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Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 30.11.2004
Aktenzeichen: 1 VAs 10/04
Rechtsgebiete: StPO, StrVollstrO, EGGVG
Vorschriften:
StPO § 454b Abs. 2 Satz 2 | |
StrVollstrO § 43 Abs. 4 | |
EGGVG §§ 23 ff |
2. Es besteht ein Anspruch auf ermessensfehlerhafte Entscheidung über einen Antrag auf Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 43 Abs. 4 StrVollstrO.
3. Eine nachträgliche Unterbrechung einer vollständig verbüßten Freiheitsstrafe findet nicht statt.
THÜRINGER OBERLANDESGERICHT Beschluss
In dem Antragsverfahren
auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG
hat auf den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.06.2004, der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch
Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger als Vorsitzenden, Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richterin am Landgericht Hager
am 30. November 2004
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers verworfen.
Der Geschäftswert wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller verbüßte in der Vergangenheit mehrere Freiheitsstrafen aus unterschiedlichen Verurteilungen in folgender Weise:
a) Im Verfahren 554 Js .../92 (518 VRs .../96) verurteilte das Amtsgericht Wolgast den Antragsteller am 01.06.1995 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren. Die Strafe wurde vom 24.11.1999 bis zum Halbstrafentermin am 20.08.2000 teilweise verbüßt und im Hinblick auf die Anschlussvollstreckung der Strafe zu b) unterbrochen.
b) Im Verfahren 102 Js .../97 (vormals 640 Js .../97) verurteilte das Amtsgericht Erfurt den Antragsteller am 27.07.1998 rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Mit Beschluss vom 11.03.1999 bildete das Amtsgericht Erfurt unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Erfurt vom 30.07.1998, Az.: 940 Js .../98 - 51 Cs, eine Gesamtstrafe von 8 Monaten und 20 Tagen, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Erfurt, Az.43 BRs .../98, rechtskräftig seit dem 18.08.1999, wurde die Strafaussetzung widerrufen. Diese Freiheitsstrafe wurde vom 21.08.2000 bis zum Ablauf von 2/3 vollstreckt. Die weitere Vollstreckung wurde im Hinblick auf die Anschlussvollstreckung der Strafe zu c) unterbrochen.
c) Im vorliegenden Verfahren 303 Js .../99 verurteilte das Amtsgericht Erfurt den Antragsteller am 18.05.2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe begann im Anschluss an die unter b) genannte Strafe am 12.02.2001.
Mit Beschluss vom 21.02.2002, Az. StVK .../01, setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Erfurt den Vollzug sämtlicher Strafreste aus den Verurteilungen zu a) bis c) zur Bewährung aus. Der Antragsteller wurde am 19.03.2002 aus dem Strafvollzug entlassen.
Am 04.11.2002 widerrief die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Erfurt die bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung; der Beschluss ist seit dem 13.12.2002 rechtskräftig.
Daraufhin verbüßte der Antragsteller zunächst die Reststrafe von 267 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 18.05.2000 (oben c)) im Zeitraum vom 16.03.2003 bis 07.12.2003 vollständig. Im Anschluss daran verbüßte er vom 08.12.2003 bis 04.03.2004 die Reststrafe von 88 Tagen aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 11.03.1999 (oben b)) ebenfalls vollständig. Seit dem 05.03.2004 wird die Reststrafe von 366 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts Wolgast vom 01.06.1995 (oben a)) vollstreckt; Strafende ist am 05.03.2005.
Mit Schreiben vom 18.05.2004 beantragte der Verurteilte, den Vollzug der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 18.05.2000 (oben c)) gemäß § 454b StPO nachträglich nach Ablauf von 2/3 zu unterbrechen. Die Staatsanwaltschaft Erfurt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 07.06.2004 ab. Gegen diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft Erfurt legte der Antragsteller mit Schreiben vom 17.06.2004 Beschwerde ein. Daraufhin übersandte die Staatsanwaltschaft Erfurt die Akten an das Landgericht Erfurt zur Entscheidung. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Erfurt lehnte eine Entscheidung in der Sache unter Hinweis auf das Fehlen der sachlichen Zuständigkeit ab.
Die sodann auf Vorlage der Staatsanwaltschaft Erfurt mit der Sache befasste Thüringer Generalstaatsanwaltschaft verwarf die Beschwerde mit Bescheid vom 23.09.2004 unter Hinweis auf § 454b Abs. 2 Satz 2 StPO.
Mit Schreiben vom 04.10.2004, das beim Thüringer Oberlandesgericht am 05.10.2004 einging, beantragte der Verurteilte gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG.
Er ist der Auffassung, dass die nach dem Widerruf der Reststrafenaussetzung vollstreckten Reststrafen jeweils nach Verbüßung von 2/3 der Strafe zu unterbrechen gewesen wären.
Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller seinen ursprünglich gestellten Antrag weiter.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 04.11.2004 zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung Stellung genommen und beantragt, den Antrag als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 23 Abs. 1, § 24 Abs. 2, § 25 Abs. 1, § 26 Abs. 1 EGGVG).
Dem zu mehreren Freiheitsstrafen Verurteilten steht gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, die Vollstreckung eines Strafrestes, dessen Aussetzung zur Bewährung widerrufen wurde, zum 2/3-Zeitpunkt nicht zu unterbrechen, der Rechtsweg nach § 23 EGGVG zum Oberlandesgericht offen (BGH NJW 1991, 2030, 2031).
In der Sache hat der Antrag auf gerichtliche Entscheidung keinen Erfolg.
Für die Unterbrechung der Vollstreckung eines Strafrestes, hinsichtlich dessen die ursprüngliche gewährte Aussetzung widerrufen wurde, ist ausschließlich der Strafvollstreckungsbehörde zuständig. Diese hat hier entschieden.
Die getroffene Entscheidung unterliegt lediglich der Rechtskontrolle gem. §§ 23, 28 EGGVG (BGH a. a. O., S. 2031). Die rechtliche Überprüfung führt dazu, dass die Ablehnung der beantragten Unterbrechung des Vollzugs der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 18.05.2000, durch den Bescheid der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 07.06.2004 in der Gestalt des Bescheides der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vom 23.09.2004 im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
Allerdings haben die Staatsanwaltschaft Erfurt und die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft nicht beachtet, dass eine erneute Unterbrechung der Vollstreckung der vorgenannten Freiheitsstrafe nicht zwingend aufgrund der Regelung des § 454b Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeschlossen ist. Nach dieser Bestimmung findet die gem. § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO obligatorische, von Amts wegen vorzunehmende Unterbrechung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nicht bei solchen Strafresten statt, die aufgrund Widerrufs ihrer Aussetzung vollstreckt werden. Jedoch räumt § 43 Abs. 4 StrVollstrO der Vollstreckungsbehörde die Befugnis ein, aus wichtigem Grund von dem in § 43 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 StrVollstrO angeordneten Vorabvollzug von Strafresten, deren Vollstreckung bereits nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt war, abzuweichen (siehe OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 282 ff; OLG Hamburg StV 1993, 256, 257; Pohlmann/Jabel/Wolf, StrVollstrO, 8. Aufl., § 43 Rn. 26 f; KK-Fischer, StPO, 5. Aufl., § 454b Rn. 17; Meyer-Goßner, a. a. O., Rn. 7). Begehrt ein Verurteilter nach dem Widerruf einer Strafaussetzung eine Unterbrechung dieses Strafrestes zwecks Teilverbüßung einer Anschlussstrafe, um nach Verbüßung von 2/3 der Anschlussstrafe eine einheitliche Entscheidung über deren Aussetzung und eine erneute Aussetzung der widerrufenen Strafe herbeiführen zu können, hat der Verurteilte nach dem Grundgedanken des § 43 Abs. 4 StrVollstrO einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Überprüfung seines Begehrens durch die Vollstreckungsbehörde (OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 282 ff; NStZ 1983, 48 zu § 43 StrVollstrO a.F.).
Indem die Staatsanwaltschaft das ihr in § 43 Abs. 4 StrVollstrO eingeräumte Ermessen nicht erkannt und folglich auch nicht ausgeübt hat, ist der Anspruch des Verurteilten auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag verletzt.
Dies führt jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide, denn das Ermessen der Vollstreckungsbehörde war derart reduziert, dass auch bei fehlerfreier Ermessensausübung als einzig richtige Entscheidung nur die Ablehnung der Unterbrechung in Betracht gekommen wäre.
Im Rahmen des § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO entspricht es herrschender Auffassung, die der Senat teilt, dass eine nachträgliche Anordnung der Unterbrechung einer bereits vollständig verbüßten Freiheitsstrafe nicht möglich ist (siehe etwa OLG Hamburg StV 1994, 195, 196; Pohlmann/Jabel/Wolf, StrVollstrO, 8. Aufl., § 43 Rn. 33; KK-Fischer, StPO, 5. Aufl., § 454b Rn. 5; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 454b Rn. 5). Einer solchen rückwirkenden Unterbrechung steht u.a. die vollstreckungsrechtliche Selbständigkeit der Strafen entgegen, die dazu führt, dass eine tatsächlich verbüßte Strafe nicht nachträglich rückgängig gemacht werden kann (OLG Zweibrücken JR 1977, 292; KK-Fischer, StPO, 5. Aufl., § 454b Rn. 5, KMR-Paulus, § 454b Rn. 32). Dieser Gesichtspunkt trifft in gleicher Weise für eine im Ermessen der Strafvollstreckungsbehörde stehende Unterbrechung nach § 43 Abs. 4 StrVollstrO zu. Auch im Übrigen besteht kein sachlicher Grund dafür, die Frage der Zulässigkeit einer nachträglichen, d.h. rückwirkenden Unterbrechung im Rahmen des § 43 Abs. 4 StrVollstrO anders zu beantworten als im Zusammenhang mit § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 30 Abs. 1 EGGVG, § 2 Nr. 1 KostO. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten; wegen Erfolglosigkeit des Antrags kam eine Ermessensentscheidung zugunsten des Antragstellers nach § 30 Abs. 2 EGGVG nicht in Betracht.
Der Geschäftswert ist gem. § 30 Abs. 3 EGGVG nach § 30 Abs. 2, 3 KostO festgesetzt worden.
Ende der Entscheidung
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