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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 05.12.2002
Aktenzeichen: 1 U 541/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 93
Die Tegernseer Gebräuche sind auch beim Holzhandel in Thüringen Handelsbrauch i.S.d. § 346 HGB.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 541/02

Verkündet am: 05.12.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Thüringer Oberlandesgerichtes in Jena durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pfalzer, die Richterin am Oberlandesgericht Zimmermann-Spring und den Richter am Amtsgericht Dr. Litterst-Tiganele

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 22.04.2002 - 6 O 352/00 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO n. F.).

II.

1. Die zulässige Berufung der Beklagten, mit welcher sie Urteilsabänderung und Klagabweisung erstrebt, hat in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger steht gemäß §§ 651 Abs. 1 Satz 2, 433 Abs. 2 BGB (a. F.) ein Kaufpreisanspruch in Höhe von 7.455,45 € zu, und dieser ist nicht durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit vermeintlichen Gewährleistungsansprüchen aus den Holzlieferungen für die Bauvorhaben M, P und K erloschen.

2. Die Beklagte ist mit den geltend gemachten Gewährleistungsansprüchen nach den Regelungen der §§ 7, 12 der Tegernseer Gebräuche ausgeschlossen.

2.1. Die "Tegernseer Gebräuche" sind - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - auch in Thüringen Handelsbrauch im Sinne des §346 HGB und damit auf die vorliegenden Holzkäufe anzuwenden.

Handelsbräuche im Sinne des § 346 HGB sind die im Handelsverkehr zwischen Kaufleuten geltenden Gewohnheiten und Bräuche. Sie stellen eine verpflichtende Regel dar, die auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen Übung der beteiligten Kreise für vergleichbare Geschäftsvorfälle über einen angemessenen Zeitraum hinweg beruht und der eine einheitliche Auffassung der Beteiligten zu Grunde liegt (Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., Rn. 1 zu § 346 HGB).

Sie gelten normativ, also auch ohne Kenntnis oder Unterwerfungswillen der Parteien (Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., Rn. 8 zu § 346 HGB), weshalb der Einwand der Beklagten, sie kenne die Tegernseer Gebräuche nicht und wolle sich deren Geltung auch nicht unterwerfen, nicht greift.

Die Beklagte ist auch nach § 1 Abs. 2 HGB n. F. (frühere Ausnahmen für Handwerker sind mit dem Handelsrechtsreformgesetz am 01.07.1998 entfallen) Kaufmann. Außerdem sind die Beklagte und die Gemeinschuldnerin beide Formkaufleute im Sinne des § 6 Abs. 1 HGB, und damit sind alle von ihnen getätigten Geschäfte Handelsgeschäfte.

2.2. Jedenfalls für die "alten Länder" entspricht es gesicherter Meinung, dass die Tegernseer Gebräuche Handelsbrauch waren und sind (BGH-NJW-RR 1987, 94 f.; OLG Koblenz, NJW-RR 1998, 1306 f.).

Die Ursprünge der Tegernseer Gebräuche sind über 100 Jahre bis in das 19. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Ihre Entstehung beruht auf besonderen, naturgegebenen Eigenschaften des Handelsgutes Holz. Zum Teil liegen ihnen Jahrhunderte alte Usancen im Holzhandel zu Grunde. Das sich immer mehr verfestigende Brauchtum wurde erstmals 1950 mit der Niederlegung der Tegernseer Gebräuche festgestellt. Die Tegernseer Gebräuche stellten somit von Anfang an eine schriftliche Niederlegung der schon zuvor (und damit bereits vor Bestehen der DDR) in der gesamten Holzwirtschaft geltenden Gepflogenheiten und Gebräuche dar. Weitere Feststellungen der Tegernseer Gebräuche erfolgten in den Jahren 1956, 1961 und zuletzt 1985. Bei allen Feststellungen waren die Verbände der Sägeindustrie, des Holzhandels, der holzverarbeitenden Industrie und des Tischlerhandwerkes beteiligt (OLG Koblenz, NJW-RR 1988, 1306 f.).

2.3. Die in der Holzwirtschaft der alten Länder geltenden Gepflogenheiten und Gebräuche, wie sie in den Tegernseer Gebräuchen schriftlich niedergelegt wurden, gelten nach der Wende auch in Thüringen.

Zwar gab es während des Bestehens der DDR keinen freien Handel, und auch die Tegernseer Gebräuche dürften - schon mangels Regelungsbedürfnis - nicht gegolten haben.

Kommt ein Handelsbrauch nur deshalb längere Zeit nicht zur Anwendung, weil die ihm unterliegenden Geschäfte wegen besonderer Umstände, z. B. wegen eines staatlichen Eingriffes, nicht geschlossen werden können, so geht er jedoch nicht unter. Er ist für die nach Wiederaufleben des Geschäftszweiges geschlossenen Geschäfte sofort wieder wirksam. Das gilt nur dann nicht, wenn diese mit Rücksicht auf zwischenzeitlich eingetretene Änderungen in völlig anderer Weise als früher abgewickelt werden (Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., Rn. 9 zu §346 HGB; BGH, NJW 1952, 257 f.).

Dies trifft auch auf die Tegernseer Gebräuche zu.

Nach der Wende fand, wie ehedem vor Bestehen der DDR, wieder ein freier Handel, auch mit Holz, statt. Die Verträge wurden nach dem Beitritt der DDR zur BRD wieder auf Grundlage der in den alten Ländern geltenden Bestimmungen des BGB und des HGB abgeschlossen, wobei hinzu kommt, dass die Vertragspartner oftmals aus den alten Ländern stammten und stammen, wo die Tegernseer Gebräuche gelten. Dies trifft für Thüringen, dessen waldreiche Gebiete an die ebenfalls waldreichen Gebiete vor allem Bayerns (Franken) angrenzen, in besonderem Maße zu.

Der Sachverständige R hat in dem vom Landgericht eingeholten Gutachten zudem - auch zur Überzeugung des Senates - dargelegt, dass die in der Holzwirtschaft der alten Länder geltenden Gepflogenheiten und Gebräuche, wie sie in den Tegernseer Gebräuchen schriftlich niedergelegt wurden, nach der Wende auf die neuen Länder übertragen bzw. dort wieder aufgenommen wurden.

Nach Kenntnis des Sachveständigen wurden nach der Wiedervereinigung in zahlreichen Streitfällen auch in den neuen Ländern die Tegernseer Gebräuche bestätigt und angewandt. Dies führt der Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar zum einen darauf zurück, dass nach der Wende etwa 80 % der in den neuen Ländern benötigten Holzmenge durch Lieferungen aus den alten Ländern abgedeckt wurden und mit diesen Warenströmen auch die Tegernseer Gebräuche in den neuen Ländern übernommen wurden, indem die aus Westdeutschland kommenden Händler die Tegernseer Gebräuche den ostdeutschen Abnehmern zur Kenntnis brachten und zur Grundlage der einschlägigen Geschäfte machten. Zum anderen wurden in den neuen Ländern seitens der Verbände aus Westdeutschland Schulungsmaßnahmen für die Mitglieder der Verbände in den neuen Ländern durchgeführt, wobei auch auf die Bedeutung der Tegernseer Gebräuche für den Holzhandel und Holzkauf immer wieder hingewiesen wurde. Auch bei der Arbeitsgemeinschaft der vereidigten Sachverständigen, in der zunehmend Sachverständige aus den neuen Ländern mitarbeiten, geht man davon aus, dass die Tegernseer Gebräuche sich mittlerweile (wieder) als Handelsbrauch in den neuen Ländern herausgebildet haben.

Die Angaben des Sachverständigen R werden durch die Auskunft des Gesamtverbandes Holzhandel e.V. unterstüzt, der mit Schreiben vom 29.09.2000 (Bl. 118 ff. d. A.) auf Anfrage des Landgerichts bestätigt hat, dass die Tegernseer Gebräuche anerkanntes Brauchtum im Sinne des § 346 HGB auch in den neuen Bundesländern seien.

Die vom Kläger vorgelegte Auskunft der Vereinigung deutscher Sägewerksverbände e.V. (Bl. 82 d. A.) besagt ebenfalls, dass die Tegernseer Gebräuche mit der Wiedervereinigung Geltung auch für die neuen Bundesländer erlangt haben.

Die Auskunft der Verbände des Zimmerer- und Holzbaugewerbes für Mitteldeutschland e.V. vom 04.12.2000 (Bl. 126 d. A.) steht dem nicht entgegen. Sie trifft keine Aussage darüber, ob die Tegernseer Gebräuche in Thüringen doch noch Anwendung finden. Zwar gehen die Verbände ausweislich dieser Stellungnahme davon aus, dass von einem Handelsbrauch nicht gesprochen werden könne, da viele Qualitätsanforderungen, die heute an Bauholz gestellt werden, nicht durch die Vereinbarung der Tegernseer Gebräuche gesichert werden könnten. Im Weiteren wird indes mitgeteilt, den Mitgliedsbetrieben werde empfohlen, im Allgemeinen die Tegernseer Gebräuche bei Bestellungen von Bauholz - zur Vermeidung von Missverständnissen - auszuschließen und Bauholz ausschließlich nach den gültigen DIN-Normen zu bestellen.

Hieraus lässt sich zum einen ersehen, dass auch nach Ansicht dieser Verbände die Tegernseer Gebräuche durchaus von Bedeutung sein können.

Soweit zum anderen aber darauf abgestellt wird, dass die DIN-Normen andere, weitergehende Anforderungen als die Tegernseer Gebräuche stellen (was auch die Beklagte mit der Berufung einwendet), ist dem entgegen zu halten, dass die Ablösung technischer Anforderungen durch die DIN-Normen jedenfalls keine Auswirkung auf die Fortgeltung der übrigen Regelungen, insbesondere im Allgemeinen Teil (§§ 1 - 13) der Tegernseer Gebräuche hat.

Die Auskunft der Handwerkskammer Erfurt (Bl. 124 d. A.) schließlich ist unergiebig; diese räumt ein, über keine eigenen Erkenntnisse betreffend die Geltung der Tegernseer Gebräuche in Thüringen zu verfügen.

Nach alledem steht fest, dass die Tegernseer Gebräuche nach der Wiedervereinigung auch in Thüringen - wieder - als Handelsbrauch gelten.

Vor diesem Hintergrund war die zusätzliche Durchführung einer Untersuchung durch die Industrie- und Handelskammer Erfurt, die bislang über keine Erkenntnisse zu dieser Frage verfügt (vgl. Bl. 129 d. A.), nicht geboten. Ein Monopol der IHK zur Begutachtung der Frage, ob ein Handelsbrauch festgestellt werden kann, ist nicht anzuerkennen (vgl. Münchener Kommentar zum HGB, Schmidt, Rn. 25 zu § 346 HGB). Dies muss umso mehr gelten, wenn es - wie hier - um das Wiederaufleben eines Handelsbrauchs, der in den alten Ländern stetig weiter bestand und allgemein anerkannt ist, nach Wiederherstellung der deutschen Einheit geht.

2.4. Wie das Landgegericht im Weiteren zutreffend dargelegt hat, sind die Tegernseer Gebräuche auch auf die streitgegenständlichen Holzkäufe anwendbar, weil es sich bei der bestellten und gelieferten Ware nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen auch der Senat folgt, um Schnittholz im Sinne der Tegernseer Gebräuche handelt. Die Beklagte hat nämlich Bauholz geliefert, welches von der Gemeinschuldnerin lediglich hinsichtlich der Länge und des Querschnittes zugeschnitten war, ansonsten aber keine Bearbeitung erfahren hat.

2.5. Gemäß §§ 7, 12 der Tegernseer Gebräuche ist die Beklagte mit Gewährleistungsansprüchen ausgeschlossen. Denn die behaupteten Mängel des Holzes waren unstreitig äußerlich nicht erkennbar, und sowohl für ein arglistiges Verschweigen der Gemeinschuldnerin oder ein grobes Verschulden ihrerseits als auch für eine ausdrückliche Haftungsübernahme durch die Gemeinschuldnerin ist nichts vorgetragen noch ersichtlich (vgl. § 7 der Tegernseer Gebräuche).

Auch sind die Mängel nicht innerhalb der 14-tägigen Rügefrist des § 12 Nr. 2 der Tegernseer Gebräuche angezeigt worden.

2.6. Wie das Landgericht weiter richtig ausgeführt hat, bestehen gegen die Anwendung der in §§ 7, 12 der Tegernseer Gebräuche enthaltenen Gewährleistungsausschlüsse keine Bedenken. Insbesondere begegnet es keinen Bedenken, wenn die Haftung des Verkäufers für äußerlich nicht erkennbare Mängel äußerlich gesunden Rund- und Schnittholzes auf den Fall des arglistigen Verschweigens des Mangels beschränkt wird (vgl. hierzu auch: OLG Koblenz, NJW-RR 1988, 1306).

3. Der Kläger kann sich darüber hinaus gegenüber den geltend gemachten Gewährleistungsansprüchen mit Erfolg auf den Einwand der Verjährung berufen.

Nach dem Ergebnis der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme handelt es sich bei den streitgegenständlichen Holzlieferungen um vertretbare Sachen, die auch nicht eigens für die zu errichtenden Bauwerke eine Bearbeitung erfahren haben.

Wie der Sachverständige R im Zusammenhang mit der Frage der Anwendbarkeit der Tegernseer Gebräuche ausgeführt hat, lässt sich aus den Holzlisten entnehmen, dass die einzelnen Hölzer vor Auslieferung lediglich nach Länge und Querschnitt im Sägewerk zugeschnitten wurden, sonst aber keine spezielle Bearbeitung in Bezug auf das jeweilige Bauvorhaben erfahren haben. Die Hölzer waren dementsprechend auch nicht nur und speziell für diese Bauvorhaben verwertbar und damit nicht etwa für die Klägerin anderweitig nur schwer oder gar nicht absetzbar.

Dementsprechend richtet sich die Verjährung nach den Bestimmungen des Kaufvertragsrechts, § 477 Abs. 1 BGB. Die Gewährleistungsansprüche aus den Bauholzlieferungen von Oktober 1988 waren bei Geltendmachung der Gewährleistungsansprüche demnach verjährt.

4. Ob die Beklagte mit Gewährleistungsansprüchen schließlich auch wegen Verletzung der Untersuchungs- und Rügepflicht nach § 377 HGB - etwa wegen Unterlassens einer unverzüglich vorzunehmenden Probeverarbeitung (vgl. hierzu: OLG Bamberg, Urteil vom 03.02.1984, Az.: 6 U 74/83) - ausgeschlossen ist, kann dahingestellt bleiben.

5. Der Anspruch auf Ersatz der Mahngebühren und Verzugszinsen beruht auf den §§ 286 Abs. 1, 284, 285, 288 Abs. 2 BGB.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Eine Festsetzung des Wertes der Beschwer war im Hinblick auf die Änderung der ZPO durch das ZPO-Reformgesetz nicht geboten (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., Rn. 9 zu § 26 EG-ZPO; Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl., Rn. 12 zu § 26 EG-ZPO).

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 543 Abs. 2 ZPO n. F. vorgesehenen Zulassungsgründe vorliegend gegeben ist.

Der Entscheidung kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu, zumal es sich bei der Feststellung von Handelsbräuchen um eine Tatfrage, nicht um eine Rechtsfrage handelt (Münchener Kommentar zum HGB, Schmidt, Rz. 25 zu § 346 HGB).

Ende der Entscheidung

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