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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 19.01.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 200/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 329 Abs. 1 Satz 1 |
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss
In dem Strafverfahren
wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung u. a.
hat auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts Gera vom 05.02.2003 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch
Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richterin am Amtsgericht stVDir Pesta
am 19. Januar 2004
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts Gera vom 05.02.2003 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Gera zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Stadtroda verurteilte den Angeklagten am 26.03.2002 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 50,- € und entzog ihm die Fahrerlaubnis. Auf die Berufung des Angeklagten bestimmte die Vorsitzende der als Berufungsgericht zuständigen 7. Strafkammer des Landgerichts Gera nach mehrfacher, durch Krankheit des Angeklagten bedingter Verlegung Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 05.02.2003. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte unter Belehrung über die Folgen nicht genügend entschuldigten Ausbleibens geladen. Die Ladung wurde am 14.01.2003 zugestellt.
Am 30.01.2003 fertigte die Geschäftsstelle der Berufungskammer des Landgerichts Gera einen Aktenvermerk über ein Telefongespräch mit einem Herrn H., Mitarbeiter des Sozialen Dienstes der Justiz/Gerichtshilfe in Halle, betreffend die Verhinderung des Angeklagten an der Teilnahme an der Hauptverhandlung. Der Aktenvermerk hat folgenden Inhalt:
"Herr H. teilt mit, dass Herr K. seit dem 09.01.2003 aufgrund eines Unfalls wegen eines Beckenbruchs im St.-E.-Krankenhaus in Halle in stationärer Behandlung sei. Der Angeklagte habe sich telefonisch bei ihm gemeldet, da er in anderer Sache gemeinnützige Arbeitsstunden unter seiner Leitung ableistet. Auf den Anruf hin habe Herr H. den A. im Krankenhaus aufgesucht und sich von der Richtigkeit der Angaben überzeugt. Der Angekl. bittet um Terminsverlegung, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder reisefähig sein wird. Eine entsprechende Bescheinigung/Attest soll per Fax nachgereicht werden."
In der Hauptverhandlung am 05.02.2003 erschien der Angeklagte nicht. Daraufhin verwarf das Landgericht die Berufung des Angeklagten durch Urteil gem. § 329 Abs. 1 StPO. In der Begründung des Urteils wird ausgeführt, dass der Angeklagte durch den Anruf des Herrn H. nicht genügend entschuldigt sei. Die Angabe, der Angeklagte läge seit dem 09.01.2003 wegen eines Beckenbruchs im Krankenhaus, habe die Kammer nicht verifizieren können, da bis zum heutigen Termin die seitens des Angeklagten angekündigte Übersendung geeigneter Unterlagen nicht erfolgt sei. Das vollständig abgefasste Urteil wurde dem Angeklagten am 12.02.2003 zugestellt.
Den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung des Termins zur Berufungshauptverhandlung am 05.02.2003 verwarf das Landgericht. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Mit Beschluss vom 01. September 2003 gewährte der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts Gera vom 05.02.2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Beschluss wurde dem Angeklagten am 10.09.2003 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 09.10.2003, der am selben Tag beim Landgericht Gera einging, begründete der Verteidiger des Angeklagten die Revision mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragte die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 22.12.2003 beantragt, das angefochtene Urteil des Landgerichts Gera aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Gera zurückzuverweisen.
II.
Die zulässige Revision hat einen vorläufigen Erfolg. Auf die ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht Gera zurückzuverweisen.
Die Berufungskammer des Landgerichts Gera hätte die Berufung des Angeklagten im Termin vom 05.02.2003 nicht gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verwerfen dürfen.
§ 329 Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmt, dass das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen hat, wenn bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Angeklagte noch in den Fällen, in denen dies zulässig ist, ein Vertreter des Angeklagten erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.
Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Angeklagte selbst genügend entschuldigt hat. Es genügt vielmehr, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist (BGHSt 17, 391, 396 f; KK-Ruß, StPO, 5. Aufl., § 329 Rn. 7); insoweit ist grundsätzlich eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten (BGH a.a.O. S. 397).
Eine genügende Entschuldigung darf somit nicht etwa schon deshalb verneint werden, weil der Angeklagte in der Lage gewesen wäre, sich rechtzeitig zu entschuldigen, weil der Inhalt seines Entschuldigungsschreibens unzulänglich ist oder weil er sich in der Hauptverhandlung hätte vertreten lassen können (LR-Gössel, StPO, 25. Aufl., § 329 Rn. 26). Ebenso wenig bedarf es einer förmlichen Glaubhaftmachung der Entschuldigungsgründe durch den Angeklagten. Er ist auch nicht verpflichtet, dem Gericht die behaupteten Entschuldigungsgründe nachzuweisen (LR-Gössel, a. a. O., Rn. 27).
Vielmehr muss das Gericht, wenn Anhaltspunkte für einen Entschuldigungsgrund vorliegen, sei es, dass er sich aus den Akten ergibt, vom Angeklagten mitgeteilt worden ist oder das Berufungsgericht auf andere Weise Kenntnis von ihm erlangt hat, prüfen, ob er zutrifft (BGHSt 17, 391, 396; KK-Ruß, a. a. O., Rn. 9). Auf den bloßen Verdacht hin, ein vor der Verhandlung mitgeteilter Entschuldigungsgrund sei vorgetäuscht, darf die Verwerfung nicht erfolgen (KK-Ruß, a. a. O., Rn. 8).
Im vorliegenden Fall befand sich in der Akte eine - vom Berufungsgericht auch tatsächlich zur Kenntnis genommene - Aktennotiz vom 30.01.2003, der zufolge ein Herr H. vom Sozialdienst der Justiz/Gerichtshilfe in Halle bei der Geschäftsstelle des Landgerichts Gera anrief und mitteilte, dass der Angeklagte seit dem 09.01.2003 aufgrund eines Unfalls wegen eines Beckenbruchs im St.-E.-Krankenhaus in stationärer Behandlung sei und Herr H. sich im Krankenhaus von der Richtigkeit der Angaben überzeugt habe. Da, die Richtigkeit dieser Mitteilung unterstellt, das Ausbleiben des Angeklagten in der mündlichen Verhandlung genügend entschuldigt wäre, hätte die Berufungskammer - so ihr der Aktenvermerk allein nicht ausreichend erschien - weitere Nachforschungen, sei es durch Kontaktaufnahme mit Herrn H., sei es durch telefonische Anfrage im St.-E.-Krankenhaus in H., anstellen und das tatsächliche Vorliegen des behaupteten Entschuldigungsgrundes im Freibeweisverfahren nachprüfen müssen.
Hätte das Landgericht die gebotene Aufklärung betrieben, so hätte es - wie die später zur Akte gelangten Bescheinigungen zeigen - zumindest so viele Hinweise auf eine tatsächlich vorliegende, der Teilnahme an der Hauptverhandlung entgegenstehende Erkrankung des Angeklagten erhalten, dass ein genügender Entschuldigungsgrund als wahrscheinlich hätte angesehen werden müssen. Dies aber hätte dem Erlass eines Verwerfungsurteils gem. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO bereits zwingend entgegen gestanden. Denn Zweifel wirken sich zugunsten des Angeklagten aus, stehen also einer Verwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO entgegen (KK-Ruß, a.a.O., Rn. 9; OLG Köln VRS 65, 47; OLG Frankfurt, NJW 1988, 2965).
Daraus, dass das Verwerfungsurteil auch bei der gebotenen Aufklärung nicht hätte ergehen dürfen, folgt zugleich, dass es auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
Ende der Entscheidung
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