsbaldige Entscheidung zu erwarten sei.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde vom 27.12.2000.

Er behauptet, allein für das Kalenderjahr 2000 beliefen sich die Annahmeverzugsansprüche auf nahezu 20.000,00 DM. Selbst bei Zahlung eines solchen Betrages im Jahre 2001 käme es zu einer erheblichen steuerlichen Mehrbelastung des Klägers. Er ist hier zu der Rechtsansicht, aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, nach der ein Arbeitgeber nicht für Steuerschäden nach Ausspruch einer Kündigung hafte, wenn er die Kündigung trotz ihrer objektiven Unwirksamkeit für wirksam habe halten dürfen, sei die Erstattung der zu erwartenden Nachteile für den Kläger nahezu ausgeschlossen. Die gesunkenen Fallzahlen beim Thüringer Landesarbeitsgerichts seien kein Hinweis auf die beschleunigte Abwicklung des Verfahrens, weil das vorgreifliche Kündigungsschutzverfahren der mittlerweile aufgelösten 9. Hilfskammer zu geordnet gewesen sei.

Er beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Jena, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheiudng des Kündigungsschutzverfahrens, Az.: 9 Sa 459/00 beim Thüringer Landesarbeitsgericht auszusetzen, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihre bisherigen Ausführungen und ist der Meinung, die Sache werde bestimmt noch in 2001 verhandelt.

Mit Verfügung vom 12.04.2001 hat das Arbeitsgericht versucht aufzuklären, ob es weitere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte außer dem Bestand des Arbeitsverhältnisses geben könnte, die dem Annahmeverzugsanspruch des Klägers entgegengesetzt würden. Die Klägerseite hat hierzu keine verständlichen Ausführungen gemacht; die Beklagtenseite hat hierzu nichts weiter vorgetragen.

Mit Beschluss vom 14.05.2001 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Thüringer Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt und im begründeten Nichtabhilfebeschluss ausgeführt, die Frage des Bestehens des Arbeitsverhältnisses sei vorgreiflich, weil die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche ausschließlich nur noch davon abhingen, ob die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung rechtswirksam erfolgt sei oder nicht. Die Parteien hätten von Anfang an zu erkennen gegeben, dass es nicht um das Bestehen der Verzugslohnansprüche als solches gehe, sondern allein um die Frage der Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzprozesses im Hinblick auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 148 ZPO nicht gegeben, weil sich nach dem bisherigen Sach- und Streitstand die Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzprozesses nicht feststellen lässt.

Nach § 148 ZPO kann ein Rechtsstreit ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung in diesen ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt. Diese erforderliche Abhängigkeit ist nur dann gegeben, wenn das betreffende Rechtsverhältnis auf die Entscheidung im auszusetzenden Prozess Einfluss hat (Stein/Jonas/Roth, ZPO 21. Aufl., § 148 Rz 2; im Ergebnis ebenso Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO 22. Aufl., § 148 Rz 3).

Das Beschwerdegericht ist auf die Überprüfung beschränkt, ob die Voraussetzungen der Entscheidung für eine Aussetzung des Verfahrens verkannt worden sind oder ob sich das Untergericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (Stein/Jonas/Roth, a. a. O., § 148 Rz 48). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung nicht stand. Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzprozesses als Voraussetzung der Aussetzung ist - jedenfalls zur Zeit - nicht gegeben.

Zwar hat das Arbeitsgericht in den Gründen des Nichtabhilfebeschlusses vom 14.05.2001 die Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzverfahrens im o. g. Sinne festgestellt; die Erwägungen des Arbeitsgerichts und der vom Arbeitsgericht festgestellte Sachverhalt tragen diese Feststellung allerdings nicht, denn zur Sache selbst ist von den Parteien nicht hinreichend vorgetragen, um überhaupt die Frage der Vorgreiflichkeit beurteilen zu können.

Der Rechtsstreit wird über Vergütungsansprüche des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges geführt. Voraussetzung für das Bestehen eines Anspruchs aus §§ 611, 615 BGB i. V. mit dem Arbeitsvertrag ist allerdings nicht lediglich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Der Anspruch des Klägers kann daher unter vielen Gesichtspunkten trotz Bestehens des Arbeitsverhältnisses nicht gegeben sein und die Einwendungen der Beklagtenseite sind denkbar viele. So könnte eingewandt werden, dass der Kläger eine Zeitlang oder die gesamte Zeit nicht arbeitsfähig oder nicht arbeitsbereit gewesen sei; die vom Kläger korrigierte Höhe der behaupteten Vergütung könnte streitig werden. Die Frage der Gegenrechnung anderweitig erworbener Vergütung bzw. böswillig unterlassenen Erwerbs ist eine weitere denkbare Einwendung. Das hat das Arbeitsgericht auch nicht verkannt, sondern es hat alles einem Gericht mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts getan. Aber welche Einwendungen die Beklagtenseite dem Anspruch des Klägers entgegensetzt außer der, das Arbeitsverhältnis bestünde nicht mehr, ist trotz der darauf abzielenden Bemühungen des Arbeitsgerichtes noch nicht aufgeklärt. Es steht damit noch nicht fest, ob der Anspruch nicht aus anderen, vom Bestand des Arbeitsverhältnisses unabhängigen Gründen nicht bestehen könnte und somit eine Entscheidung im Rechtsstreit möglich wäre, ohne Rücksicht auf die Frage des Bestandes des Arbeitsverhältnisses. Für diesen Fall hätte diese Vorfrage keinerlei Einfluss auf die Entscheidung im Rechtsstreit, so dass Vorgreiflichkeit i. S. von § 148 ZPO fehlte. Deshalb kann ein Rechtsstreit über Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges in der Regel erst ausgesetzt werden, wenn nach Ausschreiben der Sache und streitiger Verhandlung feststeht, welche Einwendungen dem Anspruch entgegengesetzt werden; das wird im arbeitsgerichtlichen Verfahren in der Regel frühestens im Kammertermin sein. In diesem Zeitpunkt lassen sich die Voraussetzungen der Vorgreiflichkeit definitiv feststellen, so dass zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung über die Frage der Vorgreiflichkeit und damit, ob die Voraussetzungen für eine dann im Ermessen des Gerichtes liegende Aussetzung gegeben sind, möglich ist.

Dass die Parteien - wie hier - die Aufklärungsbemühungen des Gerichtes entweder nicht verstehen (so die Klägerseite) oder durch Untätigkeit blockieren ( so die Beklagtenseite) führt nicht dazu, dass eine Aussetzung früher möglich wäre. Die Parteien haben es auch nicht in der Hand, nur ein Element eines Anspruchs zum Gegenstand eines Rechtsstreites zu erheben, indem sie - wie das Arbeitsgericht feststellt - von Anfang zu erkennen geben, dass es nicht um das Bestehen der Verzugslohnansprüche als solches gehen solle, sondern allein um die Frage der Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzprozesses im Hinblick auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Über die Frage des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses führen die Parteien bereits einen Rechtsstreit. Es macht keinen Sinn, den Annahmeverzugsrechtsstreit auf dieselbe Vorfrage reduzieren zu wollen und dann den Ausgang des anderen Rechtsstreits abzuwarten. Im übrigen stellt sich die Frage des Sinns des Rechtsstreits, wenn es in dem Verfahren über Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nicht um das Bestehen dieser Verzugslohnansprüche an sich gehen solle. Worum soll es denn sonst gehen?

Da der Sach- und Streitstand bisher weitgehend ungeklärt ist, kann nicht über die Frage der Aussetzung im jetzigen Zeitpunkt im Sinne einer Aussetzung entschieden werden. Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist daher aufzuheben; das Arbeitsgericht wird dem Verfahren Fortgang zu geben haben, in dem der Kammertermin vorbereitet und ggf. durchgeführt wird. Das Arbeitsgericht ist dann nicht gehindert im Ergebnis der mündlichen Verhandlung des Kammertermins bzw. im Ergebnis der Auswertung der vorbereitenden Schriftsätze abermals, dann aber aufgrund ausreichender Tatsachenfeststellungen, die Vorgreiflichkeit des Kündigungsschutzprozesses zu bejahen und eine Aussetzung zu erwägen, wobei dann im Falle einer Beschwerde das Beschwerdegericht auf die Überprüfung der ordnungsgemäßen Ermessensausübung beschränkt wäre und nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Arbeitsgerichts setzen dürfte. Allerdings wird das Arbeitsgericht dabei zu beachten haben, dass dem Beschleunigungsgrundsatz im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein erhebliches Gewicht bei der Ermessensausübung zuzumessen ist und eine Unterbewertung dieses Gesichtspunktes Ermessensfehlgebrauch sein könnte. Der Beschleunigungsgrundsatz ist nicht nur im Hinblick auf § 9 Abs. 1 S. 1 ArbGG zu prüfen, sondern auch im Hinblick auf die Besonderheiten, wie § 62 Abs. 1 ArbGG für das arbeitsgerichtliche Verfahren bedeuten. In dieser Norm kommt zum Ausdruck, dass dem Vollstreckungsinteresse, mithin dem Interesse des Gläubigers an der Befriedigung seiner Ansprüche ein weitaus höheres Gewicht beigemessen wird, als im Verfahren der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit. Die entsprechenden Schutzmechanismen für die Schuldnerseite sind in §§ 62 ArbGG bewusst vom Gesetzgeber eingeschränkt, der das Risiko der vorläufigen Vollstreckung von sich am Ende als nicht gerechtfertigte herausstellenden Ansprüchen in Kauf nimmt. Deshalb vertreten zahlreiche Landesarbeitsgerichte völlig zu Recht den Standpunkt, dass von der Aussetzungsmöglichkeit des § 148 ZPO in den Fällen, in denen der Kläger im Kündigungsschutzrechtsstreit obsiegt hat, die Entscheidung aber angegriffen worden ist und er nunmehr Ansprüche nach § 615 BGB erhebt, nur ganz ausnahmsweise und nur in besonders begründeten Ausnahmefällen Gebrauch zu machen ist (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 23.12.1982 - 7 Ta 299/82 - EzA § 148 ZPO Nr. 13; LAG Köln, Beschluss vom 17.12.1985 - 9 Ta 230/85 - NZA 1986, 404; LAG Nürnberg, Beschluss vom 09.06.1986, 3 Ta 8/86 - NZA 1987, 211). Das Arbeitsgericht wird auch zu beachten und sicherzustellen haben, dass nicht eine Partei durch Unterdrücken von Sachvortrag die Aussetzung des Verfahrens provozieren kann, um so eine Verfahrensverzögerung zu erreichen und weitere Einwendungen erst nach Wiederfortsetzung des Rechtsstreits nach Beendigung des vorgreiflichen Verfahrens einzuführen. Äußert sich eine Partei entgegen § 138 Abs. 2 ZPO gar nicht zur Sache selbst, sondern steuert nur auf eine Aussetzung des Verfahrens hin, besteht für das Gericht besonderer Anlass, kritisch zu prüfen, ob im Einzelfall eine solche Absicht vorliegen könnte. Diesem Gesichtspunkt des Parteiverhaltens wird bei einer etwaigen Ermessensausübung Gewicht beizumessen sein.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

Ende der Entscheidung

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