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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 17.11.2002
Aktenzeichen: 8 Ta 119/2002
Rechtsgebiete: BRAGO, ZPO


Vorschriften:

BRAGO § 23
ZPO § 114 f
1. Zu den Voraussetzungen einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Beendigung der Instanz.

2. Wenn das Gericht nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches, in dem auch zusätzlich nicht rechtshängige Ansprüche geregelt werden, mit Rückwirkung ab einem Zeitpunkt vor Abschluss des Vergleiches "für den ersten Rechtszug" Prozesskostenhilfe bewilligt, ist davon auszugehen, dass es von einer stillschweigenden Antragserweiterung im Hinblick auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch für die im Vergleich mit geregelten Ansprüche ausgeht.

Dem beigeordneten Rechtsanwalt steht deshalb eine Vergleichsgebühr nach dem Mehrwert des Vergleiches zu.


Tenor:

wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin beim Arbeitsgericht Erfurt vom 05.06.2002 - 4 Ca 519/02 - insoweit aufgehoben, als die Urkundsbeamtin den Mehrwert des Vergleiches vom 15.03.2002 bei der Vergütungsfestsetzung nicht berücksichtigt hat.

Der Urkundsbeamtin wird aufgegeben, eine Neufestsetzung nach Maßgabe dieser Entscheidung vorzunehmen.

Gründe:

I

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit über die Feststellung der Wirksamkeit einer Kündigung im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses beantragte der Beschwerdeführer im Klagebegründungsschriftsatz vom 06.03.2002 die Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Kläger und kündigte die Nachreichung der Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse an.

Im Termin zur Güteverhandlung vom 15.03.2002 schlossen die Parteien einen rechtswirksamen Vergleich, in dessen Ziff. 2 sich der Arbeitgeber verpflichtete, an den Kläger als pauschalisierten Schadensersatz nach § 16 Berufsbildungsgesetz einen Betrag von € 2.556,46 zu zahlen.

Im gleichen Termin setzte das Arbeitsgericht den Streitwert für die Klage auf € 981,69 und für den Vergleich auf € 3.538,15 fest. Es gab weiterhin dem Kläger bis zum 28.03.2002 Gelegenheit, die Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse nachzureichen.

Nach fristgerechter Einreichung dieser Erklärung bewilligte der Kammervorsitzende mit Beschluss vom 16.04.2002 dem Kläger Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ab dem 15.03.2002 unter Beiordnung des Beschwerdeführers.

Mit Antrag vom 21.03.2002, beim Arbeitsgericht eingegangen am 28.03.2002, beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung seiner PKH-Gebühren, und zwar u. a. eine 5/10-Differenzgebühr nach § 32 Abs. 2 BRAGO sowie eine 15/10-Vergleichsgebühr aus einem Vergleichsmehrwert in Höhe von € 2.557,15.

Die Urkundsbeamtin setzte im angefochtenen Beschluss diese erwähnten Gebühren mit der Begründung ab, dass der PKH-Bewilligungsbeschluss nicht den Mehrvergleich vom 15.03.2002 erfasse, weil der Kläger insoweit keinen - auch nicht stillschweigenden - Antrag gestellt habe.

Mit Schriftsatz vom 24.07.2002 legte der Beschwerdeführer gegen den ihm bis dahin noch nicht zugegangenen Vergütungsfestsetzungsbeschluss Beschwerde ein.

Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung mit Beschluss vom 02.08.2002 nicht ab und legte sie dem Kammervorsitzenden vor.

Der Kammervorsitzende half mit begründetem Beschluss vom 04.09.2002 der Erinnerung nicht ab und versah diesen Beschluss mit einer Rechtsmittelbelehrung, wonach gegen ihn das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zulässig sei.

Gegen den am 13.09.2002 zugestellten Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 23.09.2002, der am gleichen Tag beim Arbeitsgericht einging, Beschwerde ein.

Der Kammervorsitzende half der Beschwerde mit Verfügung vom 26.09.2002 nicht ab und legte sie dem Beschwerdegericht vor.

II

Die nach § 128 Abs. 4 BRAGO statthafte und zulässig eingelegte Beschwerde ist begründet, weil das Arbeitsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die PKH-Bewilligung den Mehrwert des Vergleichs nicht umfasse. Auf die Beschwerde ist der angefochtene Vergütungsfestsetzungsbeschluss deshalb teilweise aufzuheben und der Urkundsbeamtin aufzugeben, eine neue Festsetzung der Vergütung nach Maßgabe dieser Beschwerdeentscheidung vorzunehmen.

1.

Verfahrensrechtlich ist anzumerken, dass der Tenor des Beschlusses vom 04.09.2002 und die ihm angefügte Rechtsmittelbelehrung nicht korrekt gefasst sind.

Gegen Erinnerungen des Rechtsanwaltes über Festsetzung im Rahmen des § 128 BRAGO hat der zuständige Richter bei Nichtabhilfe durch den Urkundsbeamten gem. § 188 Abs. 3 BRAGO abschließend zu entscheiden und nicht eine bloße Nichtabhilfeentscheidung mit anschließender Vorlage an das Beschwerdegericht zu treffen.

Gegen den begründeten Beschluss des Richters ist dann ggf. gem. § 128 Abs. 4 BRAGO das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben.

Der Kammervorsitzende hat vorliegend offensichtlich abschließend entscheiden wollen, die Tenorierung ist aber mißverständlich, weil in diesem Falle keine Nichtabhilfeentscheidung ergehen konnte, sondern die Erinnerung des Beschwerdeführers zurückgewiesen werden musste.

Die Rechtsmittelbelehrung entspricht auch nicht der Regelung in § 128 BRAGO, denn gegen abschließende Beschlüsse des Kammervorsitzenden ist nach § 128 Abs. 4 BRAGO die einfache Beschwerde und nicht die sofortige Beschwerde gegeben.

Darüber hinaus hätte die Nichtabhilfeentscheidung vom 26.09.2002 des Beschlusses bedurft; eine bloße Verfügung ohne Eingehens auf die neuerlichen vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe für die Beschwerde reicht nicht aus.

Von einer Rückgabe der Sache an den Kammervorsitzenden wird abgesehen, weil sie angesichts der von ihm abschließend geäußerten Rechtsauffassung nur zu einer Verfahrensverzögerung führen würde und weil das Beschwerdegericht in der Sache abschließend entscheiden kann.

2.

An die vom Kammervorsitzenden bewilligte Prozesskostenhilfe ist sowohl die Urkundsbeamtin wie auch das Beschwerdegericht gebunden, obwohl sie inhaltlich nicht korrekt ist. Der klägerische PKH-Antrag hätte als unbegründet zurückgewiesen werden müssen.

Denn nach Instanzende kann in aller Regel Prozesskostenhilfe nicht mehr mit Rückwirkung auf einen Zeitpunkt vor Instanzende bewilligt werden. Das PKH-Gesuch muss unter Beifügung einer vollständig ausgefüllten Erklärung nach § 117 ZPO und unter Beifügung sämtlicher notwendiger Anlagen bis zum Abschluss der Instanz beim Arbeitsgericht eingehen, denn ansonsten bietet die Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg mehr (vgl. Zöller-Philippi ZPO 21. Aufl. § 117 ZPO Rz. 2 a).

Etwas Anderes gilt nur in den Fällen des sogenannten steckengebliebenen PKH-Antrags, bei dem die Bewilligungsreife vor Instanzbeendigung eingetreten war, das Gesuch aber dennoch vom Kammervorsitzenden nicht rechtzeitig beschieden worden war. Das Gleiche gilt darüber hinaus, wenn die vom Antragsteller rechtzeitig vorgelegte Erklärung nach § 117 ZPO nicht vollständig ausgefüllt war oder die notwendigen Anlagen nicht beigefügt waren, das Gericht aber versäumt hat, den Antragsteller vor Instanzende mit Fristsetzung auf die Unvollständigkeiten hinzuweisen. Das Gericht muss den Antragsteller also so rechtzeitig unter Fristsetzung auf Mängel des PKH-Gesuchs hinweisen, dass dieser die Chance hat, sie vor Instanzbeendigung zu beheben (vgl. § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO; vgl. LAG Düsseldorf Beschluss vom 22.06.1989 - 14 Ta 21/89 - LAGE § 118 ZPO Entscheidung 6).

Da der Kläger des vorliegenden Verfahrens die Erklärung nach § 117 ZPO bis zum Abschluss des rechtswirksamen Vergleiches am 15.03.2002 nicht eingereicht hatte, hätte der Kammervorsitzende das PKH-Gesuch also zurückweisen müssen. Einer vorherigen Fristsetzung hinsichtlich der alsbaldigen Einreichung der Erklärung hätte es hier nicht bedurft, weil der Beschwerdeführer bei seinem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits auf das Fehlen der Erklärung hingewiesen und ihrer alsbaldigen Nachreichung angekündigt hatte.

Die Setzung einer neuen Frist zur Einreichung der Erklärung und die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf einen Zeitpunkt vor Instanzbeendigung war also nicht korrekt. An die dennoch bewilligte Prozesskostenhilfe ist die Urkundsbeamtin allerdings und aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes des Antragstellers und des Beschwerdeführers gebunden und hat sie ihrer Vergütungsfestsetzung zugrunde zu legen.

3.

Die Beschwerde ist begründet, weil die Urkundsbeamtin bei der Festsetzung der einzelnen Gebühren den Vergleichsmehrwert hätte berücksichtigen müssen. Denn dieser Mehrwert ist von der PKH-Bewilligung erfasst worden.

Es ist richtig, dass grundsätzlich von der PKH-Bewilligung nur der im Zeitpunkt der Stellung des Antrages anhängig gemachte Streitstoff erfasst wird und dass spätere Klageerweiterungen sowie Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in einem gerichtlichen Vergleich nur dann erfasst werden, wenn eine entsprechende Erweiterung des PKH-Antrages bzw. eine entsprechende Erweiterung der PKH-Bewilligung erfolgt ist. Dabei ist eine "stillschweigende" Ausdehnung des PKH-Beschlusses in aller Regel abzulehnen.

Diese Grundsätze vertritt die Beschwerdekammer in gefestigter Rechtsprechung (vgl. zuletzt Beschlüsse vom 14.03.2002 - 8 Ta 2/02 - und vom 07.10.2002 - 8 Ta 112/02).

Solcher Regelfall liegt hier aber nicht vor. Denn die vorliegende Fallkonstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kammervorsitzende nach Abschluss des gerichtlichen Vergleiches, in dem auch der nichtrechtshängige Anspruch des Klägers auf Schadensersatz geregelt ist, mit Rückwirkung auf einen Zeitpunkt vor Abschluss dieses Vergleiches für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt hat.

Bei dieser Fallgestaltung ist es so anzusehen, dass der Vorsitzende von einer stillschweigenden Antragserweiterung ausgegangen ist, dass er diese Antragserweiterung nach den Erfordernissen des § 114 ZPO geprüft hat und dass die umfassende Bewilligung nicht nur die vergleichsweise Regelung der rechtshängig gemachten Ansprüche betrifft, sondern auch die im Vergleich geregelten nichtrechtshängigen Ansprüche umfasst (so zu Recht auch LAG Hamm Beschluss vom 14.08.2000 - 14 Ta 448/2000 - nicht veröffentlicht; LAG Hamm Beschluss vom 08.11.2001 - 4 Ta 708/01 - LAGE-Report 2002, 89; vgl. auch LAG Berlin Beschluss vom 19.08.1992 - 12 Ta 8/92 - LAGE § 117 Entscheidung 7).

4.

Der Vergütungsfestsetzungsbeschluss war also insoweit aufzuheben, als die Urkundsbeamtin die unter Berücksichtigung des Mehrwerts des Vergleichs beantragten Gebühren nicht festgesetzt hat. Die Anordnung zur Festsetzung nach Maßgabe dieser Beschwerdeentscheidung war ihr gem. § 572 Abs. 3 ZPO n. F. in Verbindung mit §§ 128 Abs. 4, 10 Abs. 3 S. 4 BRAGO zu übertragen.

Die Entscheidung ergeht nach § 128 Abs. 5 BRAGO gebührenfrei.

Gegen sie ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 128 Abs. 4 S. 3 BRAGO).

Ende der Entscheidung

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