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Beginn der Entscheidung

Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 25.02.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 33/02
Rechtsgebiete: StVO, StPO


Vorschriften:

StVO § 37 Abs. 1
StVO § 37 Abs. 2 Nr. 1
StVO § 49 Abs. 3 Nr. 2
StPO § 267
StPO § 261
Eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes macht grundsätzlich Feststellungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und der vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie dazu erforderlich, wie weit der Betroffene mit seinem Fahrzeug von der Ampel entfernt war, als diese von Grün auf Gelb schaltete. Nur bei Kenntnis dieser Umstände lässt sich entscheiden, ob der Betroffene bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung in der Lage gewesen wäre, dem von dem Gelblicht ausgehenden Haltegebot zu folgen, was unerlässliche Voraussetzung für den Vorwurf ist, das Rotlicht schuldhaft missachtet zu haben (vgl. Senat NZV 1999, 304). Bei Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist darüber hinaus festzustellen, wie lange die Lichtzeichenanlage bereits rotes Licht zeigte, als der Betroffene sie passierte.

Feststellungen zur Dauer der Gelbphase und zu der höchstzulässigen Geschwindigkeit sind bei Rotlichtverstoß innerorts grundsätzlich entbehrlich, da mangels anderweitiger Anhaltspunkte von der innerorts üblichen und damit allgemeinkundigen Gelbphase von 3 Sekunden und einer innerorts grundsätzlich geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auszugehen ist.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss

1 Ss 33/02

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Altenburg vom 22.10.2001 der Bußgeldsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch

Richter am Oberlandesgericht Schulze als Vorsitzender, Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger und Richterin am Amtsgericht stVDir Pesta

am 25. Februar 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Altenburg vom 22.10.2001 dahingehend abgeändert, dass gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Nichtbefolgens eines roten Wechsellichtzeichens in anderen als den Fällen des Rechtsabbiegens mit Grünpfeil ein Bußgeld in Höhe von 50,- € festgesetzt wird und dass das Fahrverbot entfällt.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen, jedoch wird die Gebühr auf 1/3 ermäßigt. Im Umfang der Ermäßigung trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren.

Angewendete Vorschriften: §§ 37 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, § 24 StVG

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Altenburg sprach den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes bei länger als 1 Sekunde andauernder Rotlichtphase schuldig, setzte gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 250,- DM fest und verhängte ein Fahrverbot von 1 Monat Dauer.

Gegen diese Verurteilung wendet sich der Betroffene mit seiner frist- und formgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 05.02.2003, das angefochtene Urteil des Amtsgericht Altenburg dahin zu ändern, dass sich der Betroffene einer fahrlässigen Nichtbefolgung eines roten Wechsellichtzeichens in anderen als den Fällen des Rechtsabbiegens mit Grünpfeil schuldig gemacht hat, ihn wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes zu einem Bußgeld von 50,- € zu verurteilen und die Rechtsbeschwerde im Übrigen als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer das Amtsgericht eine länger als 1 Sekunde andauernde Rotlichtphase angenommen hat, ist rechtsfehlerhaft.

Eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes macht grundsätzlich Feststellungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und der vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie dazu erforderlich, wie weit der Betroffene mit seinem Fahrzeug von der Ampel entfernt war, als diese von Grün auf Gelb schaltete. Nur bei Kenntnis dieser Umstände lässt sich entscheiden, ob der Betroffene bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung in der Lage gewesen wäre, dem von dem Gelblicht ausgehenden Haltegebot zu folgen, was unerlässliche Voraussetzung für den Vorwurf ist, das Rotlicht schuldhaft missachtet zu haben (vgl. Senat NZV 1999, 304; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 37 StVO, Rn. 61). Bei Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist darüber hinaus festzustellen, wie lange die Lichtzeichenanlage bereits rotes Licht zeigte, als der Betroffene sie passierte.

Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellungen zur Dauer der Gelbphase und zu der höchstzulässigen Geschwindigkeit. Beides ist hier jedoch entbehrlich, da mangels anderweitiger Anhaltspunkte von der innerorts üblichen und damit allgemeinkundigen Gelbphase von 3 Sekunden und einer innerorts grundsätzlich geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auszugehen ist (vgl. KG VRS 67, 63, 64; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 37 StVO, Rn. 61 mit zahlreichen Nachw. aus der Rspr.).

Zur tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit hat das Amtsgericht gestützt auf die Beobachtungen der dem Lkw in einem Streifenwagen in gleichmäßigem Abstand folgenden Polizeibeamten festgestellt, dass diese höchstens 55 km/h betrug.

Hinsichtlich der Entfernung des Betroffenen zur Ampel, als diese von Grün auf Gelb wechselte, enthält das Urteil keine ausdrücklichen Feststellungen. Indem das Amtsgericht jedoch feststellt, dass sich der Betroffene der Ampel mit unverminderter Geschwindigkeit von höchstens 55 km/h genähert habe, ergibt sich unter der hier zugrunde zu legenden Gelbphase von 3 Sekunden, dass der Betroffene mit dem von ihm gesteuerten Lkw im Zeitpunkt des Umschaltens von Grün auf Gelb noch mindestens 45,84 m von der Lichtzeichenanlage entfernt gewesen sein muss.

Die Dauer, während der die Wechsellichtzeichenanlage bereits rotes Licht angezeigt hatte, als der Betroffene die Ampel passierte, gibt das Urteil mit 1,309 s an. Dem liegt die Feststellung zugrunde, dass sich der Betroffene beim Umschalten von Gelb auf Rot noch mindestens 20 m von der Lichtzeichenanlage entfernt befand und er seine Geschwindigkeit von höchstens 55 km/h anschließend unverändert beibehielt.

Die Feststellung der Entfernung von 20 m zur Ampel im Zeitpunkt des Umschaltens auf Rot beruht auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung.

Die angegebene Entfernung von wenigstens 20 m stützt das Gericht ausschließlich auf Schätzungen der zeugenschaftlich vernommenen Polizeibeamten H. und T. Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, an die das Gesetz die erschwerte Sanktion der erhöhten Geldbuße und insbesondere des Fahrverbots knüpft, genügt die naturgemäß nur gefühlsmäßige Schätzung eines oder auch mehrerer den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden Polizeibeamten alleine nicht, um zuverlässig entscheiden zu können, ob nur ein einfacher oder ein qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt (Senat NZV 1999, 304 m. w. N.; Hentschel, a. a. O., Rn. 61). Den Schätzungen der beiden Zeugen ist zwar ein Beweiswert von vornherein nicht abzusprechen, sie sind jedoch wegen der Ungenauigkeit des menschlichen Gefühls für Entfernungen mit einer besonderen Unsicherheit belastet, der bei der Beweiswürdigung in hinreichendem Maße Rechnung getragen werden muss. Insoweit mangelt es dem Urteil an Feststellungen tatsächlicher Art, die die Richtigkeit der Schätzung überprüfen ließen (vgl. Senat NZV 1999, 304/305).

Das angefochtene Urteil konnte deshalb keinen Bestand haben.

2. Der Senat hat von einer Zurückverweisung abgesehen und stattdessen gemäß § 79 Abs. 4 1. Alt. OWiG in der Sache selbst entschieden.

Da keine Vorkehrungen getroffen wurden, um den Abstand des Betroffenen zu Beginn der Rotphase zuverlässig festlegen zu können, hält es der Senat für ausgeschlossen, dass in einer neuen Hauptverhandlung der Schuldnachweis für einen qualifizierten Rotlichtverstoß erbracht werden könnte. Für die sichere Annahme eines einfachen Rotlichtverstoßes bedarf es hingegen keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen. Auch zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen sind weitere Feststellungen nicht erforderlich. Mithin konnte der Senat wegen eines einfachen Rotlichtverstoßes verurteilen.

a) Soweit das Amtsgericht festgestellt hat, dass der Betroffene die Ampel passierte, als diese bereits rotes Licht zeigte, ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden, denn insoweit sind die glaubhaft bekundeten Beobachtungen der beiden Polizeibeamten hinreichend zuverlässig.

b) Dem Betroffenen wäre es möglich gewesen, bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung dem von dem Gelblicht ausgehenden Halteverbot zu folgen.

Auf die vom Betroffenen im Zeitpunkt des Umschaltens der Wechsellichtzeichenanlage von Grün auf Gelb gefahrene Geschwindigkeit kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Denn die Möglichkeit, innerhalb des zur Verfügung stehenden Zeitraumes ohne scharfes Bremsen vor der Ampel anzuhalten, bestand in der nach dem Vorgesagten jedenfalls zur Verfügung stehenden Zeit von 3 Sekunden bei jeder beliebigen Geschwindigkeit unterhalb der zulässigen Höchstgrenze von 50 km/h.

Auch bei einer - nicht erlaubten - Geschwindigkeit von 55 km/h wäre der Lkw unter Zugrundelegung einer mittleren Verzögerung von 4 m/s² mit einem Anhalteweg von 39,92 m zum Stehen gekommen. Unter der nicht zu beanstandenden Feststellung der unverminderten Beibehaltung der Geschwindigkeit nach Umschalten der Ampel auf Gelb befand sich der Betroffene in diesem Zeitpunkt 45,84 m vor der Ampelanlage.

Selbst bei 65 km/h hätte der Betroffene bei nur mittlerer Verzögerung innerhalb von 53,45 m und damit innerhalb der bei Umschalten auf Gelb noch zur Verfügung stehenden Strecke zur Ampelanlage von 54,17 m anhalten können.

Dass der Betroffene schneller als 65 km/h fuhr, erscheint nach den Zeugenaussagen ausgeschlossen und würde den Betroffenen überdies, obwohl im Bereich zwischen 65 und 70 km/h ein Anhalten bei mittlerer Verzögerung vor der Ampelanlage nicht mehr möglich gewesen wäre, nicht entlasten (Hentschel, a. a. O., Rn. 61). Kein Verkehrsteilnehmer darf darauf vertrauen, dass die Schaltzeiten innerörtlicher Wechsellichtzeichenanlagen auch Geschwindigkeiten berücksichtigen, die um ca. 1/3 über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegen.

Auf Grund des vom Tatgericht festgestellten Sachverhalts steht mithin fest, dass der Betroffene infolge Unachtsamkeit die Haltelinie der für ihn geltenden Wechsellichtzeichenanlage überfuhr, obwohl diese zu diesem Zeitpunkt bereits rotes Licht zeigte. Damit hat er den Tatbestand des fahrlässigen Verstoßes gegen das durch das Wechsellichtzeichen Rot angeordnete Haltegebot (§§ 37 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, § 24 StVG) verwirklicht.

c) Nach dem derzeit gültigen Bußgeldkatalog, der für die hier vorliegende Verkehrsordnungswidrigkeit eine gegenüber der im Tatzeitpunkt geltenden Fassung mildere Rechtsfolge anordnet und deshalb anwendbar ist, beträgt der Regelsatz der Geldbuße für einen fahrlässig begangenen einfachen Rotlichtverstoß 50,- € (Nr. 132 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV). Ein Fahrverbot ist nicht vorgesehen.

Ein Bußgeld von 50,- € erscheint auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen als Polizeibeamter durchaus angemessen. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fahrverbots (§ 25 Abs. 1 StVG) sind nicht erfüllt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 473 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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