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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 27.08.2001
Aktenzeichen: 6 Ta 82/2001
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 183
ZPO § 190 Abs. 1
ZPO § 191
1. Wesentliche Mängel beim Ausfüllen einer Postzustellungsurkunde führen unheilbar zur Unwirksamkeit der Zustellung.

2. Die Beurkundung der falschen Zustellungsart (hier: persönliche Übergabe statt tatsächlich erfolgter Ersatzzustellung) ist ein die Zustellung unwirksam machender wesentlicher Mangel.

3. Bei der Ersatzzustellung gem. § 183 ZPO ist in der Urkunde gem. § 191 Nr. 4 ZPO auch zu erklären, dass der Zusteller den Empfänger persönlich gesucht aber nicht angetroffen hat, damit auch die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung an der besonderen Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde teilnehmen und dem Streit weitestgehend entzogen werden.


Tenor:

Der Beschluß des Arbeitsgerichts Jena vom 31. Mai 2001 - 1 Ca 133/01 - wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 03. April 2001 an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten in der Hauptsache über Arbeitsvergütung für die Monate Dezember 2000 und Januar 2001 sowie über Schadenersatzansprüche wegen verspätet gezahlter Vergütung.

Mit Versäumnisurteil vom 03.04.2001 hat das Arbeitsgericht die Beklagte den Klaganträgen entsprechend verurteilt. Dieses Versäumnisurteil verbrachte ein Postbediensteter am 18.04.2001 in die Geschäftsräume der Beklagten und übergab es einem dort anwesenden Herrn M. M.. Dieser ist nicht gesetzlicher Vertreter der Beklagten bzw. ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin. In der über den Vorgang ausgefüllten Postzustellungsurkunde kreuzte der Postbedienstete die Rubrik "Persönliche Zustellung" unter Ziffer 2.5 des Formulars an. Wegen des Inhalts der Postzustellungsurkunde im einzelnen wird auf diese selbst (Bl. 31 d. A.) Bezug genommen. Gegen das Versäumnisurteil hat die Beklagte mit am 11.05.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Einspruch erhoben.

Mit Beschluß vom 11.05.2001 hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, daß es von einer Zustellung des Versäumnisurteils am 18.04.2001 und deshalb von einer Versäumung der Einspruchsfrist ausgehe und auf die Möglichkeit eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hingewiesen, den die Beklagte mit am 28.05.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz gestellt hat.

Mit Beschluß vom 31.05.2001 hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, mit Zustellung des Versäumnisurteils am 18.04.2001, einem Mittwoch, habe die Einspruchsfrist am 25.04.2001 geendet; der Einspruch gegen das Versäumnisurteil sei danach, nämlich am 11.05.2001, beim Gericht eingegangen. Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sei nicht fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach dem Tage, an dem das Hindernis zur Vornahme der versäumten Prozeßhandlung behoben worden sei, bei Gericht eingegangen. Im übrigen seien Wiedereinsetzungsgründe weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Dieser Beschluß ist der Beklagten am 15.06.2001 zugestellt worden.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der am 25.06.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde.

Sie ist der Ansicht, das Versäumnisurteil sei nicht ordnungsgemäß zugestellt. Hierzu behauptet sie, der Mitarbeiter Herr M., welcher das Versäumnisurteil tatsächlich in Empfang genommen habe, sei lediglich freier Mitarbeiter der Beklagten und nicht postempfangsberechtigt.

Die Klägerin bittet um Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.

Sie behauptet, der Mitarbeiter Herr M. sei Angestellter der Beklagten gewesen, habe ein monatliches Gehalt bezogen, die Sozialversicherungsbeiträge seien durch die Beklagte abgeführt worden.

II.

Die Beschwerde ist als sofortige Beschwerde gem. § 78 Abs. 1 ArbGG i. V. mit § 341 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft. Sie ist form- und fristgerecht erhoben.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet, denn der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts vom 03.04.2001 ist nicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist unzulässig, weil das Versäumnisurteil aufgrund fehlerhafter Beurkundung des Zustellvorganges nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist und deshalb die Einspruchsfrist noch nicht zu laufen begonnen hat. Diese endete daher auch nicht vor dem 11.05.2001, so daß der vor Zustellung des Versäumnisurteils eingelegte Einspruch in Ansehung der Frist als zulässig anzusehen ist.

Die Zustellung ist unwirksam, weil der das Schriftstück zustellende Postbedienstete eine persönliche Zustellung beurkundet aber nach dem unstreitigen Vorbringen und Erkenntnissen des Arbeitsgerichtes tatsächlich eine Ersatzzustellung stattgefunden haben soll.

Für die Zustellung finden die Vorschriften über die Zustellungen der ZPO Anwendung. Gem. § 190 Abs. 1 ZPO ist über die Zustellung eine Urkunde aufzunehmen, die gem. § 191 ZPO einen bestimmten Inhalt haben muß. Ungenauigkeiten in der Postzustellungsurkunde sind dann irrelevant, wenn sich aus dem Zusammenhang die notwendigen Elemente des § 191 ZPO herauslesen lassen oder die Richtigkeit des Zustellungsvorganges sich anders als durch die Postzustellungsurkunde beweisen läßt (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 190 Rz. 4 und 5). Enthält die Postzustellungsurkunde allerdings wesentliche Mängel, führt dies nach der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zur Unwirksamkeit der Zustellung selbst (BGH Beschluß vom 13.12.1955 - V BLw 39/55, LM ZPO § 181 Nr. 1, BGH Beschluß vom 16.02.1987 - NoTZ 18/86 - BGHR ZPO § 191 Nr. 4 Personenbezeichnung 1; BAG Urteil vom 22.06.1972 - 5 AZR 55/72 - AP ZPO § 829 Nr. 3; BAG Urteil vom 09.11.1978 - 3 AZR 784/77 - AP BGB § 242 Ruhegeld Nr. 179; BFH Urteil vom 10.10.1978 - VIII R 197/74 - BStBl 1979 II S. 209; Stein/Jonas/Roth a. a. O. § 190 Rz. 4 und § 191 Rz. 1; Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl. § 191 Rz. 9 f; Münchener Kommentar ZPO/von Feldmann § 190 Rz. 3). Die Beurkundung einer persönlichen Zustellung statt einer tatsächlich stattfindenden Ersatzzustellung ist ein die Zustellung insgesamt unwirksam machender wesentlicher Formmangel (BGH Beschluß vom 13.12.1955 a. a. O.; BGH Beschluß vom 16.02.1987 a. a. O.; BFH Urteil vom 10.10.1978 a. a. O.; Zöller/Stöber a. a. O. § 191 Rz. 10). Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an. Nach § 191 Nr. 4 ZPO ist die Person, der tatsächlich zugestellt worden ist, zu bezeichnen und außerdem ist in den Fällen der Ersatzzustellung die Angabe des Grundes, durch den die Zustellung an die zu bezeichnende Person gerechtfertigt wird, anzugeben. Zu Recht weist das BAG in seiner Entscheidung vom 22.06.1972 (a. a. O.) darauf hin, daß es sich dabei um eine wesentliche Angelegenheit handelt, weil immer mit der Ersatzzustellung Risiken der Ordnungsgemäßheit der Zustellung verbunden sind. § 191 Nr. 4 ZPO soll auch sicherstellen, daß die Voraussetzungen für die Vornahme einer Ersatzzustellung beurkundet sind und damit wegen der Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde weitestgehend einem Streit entzogen werden. Deshalb ist bei einer Ersatzzustellung nach § 183 ZPO in der Postzustellungsurkunde zu erklären, daß der Zusteller den Empfänger persönlich gesucht aber nicht angetroffen hat (vgl. Münchner Kommentar ZPO a. a. O. § 191 Rz. 5). An einer solchen Eintragung fehlt es notwendigerweise, wenn der Postbedienstete die vollkommen falsche Zustellungsart beurkundet. Deshalb ist eine Ersatzzustellung, die nicht als solche beurkundet ist, unwirksam, weil erst die Beurkundung des Vorganges die Übergabe zu einer Zustellung im Rechtssinne macht (von den oben angegebenen Nachweisen am deutlichsten BFH Urteil vom 10.10.1978 a. a. O.).

Hier hat der Postbedienstete nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien und den Erkenntnissen des Arbeitsgerichtes eine Ersatzzustellung nach § 183 ZPO vorgenommen. Die Parteien sind sich lediglich nicht eins darüber, ob die Person, die das Schriftstück tatsächlich in Empfang genommen hat, ein für eine Ersatzzustellung fähiger Bediensteter war oder nicht. Dies hat der Postbedienstete allerdings nicht beurkundet. Beurkundet hat er eine persönliche Zustellung an einen Vertretungsberechtigten. Er hat in den Postzustellungsurkundenformular die Ziff. 2.5, 4.1 und 5.1 angekreuzt sowie die Ziff. 3.2 ausgefüllt. Damit hat er beurkundet, daß er die Sendung einem Vertretungsberechtigten (gesetzlichen Vertreter/Vorsteher) persönlich und zwar Herrn M. M. unter der Zustellanschrift übergeben habe. Daraus ergibt sich, daß nach der Beurkundung der das Schriftstück in Empfang nehmende Herr M. ein gesetzlicher Vertreter oder Vorsteher bzw. ein gesondert Postzustellungsbevollmächtigter (zu dieser Möglichkeit vergleiche BGH Beschluß vom 16.02.1987 a. a. O.) hätte sein müssen, damit tatsächlich eine persönliche Zustellung stattgefunden hätte. Das ist die als Empfänger bezeichnete Person Herr M. nach unstreitigem Vorbringen allerdings nicht gewesen.

Es handelt sich auch nicht um eine Ungenauigkeit oder Unrichtigkeit, die sich aus dem Zusammenhang richtigstellen läßt oder als bewiesen angesehen werden kann, denn die Eintragungen in der Postzustellungsurkunde sind unmißverständlich und die Adressenbezeichnung des Zustellungsempfängers enthält in der Bezeichnung der Beklagten auch den Nachnamen "M.". Damit ist naheliegend, daß der Postbedienstete hieraus fälschlich geschlußfolgert haben mag, daß der entgegennehmende Herr M. in der bezeichneten Form etwas mit der Beklagten zu tun gehabt habe, als daß er sich lediglich beim Ausfüllen der Postzustellungsurkunde vertan hat. Letztlich läßt sich dies nicht mehr aufklären, so daß genau der Zweck einer Postzustellungsurkunde, die Vermeidung langen Ungewißheiten über die Art und Weise sowie Ordnungsgemäßheit der Zustellung, durch diese Postzustellungsurkunde gerade nicht erreicht werden kann, was die Wesentlichkeit des hier auftauchenden Formmangels belegt.

Der Beschluß des Arbeitsgerichts war daher aufzuheben und die Sache war entsprechend § 538 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an das Arbeitsgericht zur Verhandlung und Entscheidung über den Einspruch zurückzuverweisen, weil die Anwendung der vorbezeichneten Vorschrift durch § 68 ArbGG nicht ausgeschlossen ist (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl. § 68 Rz. 8).

Anlaß für die Zulassung einer weiteren sofortigen Beschwerde bestand nicht. Die Entscheidung ist damit unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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