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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 13.11.2002
Aktenzeichen: 8 Ta 92/2002
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85
ZPO § 114 f
Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der verspäteten Einreichung von Bewilligungsunterlagen nach Abschluss der Instanz kann dem PKH-Antragsteller dann nicht zum Nachteil gereichen, wenn dem Gericht selber durch fehlerhafte Sachbehandlung Verfahrensfehler unterlaufen sind, die ursächlich dafür waren, dass vor Instanzbeendigung über das PKH-Gesuch nicht entschieden werden konnte.
Tenor:

wird unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 17.05.2002 - 3 Ca 553/01 - dem Kläger für das Verfahren vor dem Arbeitsgericht mit Wirkung ab 18.10.2001 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., N. gewährt.

Gründe:

I.

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung bzw. auf Zahlung von Vergütung beantragte der Kläger in der Klageschrift vom 18.10.2002 Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Klägervertreterin und reichte die ausgefüllte und mit Anlagen versehene Erklärung nach § 17 ZPO zu den Akten.

In Abschnitt E des Formulars betreffend "Einnahmen" waren alle Kästchen mit "nein" angekreuzt; handschriftlich war hinzugesetzt "Arbeitslosengeld beantragt".

Das PKH-Verfahren wurde in der Folgezeit offensichtlich nicht weiterbetrieben, und im Termin zur Güteverhandlung vom 23.11.2001 wurde die Notwendigkeit der Vorlage einer Bescheinigung über das seinem Beschwerdeführer gezahlte Arbeitslosengeld nach Darlegung seiner Prozessbevollmächtigten nicht erörtert.

Im Kammertermin vom 14.03.2002, in dem der Rechtsstreit durch rechtswirksamen Vergleich abgeschlossen wurde, wurde dem Beschwerdeführer aufgegeben, im Hinblick auf das PKH-Verfahren eine Bescheinigung des Arbeitsamtes über gezahltes Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe innerhalb der nächsten zwei Wochen vorzulegen. Da der Kläger den ihm am 21.02.2002 zugegangenen Bescheid des Arbeitsamtes N. vom 19.02.2002 nicht binnen der gesetzten Frist zu den Akten gereicht hatte, wies die Kammervorsitzende mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.05.2002 den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurück.

Gegen diesen am 25.05.2002 der Klägervertreterin zugestellten Beschluss legte diese mit Schriftsatz vom gleichen Tag, der ebenfalls am gleichen Tag beim Arbeitsgericht einging, Beschwerde ein und ersuchte hilfsweise "wiedereinsetzend um Abhilfe".

Zur Begründung führte sie aus, dass die Gründe des Beschlusses rechtlich nicht zu beanstanden seien; es sei lediglich auf ein Büroversehen der Unterzeichnenden zurückzuführen, dass der angeforderte Bewilligungsbescheid über Arbeitslosengeld letztlich zur Handakte genommen und nicht an das Arbeitsgericht weitergeleitet worden sei.

Nach rechtlichen Hinweisen der Bezirksrevisorin half der Kammervorsitzende mit Beschluss vom 22.07.2002 der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Beschwerdegericht vor; zur Begründung wies er unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12.06.2001 darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müsste. Nach einem umfänglichen Auflagenbeschluss des Beschwerdegerichts legte die Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers im einzelnen dar, aus welchen Gründen in ihrer Kanzlei die rechtzeitige Vorlage des Bescheids versäumt worden sei.

II.

Die nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO n. F. statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dazu, dass dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Arbeitsgericht mit Wirkung des Klageeingangs Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten gewährt wird.

1.

Dabei bedarf es vorliegend keiner Entscheidung der Frage, ob dem PKH-Antragsteller ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten bei der Antragstellung oder im Laufe des PKH-Verfahrens gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird. Die Beschwerdekammer neigt aber dazu, unter Hintansetzung der früher geäußerten Bedenken der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 12.06.2001 XI ZR 161/01, MDR 01, 1312 = Juristisches Büro 02, 32) zu folgen, weil es dem Hinweis des Bundesgerichtshofes, dass nämlich "der Gesetzgeber ... in § 85 Abs. 2 ZPO die Gleichstellung des Verschulden eines Bevollmächtigten mit dem Verschulden der Partei ohne Einschränkung angeordnet, diese Regelungen die allgemeinen Vorschriften des ersten Buchs der Zivilprozessordnung eingestellt und sie dann dadurch mit einem umfassenden Geltungsanspruch ausgestattet sowie in den Bestimmungen über die Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff ZPO) keine Sondervorschriften zur Frage der Anrechnung des Verschuldens von Prozessbevollmächtigten aufgenommen (habe)" für überzeugend hält und in § 85 Abs. 2 ZPO eine grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers in Anlehnung an entsprechenden Vorschriften des materiellen Rechts sieht, dass sich nämlich jede Partei, die sich durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lässt, das Verschulden dieses Bevollmächtigten bei einer Prozesshandlung oder einer mit dem Prozessgeschehen in untrennbarem Zusammenhang stehenden Handlung so zu rechnen lassen muss, als hätte sie selbst mit eigenem Verschulden gehandelt (vgl. allgemein zur Zurechnung des Verschuldens von Bevollmächtigten, insbesondere im Kündigungsrecht und im Kündigungsschutzverfahren, Griebeling NZA 02, 838 f).

2.

Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es hier nicht, weil dem Arbeitsgericht selbst so erhebliche Verfahrensfehler bei der Behandlung des PKH-Antrags unterlaufen sind, dass ein etwaiges Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers nach Abschluss der Instanz dagegen nicht ins Gewicht fällt und unerheblich erscheint.

Der Hinweis der Bezirksrevisorin, dass nach Beendigung der Instanz Prozesskostenhilfe in aller Regel nicht mehr bewilligt werden könne, ist sachlich richtig, bedarf aber einer Einschränkung - wie es die Bezirksrevisorin auch richtig sieht und wie es der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer entspricht - für den Fall, dass das Gericht die Entscheidung über den PKH-Antrag durch nachlässige oder fehlerhafte Behandlung verzögert hat. Man spricht dann von einem sog. "steckengebliebenen" PKH-Gesuch, das vor Instanzbeendigung vom Gericht nicht hat verbeschieden werden können oder infolge nicht ordnungsgemäßer Sachbehandlung nicht entschieden worden ist (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 08.11.2001, 4 Ta 708/01, LAGE-Report 02, 89; LAG Hamm, Beschluss vom 08.08.2002, 4 Ta 489/02, noch nicht veröffentlicht).

Bei der vorliegenden Fallgestaltung hätte das Arbeitsgericht nach Vorlage der ordnungsgemäß ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers die beantragte Prozesskostenhilfe ohne weiteres gewähren können, obwohl der Beschwerdeführer über die Höhe des gewährten und noch nicht beschiedenen Arbeitslosengeldes naturgemäß keine Aussage machen konnte. Denn damit hatte er weder zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage "Einnahmen" noch waren solche vor Ablauf von einigen Wochen oder - wie es sich gezeigt hat - einigen Monaten zu erwarten. Er war also "bedürftig" i. S. des § 114 ZPO a. F. Nach Bewilligung des Arbeitslosengeldes hätte dann ggf. § 120 Abs. 4 S. 1 ZPO bei wesentlicher Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers die Prozesskostenhilfe aufgehoben oder Ratenzahlung angeordnet werden können.

Das Gericht hätte aber auch die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe zumindest bis zur Güteverhandlung zurückstellen können und beim Arbeitsamt über den zu erwartenden Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld bzw. über die Höhe des voraussichtlichen Arbeitslosengeldes Auskünfte einholen können (vgl. § 118 Abs. 2 S. 2 ZPO; LAG Köln, Beschluss vom 19.05.1998, 11 Ta 70/98, LAGE § 117 Entsch. 8).

Zumindest aber hätte es dem Beschwerdeführer aufgeben können und müssen, den Bescheid des Arbeitsamtes nach Eingang bei ihm unverzüglich zu den Akten zu reichen, um dann ohne jede weitere Verzögerung über den PKH-Antrag entscheiden zu können. Denn durch eine solche rechtzeitig und vor Instanzbeendigung gesetzte Frist über die Abgabe weiterer Erklärungen bzw. die Einreichung weiterer Unterlagen, die nach Auffassung des Gerichts zur Entscheidung über den PKH-Antrag benötigt werden, ist eine Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO wegen mangelnder Mitwirkung des Antragstellers bei der Ermittlung der Bewilligungsvoraussetzungen nicht möglich (so zu Recht LAG Düsseldorf, Beschluss vom 22.06.1989, 14 Ta 210/89, LAGE § 118 ZPO Entsch. 6; LAG Hamm, Beschluss vom 30.03.2001, 4 Ta 617/2000, LAGE § 117 ZPO Entsch. 10).

Hätte der Kammervorsitzende diesen Hinweis mit Fristsetzung gegeben und hätte er den persönlich geladenen Beschwerdeführer im Termin zur Güteverhandlung auf diese Probleme nochmals angesprochen, dann könnte nach dem sog. Grundsatz des aufklärungsrichtigen Verhaltens davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nach Eingang des Bescheides des Arbeitsamtes bei ihm diesen Bescheid direkt oder über seine Prozessbevollmächtigte zu den Akten gereicht hätte. Der Kammervorsitzende hätte dann noch vor der Kammerverhandlung über den PKH-Antrag entscheiden können, und es hätte keiner Fristsetzung über das Instanzende hinaus bedurft, die den Beschwerdeführer der Gefahr aussetzte, die Frist aus eigenem oder Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zu versäumen.

Aus alledem folgt also, dass dem Beschwerdeführer ausnahmsweise auch nach Instanzbeendigung mit Rückwirkung Prozesskostenhilfe zu gewähren ist. Dies kann das Beschwerdegericht unter Aufhebung des Ablehnungsbeschlusses nachholen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (Nr. 9301 Anlage 1 zu § 12 ArbGG).

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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