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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 264/04
Rechtsgebiete: StVG, OWiG BKatV


Vorschriften:

StVG § 24 Abs. 2
StVG § 25
OWiG § 17 Abs. 1
OWiG § 17 Abs. 2
OWiG § 17 Abs. 3
BKatV § 4
1. Ein Abweichen von der gesetzlichen Regelfolge beim Fahrverbot ist auch bei bloßer Verkürzung der Zeitdauer zu begründen. Allerdings sind insoweit nicht derart strenge Anforderungen wie beim völligen Absehen von einem nach § 4 BkatV indizierten Fahrverbot zu stellen.

2. Das Höchstmaß der angedrohten Geldbuße für fahrlässiges Handeln kann auch dann nicht überschritten werden, wenn von der Anordnung einer Nebenfolge (hier: Fahrverbot) vollständig bzw. teilweise abgesehen wird. Grundsätzlich handelt es sich beim Ausspruch einer Geldbuße von mehr als 250,00 € nicht mehr um eine geringfügige Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG, bei der die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters in der Regel unberücksichtigt bleiben. (vgl. u. a. Senatsbeschlüsse vom 04.11.2003, 1 Ss 120/03 und vom 23.09.2003, 1 Ss 215/03). Jedenfalls bei der Überschreitung der Regelgeldbuße - bei einer Regelgeldbuße nach dem Bußgeldkatalog von bis zu 500,00 € und fehlenden Anhaltspunkten für außergewöhnlich gute oder außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse sind ausnahmsweise keine weiteren Feststellungen erforderlich - ist es geboten, die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betroffenen aufzuklären und im Urteil mitzuteilen.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 Ss 264/04

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat auf die Rechtsbeschwerden des Betroffenen und der Staatsanwaltschaft Gera gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 15.07.2004 der Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch

Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richterin am Oberlandesgericht Pesta

am 10. November 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerden wird der Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 15.07.2004 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu erneuter Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Gera zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Thüringer Polizeiverwaltungsamt - Zentrale Bußgeldstelle - erließ gegen den Betroffenen am 28.01.2004 wegen einer am 04.10.2003 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 63 km/h einen Bußgeldbescheid, mit dem eine Geldbuße in Höhe von 275,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten angeordnet wurde.

Auf den Einspruch des Betroffenen setzte das Amtsgericht Gera durch Beschluss vom 15.07.2004 wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße in Höhe von 800,00 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot, nach Maßgabe des § 25 Abs. 2 a Abs. 1 StVG, fest.

Gegen den ihm am 29.07.2004 zugestellten Beschluss legte der Betroffene über seine Verteidiger Rechtsbeschwerde ein und begründete diese mit Einlegung. Der Betroffene rügt die Verletzung materiellen Rechts und führt zur Begründung aus, dass die Geldbuße fehlerhaft festgesetzt worden sei, da für eine fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit das Höchstmaß der Geldbuße 500,00 € betrage.

Unter dem 03.09.2004 erhob auch die Staatsanwaltschaft Gera gegen den Beschluss vom 15.07.2004 Rechtsbeschwerde. Dies geschah noch vor der am 09.09.2004 erfolgten Zustellung des Beschlusses. Mit am 16.09.2004 eingegangenem Schriftsatz begründete die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel, mit dem sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und den Ausspruch eines lediglich einmonatigen Fahrverbotes sowie die Überschreitung der zulässigen Höchstgeldbuße für eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit beanstandet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 02.11.2004 beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 15.07.2004 mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Gera zurückzuverweisen.

II.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 09.11.2004 zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit 3 Richtern übertragen, § 80 a Abs. 3 Satz 1 OwiG.

Die Rechtsbeschwerden des Betroffenen sowie der Staatsanwaltschaft sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden. Sie führen mit den erhobenen Sachrügen zu einem vorläufigen Erfolg.

1.

Auf die Rechtsbeschwerden war die angefochtene Entscheidung in vollem Umfang zu überprüfen, da die Rechtsmittel nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurden.

Eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist zwar nicht ausdrücklich erklärt. Sie ergibt sich aber daraus, dass beide Rechtsbeschwerdebegründungen nur Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch enthalten (vgl. Meyer/Goßner, StPO, 47. Aufl., § 344, Rn. 6). Der Wirksamkeit der Beschränkungen steht jedoch entgegen, dass Feststellungen zur Tat insgesamt fehlen, so dass der Senat die Rechtsfolgenentscheidung von vornherein nicht überprüfen (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 79, Rn. 32 m.w.N.) kann.

2.

Die Rechtsbeschwerden dringen mit der Sachrüge durch, denn die getroffenen Feststellungen tragen weder den Schuldspruch noch die Rechtsfolgenanordnung.

Im angefochtenen Beschluss wird in den Gründen ausschließlich ausgeführt:

"Der Betroffene hat die im Bußgeldbescheid des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes - Zentrale Bußgeldstelle - vom 28.01.2004 festgestellte Ordnungswidrigkeit eingeräumt. Er ist berufsbedingter Vielfahrer.

Bei Festsetzung einer erhöhten Geldbuße von 800,00 € erschien es als vertretbar, ein Fahrverbot von lediglich 1 Monat Dauer festzusetzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OwiG, 465 Abs. 1 StPO."

Diese Ausführungen sind nicht geeignet, einen Schuldspruch wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 63 km/h zu begründen.

Zwar sind an die Gründe eines Beschlusses im Ordnungswidrigkeitenverfahren keine übertriebenen Anforderungen zu stellen. Die Gründe müssen aber hinsichtlich des Schuldspruchs so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zur objektiven und subjektiven Seite getroffen hat.

Diesen Mindestanforderungen wird der angefochtene Beschluss in keiner Weise gerecht.

Bezüglich des objektiven Tatbestandes der Ordnungswidrigkeit, derentwegen der Betroffene schuldig gesprochen worden ist, fehlen schon jegliche Angaben zu Tatort, Tatzeit und dem vom Betroffenen genutzten Fahrzeug. Die am Ereignisort vorgeschriebene Geschwindigkeit wird nicht angegeben, ebenso fehlen Angaben zum angewandten Messverfahren der gemessenen Geschwindigkeit und zum berücksichtigten Toleranzwert. Zur inneren Tatseite ist gleichfalls nichts festgestellt. Dabei würde es aufgrund des hohen Maßes der Geschwindigkeitsüberschreitung durchaus näher liegen, vorsätzliches Verhalten anstatt Fahrlässigkeit anzunehmen.

3.

Mit den Rechtsbeschwerden wird zutreffend gerügt, dass die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 800,00 € wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung gegen § 17 Abs. 2 OWiG verstößt. Nach § 24 Abs. 2 StVG i.V.m. § 17 Abs. 1 und 2 OWiG beträgt das Höchstmaß der Geldbuße wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit 500,00 €. Das Höchstmaß der angedrohten Geldbuße für fahrlässiges Handeln kann auch dann nicht überschritten werden, wenn von der Anordnung einer Nebenfolge (hier: Fahrverbot) vollständig bzw. teilweise abgesehen wird (vgl. Göhler, OWiG, 13. Auflage, § 17, Rn. 12).

4.

Schließlich ist zu beanstanden, dass der Beschluss keinerlei Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthält.

Grundsätzlich handelt es sich beim Ausspruch eines Bußgeldes von mehr als 250,00 € nicht mehr um eine geringfügige Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG, bei der die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters in der Regel unberücksichtigt bleiben. Dies ist ständige Rechtsprechung des Senats (vgl. u. a. Senatsbeschlüsse vom 04.11.2003, 1 Ss 120/03 und vom 23.09.2003, 1 Ss 215/03). Jedenfalls bei der Überschreitung der Regelgeldbuße von 275,00 € - bei einer Regelgeldbuße nach dem Bußgeldka talog von bis zu 500,00 € und fehlenden Anhaltspunkten für außergewöhnlich gute oder außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse sind ausnahmsweise keine weiteren Feststellungen erforderlich - ist es geboten, die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betroffenen aufzuklären.

Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler war es erforderlich, das angefochtene Urteil auf die Sachrüge hin aufzuheben und zur erneuten Prüfung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Gera zurückzuverweisen.

Für die erneute Behandlung der Sache wird auf Folgendes hingewiesen:

Ein Abweichen von der gesetzlichen Regelfolge beim Fahrverbot ist auch bei bloßer Verkürzung der Zeitdauer zu begründen. Zwar sind insoweit nicht derart strenge Anforderungen wie beim Absehen von einem nach § 4 BkatV indizierten Fahrverbot zu stellen. Der Senat neigt aber dazu, dass allein die Eigenschaft als Vielfahrer nicht ausreichend ist, um ein Fahrverbot zu verkürzen. Vielmehr ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu prüfen, ob die Verkürzung eines Fahrverbots angezeigt ist. Dabei können auch berufliche Härten berücksichtigt werden.

Ende der Entscheidung

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