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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 07.12.2000
Aktenzeichen: 1 Ss 170/00
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 168 Abs. 1
StGB § 168 Abs. 2
1. Von einer Beisetzungsstätte i. S. d. § 168 Abs. 1 a.F. StGB kann nur dann gesprochen werden, wenn die Stätte der Ruhe und dem Andenken eines Verstorbenen gewidmet ist. Daran fehlt es, wenn die Leiche anonym ohne jegliche Kennzeichnung der Grabstätte verscharrt worden ist.

2.Eine solche Stätte kann allerdings zur Totengedenkstätte nach § 168 Abs. 2 StGB gewidmet werden, die erst durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.01.1998 gegen beschimpfenden Unfug geschützt ist.

Thüringer Oberlandesgericht, 1. Strafsenat, Beschluß vom 07.12.2000 1 Ss 170/00


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluß

1 Ss 170/00 130 Js 15586/97 - 4 Ns LG Erfurt

In dem Strafverfahren

gegen H. ,

geb. am

wohnhaft:

Verteidiger: Rechtsanwalt H., Aachen,

wegen Störung der Totenruhe

hat auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. Strafkammer des Landgerichts Erfurt vom 01.02.2000 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rachor, Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richter am Amtsgericht Meier

am 07.12.2000

beschlossen:

Tenor:

1.Das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 01.02.2000 wird aufgehoben.

2.Der Angeklagte wird freigesprochen.

3.Die Staatskasse hat die Verfahrenskosten und die dem Angeklagten in allen Rechtszügen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Weimar verurteilte den Angeklagten am 12.02.1999 wegen Störung der Totenruhe nach § 168 Abs. 1 StGB a.F. zur Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je DM 45.- Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten - als solche war das nicht näher bezeichnete Rechtsmittel zu werten - verwarf das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 01.02.2000; auf die auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft Erfurt erhöhte es die Geldstrafe bei bleibender Tagessatzhöhe auf 120 Tagessätze.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, die in formeller Hinsicht ( §§ 344, 345 StPO) nicht zu beanstanden ist.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg: der Angeklagte war freizusprechen, da die für erwiesen angenommene Tat nicht strafbar ist. Auf die Verfahrensrügen geht der Senat nicht ein.

II.

Das Landgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

" Wie in den vergangenen Jahren fuhr der Angeklagte am 13.04.1997 mit einer Gruppe politisch gleichgesinnter Freunde anläßlich einer jährlich dort stattfindenden Gedenkveranstaltung zur Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar. Die Gruppe begab sich dort gegen Mittag zu einem der Gräberfelder des ehemaligen sowjetischen Speziallagers, das sich am Rande des Geländes des Konzentrationslagers Buchenwald ( aus der Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft) befindet. Im Bereich dieser Gräberfelder liegen - wie der Angeklagte wußte - über 7000 Tote begraben, die in der Zeit zwischen 1946 und 1950 im von der sowjetischen Besatzungsmacht unterhaltenen Speziallager verstorben waren und hier außerhalb des eigentlichen Lagergeländes in Massengräbern verscharrt wurden. Bei den Insassen dieses sogenannten Speziallagers handelt es sich, wie der Angeklagte ebenfalls wußte, überwiegend um Funktionsträger, Angehörige oder sonst Zugehörige des nationalsozialistischen Regimes, zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz ( von Historikern auf etwa 20 % nach dem Stand der Aufarbeitung quantifiziert) aber auch um Unschuldige, die mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun hatten und auch strafrechtlich unbescholten waren. Das Gelände, in dem sich die Massengräber befinden, ist teilweise umzäunt und im übrigen umfriedet, wobei zwischenzeitlich ein kleiner Wald nachgewachsen ist. Entlang des Weges, der zu den Grabfeldern führt, befanden sich am Eingang zwei Tafeln, deren eine den Text ,Weitere Massengräber befinden sich an anderen Stellen der Umgebung des Lagers, u.a. in der Schlucht von Hottelstedt'

trug und deren andere

,In diesem Gelände rechts und links des Weges befinden sich Massengräber mit mehreren tausend Toten des sowjetischen Speziallagers Buchenwald von 1945 - 1950. Der Wald ist auf der ursprünglich freien Fläche in den letzten 40 Jahren nachgewachsen', lautete.

Innerhalb des nachgewachsenen Waldbestandes auf dem umgrenzten Gräberfeld befinden sich seit 1995 sogenannte Stelen aus Titan. Diese dunklen Stäbe markieren jeweils Grablegungen, die bei vorangegangenen archäologischen Untersuchungen aufgefunden wurden. Jede Stele markiert Knochenfunde von 2- 6 Toten im darunterliegenden Erdreich. Die Stelen sind nummeriert, weisen im übrigen aber keinen Namen oder sonstige Identitätsmerkmale auf.

Aufgrund eines mit seinen unbekannt gebliebenen Mittätern vorab gemeinschaftlich gefaßten Tatentschlusses stülpte der Angeklagte gemeinsam mit diesen in der Zeit zwischen 11:30 Uhr und 13:15 Uhr über etwa 200 der vorbezeichneten Stelen auf dem Gräberfeld große gelbe Müllsäcke. Zusätzlich versah er 67 der Stelen mit Zetteln im DIN -A-4-Format, die folgende Aufschrift trugen: " Kein Denkmal für Nazis - NS-Stelen auf den Müll! Eine Aktion der VVN - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Aachen!", und dazu die symbolische Zeichnung einer Müll wegwerfenden Person zeigten.

Über weitere 8 der mit Müllsäcken verhüllten Stelen hängten der Angeklagte und seine Mittäter zusätzlich handbeschriftete Plakate.

Diese trugen die Aufschrift: "G. (K. / F. / Sch. / C. / E. / A.) war nach 1945 nicht interniert. Leider."

Der Angeklagte und seine Mittäter wollten mit ihrer Aktion zum einen gegen die nach ihrer Ansicht grundsätzlich verfehlte historische Aufarbeitung der Geschichte des Lagers Buchenwald nach 1945 protestieren. Sie hofften, durch ihre bewußt auf Provokation und Beschimpfung ausgelegte Aktion eine möglichst große Öffentlichkeitswirkung zu erreichen. Diese erhofften sie sich insbesondere deshalb, weil aus Anlaß der Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Konzentrationslagers an diesem Tag eine größere Zahl von Besuchern und auch Pressevertretern anwesend waren. Zum anderen wollten der Angeklagte und seine Gruppe zugleich ihre Verachtung bekunden gegenüber den Toten im Bereich der Grabfelder, die aus Sicht des Angeklagten keinerlei Andenken - gleichgültig in welcher Form - verdienen."

III.

Das Landgericht hat den Angeklagten eines Vergehens der Störung der Totenruhe nach § 168 Abs. 1 a.F. StGB für schuldig befunden. Diese Vorschrift hatte zur Tatzeit folgenden Wortlaut:

" Wer ....an einer Beisetzungsstätte beschimpfenden Unfug verübt oder wer eine Beisetzungsstätte zerstört oder beschädigt, wird mit .....bestraft."

Durch das sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.01.1998 wurde die nunmehr gültige Vorschrift in § 168 Abs. 2 StGB geschaffen, die lautet ." Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt." Ausschlaggebend für die strafrechtliche Beurteilung des festgestellten Verhaltens des Angeklagten ist daher die Frage, ob die im landgerichtlichen Urteil angesprochenen und beschriebenen Gräberfelder eine Beisetzungsstätte im Sinne des § 168 StGB alter und neuer Fassung darstellen, denn zur Tatzeit war nur - hier beachtlich - die Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte unter Strafe gestellt, § 1 StGB.

Diese Frage ist nach den vom Landgericht im angefochtenen Urteil mitgeteilten Feststellungen zu verneinen.

Unter einer Beisetzungsstätte wird nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Lehre eine Stätte verstanden, die der Ruhe und dem Andenken von Toten dient, BGH X ZR 80/92, Urt. vom 17.03.1994 - teilveröffentlicht in NJW 1994, 2613/14, Tröndle/ Fischer, StGB, 49. Auflage, § 168; Dippel in LK, 10. Aufl. § 168 RdNr. 38; Rudolphi in SK-StGB §168 RdNr. 11. Davon geht auch ersichtlich das Landgericht aus. Jedoch weist schon Dippel in LK aaO RdNr. 40 darauf hin, daß z.B das Einscharren der Leiche, etwa durch einen Mörder, keine Beisetzungsstätte schafft, ebensowenig eine unbefugte Beerdigung oder das unbefugte Aufstellen einer Urne mit der Asche eines Verstorbenen. Eine Beisetzungsstätte i.S.d § 168 StGB wird daher nur dann errichtet, wenn die in Rede stehende Stätte gerade der Ruhe und dem Andenken eines Verstorbenen gewidmet ist. Dies hat der BGH in der angesprochenen Entscheidung vom 17.03.1994 betont.

An einer solchen Widmung fehlt es im vorliegenden Falle. Den Feststellungen im angefochtenen Urteil ist eindeutig zu entnehmen, daß es sich bei den angesprochenen Grabfeldern um Massengräber handelt, in denen seinerzeit von den herrschenden Machthabern in den Jahren 1945-1950 völlig anonym die Getöteten oder Verstorbenen verscharrt worden sind ohne jegliche Möglichkeit der Identifizierung. Es kann somit keine Rede davon sein, daß diese Stätte der Ruhe und - insbesondere- dem Andenken von Toten dienen sollte. Da auch nach 1989 nach Herstellung einer würdevolleren Umgebung, die das angefochtene Urteil beschreibt, angesichts mangelnder Identifizierung von Knochenfunden eine Widmung dahin, hier werde dem Andenken bestimmter Toter gedacht, nicht ergehen konnte, ist insgesamt die Einstufung als Beisetzungsstätte zu verneinen, vielmehr aber von einer Totengedenkstätte zu reden, die nunmehr nach § 168 Abs. 2 StGB gegen die Verübung beschimpfenden Unfugs geschützt ist.

Aus den den Senat bindenden Feststellungen im landgerichtlichen Urteil ergibt sich somit, daß das Verhalten des Angeklagten am Tattag ( 13.04.1997 ) keine Störung der Totenruhe durch Verübung beschimpfenden Unfugs an einer Beisetzungsstätte darstellt.

Eine Überprüfung dahingehend, ob das Verhalten des Angeklagten etwa die Ordnungswidrigkeit der Belästigung der Allgemeinheit (§ 118 OWiG) beinhaltet, vertieft der Senat nicht, da insofern ersichtlich Verfolgungsverjährung eingetreten ist: die Tat ist am 13.04.1997 begangen worden. Die Verjährungszeit beträgt 6 Monate, § 31 Abs. 2 Ziff. 4 OWiG. Noch am 13.04.1997 erfolgte die erste Vernehmung des Angeklagten, desgleichen die Beauftragung des LKA Thüringen mit einer Gutachtenerstattung. Die nächste die Verfolgungverjährung unterbrechende Handlung stellt die Erhebung der Anklage dar ( § 33 Abs. 1 Ziff. 13), die aber nach Ablauf von sechs Monaten erfolgte.

Die Feststellungen des Berufungsgerichts ermöglichen dem Senat die eigene Sachentscheidung, § 354 Abs. 1 StPO: unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz war der Angeklagte mit der Kostenfolge aus § 467 Abs. 1 StPO aus Rechtsgründen freizusprechen.

Die Entscheidung erging durch einstimmig gefaßten Beschluß gemäß § 349 Abs. 4 StPO

Ende der Entscheidung

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