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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 248/04
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 77 Abs. 2 Nr. 1
Zur Ablehnung der Vernehmung von Gegenzeugen im Bußgeldverfahren.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 Ss 248/04

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat auf die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 16.04.2004 der Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richterin am Oberlandesgericht Pesta

am 10. November 2004

beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 16.04.2004 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Erfurt zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 14.10.2003 setzte das Ordnungsamt der Stadt E gegen den Betroffenen wegen einer am 04.09.2003 in E begangenen Ordnungswidrigkeit des unzulässigen Parkens im eingeschränkten Halteverbot eine Geldbuße in Höhe von 15,00 € fest. Auf den rechtzeitig eingelegten Einspruch verurteilte das Amtsgericht Erfurt den Betroffenen in Anwesenheit am 16.04.2004 wegen verbotswidrigen Parkens im eingeschränkten Halteverbot (Zeichen 286) zu einer Geldbuße in Höhe von 15,00 €. Der Betroffene hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagung des rechtlichen Gehörs beantragt, zugleich Rechtsbeschwerde eingelegt und diese begründet. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Mit Beschluss vom 08.11.2004 hat der Senat die Rechtsbeschwerde wegen Versagen des rechtlichen Gehörs zugelassen und die Sache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 29.10.2004 beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 16.04.2004 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Erfurt zurückzuverweisen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat bereits mit der ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge einen (vorläufigen) Erfolg.

Im Termin zur Hauptverhandlung am 16.04.2004 beantragte der Verteidiger des Betroffenen zum Beweis der Tatsache, dass der Betroffene am 04.09.2003 mit seinem Pkw nicht unzulässig im eingeschränkten Halteverbot (Zeichen 286) geparkt, sondern seinen Pkw ordnungsgemäß im Bereich des Zeichens 314 in der M Allee abgestellt habe, die Vernehmung der Zeugin K, bei der es sich nach der Begründung des Beweisantrages um die Beifahrerin des Betroffenen am Tattag gehandelt haben soll. Bis dahin war allein die Mitarbeiterin des Ordnungsamtes, die den Verkehrsverstoß festgestellt hatte, vernommen worden.

Das Amtsgericht Erfurt lehnte den Beweisantrag in der Hauptverhandlung durch Beschluss mit folgender Begründung ab:

"Der Beweisantrag wird abgelehnt, da die Aussage der vernommenen Zeugin ausreicht."

Weitere Zeugen wurden nicht vernommen. In den Gründen des angefochtenen Urteils wird die Ablehnung des Beweisantrages ergänzend begründet. Es heißt dort:

"Die Vernehmung der vom Betroffenen angebotenen Zeugin Frau K war nicht geboten, da das Gericht von der Richtigkeit der Aussage der Zeugin W überzeugt ist."

Die Überzeugung von der Richtigkeit dieser Aussage wird wie folgt begründet:

"Es ist nicht ersichtlich, warum die Zeugin W eine Falschbeurkundung im Amt begehen sollte, die bei Entdeckung zur sofortigen Entfernung aus dem Dienstverhältnis mit der Landeshauptstadt Erfurt führen würde. Im Übrigen kann der Zeugin W die Kenntnis der Unterschiedlichkeit der Zeichen 286 und 314 aufgrund ihrer täglichen dienstlichen Erfahrungen unterstellt werden."

Die der Sache nach auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Ablehnung des Beweisantrages ist rechtsfehlerhaft und verletzt darüber hinaus den verfassungsrechtichen Anspruch des Betroffen auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Die Ablehnung der Vernehmung weiterer Zeugen, insbesondere von Gegenzeugen, ist auch im Falle des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG an enge Grenzen gebunden, wenn die beantragte Beweisaufnahme das Ziel hat, die Aussage des einzigen Belastungszeugen zu entlasten (siehe Senatsbeschluss vom 18.03.2004, 1Ss 33/094; BayObLG VRS 87 (1994), 367, 368; OLG Oldenburg NZV 1995, 84; KK-Senge, OWiG, 2. Aufl., § 77, Rn. 17; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 77, Rn. 14). In einem solchen Fall drängt es sich in der Regel auf, den Gegenzeugen zu vernehmen. Voraussetzung für die Ablehnung der Vernehmung weiterer Zeugen ist daher, dass unter Berücksichtigung des Gewichts des bisherigen Beweisergebnisses auf der einen und desjenigen des weiteren Beweismittels, dessen zusätzliche Verwendung beantragt ist, auf der anderen Seite nach dem Ergebnis der Gesamtbeweislage die Möglichkeit, die Überzeugung des Gerichts könne durch die beantragte Beweiserhebung noch erschüttert werden, vernünftigerweise als ausgeschlossen erscheint (BayObLG, VRS 87 (1994), 367, 368; DAR 1997, 318).

Dass diese Voraussetzungen vorliegen, muss in dem die Ablehnung des Beweisantrages aussprechenden Beschluss oder im Urteil jedenfalls dann, wenn die Gründe nicht offen zu Tage liegen, im Einzelnen dargelegt werden. Erst dadurch wird das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt, die für die Ablehnung des Beweisantrags maßgebenden Erwägungen zu überprüfen (BayObLG VRS 87 (1994), 367, 368; DAR 1997, 318, 319).

Hier tritt die Unmöglichkeit, die Überzeugung des Gerichts durch die Aussage der Beifahrerin zu erschüttern, weder offen zu Tage noch hat sie das Amtsgericht in seinem den Beweisantrag zurückweisenden Beschluss oder in den Urteilsgründen dargetan. So zieht das Amtsgericht beispielsweise einen schlichten Irrtum der vernommenen Belastungszeugin nicht in Erwägung.

Wegen des aufgezeigten Verfahrensfehlers war das Urteil des Amtsgerichts Erfurt aufzuheben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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