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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 10.12.2004
Aktenzeichen: 7 Ta 142/04
Rechtsgebiete: ZPO, KSchG


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
KSchG § 4
KSchG § 5
KSchG § 5 Abs. 1
Auch bei Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO auf § 5 Abs. 1 KSchG ist die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, wenn der rechtzeitige Klageauftrag der rechtsschutzgewährenden Einzelgewerkschaft bei der DGB Rechtsschutz GmbH deshalb erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 KSchG eingeht, weil er vom beauftragten Kurierdienst im falschen Briefkasten abgelegt wurde. Die unterlassene Kontrolle des Eingangs begründet kein Organisationsverschulden (im Anschluss an BGH vom 10.01.2002, AP Nr. 17 zu § 11 ArbGG 1979 Prozessvertreter).
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Suhl vom 20.08.2004, 3 Ca 1032/04, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.288,26 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Nebenverfahren nach § 5 KSchG über die nachträgliche Zulassung der am 21.04.2004 erhobenen Kündigungsschutzklage, mit der sich der Kläger gegen die Kündigung der Beklagten vom 25.03.2004 zur Wehr setzt, die ihm am gleichen Tag zugegangen ist.

Der Kläger suchte am 30.03.2004 bei seiner Mitgliedsgewerkschaft, der IG Bau-Agrar-Umwelt, um Rechtschutz nach, der von der in S. zuständigen Verwaltungsangestellten V. bewilligt wurde. Den Klageauftrag an die DGB Rechtschutz GmbH in J. übersandte sie am 06.04.2004 mittels Kurierdienst, der das Schreiben am 07.04.2004 nicht - wie adressiert - in deren Briefkasten sondern in den Briefkasten des DGB Landesbezirkes einwarf. Nach dessen Leerung am 20.04.2004 wurde das Schreiben an die DGB Rechtschutz GmbH weitergeleitet, die tags darauf die nachträgliche Zulassung der damit verbundenen Kündigungsschutzklage beantragte. Prozessvollmacht ist der DGB Rechtsschutz GmbH erteilt.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage mit Kammerbeschluss vom 20.08.2004 nachträglich zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Einzelgewerkschaft habe die verspätete Klagerhebung nicht zu vertreten. Sie habe nicht damit rechnen müssen, dass das ordnungsgemäß adressierte Schreiben in den falschen Briefkasten eingeworfen werde. Es komme somit nicht darauf an, ob sich der Kläger Vertreterverschulden nach § 85 Abs. 2 ZPO überhaupt zurechnen lassen müsse.

Gegen den ihr am 06.09.2004 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 16.09.2004 beim Arbeitsgericht sofortige Beschwerde einlegen lassen, die dem Landesarbeitsgericht aufgrund Verfügung der Kammervorsitzenden vorgelegt wurde.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 5 Abs. 4 KSchG) und auch im übrigen zulässig. Zwar hat das Arbeitsgericht nicht geprüft, ob der sofortigen Beschwerde abgeholfen wird (§§ 78 ArbGG i. V. m. 572 Abs. 1 S. 1 ZPO n. F.). Erforderlich wäre ein Beschluss der Kammer in der Besetzung, die über den angefochtenen Beschluss entschieden hat. Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist aber keine Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren. Das Beschwerdegericht kann die Sache zur ordnungsgemäßen Entscheidung über die Abhilfe zurückgeben oder in der Sache selbst entscheiden (Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 572 Rz. 4; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl. 2004, § 572 Rz. 11).

2. In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Der Kläger hat die Versäumung der Klagefrist nach § 4 KSchG nicht zu vertreten (§ 5 Abs. 1 KSchG).

Eigenes Verschulden des Klägers liegt nicht vor. Es fehlt auch an Vertreterverschulden i. S. d. § 85 Abs. 2 ZPO. Auf den Streit darüber, ob diese prozessuale Zurechnungsnorm bei Versäumung der Klagefrist nach § 4 KSchG anwendbar ist (dazu LAG Thüringen vom 30.11.2000, LAGE Nr. 103 zu § 5 KSchG), kommt es hier also nicht an.

Nach § 85 Abs. 2 ZPO muss sich die Partei das Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen. Fehler seiner Hilfspersonen begründen eigenes Verschulden des Bevollmächtigten nur dann, wenn sie bei ordnungsgemäßer Organisation und Überwachung vermeidbar gewesen wären. Bevollmächtigter i. S. d. § 85 Abs. 2 ZPO ist der Prozessvertreter (hier: DGB Rechtschutz GmbH), aber auch der Verkehrsanwalt. Die Beschwerde meint, die Einzelgewerkschaft habe die Stellung eines Verkehrsanwaltes. Ihr Organisationsverschulden liege in der mangelhaften Fristenkontrolle, da der Eingang des Klageauftrages bei der DGB Rechtschutz GmbH nicht überprüft wurde.

Es kann offen bleiben, ob die (zunächst) betreuende Einzelgewerkschaft die Stellung eines Verkehrsanwaltes hat (so BGH vom 10.01.2002 AP Nr. 17 zu § 11 ArbGG 1979 Prozessvertreter; zustimmend: Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 85 Rz. 17, LAG Düsseldorf vom 30.07.2002, 15 Ta 282/02; kritisch LAG Bremen vom 26.05.2003 LAGE Nr. 107 zu § 5 KSchG). Jedenfalls fehlt es am Organisationsverschulden (BGH, a. a. O., zum vergleichbaren Fall eines auf dem Postweg verloren gegangenen Rechtsmittelauftrages der Einzelgewerkschaft). Der Klageauftrag ging am 06.04.2004 rechtzeitig ab. Wie im Postverkehr durfte sich die Einzelgewerkschaft auf eine ordnungsgemäße Beförderung durch den privaten Kurierdienst verlassen und musste den Eingang bei der DGB Rechtsschutz GmbH nicht überwachen (BVerfG vom 23.08.1999 NJW 1999, 3701). Der verspätete Eingang war darauf zurückzuführen, dass der Klageauftrag am 07.04.2004 irrtümlich in den falschen Briefkasten geworfen wurde. Eine solche einmalige Fehlleistung lässt keine Rückschlüsse auf allgemeine Organisationsmängel des privaten Kurierdienstes zu. Da Rechtsschutz bewilligt war, durfte die Einzelgewerkschaft schließlich davon ausgehen, dass die DGB Rechtsschutz GmbH das Mandat annimmt. Für die einem Verkehrsanwalt sonst auferlegte Verpflichtung zur Kontrolle der Klagefrist bis zur - bis dahin unsicheren - Mandatsbestätigung besteht kein Grund.

Aus den gleichen Gründen scheidet ein Organisationsverschulden der DGB Rechtschutz GmbH als Prozessbevollmächtigte aus, wenn ihre prozessualen Sorgfaltspflichten mit dem LAG Sachsen (Beschluss vom 09.05.2000, 4 Ta 120/00) auf die Organisation der einzelgewerkschaftlichen Tätigkeit bei Bewilligung von Rechtschutz in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten erstreckt werden. Ob § 85 Abs.2 ZPO so weit ausgedehnt werden kann, ist nicht entscheidungserheblich.

3. Die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde hat die Beklagte entsprechend § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes folgt dem Hauptsachewert (§ 12 Abs. 7 ArbGG entspr.).

Gegen diesen Beschluss findet kein Rechtsmittel statt. Die Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht nicht (BAG vom 20.08.2002, AP Nr. 14 zu § 5 KSchG 1969).

Ende der Entscheidung

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