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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 23.10.1996
Aktenzeichen: 8 Ta 109/96
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 12
1. Spricht der Arbeitgeber in einem zeitnahen Zusammenhang und wegen des gleichen Lebenssachverhaltes vorsorglich eine zweite Kündigung aus, dann kann der auf die zweite Kündigung bezogene Klageantrag wegen wirtschaftlicher Identität mit dem auf die erste Kündigung bezogenen Klageantrag nicht mit dem Regelwert des § 12 VII 1 ArbGG bewertet werden.

2. Unabhängig davon, ob durch die zweite Kündigung der beabsichtigte Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses um einige Monate verschoben werden könnte, ist der Wert des auf die nachfolgende vorsorglich ausgesprochene Kündigung bezogenen Klageantrags regelmäßig mit einem Monatsgehalt des Klägers anzusetzen.

3. Für die Wertfestsetzung hat es in der Regel keine Bedeutung, ob der Arbeitnehmer den auf die erste Kündigung bezogenen Klageantrag im gleichen Verfahren um einen auf die zweite Kündigung bezogenen Antrag erweitert oder ob er in Bezug auf die zweite Kündigung ein weiteres Kündigungsschutzverfahren einleitet.


Tenor:

wird der Wertfestsetzungsbeschluß des Arbeitsgerichts Gera vom 24.04.1996 abgeändert.

Der Kostenstreitwert für das arbeitsgerichtliche Verfahren wird gem. § 9 Abs. 2 BRAGO i. V. mit § 25 GKG auf DM 11.176,00 festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I

In dem zugrundeliegenden Kündigungsschutzverfahren wendete sich der seit 1982 bei der Beschwerdegegnerin, einem Maschinenbaubetrieb, als Handwerker zu einer monatlichen Bruttovergütung von DM 2.794,00 beschäftigte Beschwerdeführer gegen eine am 30.11.1995 zum 30.04.1996 ausgesprochene ordentliche Kündigung, die "auf die äußerst unbefriedigende Auftragslage" gestützt wurde.

Mit Schriftsatz vom 18.03.1996 erweiterte er die Klage und wendete sich mit einem weiteren Feststellungsantrag gegen die am 04.03.1996 zugegangene zweite Kündigung, die die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 27.02.1996 zum 31.07.1996 ausgesprochen hatte. Diese Kündigung wurde auf die zum 31.03.1996 beabsichtigte Schließung des Betriebes wegen erheblicher Verluste gestützt.

Nachdem der Beschwerdeführer die Klage wegen einer außergerichtlichen Einigung zurückgenommen hatte, setzte das Arbeitsgericht den Streitwert gem. § 25 Abs. 2 GKG auf den 6-fachen Betrag der Bruttomonatsvergütung des Beschwerdeführers, also auf DM 16.764,00 fest.

Dagegen legte der Prozeßbevollmächtigte des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 14.06.1996 Beschwerde ein, mit der er eine Herabsetzung des Streitwerts auf drei Bruttomonatsgehälter, also auf DM 8.383,00 begehrt. Auf Anfrage des Beschwerdegerichts stellte er mit Schriftsatz vom 02.10.1996 klar, daß die Streitwertbeschwerde im Namen des Beschwerdeführers eingelegt werden sollte.

Die zuständige Richterin des Arbeitsgerichts Gera hat der Beschwerde mit begründetem Vermerk vom 24.06.1996 nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht vorgelegt.

II

Die gem. § 25 Abs. 3 GKG i. V. mit § 9 Abs. 1 BRAGO statthafte Beschwerde ist zulässig und insoweit begründet, als der Beschwerdeführer eine Herabsetzung des Kostenstreitwerts auf vier Bruttomonatsgehälter, also auf DM 11.176,00 begehrt. Soweit er eine weitere Herabsetzung beantragt hat, ist die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

1.

Die Frage, wie der Streitwert festzusetzen ist, wenn in einem oder mehreren Verfahren mehrere Kündigungen vom gleichen Kläger angegriffen werden, wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum außerordentlich kontrovers beurteilt (vgl. Wenzel in GK-ArbGG § 12 Rz 137 ff m. w. N.; KR-Friedrich 4. Aufl. § 4 KSchG Rz 279 ff m. w. N.).

Während das Bundesarbeitsgericht seit langer Zeit die Auffassung vertritt (vgl. Beschluß vom 20.01.1967 AP 16 zu § 12 ArbGG 1953; Beschluß vom 06.12.1984 EzA § 12 ArbGG Streitwert Entscheidung 34 mit ablehnender Anmerkung Schneider), daß der in einem einheitlichen Prozeß ausgetragene Streit über mehrere Kündigungen nach Sinn und Zweck des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG höchstens mit dem Vierteljahresentgelt des Klägers bewertet werden könne (so auch u. a. Friedrich a. a. O.), wird etwa die entgegengesetzte Extremposition in einem neueren Beschluß des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt (Beschluß vom 20.09.1995 1 (3) Ta 93/95 LAGE § 12 ArbGG Streitwert Entscheidung 104 mit ablehnender Anmerkung Wenzel) dahingehend vertreten, daß grundsätzlich jeder (weitere) Feststellungsantrag, der sich auf die Unwirksamkeit einer konkret abgrenzbaren und eigenständigen Kündigung bezieht, wertmäßig gesondert und mit dem Regelwert des § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG bewertet werden müsse.

Zwischen diesen beiden Extrempositionen werden die verschiedensten Privilegierungsmöglichkeiten für die nachfolgenden Beendigungsakte vertreten, die man mit Wenzel mit "korrektive 1:1-Differenzberechnung", "additive 1:1-Differenzberechnung" und "additive 1:2-Differenzberechnung" bezeichnen mag (vgl. die einzelnen Nachweise für die verschiedenen methodischen Ansätze in der Rechtsprechung in seiner Besprechung des Beschlusses des LAG Sachsen-Anhalt a. a. O.).

2.

Eine abschließende Stellungnahme zu den einzelnen Ansätzen erscheint der Beschwerdekammer unfruchtbar und nicht erfolgversprechend, weil zum einen in dem vom Gesetzgeber aus sozialen Gründen in § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG festgelegten sehr engen Bewertungsspielraum sämtliche denkbaren Sachverhaltskonstellationen nicht mit einem einzelnen methodischen Ansatz sachgerecht zu behandeln sind, und weil zum anderen jeder der aufgezeigten methodischen Ansätze Gesichtspunkte enthält, die durchaus bedenkenswert sind, sich aber - naturgemäß - bei additiver Anwendung gegenseitig paralysieren und aufheben.

3.

Die Beschwerdekammer läßt sich bei der Beantwortung der vorliegenden Problematik leiten von den beherzigenswerten Worten Wenzels (in seiner Anmerkung zum Beschluß des LAG Sachsen-Anhalt a. a. O.), daß nämlich "die Festsetzung der Teilwerte für verschiedene in demselben Verfahren verfolgte Kündigungsfeststellungsanträge einfach zu handhabende, allgemein anwendbare und gleichwohl überzeugende Bewertungsgrundsätze voraussetzt, wenn man der die Praxis beherrschenden Meinungsvielfalt Herr werden will".

a)

Ausgangspunkt für eine praktisch handhabbare Bewertung zweier oder mehrerer Kündigungsschutzanträge in einem einzigen oder aber auch in mehreren Verfahren müssen zwei Grundsätze sein:

aa)

Zum einen muß der gegen die zunächst ausgesprochene Kündigung gerichtete Feststellungsantrag, der sich auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für einen unbestimmten Zeitraum richtet, mit dem Regelwert von einem Vierteljahreseinkommen bewertet werden (so die ständige Rechtsprechung des Thüringer Landesarbeitsgerichts). Dieser Wert kann sich wegen der Erweiterung der Klage um einen weiteren Feststellungsantrag oder wegen einer neuen Kündigungsschutzklage gegen eine nachfolgende Kündigung nicht vermindern.

bb)

Zum anderen darf ein gesonderter Wertansatz für die zweite oder weiter nachfolgende Kündigungen und damit gem. § 5 ZPO eine Zusammenrechnung der mehreren Werte nur dann erfolgen, wenn es sich um verschiedene Streitgegenstände handelt, die wirtschaftlich nicht identisch sind. Denn mehrere Klageanträge, die auf dasselbe wirtschaftliche Ziel gerichtet sind, können nicht zu einer Erhöhung des Streitwertes führen.

Von einer wirtschaftlichen Identität in diesem Sinne wird man ausgehen müssen, wenn die zweite Kündigung vorsorglich in einem zeitnahen Zusammenhang mit der ersten Kündigung und wegen des gleichen Lebenssachverhaltes ausgesprochen wird. In einem solchen Fall stehen nämlich die beiden Kündigungen in einem so engen Zusammenhang, daß sie sowohl vom Kündigenden wie auch vom Kündigungsempfänger als eine Einheit angesehen werden. Die gesonderte wertmäßige Bewertung dieses einheitlichen Lebenssachverhaltens wird deshalb von den Parteien als nicht sachgerecht empfunden werden (ähnlich auch LAG Hamburg Beschluß vom 15.11.1994 - 1 Ta 7/94 - LAGE a. a. O. Entscheidung 102; Germelmann in Germelmann-Matthes-Prütting ArbGG 2. Aufl. § 12 Rz. 102).

b)

Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die zweite Kündigung bei dieser Konstellation in der Regel nur vorsorglich ausgesprochen wird, so daß sich eine Entscheidung über sie erübrigt, wenn rechtskräftig festgestellt wird, daß bereits die erste Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat.

Desweiteren ist zu berücksichtigen, daß der Arbeitnehmer mit beiden Feststellungsanträgen das gleiche Ziel verfolgt, nämlich eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit. Das Feststellungsinteresse des einen (früheren) Antrags deckt sich also voll mit dem Feststellungsinteresse des anderen (späteren) Antrags.

c)

Keine Berücksichtigung kann dabei entgegen einer weitverbreiteten Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. nur zuletzt LAG Düsseldorf Beschluß vom 27.11.1995 bzw. 20.02.1996 - 7 Ta 7/96 - Juristisches Büro 1996, 476 = MDR 1996, 752; weitere Nachweise bei Wenzel a. a. O.) der Gesichtspunkt finden, ob durch die weitere Kündigung der Beendigungszeitpunkt um einen längeren Zeitraum als einen Monat hinaus verschoben wird.

Denn dieser Gesichtspunkt könnte wirtschaftlich nur dann von Bedeutung sein und damit zu einer Erhöhung des Kostenstreitwerts führen, wenn der Arbeitnehmer wegen des verlängerten Zeitraums gleichzeitig eine auf Annahmeverzug gestützte Leistungsklage anhängig machen würde. Solange das nicht der Fall ist und solange nur ein Feststellungsantrag in Streit steht, kann dem Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts um mehrere Monate angesichts des auf zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Antrags und angesichts der gesetzlichen Bewertungsgrenze eines solchen Antrags auf die Höhe eines Vierteljahreseinkommens keine werterhöhende Bedeutung zugemessen werden.

Auch die von Wenzel vertretene "additive 1:2-Differenzberechnung" (Bewertung jedes weiteren Vertragsmonats mit einem halben Monatsgehalt) kommt deshalb nach Auffassung der Beschwerdekammer zu Ergebnissen, die diesem Aspekt zu wenig Beachtung schenken.

d)

Diese Grundsätze bedürfen aber abschließend insofern einer Modifikation, als für die zweite und jede weitere in nahem zeitlichen Zusammenhang und aus dem gleichen Lebenssachverhalt ausgesprochene Kündigung ein weiteres Monatsgehalt als Teilwert anzusetzen und zu dem Wert für die erste Kündigung zu addieren ist.

Dies erscheint angesichts des Umstandes, daß der Arbeitnehmer zur Vermeidung erheblicher Nachteile nach der punktuellen Streitgegenstandstheorie gehalten ist, die erneute Kündigung nach § 7 KSchG fristgerecht mit einem erweiternden Antrag im bereits anhängigen Kündigungsrechtsstreit oder aber mit einer neuen Kündigungsschutzklage anzugreifen, und daß der bereits mit dem Angriff auf die erste Kündigung beauftragte Rechtsanwalt dieserhalb unter Beachtung von bestimmten prozessualen Formen und Fristen erneut tätig werden muß, sachgerecht und angemessen (vgl. LAG Köln Beschluß vom 08.03.1989 - 5 Ta 3/89 - LAGE a. a. O. Entscheidung 79; LAG Düsseldorf a. a. O.; LAG Bremen Beschluß vom 13.02.1987 - 4 Ta 5/87 - LAGE a. a. O. Entscheidung 62; Brinkmann Juristisches Büro 1995, 397 ff, 400).

4.

Bei Anlegung dieser Grundsätze ist für den die erste Kündigung betreffenden Kündigungsschutzantrag der Wert eines Vierteljahreseinkommens des Beschwerdeführers anzusetzen.

Für den die zweite Kündigung betreffenden erweiternden Antrag ist ein Monatsgehalt als Wert anzusetzen, da die zweite Kündigung in einem zeitlich engen Zusammenhang steht und wegen des gleichen Lebenssachverhalts, nämlich der schlechten wirtschaftlichen Lage der Beschwerdegegnerin, ausgesprochen wurde und deshalb die Bewertung mit dem Regelwert nicht in Betracht kommen kann.

III

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 25 Abs. 4 GKG).

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 78 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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