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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.10.2000
Aktenzeichen: 8 Sa 207/2000
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 102
KSchG § 1
Vor einer beabsichtigten Stillegung des Betriebes (hier: Stillegung einer Reha-Klinik durch Insolvenzverwalter) hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG nur die Absicht der Stillegung und den in Aussicht genommenen Stillegungszeitpunkt, nicht aber die wirtschaftlichen Hintergründe und die Motive der von ihm beabsichtigten unternehmerischen Entscheidung mitzuteilen.
Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 19.11.1999 - 4 Ca 126/99 - abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Die Klägerin war seit 15.08.1995 bei der Schuldnerin, die eine Rehabilitationsklinik mit zuletzt 72 Arbeitnehmern betrieb, als Sachbearbeiterin Personalwesen beschäftigt und erhielt zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von DM 3.402,72.

Nachdem seit Januar 1999 Löhne und Gehälter nicht mehr gezahlt werden konnten, Mietrückstände in Millionenhöhe aufgelaufen waren und die Bettenauslastung nur noch ca. 10 % betrug, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 08.04.1999 (8 IN 108/99) die vorläufige Verwaltung über das Vermögen und den Geschäftsbetrieb der Schuldnerin angeordnet und der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt.

Nach Einholung einer Ertragsprognose für die Monate Mai und Juni 1999, die nur für diese beiden Monate einen voraussichtlichen Verlust von ca. DM 300.000,00 erbrachte, und angesichts der Aussichtslosigkeit, die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin in absehbarer Zukunft zu verbessern und ggf. einen ernsthaften Übernahmeinteressenten mit schlüssigem Konzept zu finden, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 01.05.1999 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Nachdem es gelungen war, die Fortführung des Geschäftsbetriebs bis zum 31.05.1999 durch ein Massedarlehen des Vermieters in Höhe von DM 100.000,00 und durch die Bewilligung des Rangrücktritts für die Lohnzahlung Mai 1999 durch das Arbeitsamt N. zu erreichen, fasste der Beklagte den Entschluss, den Betrieb zum 31.05.1999 stillzulegen. Die Krankenkassen und sonstigen Kostenträger wurden von der beabsichtigten Stillegung informiert und aufgefordert, keine weiteren Patienten nach diesem Datum der Klinik zuzuweisen. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer wurde mit sofortiger Wirkung von der Arbeit freigestellt.

Nach mehrfachen Gesprächen mit dem Betriebsrat über die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin und nach Abhaltung von Betriebsversammlungen am 13. und 20.04.1999 leitete der Beklagte dann das Anhörungsverfahren mit dem Betriebsrat wegen des beabsichtigten Ausspruchs der Kündigung sämtlicher damals noch beschäftigter Arbeitnehmer ein. Am 05.05.1999 fand das Anhörungsgespräch mit dem gesamten Betriebsrat statt. Hinsichtlich des Inhalts dieses Gespräches ist unstreitig, dass dem Betriebsrat unter Vorlage der einschlägigen Daten sämtlicher Arbeitnehmer erneut mitgeteilt wurde, dass der Betrieb des Krankenhauses vom 31.05. stillgelegt werden würde und dass allen Arbeitnehmern vor diesem Zeitpunkt die Kündigung zum Ablauf der individuell berechneten Kündigungsfrist, spätestens also gem. § 113 Abs. 1 InsO zum Ablauf des 31.08.1999, ausgesprochen werden sollte. Die Kündigung der Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz sollte nach Durchführung der behördlichen Genehmigungen erfolgen (vgl. Protokoll der Betriebsratssitzung vom 05.05.1999).

Ob bzw. in welchem Umfang bei dieser Sitzung die wirtschaftliche Situation der Beklagten erörtert wurde, ist zwischen den Parteien streitig.

Der Betriebsrat widersprach jedenfalls der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 10.05.1999.

Der Beklagte sprach mit Schreiben vom 17.05.1999 sämtlichen kündbaren Arbeitnehmern die Kündigung aus und erstattete mit Schreiben vom 14.05.1999 unter Hinweis auf den Betriebsstillegungsbeschluss beim Arbeitsamt N. Masseanzeige; das Arbeitsamt erklärte diese Anzeige vom 01.07.1999 für rechtswirksam.

Unter dem 04.10./08.11.1999 wurde zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat ein Sozialplan vereinbart, dessen Vorbemerkungen auszugsweise wie folgt lauten:

"Die Parteien sind sich darüber einig, dass die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Schuldnerin eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens nicht gestattet. Der Geschäftsbetrieb musste daher zum 31.05.1999 geschlossen werden.

Der Betriebsrat wurde am 05.05.1999 über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Schuldnerin umfassend informiert und diesem mitgeteilt, dass der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb zum 31.05.1999 einstellen muss."

Wegen der vom Beklagten angezeigten Masseunzulänglichkeit können die Sozialplanforderungen nur zu einem geringen Prozentsatz aus der Insolvenzmasse gezahlt werden. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht war der Betrieb weiter stillgelegt und kein neuer Betreiber der Klinik gefunden worden.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivortrages, wegen der gestellten Anträge und wegen der richterlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils gem. § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Nordhausen hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Klage mit Urteil vom 19.11.1999 aus den aus den Entscheidungsgründen (Bl. 76 - 78 d. A.) ersichtlichen Erwägungen stattgegeben.

Gegen dieses dem Beklagten am 14.04.2000 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz vom 15.05.2000, der am gleichen Tag, einem Montag, beim Berufungsgericht einging, Berufung eingelegt und die Berufung mit dem am 14.07.2000 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 13.07.2000 begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 20.06.2000 bis zum 17.07.2000 verlängert worden war.

Er wendet sich gegen die tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils unter vertiefender Wiederholung seiner erstinstanzlichen Darlegungen und vertritt weiter die Auffassung, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 19.11.1999, 4 Ca 126/99, wird abgeändert und die Klage abgewiesen,

2. die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 19.11.1999, 4 Ca 126/99, kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter weitgehender Vertiefung und Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags und unter Eingehens auf den Berufungsvortrag die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete und damit insgesamt zulässige Berufung ist begründet, weil das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts mit Ablauf der Kündigungsfrist aus betriebsbedingten Gründen sein Ende gefunden hat, so daß die Klage unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen werden muss.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1.

Die Kündigung ist entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG unwirksam, weil nämlich das gegenüber dem Betriebsrat durchzuführende Anhörungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß eingeleitet und durchgeführt worden ist.

a)

Richtig ist allerdings, dass eine nicht ausreichende Unterrichtung des Betriebsrates über die Kündigungsgründe ebenso die Unwirksamkeit der Kündigung begründet wie eine gänzlich unterlassene Anhörung (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; vgl. nur Urteil vom 06.02.1997 - 2 AZR 265/96 - EzA § 102 BetrVG Entscheidung 96).

Richtig ist auch, dass der Arbeitgeber die von ihm für maßgeblich erachteten Kündigungsgründe bei der Anhörung so zu umschreiben hat, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigenen Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Gründe prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig werden kann. Die Anhörung soll nämlich in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass es gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt. Sie hat über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht vorzubringen. Dies kann er aber nur, wenn ihm die Kündigungsgründe in so ausführlicher Weise mitgeteilt werden, dass er überhaupt eine substantiierte Stellungnahme abgeben kann (so Thüringer Landesarbeitsgericht Urteil vom 08.06.1998 - 8 Sa 807/97 - n. v.; vgl. BAG Urteil vom 15.11.1995 - 2 AZR 974/94 - EzA § 102 BetrVG Entscheidung 89).

b)

Der Beklagte hat dem Betriebsrat aber in ausreichender Weise die nach seiner Auffassung (sog. subjektive Determinierung) tragenden Kündigungsgründe in ausreichender Weise dargelegt, und es dem Betriebsrat daher ermöglicht, zur Kündigungsabsicht ausreichend Stellung nehmen zu können.

Da die Entscheidung, einen Betrieb stillzulegen, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur Entscheidung vom 16.09.1993 - 2 AZR 267/93 - EzA § 102 BetrVG Entscheidung 84) eine sog. freie unternehmerische Entscheidung darstellt, die im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses nicht auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen ist, sondern nur darauf, ob sie ggf. offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, und da der Arbeitgeber im Rahmen des Anhörungsverfahrens vor Ausspruch der Kündigung dem Betriebsrat nicht weitergehende Tatsachen darlegen muss, als er in einem späteren vom Arbeitnehmer eingeleiteten Kündigungsschutzprozess hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung darlegen müsste, reicht es bei beabsichtigter Betriebsstillegung aus, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitteilt, dass er die im Anhörungsverfahren tangierten Kündigungen wegen einer zu einem konkreten Termin beabsichtigten Stillegung des Betriebes zu einem bestimmten Ablauf der Kündigungsfrist aussprechen will.

Eine Mitteilung der Motive oder Vorüberlegungen für die Kündigung, etwa hinsichtlich der schlechten wirtschaftlichen Situation, ist nicht notwendig, da die Motive und Vorüberlegungen nicht den eigentlichen Kündigungsgrund betreffen und vom Arbeitgeber auch im Kündigungsschutzprozess nicht vorgetragen werden müssten. Denn das Arbeitsgericht prüft nur, ob die Stillegung zu dem angekündigten Termin durchgeführt wurde bzw. ernsthaft und endgültig beabsichtigt war; die zugrundeliegenden Motive und Ursachen sind schon deshalb ohne Interesse, weil es dem Arbeitgeber unbenommen ist, auch einen florierenden Betrieb, etwa wegen Krankheit, Alter oder auch wegen der Unlust, sich weiter am Markt geschäftlich zu betätigen, stillzulegen (so zu Recht LAG Berlin Urteil vom 11.01.1999 - 9 Sa 106/98 - LAGE § 622 BGB Entscheidung 41). Auch eine gänzlich "unvernünftige" Entscheidung des Unternehmers, einen florierenden Betrieb zu liquidieren, ist von den Arbeitsgerichten nach der durchaus nachvollziehbaren Auffassung von Dörner (in Bader-Bram-Dörner-Wenzel KSchG § 15 Rz. 73) hinzunehmen; dies gilt zumindest unter Berücksichtigung der bisher noch aufrecht erhaltenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Prüfungsmaßstab bei Unternehmerentscheidungen insoweit, als die vom Unternehmer vorgebrachten und nicht auf wirtschaftliche Überlegungen gestützten Gründe nachvollziehbar und plausibel sind.

Auch das Bundesarbeitsgericht hat die Mitteilung des Arbeitgebers in seinem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat, die Arbeitsverhältnisse sollten "wegen Aufgabe des aktiven Geschäftsbetriebs" ersatzlos wegfallen, als "hinreichend konkrete Umschreibung des Kündigungsgrundes" angesehen und die Auffassung vertreten, dass das Anhörungsschreiben alle zur ordnungsgemäßen Information des Betriebsrates erforderlichen Angaben enthält (so BAG Urteil vom 24.10.1996 - 2 Sa 895/95 - EzA § 17 KSchG Entscheidung 20).

Diese vom Berufungsgericht vertretene Meinung entspricht im Übrigen der einhelligen Auffassung von Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. Bader a. a. O. § 1 KSchG Rz. 362; KR-Etzel 5. Aufl. § 102 BetrVG Rz. 62 c; LAG Köln Urteil vom 13.01.1993 - 8 Sa 907/92 - LAGE § 102 BetrVG Entscheidung 34; LAG Hamm Urteil vom 06.04.1995 - 4 Sa 1302/94 - LAGE § 102 BetrVG Entscheidung 52).

c)

Darüber hinaus ist der Arbeitgeber - entgegen der wohl vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung - im Anhörungsverfahren auch nicht verpflichtet, dem Betriebsrat weitere Unterlagen über die wirtschaftliche Situation oder gar Einblicke in Buchhaltungs- und Belegungsunterlagen bzw. in gutachterliche Ertragsprognosen zu geben (vgl. BAG Urteil vom 26.01.1995 - 2 AZR 386/94 - EzA § 102 BetrVG Entscheidung 87; Urteil vom 06.02.1997 - 2 AZR 265/96 - EzA § 102 BetrVG Entscheidung 96). Dies mag im Rahmen von Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder über einen Sozialplan angebracht und sinnvoll sein, was hier aber keiner Entscheidung bedarf. d)

Im Übrigen hätte das Arbeitsgericht auch auf der Grundlage seiner vom Berufungsgericht nicht geteilten Auffassung, dem Betriebsrat müssten nämlich im Rahmen des Anhörungsverfahrens konkrete Angaben zur wirtschaftlichen Situation gemacht und darüber hinaus weitergehende schriftliche Unterlagen übergeben werden, bei Anwendung eines praxisgerechten Maßstabes und bei eindringlicherer Befragung der Betriebsratsvorsitzenden auch die Auffassung gewinnen können, dass dem Betriebsrat in völlig ausreichender Weise die wirtschaftliche und betriebliche Situation der Schuldnerin durchaus bekannt gewesen ist.

Dem Betriebsrat war nämlich zumindest bekannt, dass seit Januar 1999 keine Löhne und Gehälter gezahlt wurden, dass die Belegungszahlen katastrophal waren, dass am 01.05. das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung der Schuldnerin eröffnet worden war und dass - so die Bekundungen des Zeugen M. - den Einnahmen für 26 Patienten in Höhe von ca. DM 150.000,00 Fixkosten in Höhe von DM 100.000,00 sowie weitere Kosten, vor allem Personalkosten, in Höhe von DM 310.000,00 gegenüberstünden. Aus diesen Umständen konnte sich der Betriebsrat sicherlich schon ein ganz konkretes Bild über die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin machen.

Darüber hinaus hätte hinsichtlich der Darlegungen des Beklagten auf den Belegschaftsversammlungen vom 13.04. und 20.04.1999 und anlässlich der zahlreichen Gespräche mit dem Betriebsrat bzw. der Betriebsratsvorsitzenden gem. § 139 ZPO weiterer Vortrag angeregt werden können und müssen und hätte ggf. auch die Betriebsratsvorsitzende eingehender über ihre aus diesen Gesprächen gewonnenen Kenntnisse betreffend die Situation der Schuldnerin befragt werden müssen.

Diese weitere Aufklärung lag umso näher, als der Betriebsrat im Rahmen des Sozialplans einige Monate später offen erklärte, man sei sich darüber einig, dass die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Schuldnerin eine Fortführung des Geschäftsbetriebs über den 31.05.1999 nicht gestattete und dass der Betriebsrat am 05.05.1999 (dem Tag der Kündigungsanhörung!!) über die wirtschaftliche und betriebliche Situation der Schuldnerin umfassend informiert worden sei. Auf Grund dieser Feststellung muss die Aussage der Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen der Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht schon in einem gänzlich anderen Licht beleuchtet und gefragt werden, ob hier nicht ein Aussagedelikt begangen wurde.

e)

Das Berufungsgericht hat also nach alledem keine Bedenken hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der in Streit befindlichen Kündigung. Dem Beklagten ist also kein Verstoß gegenüber den aus § 102 BetrVG folgenden Verpflichtungen zur Last zu legen.

2.

Die Kündigung ist auch nach § 1 Abs. 1 KSchG, dessen Anwendungsvoraussetzungen vorliegen, rechtswirksam, weil sie sozial gerechtfertigt ist.

a)

Ein geradezu klassischer Grund, der eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem Betrieb entgegensteht, ist die sog. Betriebsstillegung, also - so die gängige Definition in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - die Einstellung der betrieblichen Arbeit und der Auflösung der Produktionsgemeinschaft entweder für unabsehbare Zeit oder für eine im Voraus festgelegte relativ lange Zeit. Dabei besteht die Auflösung der Arbeit und Produktionsgemeinschaft zwischen Unternehmen und Belegschaft in der Regel in der Aufgabe des Betriebszweckes, die nach außen in der Auflösung der betrieblichen Organisation, die die verschiedenen Betriebsmittel und das Personal zu einer Einheit zusammenhält, zum Ausdruck kommt (vgl. KR-Etzel 4. Aufl. § 15 KSchG Rz. 79).

Dabei ist es nicht erforderlich, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung, auf den es in der Regel für die Frage der Rechtswirksamkeit und der Rechtsunwirksamkeit der Erklärung ankommt, die Betriebsstillegung im oben angeführten Sinne bereits voll durchgeführt oder sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet. Es reicht aus, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs die ernsthafte und endgültige Absicht gefasst hat, den Betrieb stillzulegen, und dass zu diesem Zeitpunkt bei vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise die Prognose gerechtfertigt ist, dass bis zum Auslauf der Kündigungsfrist der Arbeitnehmer entbehrt werden kann (vgl. nur BAG Urteil vom 10.10.1996 - 2 AZR 477/95 - EzA § 101 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, Entscheidung 87 m. w. N. aus der Rechtsprechung).

Hat der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung die ernsthafte und endgültige Absicht gefasst, den Betrieb zu einem festgelegten Zeitpunkt stillzulegen, dann ist es nicht erforderlich, dass zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Verwirklichung der Stillegung, also der Einstellung der betrieblichen Tätigkeit und der Auflösung der Produktionsgemeinschaft, bereits begonnen wurde und entsprechende erste Schritte eingeleitet wurden (vgl. BAG Urteil vom 19.01.1991 - 2 AZR 127/91 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, Entscheidung 70 und noch klarer BAG Urteil vom 10.10.1996 - 2 AZR 651/96 - EzA 97, 92).

Da aber der Arbeitgeber nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Kündigungsgrundes "Absicht der Betriebsstillegung" hat und da er dieser einer Beweisführung nur schwer zugängliche innere Tatsache dem Gericht plausibel und glaubhaft darlegen muss, verlangt die Rechtsprechung seit jeher, dass die betrieblichen Umstände im Zeitpunkt des Kündigungsausspruches "greifbare Formen" angenommen haben müssen.

Diese "greifbaren Formen" können sich aus der Motivation der Betriebsstillegungsabsicht ergeben und müssen nicht unbedingt auch schon ihre Durchführungsform betreffen (vgl. BAG Urteil vom 19.01.1991 a. a. O.). Nach dem Urteil des BAG vom 10.10.1996 (2 AZR 477/95 a. a. O.) liegen "greifbare Formen" in diesem Sinne schon dann vor, wenn bei einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gegenüber der Klägerin mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass ihre Beschäftigung zum Zeitpunkt des Kündigungstermins nicht mehr möglich sein werde.

b)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, die auch im Schrifttum nicht angezweifelt werden, muss das Berufungsgericht davon ausgehen, dass im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung der Beklagte die endgültige und ernsthafte Absicht hatte, den Betrieb am 31.05. stillzulegen und dass diese Stillegung damals bereits greifbare Formen angenommen hatte.

Unter Berücksichtigung der mangelnden Leistungsfähigkeit der Schuldnerin im Hinblick auf die Zahlung der Löhne ab Januar 1999, den Antrag auf Durchführung des Insolvenzverfahrens und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens musste der Beklagte davon ausgehen, dass die Liquidation des Unternehmens wegen der desolaten wirtschaftlichen Lage nicht mehr abgewendet werden konnte. Diese Absicht wurde in der Folgezeit durch den Versuch, einen Interessenausgleich abzuschließen und durch den Abschluss eines Sozialplanes ebenso bekräftigt (vgl. ebenso BAG Urteil vom 10.10.1996 - 2 AZR 477/95 - a. a. O.) wie durch die Mitteilung der Betriebsstillegung an die Krankenkassen und die sonstigen Kostenträger.

Ein weiteres beachtliches Indiz ist die Mitteilung der Absicht der Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse wegen Stillegung an das Arbeitsamt, wie auch die Kündigung sämtlicher kündbarer Arbeitsverhältnisse im gleichen Zeitpunkt zum Ablauf der individuell berechneten Kündigungsfrist.

Alle diese Umstände belegen für das Berufungsgericht sehr deutlich die ernsthafte und endgültige Absicht des Beklagten, den Betriebszweck auf Dauer nicht weiter zu verfolgen und die Produktionsgemeinschaft aufzulösen.

Diese unternehmerische Entscheidung hat die Klägerin wie auch das Gericht hinzunehmen. Anhaltspunkte dafür, dass dieser Entschluss offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich gewesen sei, sind nicht vorgetragen.

c)

Der Beklagte musste auch keine Sozialauswahl treffen, weil eine solche grundsätzlich dann nicht mehr stattzufinden hat, wenn - wie hier - allen Arbeitnehmern wegen der Betriebsstillegung gekündigt wird. Die Frage, welcher Arbeitnehmer auf Grund seiner Sozialdaten am wenigsten auf den Arbeitsplatz angewiesen ist, wird dann nicht relevant, wenn alle Arbeitsplätze zum Zeitpunkt der prognostizierten Stillegung wegfallen sollen bzw. wenn die Betriebsstillegung zu einem gegenüber dem verschieden langen Lauf der einzelnen Kündigungsfristen vorhergehenden Zeitpunkt erfolgen soll (vgl. BAG Urteil vom 10.10.1996 NZA 97, 92, 94).

Dies alles hat nichts mit der Frage der etappenweisen Betriebsstillegung zu tun, bei der nach der Rechtsprechung eine Sozialauswahl erforderlich sein soll; eine solche liegt hier ebensowenig vor, wie eine Weiterbeschäftigung einzelner vergleichbarer Arbeitnehmer zur Durchführung von Abwicklungsarbeiten. Vorliegend wurden sämtliche kündbaren Arbeitnehmer am 17.05.1999 zum Ablauf der jeweils verschieden langen Kündigungsfristen gekündigt und je nach Bedarf entweder freigestellt oder beschäftigt.

3.

Da weitere rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Kündigung weder vorgetragen noch ersichtlich sind, ist davon auszugehen, dass die gegenüber der Klägerin erklärte Kündigung nach alledem rechtswirksam ist und zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der Kündigungsfrist geführt hat. Die Klage ist demnach unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 ZPO).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich. Der Rechtsstreit hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch weicht die Kammer in ihrem Urteil von einer Entscheidung eines der in § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG aufgeführten Gerichte ab.

Ende der Entscheidung

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