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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 08.05.1996
Aktenzeichen: 9 TaBV 15/95
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 78 a
1) Bei der Prüfung von betrieblichen Bedürfnissen, die eine Übernahme eines Jugendvertreters gem. § 78 a Abs. 4 BetrVG unzumutbar machen, sind Leistungsunterschiede zu anderen Auszubildenden in der Regel nicht zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Leistungsunterschied nicht (nur) in der Prüfungsnote, sondern auch in einer leistungsbezogenen Verkürzung der Ausbildungszeit ausdrückt.

2) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, eine in absehbarer Zeit bevorstehende Beendigung der Ausbildungszeit eines Jugendvertreters bei Einstellungs- und Übernahmeentscheidungen zu berücksichtigen. Dabei kann der maßgebliche Zeitraum jedenfalls dann auch sechs Monate betragen, wenn der Arbeitgeber andere Auszubildende desselben Prüfungsjahrgangs nach vorgezogener Prüfung (sog. "Verkürzer") aus rein sozialpolitischen Erwägungen übernimmt, ohne dass es dafür einen betrieblichen Bedarf gibt.


Tenor:

Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 4) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 22.08.1995 (Az.: 3 BV 7/95) abgeändert.

Der Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines Mitgliedes der Jugend- und Auszubildendenvertretung nach Beendigung seiner Ausbildung.

Der Antragsgegner wurde von der Antragstellerin in ihrer Niederlassung E. als Kommunikationselektroniker ausgebildet. Er ist Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Seine Abschlussprüfung bestand er nach dem Ende der regulären Ausbildungszeit am 21.02.1995. Mit ihm zugleich legten in der Niederlassung E. weitere 43 Auszubildende ihre Prüfung zum Kommunikationselektroniker ab. Die Antragstellerin übernahm keinen dieser Ausgebildeten in ein Arbeitsverhältnis.

Mit Schreiben vom 19.01.1995 verlangte der Antragsgegner bei der Antragstellerin seine Weiterbeschäftigung nach Beendigung der Ausbildung.

Im Zuge der Privatisierung der Antragstellerin wurden bereits seit Jahren Unternehmenskonzepte entwickelt, die mit einem gravierenden Personalabbau verbunden waren. Der Vorstand der Antragstellerin beschloss am 17.08.1993, den Personalbestand bis Ende 1998 um mindestens 30 000 Arbeitnehmer zu senken; diese Konzeption wurde gem. Rundschreiben des Vorstands der Antragstellerin vom 10.02.1995 dahingehend fortgeschrieben, dass im Jahre 2000 mit nur noch 170 000 Mitarbeitern 60 000 weniger als derzeit beschäftigt werden können.

Trotz eines generellen Einstellungsstops wurden in den neuen Bundesländern auf Grund eines Vorstandsbeschlusses 1994 150 Kommunikationselektroniker übernommen, für die jedoch kein betrieblicher Bedarf im engeren Sinne bestand. Die Auszubildenden wurden ausdrücklich aus "sozialpolitischen Erwägungen" übernommen. Im Zuge dieser Kontingentierung wurden im August 1994 in E. drei auszubildende Kommunikations-elektroniker übernommen, deren reguläre Ausbildungszeit erst im Februar 1995 (wie die des Antragsgegners) enden sollten, die jedoch auf Grund besonderer Leistung ihre Ausbildungszeit um ein halbes Jahr verkürzen durften (sog. "Verkürzer).

Die Generaldirektion der Antragstellerin schrieb am 13.12.1994 an die Präsidenten der Direktionen der Antragstellerin, dass im Jahr 1995 u. a. 200 Arbeitsplätze für "Ke-Verkürzer (Prüfungsjahrgang 1996)" vorgesehen seien. Nach einem mit Rundschreiben vom 26.05.1995 versandten Verteilerschlüssel waren der Niederlassung E. insoweit 20 Stellen zugeteilt worden.

Die Antragstellerin hat in dem am 02.03.1995 beim Arbeitsgericht eingehenden Antragsschreiben die Auffassung vertreten, die Weiterbeschäftigung des Antragsgegners könne ihr nach § 78 a Abs. 4 Nr. 2 BetrVG nicht zugemutet werden. Wenn es dem Arbeitgeber nach der Rechtsprechung unzumutbar sei, Auszubildende weiterzubeschäftigen, falls zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses keine freien Arbeitsplätze vorhanden seien, gelte dies auch für die Situation der Antragstellerin.

§ 78 a BetrVG verpflichte einen Arbeitgeber nicht dazu, neue Arbeitsplätze zu schaffen. § 78 a BetrVG schütze lediglich vor einer Ungleichbehandlung; da aber seitens der Antragstellerin ein allgemeiner, auf eindeutig bestimmten und objektiv nachprüfbaren Maßstäben berufende Einstellungsstop ergangen sei, seien alle Beschäftigten in gleicher Weise von der Maßnahme betroffen, ohne dass eine Benachteiligung von Mitgliedern der Jugend- und Auszubildendenvertretung zu befürchten sei. Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Antragstellerin wird auf Bl. 1 - 33 d. A. verwiesen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

das Arbeitsverhältnis mit dem Antragsgegner aufzulösen.

Der Antragsgegner und die Beteiligten zu 3) und 4) haben beantragt,

den Antrag der Antragstellerin abzuweisen.

Die Beteiligten zu 2) - 4) halten die Weiterbeschäftigung des Antragsgegners für die Antragstellerin zumutbar. Ein Arbeitsbedarf sei vorhanden, was sich bereits aus der Anzahl der geleisteten Überstunden und des hohen Prozentsatzes an der Fremdvergabe von Arbeiten zeige. Die Antragstellerin habe nicht dargetan, dass ein für den Antragsgegner geeigneter Arbeitsplatz etwa mangels entsprechenden Arbeitsbedarf nicht vorhanden sei. Die Vorgabe des Vorstandes, die Antragstellerin müsse sparen und deswegen ihre Mitarbeiterzahl reduzieren, sage zum Vorhandensein von Arbeitsplätzen nichts aus. Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, dass die Arbeitsplätze für die übernommenen 200 Kommunikationselektroniker ("Verkürzer") im August 1995 zwar vorhanden seien, für den Antragsgegner jedoch im Februar 1995 kein einziger Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe. Wegen weiterer von den Beteiligten zu 2) bis 4) erstinstanzlich vorgetragenen Einzelheiten wird auf Bl. 40 - 42 d. A. verwiesen.

Das Arbeitsgericht Erfurt hat mit Beschluss vom 22.08.1995 das Arbeitsverhältnis der Parteien antragsgemäß aufgelöst. Es ist davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses kein auf Dauer angelegter Arbeitsplatz für den Antragsgegner zur Verfügung gestanden habe und deshalb eine Weiterbeschäftigung unzumutbar für die Antragstellerin gewesen sei. Es handele sich bei der Entscheidung der Antragstellerin zum Abbau von insgesamt 60 000 Arbeitsplätzen bis zum Jahre 2000 um eine Unternehmerentscheidung, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern entfallen sei. Analog zum Kündigungsschutzrecht sei es dem Arbeitsgericht verwehrt, diese Unternehmerentscheidung auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen; sie sei jedenfalls nicht offenbar unvernünftig oder willkürlich.

Dementsprechend habe die Antragstellerin auch keinen der 44 Prüflinge aus dem Februar 1994 in ein Arbeitsverhältnis übernommen; dadurch sei auch eine Benachteiligung des Antragsgegners als Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung zuverlässig ausgeschlossen worden.

Wegen der weiteren Darlegungen des Arbeitsgerichts wird auf den Beschluss (Bl. 54 - 59 d. A.) verwiesen.

Dieser Beschluss wurde dem Antragsgegner und den Beteiligten zu 3) und 4) am 28.08.1995 zugestellt. Hiergegen haben sie am 20.09.1995 Beschwerde eingelegt und diese im gleichen Schriftsatz begründet.

Der Antragsgegner und die Beteiligten zu 3) und 4) tragen vor, dass bei der Niederlassung E. der Antragstellerin Arbeit vorhanden sei, die teilweise durch Beschäftigte verrichtet werde, die vorübergehend aus Niederlassungen in den alten Bundesländern abgeordnet seien und dass weiterhin Arbeit durch Überstunden und Fremdvergabe erledigt werde. Das Arbeitsgericht habe ferner nicht bewertet, dass bei der Niederlassung E. im Sommer 1995 "Verkürzer" übernommen worden seien. Dies lasse den Rückschluss zu, dass auch schon im Februar 1995 ein Einstellungsbedarf bestanden haben müsse. Wegen des weiteren Vorbringens der Beschwerdeführer wird auf Bl. 65 - 68, 133 - 135 u. 139 - 141 d. A. verwiesen.

Der Antragsgegner und die Beteiligten zu 3) und 4) beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 22.08.1995 (Az.: 3 BV 7/95) aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie beruft sich zunächst auf die arbeitsgerichtliche Entscheidung und betont, dass die aus sozialen Erwägungen übernommenen bzw. zur Übernahme vorgesehenen Auszubildenden im Jahre 1995 sich auf den Prüfungsjahrgang 1996 ("Verkürzer"-Prüfung 1995) bezog, den Antragsgegner mithin nicht erfasste, und dass zum anderen hier objektive und nicht diskriminierende Kriterien angelegt würden, nämlich die vorzeitige Prüfung und (falls erforderlich) der Notendurchschnitt. Sie legt ferner im Einzelnen dar, wie sich die Personalbestands- und Bedarfsentwicklung für verschiedene Laufbahnen, auf denen Kommunikationselektroniker einsetzbar sind, im Jahre 1995 im Bereich der Niederlassung E. vollziehen sollte. Die Entscheidung, einen bestimmten Arbeitsüberhang mit Fremdfirmen und Überstunden zu bewältigen, sei als freie Unternehmerentscheidung nicht zur Nachprüfung durch die Gerichte gestellt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren wird auf Bl. 82 - 128 und 139 - 141 d. A. verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners und der Beteiligten zu 3) und 4) ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und wurde form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6, ArbGG, 518, 519 Abs. 2 und 3 ZPO, und damit insgesamt zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Weiterbeschäftigung des Antragsgegners ist der Antragstellerin unter Berücksichtigung aller Umstände zumutbar, § 78 a Abs. 4 BetrVG.

1.

Es kann dabei zugunsten der Antragstellerin unterstellt werden, dass zum Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses durch die Ablegung der Prüfung durch den Antragsgegner im Februar 1995 kein freier Arbeitsplatz als Kommunikationselektroniker bei der Antragstellerin in der Niederlassung E. vorhanden war.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist der Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses maßgebend für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung (grundlegend BAG Urteil vom 16.01.1979, AP Nr. 5 zu § 78 a BetrVG; BAG Urteil vom 15.01.1980, BAGE 32, 285 = AP Nr. 9 zu § 78 BetrVG 1972; BAG Beschluss vom 29.11.1989, BAGE 63, 319 = AP Nr. 20 zu § 78 a BetrVG 1972; zuletzt Beschluss vom 16.08.1995, BB 1996, 537; so auch GK-Kreutz, BetrVG, 5. Aufl. 1995, § 78 a Rnr. 96; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl. 1991, § 78 a Rnr. 26; Becker-Schaffner, DB 1987, 2647, 2650; a. A. (Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) LAG Hamm, Beschluss v. 30.03.1988, LAGE § 78 a BetrVG Nr. 5; Fitting/Kaiser/Hei-ther/Engels, BetrVG, 18. Aufl. 1996, § 78 a Rnr. 37; Kittner/Trittin, KSchR, 2. Aufl. 1995, § 78 a BetrVG Rnr. 39; Pielsticker, Der Schutz in Ausbildung befindlicher Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen nach § 78 a BetrVG, 1987, S. 141).

2.

Es mag auch davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitgeber in dieser Situation nicht verpflichtet ist, durch organisatorische Veränderungen, wie z. B. Änderung betrieblicher Schichtpläne, Arbeitsplätze neu zu schaffen, um eine Weiterbeschäftigung des Jugend- und Auszubildendenvertreters zu gewährleisten (BAG Urteil v. 15.01.1980, a. a. O., S. 289 f; BAG Beschluss vom 29.11.1989, a. a. O., S. 338 f; LAG Düsseldorf vom 19.09.1995, - 8 TaBV 53/95 -), was wegen der an § 626 Abs. 1 BGB orientierten Formulierung von § 78 a Abs. 4 BetrVG keineswegs selbstverständlich ist; wenn die Anforderungen nahe an eine außerordentliche Kündigung kommen müssen, ist es systematisch nur schwer begründbar, warum dann nicht einmal die Anforderungen an eine Umstrukturierung bei der Bewältigung der vorhandenen Arbeit gem. § 1 Abs. 2 KSchG, also bei einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung verlangt werden sollen (vgl. dazu auch Kittner/Trittin, a. a. O., Rnr. 36, die den Abbau von Überstunden und die Umverteilung von Aufgaben im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers verlangen, ebenso LAG Niedersachsen, Beschl. v. 11.03.1994, LAGE § 78 a BetrVG Nr. 7; ferner Fitting/Kaiser/Heither/Engels, a. a. O., Rnr. 45; GK-Kreutz, a. a. O., Rnr. 78; Reinecke, DB 1981, 889, 893 f; Schäfer, AuR 1978, 202, 206 f; KR-Weigand, 4. Aufl. 1996, § 78 a BetrVG, Rnr. 41, Däubler/Kittner/ Klebe, BetrVG, 5. Aufl. 1996, § 78 a Rnr. 36). Diesen Widerspruch hat auch das BAG in seiner Entscheidung vom 16.01.1979 (a. a. O.) nicht auflösen können, wenn es einerseits das Ausmaß des Schutzes durch § 78 a BetrVG ausdrücklich an § 626 Abs. 1 BGB orientiert und demjenigen nach §§ 15 KSchG, 103 BetrVG annähert (zust. Becker-Schaffner, a. a. O., S. 2649 f; Schäfer, NZA, 1985, 418) und dies im folgenden für personenbezogene Gründe der Unzumutbarkeit auch ausführt, weiter für betriebsbezogene Gründe sogar "zwingende betriebliche Notwendigkeiten" (zust. KR-Weigand, a. a. O., Rnr. 41) verlangt, andererseits aber an den Arbeitgeber nicht einmal die Anforderungen an eine Umstrukturierung der Bewältigung der vorhandenen Arbeit stellt, die schon eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG fordert, bei der es lediglich um "dringende" und nicht "zwingende" betriebliche Erfordernisse geht (ebenso bereits LAG Niedersachsen Beschluss v. 11.03.1994, a. a. O.; Reinecke, a. a. O., S. 893 f; Pielsticker, a. a. O., S. 111).

Folgt man jedoch der o. a. Auffassung des BAG, könnte der Antragsgegner nicht verlangen, dass Überstunden abgebaut werden, um für einen Arbeitsplatz zu schaffen.

3.

Die Beschwerde ist aber auch unter diesen Prämissen begründet, weil die Antragstellerin im August 1994 Auszubildende übernommen hat, ohne den Antragsgegner, der seine Prüfung im Februar 1995 ablegte, dabei perspektivisch zu berücksichtigen, wozu sie aber verpflichtet war. Im Einzelnen:

a)

Der Kern der Ratio von § 78 a BetrVG ist das Benachteiligungs- (und Bevorzugungs-) Verbot des Jugendvertreters durch den Arbeitgeber. Der Jugendvertreter soll nicht besser, aber in jedem Fall auch nicht schlechter gestellt werden als ein anderer Auszubildender in seiner Lage, § 78 Satz 2 BetrVG. § 78 a BetrVG stellt eine besondere gesetzliche Ausformung dieses Benachteiligungsverbotes dar (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, a. a. O., § 78 a Rnr. 1; KR-Weigand, a. a. O., § 78 a Rnr. 2 f). Der Gesetzgeber hat bei Nichtübernahme eines Jugendvertreters eine durch den Arbeitgeber widerlegbare Vermutung dafür konstituiert, dass diese Nichtübernahme eine ungerechtfertigte Benachteiligung darstellt und deshalb gegen § 78 Satz 2 BetrVG verstößt. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung (nur) durch die Darlegung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung widerlegen.

Eine solche vom Gesetzgeber sanktionierte Ungleichbehandlung des Antragsgegners ist aber vorliegend erfolgt. Dies macht ein Vergleich der Situation des Antragsgegners mit den anderen Auszubildenden seines Prüfungsjahrgangs deutlich.

Dabei ist entgegen der Ansicht der Beteiligten nicht auf die im Jahre 1995 durch die Antragstellerin real vorgenommenen Übernahmen von Auszubildenden abzustellen.

Vergleichsgruppe für den Antragsgegner kann nur die Gruppe der Auszubildenden seines Prüfungsjahrgangs sein, d. h. diejenigen Auszubildenden, die regulär im Februar 1995 ihre Abschlussprüfung ablegten.

Es ist zwar zutreffend, dass von den Prüflingen, die im Februar 1995 ihre Prüfung ablegten, kein Auszubildender übernommen worden ist. Zu der Gruppe des Prüfungsjahrgangs Februar 1995 gehören aber nicht nur diejenigen Auszubildenden, die zu diesem Zeitpunkt nach Absolvierung der regulären Lehrzeit ihre Prüfung abgelegt haben, sondern auch diejenigen Auszubildenden, die auf Grund besonderer Leistungen nach einer Verkürzung der Ausbildungszeit im August 1994 ihre Prüfung abgelegt haben. Auch mit ihnen ist der Antragsgegner zu vergleichen und auch ihnen gegenüber darf er nicht benachteiligt werden.

Dieses Gebot ergibt sich daraus, dass die Verkürzung der Ausbildungszeit um ein halbes Jahr den Auszubildenden auf Grund besonderer Leistungen gewährt wurde.

Es ist aber nicht auszuschließen, dass der zu dem gleichen Prüfungsjahrgang (Februar 1995) gehörende Antragsgegner ohne die Übernahme der Funktion in der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei der Antragstellerin bessere Leistungen in seiner Ausbildung erbracht hätte und somit auch zu den Ausbildungsverkürzern gestoßen wäre. Die Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung verlieren notgedrungen durch ihre Amtstätigkeit Ausbildungszelten, die Auszubildende, die keine Mitglieder der Jugendvertretung sind, zur Verbesserung ihrer praktischen Ausbildungskenntnisse nutzen können (LAG Hamm, Beschluss vom 21.10.1992, LAGE § 78 a BetrVG Nr. 6). Deshalb dürfen Leistungsunterschiede beim Abschluss insoweit nicht zur Diskriminierung von Jugendvertretern führen (a. A. Löwisch, BetrVG, 2. Aufl. 1989, § 78 a Rnr. 5). Daher ist auch die Auffassung von Pielsticker (a. a. O., S. 107), wonach ein Leistungsunterschied von zwei Noten eine Nicht-Weiterbeschäftigung des JAV-Mitglieds rechtfertigen kann, zu eng. Pielsticker selbst weist darauf hin, dass im Unterschied zu § 78 BetrVG, der eine ungerechtfertigte Benachteiligung oder Bevorzugung von Mitgliedern von Betriebsverfassungsorganen bei Fehlen eines sachlichen Grundes (vgl. dazu GK-Kreutz, a. a. O., § 78 Rnr. 34 ff) verbietet, § 78 a Abs. 4 BetrVG das Vorhandenseins eines sachlichen Grundes gerade nicht ausreichen lässt, sondern eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung verlangt (Pielsticker, a. a. O., S. 105).

Dies muss auch dann gelten, wenn sich die Leistungsunterschiede in einer Verkürzung der Ausbildungszeit bemerkbar machen.

Die Pflicht zur Außerachtlassung von Leistungsunterschieden ergibt sich auch aus dem weiteren Schutzzweck des § 78 a BetrVG, der Sicherstellung der zeitlichen Kontinuität des Betriebsverfassungsorgans (vgl. dazu BAG AP Nr. 5 zu § 78 a BetrVG 1972, zu H. 2.a d.Gr.; Beschluss vom 16.08.1995, a. a. O., S. 7, Fitting/Kaiser/Heither/Engels, a. a. O., § 78 a Rnr. 1; Hess/Schlochauer/Glaubitz, a. a. O., Rnr. 3; Kittner/Trittin, a. a. O., Rnr. 2, Nielebock, AiB 1990, 219). Denn diese ließe sich bei Berücksichtigung von Leistungsunterschieden nicht mehr dem gesetzgeberischen Auftrag entsprechend wahren. Die Qualität der Arbeits-(und Ausbildungs-)leistung des Mitglieds des Betriebsverfassungsorgans darf sich nicht auf den Bestand seines Arbeitsverhältnisses und damit seiner Amtsinhaberschaft auswirken.

b)

Daraus ergibt sich, dass eine leistungsbezogene Auswahl bei der Übernahme von Auszubildenden hinsichtlich des Jugend- und Auszubildendenvertreters gem. § 78 a BetrVG in der Regel nicht zulässig ist (Schwedes, BArbBl 1974, 9, 11; Schäfer, AuR 1978, 202, 207; LAG Berlin Beschluss v. 18.07.1995, 12 TaBV 1/95, n. v.) Ist der Arbeitgeber überhaupt in der Lage, einen Teil von Auszubildenden zu übernehmen, so muss er die Organmitglieder nach § 78 a BetrVG ungeachtet ihrer Ausbildungsnote einbeziehen (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, a. a. O. Rnr. 42, Däubler/Kittner/Klebe, a. a. O. Rnr. 3 - 1; Kittner/Trittin, a. a. O. Rnr. 33; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.1975, DB 1975, 1995, 1996; GK-Kreutz, a. a. O. Rnr. 70; Reinecke, a. a. O., S. 893).

Die übernommenen "Verkürzer" des Prüfungsjahrgangs Februar 1995 hätten von der Antragstellerin also nicht ohne Berücksichtigung des Antragsgegners übernommen werden dürfen.

c)

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Übernahme der "Verkürzer" bereits im August 1994, also sechs Monate vor dem maßgeblichen Zeitpunkt erfolgt ist.

Denn der nach der Rechtsprechung des BAG maßgebliche Zeitpunkt (Beendigung des Ausbildungsverhältnisses durch den Jugendvertreter) wird ohnehin dadurch relativiert, dass der Arbeitgeber bei Einstellungen im Vorfeld dieses für ihn absehbaren Ereignisses § 78 a BetrVG berücksichtigen muss. Er kann demnach nicht "sehenden Auges" in einem kurzen Zeitraum vor Ende des Ausbildungsverhältnisses des Jugendvertreters besetzen, um dann das Fehlen einer Beschäftigungsmöglichkeit geltend zu machen und die Auflösung nach § 78 a Abs. 4 BetrVG zu betreiben.

Als insoweit maßgeblicher Zeitraum für die Berücksichtigungspflicht des Arbeitgebers wird im Hinblick auf den Zeitraum nach § 78 a Abs. 2 S. 1 BetrVG im Regelfall ein Vierteljahr verstanden. Innerhalb dieser drei Monate kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Freihalten einer offenen Stelle - etwa durch zeitweilige Überstunden anderer Arbeitnehmer - möglich ist (GK-Kreutz, a. a. O. Rnr. 81, Däubler/Kittner/Klebe, a. a. O. Rnr. 37; Pielsticker, a. a. O., S. 113; Kittner/Trittin, a. a. O., Rnr. 37).

Dieser 3-Monats-Zeitraum kann allerdings auch nicht als starre Grenze gesehen werden, sondern kann sich im Einzelfall entsprechend der Größe des Betriebs, dem Arbeitsanfall, der besonderen wirtschaftlichen Situation etc. (vgl. Misera, SAE 1980, 260, 261) nach oben oder unten verändern.

So ist dem Arbeitgeber ein Freihalten dann auch in diesem Zeitraum nicht zumutbar, wenn sein Personal ansonsten völlig ausgelastet ist (Pielsticker, a. a. O., S. 113).

Andererseits hat der Arbeitgeber in bestimmten Fällen auch vor Beginn der 3-Monatsfrist freigewordene Arbeitsplätze zu berücksichtigen, etwa wenn der Betrieb aus saisonbedingten Gründen für eine längere Zeit nicht voll ausgelastet ist oder Betriebsferien in den "Reservierungszeitraum" fallen (GK-Kreutz, a. a. O. Rnr. 81, Pielsticker, a. a. O., S. 114, Kittner/Trittin, a. a. O., Rnr. 37; wohl auch Fitting/Kaiser/Heither/Engels, Rnr. 46, die darauf abstellen, dass dem Arbeitgeber das Abwarten der Abschlussprüfung zumutbar sein muss und er "darüber hinaus" in den letzten drei Monaten vor der Prüfung ggf. frei werdende Arbeitsplätze für den Jugendvertreter zu reservieren hat).

Abzustellen ist also auf die konkrete Belastbarkeit des Arbeitgebers für die Erledigung der bei ihm anfallenden Arbeiten. Kann er die anfallende Arbeit mit betrieblichen Reserven bis zum Abschluss der Ausbildung überbrücken, ist ihm ein Freihalten der Stelle (und damit eine Weiterbeschäftigung i. S. von § 78 a BetrVG) zumutbar; ist er dazu ohne eine Neueinstellung auf Grund der konkreten betrieblichen Situation nicht in der Lage, braucht er den bevorstehenden Abschluss der Ausbildungszeit des Jugendvertreters nicht zu berücksichtigen.

Vorliegend war der Antragstellerin ein Freihalten eines Arbeitsplatzes für den Antragsgegner als Kommunikationselektroniker über einen Zeitraum von sechs Monaten zumutbar.

Dies ergibt sich bereits aus den Darlegungen der Antragstellerin selbst. Denn sie hat im August 1994 in ihrer Niederlassung E. u. a. drei Kommunikationselektroniker des Prüfungsjahrgangs Februar 1995 ("Verkürzer") auf feste Arbeitsstellen übernommen. Diese Besetzung von Arbeitsplätzen erfolgte aber nach eigenen Angaben der Antragstellerin ausdrücklich nicht auf Grund eines betrieblichen Bedarfs, sondern gerade entgegengesetzt zu den betrieblichen Organisationsentscheidungen allein auf Grund sozialpolitischer Erwägungen. Es handelt sich mithin um betrieblich in keiner Weise veranlasste Schaffung von Arbeitsplätzen.

Wenn aber für einen solchen Arbeitsplatz betrieblich überhaupt keine Notwendigkeit bestand, insbesondere der nach der freien Unternehmerentscheidung der Antragstellerin von ihr zu bewältigende Arbeitsaufwand durch den von ihr eingerichteten Arbeitsplatz gerade nicht bewältigt werden sollte, sondern sich die Schaffung der Arbeitsplätze für Kommunikationselektroniker in den neuen Bundesländern lediglich als freiwillige sozialpolitische Zugeständnisse darstellen, so besteht keinerlei (betrieblicher) Grund für die Antragstellerin, dem insoweit mit den "Verkürzern" gleichzustellenden Antragsgegner nicht einen der Arbeitsplätze, die für die "Verkürzer" vorgesehen waren, für sechs Monate freizuhalten, um ihn dann mit dem Antragsgegner zu besetzen.

4.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen, § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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