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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 12.12.2000
Aktenzeichen: 8 Ta 138/2000
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 91
ZPO § 515
BRAGO § 31
BRAGO § 32
1. Auch bei Zustellung einer "lediglich zur Fristwahrung" eingelegten Berufung hat der Berufungsbeklagte das Recht, einen Anwalt seines Vertrauens mit der Vertretung in der Berufungsinstanz zu betrauen. Die aus der Tätigkeit dieses Anwalts gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO entstehende volle Prozessgebühr ist vom Berufungskläger gem. § 515 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu erstatten, wenn er die Berufung zurücknimmt.

2. Die entstandene volle Prozessgebühr ermäßigt sich gem. § 32 Abs. 1 BRAGO auf die Hälfte, wenn die Berufung zurückgenommen wird, bevor der Vertreter des Berufungsbeklagten einen Schriftsatz mit einem Sachantrag eingereicht hat oder für seine Partei einen Termin wahrgenommen hat. Die bloße Vertretungs- und Verteidigungsanzeige stellt keinen Sachantrag i. S. d. § 32 Abs. 1 BRAGO dar.

3. Stellt der Vertreter des Berufungsbeklagten einen Sachantrag vor Berufungsrücknahme, ist die an sich entstandene volle Prozessgebühr ebenfalls nur zur Hälfte erstattungsfähig, wenn zum Zeitpunkt der Einreichung des Sachantrages die Berufungsbegründung noch nicht vorliegt. Denn dann handelt es sich um einen überflüssigen, lediglich aus Kosteninteressen gestellten Antrag, der nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigung und damit nicht als "notwendig" i. S. d. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden kann.


Tenor:

wird der Kostenfestsetzungsbeschluß der Rechtspflegerin beim Arbeitsgericht Gotha vom 11.10.2000 unter Zurückweisung der Beschwerde im übrigen insoweit aufgehoben, als zugunsten der Beschwerdegegnerin ein Betrag von mehr als DM 1.108,84 festgesetzt worden ist.

Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrages wird der Antrag auf Festsetzung der Kosten vom 20.09.2000 zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf DM 2.170,00 festgesetzt.

Gründe:

I

Gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgericht Gotha vom 06. Juni 2000, das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 09.06.2000 zugestellt worden war, legte die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 05.07.2000, der am 06.07.2000 beim Berufungsgericht einging, Berufung ein und wies darauf hin, daß die Einlegung der Berufung zunächst nur fristwahrend erfolgen sollte.

In einem außergerichtlichen Schreiben vom gleichen Tag an die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten bat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin "kolegialiter", sich zunächst nicht zur Akte zu melden, und kündigte rechtzeitige Information für den Fall an, daß die Berufung durchgeführt werden sollte.

Der Berufungsschriftsatz wurde der Beklagtenvertreterin am 18.07.2000 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 02.08.2000, der am gleichen Tag beim Berufungsgericht einging, beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die einmonatige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen Arbeitsüberlastung.

Mit Schriftsatz vom gleichen Tag an die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten bat er, vor Zustellung der Berufungsbegründung keine kostenauslösende Maßnahme einzuleiten.

Die begehrte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wurde mit Verfügung des Kammervorsitzenden vom 03.08.2000 gewährt.

Mit Schriftsatz vom 21.08.2000, beim Berufungsgericht eingegangen am gleichen Tag, beantragte die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, die Berufung zurückzuweisen und der Berufungsklägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Mit dem am 29.08.2000 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 28.08.2000 nahm der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die Berufung zurück. Dieser Schriftsatz wurde der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 30.08.2000 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 04.09.2000 beantragte die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten, die Kosten des Berufungsverfahrens der Berufungsklägerin nach § 515 Abs. 3 ZPO aufzuerlegen.

Mit Beschluß des Kammervorsitzenden vom 06.09.2000 wurde dieser Beschluß erlassen. Mit Beschluß vom 15.09.2000 wurde der Kostenstreitwert für die Berufungsinstanz auf DM 51.389,90 festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 20.09.2000 beantragte die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten die Festsetzung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens gegen die Klägerin, und zwar 13/10-Gebühr nach §§ 11, 31 Abs. 1 S. 1 BRAGO in Höhe von DM 1.831,10 zuzüglich Pauschale nach § 26 BRAGO und Mehrwertsteuer.

Nach Anhörung der Klägerin setzte die Rechtspflegerin mit Beschluß vom 11.10.2000 die Kosten wie beantragt fest.

Gegen diesen ihm am 18.10.2000 zugestellten Beschluß legte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit dem am 01.11.2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag sofortige Beschwerde ein und trug zur Begründung vor, es entspräche der ständigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und auch der Landesarbeitsgerichte, daß der Gegner bei einem zunächst nur zur Fristwahrung eingelegten Rechtsmittel unter Erstattungsgesichtspunkten im Regelfall gehalten sei, von der Beauftragung eines Rechtsanwalts für das Rechtsmittelverfahren zunächst Abstand zu nehmen, wenn der Rechtsmittelkläger ihn hierum gebeten habe.

Die Rechtspflegerin legte mit Verfügung vom 07.11.2000 die sofortige Beschwerde dem Beschwerdegericht vor.

Die Beklagte hat zur Beschwerde keine Stellung genommen.

II

Die nach §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 2 S. 2 ZPO, 78 ArbGG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde, die nach der ab 01.10.1998 geltenden Neufassung von § 11 RPflG ohne Abhilfeentscheidung der Rechtspflegerin oder des erstinstanzlichen Richters dem Beschwerdegericht vorgelegt werden konnte (§ 39 RPflG), ist zulässig. Obwohl die Klägerin keinen ausdrücklichen Antrag gestellt hat, wird aus der Beschwerdebegründung ausreichend ersichtlich, daß sie die Aufhebung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses und die Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrages erstrebt.

Die Beschwerde ist auch teilweise begründet, weil die Rechtspflegerin der Klägerin, die nach dem unanfechtbaren Beschluß vom 06.09.2000 zur Tragung der Kosten der Berufungsinstanz verpflichtet ist, eine zu hohe Anwaltsgebühr auferlegt hat.

Ohne daß Veranlassung bestünde, auf die seit Jahren anhaltende kontroverse Diskussion über die Höhe der erstattbaren gegnerischen Anwaltskosten bei Rücknahme eines nur zur Fristwahrung eingelegten Rechtsmittels einzugehen (vgl. Nachweise über den Stand der Diskussion bei Hansens BRAGO 8. Aufl. § 32 Rnr. 18 ff; Wenzel in GK-ArbGG § 12 a Rz. 107; LAG Hamm Beschluß vom 20.07.1998 - 4 Sa 428/98 - MDR 98, 1440), geht das Beschwerdegericht bei dieser Fallkonstellation seit jeher von folgenden Grundsätzen aus:

a)

Ist die erstinstanzlich obsiegende Partei in dieser Instanz anwaltlich vertreten worden, dann muß die Berufungsschrift gem. § 210 a Abs. 1 ZPO in der Regel an ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zugestellt werden.

Durch die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift und die Weiterleitung an die Partei erwächst dem Prozeßbevollmächtigten aber weder eine halbe (so aber offenbar Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluß vom 13.12.1999 - 9 Ta 620/99, Leitsatz in Der Betrieb 2000, 1236) noch eine ganze Prozeßgebühr, weil diese Tätigkeit noch vom erstinstanzlichen Auftrag erfaßt und mit der erstinstanzlich verdienten Prozeßgebühr abgegolten wird (§ 13 Abs. 1 BRAGO).

Ebenso wie in dem Fall, daß die obsiegende Partei erstinstanzlich nicht vertreten worden war und daß ihr deshalb nach § 210 a Abs. 2 ZPO die Rechtsmittelschrift persönlich zugestellt wurde, steht ihr aber schon aus Gründen der Waffengleichheit und wegen der regelmäßig zu unterstellenden Unkenntnis der diffizilen Regelungen des Berufungsverfahrens das Recht zu, den erstinstanzlichen oder einen anderen Anwalt mit ihrer Vertretung in der Berufungsinstanz zu beauftragen. Dies gilt auch für den Fall, daß die Berufung nur "fristwahrend" eingelegt worden ist, denn mit diesem Ausdruck und seiner prozessualen Bedeutung kann die Natur-Partei zunächst nichts anfangen, und es bedarf der Erklärung durch einen sachkundigen Prozeßvertreter, welche Maßnahmen einzuleiten oder zunächst noch nicht einzuleiten sind. Es kann der Partei auch nicht angesonnen werden, den erstinstanzlichen oder einen anderen Anwalt zunächst einmal nur um die Erteilung eines Rats oder einer Auskunft mit den Auswirkungen einer geringeren Kostenbelastung nach § 20 BRAGO aufzusuchen. Eine solche Auffassung wäre lebensfremd. Genauso wie der Prozeßgegner zur Einleitung der Berufungsinstanz einen Rechtsanwalt beauftragt hat, muß es auch dem Prozeßgegner unbenommen bleiben, einen Anwalt seines Vertrauens - und das ist in der Regel der erstinstanzliche Anwalt - mit der Vertretung in dieser Instanz zu beauftragen und sich in diesem Rahmen Informationen über das weitere Vorgehen und über die Aussichten in dieser Instanz zu verschaffen. Durch diese Tätigkeit des Anwalts, die keineswegs eine nach außen deutlich werdende Tätigkeit sein muß, verdient der Prozeßbevollmächtigte die Prozeßgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO, und zwar nach § 11 Abs. 1 S. 4 BRAGO in Höhe von 13/10 (so schon Thüringer Landesarbeitsgericht Beschluß vom 23.03.2000 - 8 Ta 33/2000 n. v.).

Da die Beauftragung eines Anwalts für die Berufungsinstanz nach der hier vertretenen Auffassung für den Berufungsgegner gerechtfertigt erscheint und als zweckentsprechende Prozeßführung anzusehen ist, sind die dadurch entstehenden Kosten auch als "notwendig" i. S. des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO anzusehen und vom Berufungskläger nach Rücknahme der Berufung zu erstatten.

b)

Endet der Auftrag, etwa durch ihm zur Kenntnis gelangte Berufungsrücknahme, bevor der vom Berufungsgegner bestellte Anwalt einen Schriftsatz mit einem Sachantrag gestellt oder einen Termin wahrgenommen hat, ermäßigt sich die bereits in voller Höhe verdiente Prozeßgebühr auf die Hälfte (§ 32 Abs. 1 ZPO).

Ein Sachantrag i. S. dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn ihm entnommen werden kann, welche gerichtliche Sachentscheidung der Berufungsbeklagte gegenüber dem Berufungskläger erstrebt. Darunter fällt also der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels. Die volle Prozeßgebühr wird aber nicht ausgelöst, wenn dieser Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten nur eine Vertretungs- oder Verteidigungsanzeige enthält. In diesen Fällen liegt kein "Sachantrag" i. S. des § 32 Abs. 1 BRAGO vor (so schon Thüringer Landesarbeitsgericht Beschluß vom 18.01.1999 - 8 Ta 171/98 n. v. mit weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum).

c)

Stellt der Prozeßbevollmächtigte des Berufungsgegners - wie vorliegend - einen Sachantrag, bevor das Rechtsmittel von der Gegenseite begründet worden ist, und endet sodann der Auftrag durch Rechtsmittelrücknahme, dann wird die durch das Betreiben des Geschäfts an sich verdiente volle Prozeßgebühr ebenfalls auf die Hälfte ermäßigt bzw. ist nur noch in dieser ermäßigten Höhe erstattungsfähig, weil die Stellung des Sachantrags zu diesem Zeitpunkt noch nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigung und damit nicht als "notwendig" i. S. des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO angesehen werden kann.

Dies gilt ganz besonders - aber nicht entscheidend - für den Fall, daß die Gegenseite die Berufung nur fristwahrend eingelegt hat und auch bei Stellung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist deutlich gemacht hat, daß die tatsächliche Durchführung des Rechtsmittels noch offen ist, und gebeten hat, kostenauslösende Maßnahmen zunächst zurückzustellen.

Denn es erscheint nicht sachgerecht, daß der Rechtsanwalt schon einen Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels quasi "ins Blaue hinein" einreicht, bevor er sich auf der Grundlage der Rechtsmittelbegründung mit Umfang und Inhalt des Angriffs auf das erstinstanzliche Urteil überhaupt befassen kann (so schon Thüringer Landesarbeitsgericht Beschluß vom 21.09.1999 - 8 Ta 122/99 n. v.; vgl. OLG Nürnberg Beschluß vom 10.01.2000 - 10 WF 4338/99 MDR 2000, 415; anderer Auffassung Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluß vom 13.12.1999 a. a. O.).

Im Zeitpunkt der Einreichung handelt es sich um einen überflüssigen Antrag, dessen einziger Zweck darin besteht, eine Entstehung der vollen 13/10-Gebühr sicherzustellen (so zu Recht Wenzel a. a. O. Rz. 107 am Ende). Dieser rein im Anwaltsinteresse verfolgte Zweck läßt die dadurch ausgelöste volle Gebühr als nicht notwendig i. S. des § 91 ZPO und damit als nicht erstattungsfähig erscheinen.

III

Auf der Grundlage der dargestellten Grundsätze folgt für die hier zu beurteilende Fallgestaltung, daß die Beklagte nur eine halbe Prozeßgebühr mit Pauschale und Mehrwertsteuer für die Vertretung in der Berufungsinstanz von der Klägerin zur Erstattung verlangen kann. In diesem Rahmen hat der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluß Bestand, im übrigen war er aufzuheben und der Antrag auf Festsetzung der Kosten hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrages zurückzuweisen.

Ob daneben noch eine 13/10-Prozeßgebühr aus dem Kostenwert wegen der Erwirkung des Beschlusses nach § 515 Abs. 3 ZPO erstattungsfähig ist (so Thüringer Landesarbeitsgericht Beschluß vom 23.03.2000 - 8 Ta 33/2000), braucht nicht entschieden zu werden, weil ein solcher Kostenbeschluß mangels Antrag nicht ergangen ist. Es mag der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten Gelegenheit gegeben werden, ihren Antrag insoweit zu ergänzen.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Maß des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens (§ 92 Abs. 1 ZPO), wobei die Beklagte einen Teil der Kosten auch zu tragen hat, obwohl sie der Beschwerde nicht entgegengetreten ist (vgl. OLG Frankfurt Beschluß vom 27.07.1998 - 12 W 137/98 MDR 98, 1373; anderer Auffassung LAG Nürnberg Beschluß vom 16.09.1998 - 2 Ta 68/98 Juristisches Büro 99, 89; vgl. OLG Nürnberg Beschluß vom 02.08.1999 - 1 W 2438/99 MDR 99, 1407, Hake MDR 2000, 481).

Der Gegenstandswert ist auf die Höhe des angegriffenen Kostenfestsetzungsbetrages festzusetzen.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 78 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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