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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 21.07.1997
Aktenzeichen: 8 Ta 100/97
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 121
BRAGO §§ 121 ff.
1. Ohne tatsächlich oder konkludent erteilte Zustimmung des im Wege der Prozesskostenhilfe beizuordnenden auswärtigen Anwalts ist eine nur eingeschränkte Beiordnung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts" oder "unter Ausschluss der Erstattungsfähigkeit von Tage- und Abwesenheitsgeldern sowie etwaiger Reisekosten vom Ort der Kanzlei zum Gerichtsort (auch Ort des Gerichtstages)" unzulässig.

2. Der Richter hat vor seiner Beiordnungsentscheidung gem. § 139 ZPO sein Fragerecht dahin auszuüben, ob der Wahlanwalt mit einer eingeschränkten Beiordnung einverstanden ist oder nicht.

Bejaht der Anwalt die Frage, kann die Beiordnung zu den eingeschränkten Bedingungen mit Bindungswirkung für das Festsetzungsverfahren nach § 121 ff. BRAGO erfolgen.

Verneint er die Frage, muss eine Beiordnung angesichts der gesetzlichen Regelung in § 121 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich abgelehnt werden.

3. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 121 Abs. 3 ZPO kann die Entstehung von "Mehrkosten" i. S. des § 121 Abs. 2 S. 2 ZPO dadurch vermieden werden, dass dem beigeordneten Anwalt die Erstattung der Reisekosten in Höhe der "fiktiven" Kosten eines Verkehrsanwaltes zugebilligt wird.


Tenor:

wird der PKH-Bewilligungsbeschluss des Arbeitsgerichts Gera vom 04.06.1997 - 4 Ca 1328/97 - teilweise abgeändert.

Dem Kläger wird mit Wirkung ab dem 17.04.1997 zur Wahrnehmung seiner Rechte vor dem Arbeitsgericht ausschließlich der Zwangsvollstreckung Frau Rechtsanwältin M. S., H. beigeordnet, und zwar mit der Maßgabe, dass Reisekosten höchstens bis zur Höhe der (fiktiven) Kosten erstattet werden, die bei zusätzlicher Beiordnung eines Verkehrsanwaltes angefallen wären.

Gründe:

I

Mit der zugrundeliegenden Drittschuldnerklage begehrt der bei Einreichung der Klage noch in der Justizvollzugsanstalt U. einsitzende Kläger die Zahlung von gepfändeten und zur Einziehung überwiesenen Lohnansprüchen seines als Geschäftsführer der Beklagten tätigen Vaters gegen die Beklagte, die ihren Sitz in S. hat.

Mit Antrag vom 15.04.1997 beantragte er die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten, die ihren Kanzleisitz in H. hat.

Mit Beschluss vom 04.06.1997 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab 17.04.1997 ohne Ratenzahlung bewirkt und seine Prozessbevollmächtigte beigeordnet, allerdings unter Ausschluss der Erstattungsfähigkeit von Tage- und Abwesenheitsgeldern sowie etwaiger Reisekosten vom Ort der Kanzlei zum Gerichtsort (auch Ort des Gerichtstages).

Gegen diesen Beschluss legte die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 09.06.1997 Beschwerde ein, soweit sich der Beschluss darauf beschränkt, dass die Beiordnung nur zu den Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwaltes bewilligt wurde.

Zur Begründung trägt sie vor, der Kläger sei von ihrem Büro sowohl in der Strafsache wie auch im Rahmen des Strafvollzugs wie auch in seinen Unterhaltsangelegenheiten vertreten worden. Ihm könne deshalb nicht zugemutet werden, einen Anwalt aufzusuchen, der am Gerichtsort ansässig sei. Die Beauftragung eines solchen Anwalts sei ihm aus der Haftanstalt heraus auch unmöglich gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Begründung nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht vorgelegt.

II

Die zulässige Beschwerde ist im Wesentlichen begründet, weil das Arbeitsgericht zu Unrecht die Beiordnung der Beschwerdeführerin mit der angegriffenen eingeschränkten Maßgabe vorgenommen hat.

1.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie als Beschwerde des beigeordneten Rechtsanwalts gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft.

Denn durch die nur eingeschränkte Beiordnung wird der beigeordnete Rechtsanwalt selbst in seinen eigenen Rechten verletzt, da der Bewilligungsbeschluss gem. § 122 Abs. 1 BRAGO maßgebend für den Umfang des Vergütungsanspruchs des beigeordneten Rechtsanwaltes ist und da er bei einer nur eingeschränkten Beiordnung Gefahr läuft, im Rahmen des Festsetzungsverfahrens keine Erstattung seiner Auslagen entsprechend der Regelung in § 126 BRAGO zu erhalten (vgl. ebenso Zöller-Philippi ZPO 19. Aufl. § 127 Rz. 37; LAG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 18.10.1985 - 1 Ta 218/85 - LAGE § 121 ZPO Entscheidung 2; LAG Bremen Beschluss vom 11.05.1988 - 1 Ta 9/88 - LAGE § 121 ZPO Entscheidung 3; anderer Auffassung wohl OLG Düsseldorf Beschluss vom 23.02.1993 - 3 WF 13/93 - Rechtspfleger 93, 351, 352).

2.

Die Beschwerde ist auch im Wesentlichen begründet, weil ohne Einverständnis des von der Partei gewählten Rechtsanwalts eine solche einschränkende Beiordnung nicht zulässig ist.

Nach § 121 Abs. 2 S. 2 ZPO kann allerdings ein beim Prozessgericht nicht zugelassener Anwalt nur dann beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.

Diese Vorschrift ist zwar bei den Gerichten für Arbeitssachen nicht direkt anwendbar, weil es keine besondere Zulassung von Rechtsanwälten bei diesen Gerichten gibt. Die ganz herrschende Meinung wendet sie aber in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten wegen des zugrundeliegenden Regelungszweckes, nämlich der Kostenersparnis der zur Zahlung der Anwaltsvergütung verpflichteten Staatskasse, analog an und liest sie so, dass durch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes, der seine Kanzlei nicht am Gerichtssitz unterhält, keine Mehrkosten entstehen dürfen (so schon Thüringer Landesarbeitsgericht Beschluss vom 20.12.1994 - 8 Ta 121/94 - mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung, anderer Auffassung Schaub, Arbeitsrechtliche Formularsammlung und Arbeitsgerichtsverfahren 6. Aufl. § 88 X 7 c; unklar Gift-Baur Das Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen 1. Aufl. unter D Rz. 118).

Da eine solche Einschränkung im Bewilligungsbeschluss aber nach der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist (so zu Recht LAG Düsseldorf Beschluss vom 18.06.1984 - 7 Ta 114/84 - LAGE a. a. O. Entscheidung 1) und da sich - wie dargelegt - wegen der Bindungswirkung des § 122 Abs. 1 BRAGO unmittelbare Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch des Rechtsanwaltes im Festsetzungsverfahren ergeben, ist eine solche Einschränkung nur dann zulässig, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt vorher ausdrücklich oder konkludent seine Zustimmung dazu gegeben hat (so die ganz herrschende Meinung vgl. Hansens BRAGO 8. Aufl. § 126 Rz. 16, Zimmermann, Prozesskostenhilfe in Familiensachen 1997 Rz. 331; Gerold-Schmidt-von Eicken-Madert BRAGO 12. Aufl. vor § 121 Rz. 27, Zöller-Philippi a. a. O. Rz. 12; Thomas-Putzo ZPO 19. Aufl. § 121 Rz. 5; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann ZPO 54. Aufl. § 121 Rz. 62; Schneider in Anmerkung zu LAG Bremen a. a. O.).

Das Arbeitsgericht hat also vor seiner Beiordnungsentscheidung gem. § 139 ZPO sein Fragerecht dahin auszuüben, ob der Wahlanwalt mit der eingeschränkten Beiordnung einverstanden ist. Bejaht er diese Einschränkung, verzichtet er mit Wirkung für das Festsetzungsverfahren auf seine aus der Anreise zum Gericht ggf. entstehenden Auslagen und kann eingeschränkt beigeordnet werden. Lehnt er eine solche Beschränkung ab, kann er nicht beigeordnet werden, wobei das Gericht keinen Ermessensspielraum hat, sondern das Beiordnungsverbot des § 121 Abs. 2 S. 2 ZPO zu beachten hat.

Sein Einverständnis kann der Wahlanwalt auch konkludent abgeben, in dem er z. B. gegen die nur eingeschränkte Beiordnung nicht vorgeht, sondern rügelos tätig wird (so Thüringer Landesarbeitsgericht a. a. O.).

Im bloßen Beiordnungsantrag des auswärtigen Anwalts liegt eine solche konkludente Einwilligung allerdings im Regelfall nicht, jedenfalls darf sie nicht einfach unterstellt werden (so zu Recht Zimmermann a. a. O.; anderer Auffassung Kalthoener-Büttner PKH- und Beratungshilfe 1988 Rz. 561; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann a. a. O. Rz. 62 unter Hinweis auf LG Braunschweig Juristisches Büro 1986, 772).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend die Einschränkung der Beiordnung aufzuheben, weil das Arbeitsgericht sein Fragerecht nicht ausgeübt hat und weil von einer konkludenten Einwilligungserklärung der Beschwerdeführerin nicht ausgegangen werden kann.

3.

Da vorliegend auf Grund der Darlegungen der Beschwerdeführerin ausgeschlossen ist, dass sie ihre Einwilligung in eine nur eingeschränkte Beiordnung erklärt, sieht das Beschwerdegericht von einer Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung durch das Arbeitsgericht gern. § 575 ZPO ab und bescheidet den Beiordnungsantrag selber.

Der zwingenden gesetzlichen Anordnung in § 121 Abs. 2 S. 2 ZPO, die eine Beiordnung eines auswärtigen Anwaltes bei Entstehung von Mehrkosten ohne seine Einwilligung verbietet, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der Anfall von Mehrkosten dadurch ausgeschlossen wird, dass dem beigeordneten Anwalt die Erstattung der Reisekosten in Höhe der (fiktiven) Kosten eines Verkehrsanwaltes zugebilligt werden.

Hier sind die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Vermittlung des Verkehrs- mit dem Prozessbevollmächtigten gegeben, da "besondere Umstände" i. S. des § 121 Abs. 3 ZPO vorliegen. Wegen der Inhaftierung des Klägers, wegen der weiten und nur unter Schwierigkeiten zurückzulegenden Entfernung von seinem Aufenthaltsort zum Gerichtsort sowie wegen der besonderen Schwierigkeiten der im Rahmen dieser Drittschuldnerklage zur Beantwortung anstehenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen und wegen der bei seinem jugendlichen Alter zu unterstellenden Rechtsunerfahrenheit ist davon auszugehen, dass er einen ortsansässigen Prozessbevollmächtigten nicht sachgemäß schriftlich und auch nicht persönlich unterrichten kann, so daß die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes im Rahmen der Prozesskostenhilfe bei entsprechendem Antrag angezeigt gewesen wäre.

Da die Beiordnung mit den dadurch entstehenden Kosten durch die uneingeschränkte Beiordnung der Beschwerdeführerin vermieden wird, hat die Staatskasse die in Höhe der fiktiven Kosten eines Verkehrsanwaltes entstehenden Mehrkosten zu tragen. Diese Festlegung ist zur Klarstellung sinnvollerweise im Beiordnungsbeschluss mit bindender Wirkung für das Festsetzungsverfahren aufzunehmen.

Da die Beschwerde weitgehend Erfolg hat, bedarf es keiner Kostenentscheidung (Nr. 9301 Gebührenverzeichnis Anlage 1 zu § 12 ArbGG).

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 78 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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